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DOI: 10.1055/s-0028-1082160
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Opioide: Original und Generika häufig nicht therapieäquivalent - Schmerzpatienten leiden unter Austauschpflicht
Publication History
Publication Date:
06 August 2008 (online)
- Das Gleiche ist nicht dasselbe
- Problematische Umstellung und kaum Ersparnis
- Jede Umstellung wie eine Neueinstellung behandeln
Mein Arzt entscheidet, welches Medikament ich bekomme - dieses Prinzip galt bis zum 1. April 2008 noch für starke Opioidanalgetika. Doch die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Deutsche Apothekerverband haben einen neuen Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung geschlossen. Danach sind diese Medikamente nun der Austauschpflicht unterworfen. Der Apotheker muss das vom Arzt verschriebene Präparat durch ein wirkstoffgleiches Präparat ersetzen, das entweder Bestandteil eines Rabattvertrags ist oder zu den drei preiswertesten Präparaten gehört. Wirkstoff, Abgabedosis und Packungsgröße müssen dabei übereinstimmen, die Darreichungsform muss vergleichbar sein. Der Arzt kann dies nur verhindern, indem er "Aut idem" ankreuzt.
Das Gleiche ist nicht dasselbe
Diese Austauschpflicht verurteilten Schmerzexperten im Mai 2008 auf dem 3. Deutschen Schmerzgipfel in Frankfurt/ Main. Dr. Thomas Nolte, Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums Wiesbaden wies darauf hin, dass Original und Generikum häufig nicht therapieäquivalent sind. Aufgrund dieser Unterschiede komme es zu Nebenwirkungen und zu Wiederauftreten von Schmerzen.
"Können Innovationen überhaupt noch beim Patienten ankommen?", fragte Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e.V. (DGS), in Hinblick auf die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen. Aufwendige Forschungsarbeit steckt eben nicht nur in den Wirkstoffen sondern auch in der Galenik eines Präparats. Viele moderne Techniken, die die Wirkstofffreisetzung steuern, lägen noch unter Patentschutz, anders als der Wirkstoff selbst, erklärte Prof. Harald G. Schweim vom Lehrstuhl "Drug Regulatory Affairs" der RFW-Uni Bonn. Die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs spiele aber eine entscheidende Rolle bei der Retardierung. Beispielsweise können Oxycodon-Originalpräparat und -Generikum unterschiedliche Plasmakonzentrationen und Anflutungen des Wirkstoffs bewirken. Während das Originalpräparat (Oxygesic®, Mundipharma) bei Alkoholkonsum stabil bleibt, kann sich bei Oxycodon-Generika unter Alkoholeinfluss eine stark beschleunigte Wirkstofffreisetzung mit dem Risiko gefährlicher Nebenwirkungen ergeben.
Problematische Umstellung und kaum Ersparnis
Dass eine Umstellung vom gewohnten Analgetikum für etwa 86% der Patienten nicht problemlos verläuft, zeigte PD Dr. Michael Überall, Medizinischer Direktor des Instituts für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie (IFNAP), Nürnberg. In seiner Befragung wurden etwa 6000 Schmerzpatienten prophylaktisch mit einem Fragebogen ausgestattet. Diesen sollten sie ausfüllen, wenn eine Umstellung ihres gewohnten WHO-III-Opioids stattfand. Die Patienten sollten generell von Umstellungen der Schmerzpräparate berichten, 424 Patienten antworteten, die von einem WHO-III-Opioid umgestellt wurden. Nur 47% der Patienten hatten Informationen zu der Umstellung vom Arzt und 13% vom Apotheker bekommen. Überall kritisierte außerdem die abrupte Umstellung: Diese erfolgte in der Regel nicht gleitend, sondern bei 94% der Patienten von heute auf morgen. Auf einer Schmerzskala von 0-10 gaben 86% der Patienten an, eine Verschlechterung der Schmerzen von bis zu 5 Punkten erfahren zu haben. Bei jedem 5. Patienten lag die Verschlechterung des geringsten Schmerzes bei etwa 100%. Dieser verloren gegangenen Lebensqualität stehe eine durchschnittliche Einsparung von 0,96 Euro/Patient und Tag gegenüber (Abb. [1]). "De facto sparen wir gar nichts ein", so Überall. Wenn Patienten vor einer Umstellung schmerzfrei waren und danach maximale Intensitätswerte erleben, sei das nicht wirtschaftlich.


Abb.1 Einsparung der Tagestherapiekosten gegenüber Veränderungen der durchschnittlichen Schmerzintensität auf der numerischen Skala NRS-11, bei 424 Patienten nach Umstellung eines WHO- III-Opioidanalgetikums.
Jede Umstellung wie eine Neueinstellung behandeln
Das Einstellen der chronischen Schmerzpatienten auf ihr Analgetikum ist oft langwierig. Diese Einstellung müsste bei jeder Umstellung auf ein anderes Präparat - egal ob von Original auf Generikum oder vice versa - erfolgen, erklärte der Pharmazeut Schweim. Oft weiß der Arzt jedoch gar nichts von einer Umstellung, und trotzdem bleibt er in der Haftung für etwaige Folgen.
Der Landesbeauftragte NRW der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. V. (DGVP) Joachim Trauboth kommentierte die aktuelle Versorgungssituation der Patienten mit den Worten: "Gerade für Schmerzpatienten gilt, dass eine Pharmakotherapie, die sich eher an den Arzneimittelkosten als an den spezifischen Eigenschaften eines Medikaments und der Individualität des Patienten orientiert, die schlechtere Therapie ist."
Anna Hecker, Stuttgart
Quelle: 3. Deutscher Schmerzgipfel, "Sicherheit in der Schmerztherapie - Aktuelle Versorgungssituation der Patienten", am 28. Mai 2008 in Frankfurt/Main.
Mit freundlicher Unterstützung von Mundipharma, Limburg.


Abb.1 Einsparung der Tagestherapiekosten gegenüber Veränderungen der durchschnittlichen Schmerzintensität auf der numerischen Skala NRS-11, bei 424 Patienten nach Umstellung eines WHO- III-Opioidanalgetikums.