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DOI: 10.1055/a-2745-9019
Das Licht der Welt – rätselhafte Skotome nach Kaiserschnitt
Mysterious scotomas after cesarean sectionAuthors
Es stellte sich eine 35-jährige Patientin erstmalig bei uns mit beidseitigen zentralen Gesichtsfelddefekten vor. Am rechten Auge beschrieb die Patientin den Gesichtsfelddefekt als einen grauweißen, parazentralen Schleier, geformt wie ein „Donut, der an einer Stelle offen ist“. Am linken Auge bestand der Gesichtsfelddefekt aus 2 parazentral gelegenen Punkten. Die Gesichtsfelddefekte beeinträchtigten die Patientin insbesondere beim Lesen, wobei keine Fluktuationen im Tagesverlauf bestanden. Von Blitzen oder Schatten berichtete die Patientin ebenfalls nicht.
Begonnen hatten die Beschwerden 3 Monate zuvor. Bei der damals schwangeren Patientin musste zu diesem Zeitpunkt eine notfallmäßige Sectio caesarea in Narkose durchgeführt werden. Unmittelbar nach der Entbindung wurden die Skotome erstmalig wahrgenommen und blieben seither unverändert bestehen. Die Patientin war bereits bei einem niedergelassenen augenärztlichen Kollegen, sowie in einer Augenklinik vorstellig geworden, dort wurde jeweils ein Normalbefund attestiert. Auch eine kraniale Bildgebung mittels CT und MRT zum Ausschluss einer neurologischen Beschwerdeursache blieb unauffällig. Es bestanden keine ophthalmologischen Vorerkrankungen oder Voroperationen am Auge, die Familienanamnese war leer.
Bei Vorstellung betrug der Dezimalvisus beidseits 1,0, der intraokulare Druck war normal. Die Pupillen waren rund, isokor und beidseits lichtreagibel, ein relativer afferenter Pupillendefekt bestand nicht. Der Vorderabschnitt stellte sich normal dar. In der Funduskopie zeigten sich diskrete Auffälligkeiten an beiden Augen ([Abb. 1 a]). In der optischen Kohärenztomografie (OCT) fiel am rechten Auge eine ringförmige Signalabschwächung im Infrarotbild mit korrespondierenden Disruptionen in der Photorezeptorschicht auf. Am linken Auge war die Signalabschwächung punktförmig mit jeweils korrespondierenden, dezenten Auffälligkeiten in der Photorezeptorschicht ([Abb. 1 c], [1 d]). Die Fundusautofluoreszenzaufnahme war beidseits normal ([Abb. 1 b]). In der Perimetrie waren absolute Gesichtsfelddefekte passend zu den Auffälligkeiten der Photorezeptorschicht in der OCT zu erkennen ([Abb. 2]). Wir stellten die Verdachtsdiagnose einer akuten makulären Neuroretinopathie (AMN) Typ 2.




Die akute makuläre Neuroretinopathie (AMN) beschreibt ein sehr seltenes Krankheitsbild, welches erstmals 1975 in einer Fallserie beschrieben wurde [1]. Die AMN betrifft überwiegend weibliche Patienten, der Erkrankungsgipfel befindet sich in der 2. Lebensdekade. Die beschriebenen Fälle sind am häufigsten mit einem abgelaufenen fieberhaften Infekt oder der Einnahme oraler Kontrazeptiva assoziiert, wobei in Bezug auf letzteres das überwiegend weibliche Patientenkollektiv und die hohe Prävalenz oraler Kontrazeption berücksichtigt werden muss [2]. Auch Fälle von AMN nach einer COVID-19-Infektion oder Impfung sind beschrieben [3], [4], [5]. Die Leitsymptome sind häufig parazentrale Gesichtsfelddefekte bei gering eingeschränktem oder sogar vollem Fernvisus. Die AMN tritt in etwa der Hälfte der Fälle auch bilateral auf [2].
Die initiale apparative Diagnostik umfasst die Perimetrie, das Nahinfrarotbild, sowie eine OCT-Aufnahme. In der Funduskopie zeigten sich an beiden Augen feine makuläre Veränderungen. In der Literatur werden funduskopisch sichtbaren Läsionen häufig als keil- oder tropfenförmig in parazentraler Lage beschrieben [2]. Die große Mehrheit der Fälle von AMN zeigt Auffälligkeiten in der SD-OCT, meist in einer Affektion der ellipsoiden Zone (EZ) und der äußeren Körnerschicht (ONL) [2]. Als frühes und eher charakteristisches Zeichen schlagen einige Autoren eine Hyperreflektivität im Grenzbereich zwischen der äußeren plexiformen Schicht (OPL) und ONL vor [6], [7]. In diesem Fall konnten an beiden Augen lokale Unregelmäßigkeiten insbesondere in der ellipsoiden Zone nachgewiesen werden. Dies ist vereinbar mit einem bereits 2 Monate alten Befund, bei dem die typische Hyperreflektivität im Grenzbereich zwischen ONL und OPL bereits vollständig rückläufig ist [8]. Diese dezenten EZ-Läsionen bei einer älteren AMN kann im klinischen Alltag mitunter schwer von Signalrauschen unterschieden und damit erkannt werden. Wesentlich eindrücklicher erscheinen die Läsionen, insbesondere in ihrer Form, im Nahinfrarotbild. Es ist daher ratsam, bei der AMN auch die Infrarot-Fundusaufnahme mit in die Diagnostik einzubeziehen, um die eventuell vorhandenen Läsionen besser erkennen zu können und gegebenenfalls mit den beschriebenen Skotomen oder Perimetriebefunden zu korrelieren.
Die Wiedervorstellung der Patientin erfolgte 2 Monate später zur Verlaufskontrolle und elektrophysiologischen Untersuchung, sowie zur Mikroperimetrie. Die Patientin gab keine Besserung des Befundes an, speziell beim Lesen sei sie durch die ring- und punktförmigen Skotome beim Zeilenwechsel und beim Lesen sehr kurzer Wörter weiterhin stark beeinträchtigt. Der ophthalmologische Befund hatte sich seit der letzten Vorstellung nicht verändert, insbesondere der Fernvisus war weiterhin beidseits voll und die Fundusveränderungen klinisch und in der OCT stabil. In der multifokalen Elektroretinografie (mf-ERG) zeigten sich Amplitudenreduktionen in Bereichen der Netzhaut, die mit den berichteten Gesichtsfelddefekten am jeweiligen Auge korrelierten: am rechten Auge ein ringförmiges Areal mit Betonung nach superior, am linken Auge ein parazentrales Areal im papillomakulären Bündel ([Abb. 3 a]). In der Mikroperimetrie ergaben sich dazu passende Defekte ([Abb. 3 b]).


In diesem Fall wurde 2 Monate nach Erstvorstellung die Befunde der Mikroperimetrie mit denen des mf-ERG eindrücklich korreliert. Mittels der Mikroperimetrie ließen sich die von der Patientin sehr konkret geschilderten Skotome nachweisen und den Auffälligkeiten im Infratorbild exakt zuordnen, die Elektrophysiologie konnte hierbei nochmals die retinale Schädigung objektivieren. In publizierten Fällen von AMN, in denen ein Full-Field-ERG (ff-ERG) durchgeführt wurde, war dieses in 9 von 10 Fällen unauffällig, wohingegen bei Patienten, die ein mf-ERG erhielten, in über 90% pathologische Befunde nachgewiesen werden konnten [2]. Die Durchführung eines mf-ERGs, wie in dem vorliegenden Fall beschrieben, ist demnach der Durchführung eines ff-ERGs in Bezug auf die AMN diagnostisch überlegen. Unter Berücksichtigung der in der Literatur publizierten Fälle von AMN ist jedoch zu betonen, dass die Betrachtung der OCT und der Infrarotaufnahme meist zur Diagnosestellung ausreicht, eine elektrophysiologische Untersuchung ist daher ebenso wie die Mikroperimetrie in der Regel nicht erforderlich.
Die Gesichtsfelddefekte bei AMN können verschiedene Formen annehmen, am häufigsten ist eine Keil- oder Tropfenform mit parafovealer Lage. In dem vorliegenden Fall beschrieb die Patientin neben unspezifischen parafovealen Defekten am linken Auge sehr eindrücklich auch einen U-förmigen Gesichtsfelddefekt am rechten Auge. In der Literatur sind ähnliche Fälle solcher spezifisch geformter Gesichtsfelddefekte beschrieben, welche ebenfalls nach notfallmäßiger Sectio caesarea aufgetreten waren [9] [10] [11].
Die Beschwerden der Patientin blieben auch bei halbjährlichen Folgekontrollen ohne Besserung. Bei der letzten Kontrolle 18 Monate nach Erstvorstellung waren die Beschwerden unverändert, die Läsionen blieben in der OCT stabil und auch der Mikroperimetrie-Befund war ohne Dynamik ([Abb. 4]). Eine kausale Therapie der AMN ist bisher nicht beschrieben, betroffenen Patienten bleibt nur, den Spontanverlauf abzuwarten und Maßnahmen zur Verminderung der Krankheitslast zu treffen. Im beschriebenen Fall gelang der Patientin durch Maßnahmen am Arbeitsplatz, z. B. einer deutlichen Vergrößerung der Anzeige auf dem PC-Bildschirm, der berufliche Wiedereinstieg.


Die Pathogenese der AMN ist bisher nur unzureichend verstanden, man geht jedoch aufgrund der Risikofaktoren schon länger von einer vaskulären Genese aus [2]. Die AMN kennt 2 Subformen, Typ 1 und Typ 2. Typ 1 wird unter dem Begriff der Paracentral acute middle Maculopathy (PAMM) auch als eigene Entität diskutiert [12], [13]. Die distinkte Lokalisation der PAMM in den inneren Netzhautschichten im Perfusionsbereich des oberflächlichen Gefäßplexus (SVC) verglichen mit den Läsionen der AMN Typ 2 im Bereich des tiefen Gefäßplexus (DVC) unterstreicht die vaskuläre Genese der AMN. Während die AMN vielfach in Assoziation mit viralen Infekten [2] oder als Komplikation einer COVID-19-Infektion beschrieben wurde [14], spielt auch die Anwendung vasokonstriktorischer Substanzen wie Epinephrin, Ephedrin und sogar Koffein eine Rolle als Risikofaktor für diese seltene Erkrankung [2], [15], [16], [17]. Der Verlauf einer AMN kann sehr unterschiedlich sein. Neben persistierenden Beschwerden, wie in diesem Fall, sind auch Beispiele vollständiger Remission beschrieben [6], [18]. Systematische Daten zur Häufigkeit der jeweiligen Verläufe fehlen bisher.
Der vorliegende Fall beschreibt eine Typ 2 AMN bei einer jungen weiblichen Patientin nach notfallmäßiger Sectio caesarea, möglicherweise verursacht durch intraoperative Gabe von kreislaufstabilisierenden Medikamenten wie Epinephrin. Der Fall unterstreicht die diagnostischen Herausforderungen insbesondere bei älteren Befunden und die Bedeutung von Anamnese und multimodaler Bildgebung bei betroffenen Patienten.
Publication History
Received: 08 September 2025
Accepted: 07 November 2025
Article published online:
12 December 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
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