Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement
DOI: 10.1055/a-2615-9999
Originalarbeit

Verbesserungsbedarfe des klinischen Risikomanagements in deutschen Krankenhäusern: eine Befragung von kRM-Beauftragten

Needs for improvement in clinical risk management in German hospitals: a survey of CRM managers
1   Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin, Germany
,
Karl Blum
3   Geschäftsbereich Forschung, Deutsches Krankenhausinstitut e.V., Geschäftsbereich Forschung, Düsseldorf, Germany
,
4   Wiesbaden Institute for Healthcare Economics and Patient Safety (WiHelP), Hochschule RheinMain, Wiesbaden, Germany
,
4   Wiesbaden Institute for Healthcare Economics and Patient Safety (WiHelP), Hochschule RheinMain, Wiesbaden, Germany
,
5   Institut für Patientensicherheit, Universitätsklinikum Bonn, Germany
,
5   Institut für Patientensicherheit, Universitätsklinikum Bonn, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Zielsetzung

Seit 2013 ist in Deutschland klinisches Risikomanagement (kRM) in Krankenhäusern gesetzlich vorgeschrieben. Zur systematischen Erfassung der Implementation sowie Verbesserungsbedarfen sind repräsentative Einschätzungen von kRM-Verantwortlichen unerlässlich.

Methodik

Eine deutschlandweite, onlinebasierte Befragung von kRM-Verantwortlichen wurde durchgeführt. Die Rücklaufquote der Vollerhebung nach Standorten lag bei 49,7%.

Ergebnisse

Der Umsetzungsgrad bei verpflichtenden Regelungen ist hoch. Verbesserungspotential wurde bei der systematischen Prozess- und Strukturoptimierung und regelmässigem funktionsübergreifenden Austausch berichtet.

Schlussfolgerungen

Optimierungsbedarf besteht in der Implementierung einer systematischen, funktionsübergreifenden Sicherheitskultur in allen Versorgungs- und Organisationsbereichen, unter Bereitstellung entsprechender Ressourcen.


Abstract

Aim

Since 2013, clinical risk management (CRM) has been a legal requirement for hospitals in Germany. To systematically assess the level of implementation and improvement of CRM, data should be obtained from CRM experts.

Method

A Germany-wide online survey with local CRM officers was conducted. The response rate of the full survey by hospital sites was 49.7%.

Results

The level of implementation of obligatory regulations is high. Potential for improvement was reported in the systematic optimization of processes and structural exchanges about strategies.

Conclusion

There is a need for optimization in the implementation of a systematic safety culture in all areas of care and organization, which requires the provision of the necessary resources.


Hintergrund und Zielsetzung

Patientensicherheit wurde 2022 das zehnte nationale Gesundheitsziel in Deutschland [1]. Danach sind Prozesse im Gesundheitswesen so zu organisieren, dass Fehler sowie kritische und unerwünschte Ereignisse vermieden werden. Die Festlegung als eigenständiges Ziel entspricht der Agenda des ‚Globalen Aktionsplans für Patientensicherheit 2021–2030‘ der Weltgesundheitsorganisation (WHO), „die Eliminierung vermeidbarer Patientenschäden zu einem Grundsatz für die Planung und Durchführung der Gesundheitsversorgung“ zu machen. Zur Umsetzung wird die „Integration der Aktivitäten in den operativen Gesamtplan der Organisation“ vorgeschlagen sowie die „Abstimmung und Umsetzung von Prozessen und Praktiken auf der Ebene der Einrichtung mit Richtlinien, Protokollen, Verfahrens- und Arbeitsanweisungen zur Patientensicherheit“ [2].

Die mit dem Patientenrechtegesetz 2013 erstmalige verbindliche Etablierung von klinischem Risikomanagement (kRM) und Fehlermeldesystemen in Krankenhäusern wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss 2014 dahingehend konkretisiert, dass alle Krankenhäuser, die Versorgungsverträge mit Krankenversicherungen nach § 108 SGB V abgeschlossen haben, zur Einführung von kRM verpflichtet sind [3]. KRM beinhaltet operative Vorgaben zur strukturierten Verbesserung der Patientensicherheit, die definiert sind als "Prozesse, Methoden, Instrumente und Aktivitäten in Prävention, Diagnostik, Therapie und Pflege, die die Mitarbeitenden aller Ebenen, Funktionen und Berufsgruppen unterstützen, Risiken bei der Patientenversorgung zu erkennen, zu analysieren, zu beurteilen und zu bewältigen“ [4]. Diese Definition des kRM zählt Vorgehensweisen auf, ohne deren Umsetzungstiefe zu definieren. Daher sind in der Praxis bei der formalen Etablierung, Implementation als auch beim tatsächlichen Durchdringungsgrad im Versorgungsalltag starke Variationen möglich.

Der Medizinische Dienst Bund (MD) weist für 2023 insgesamt 3160 Schadensfälle auf, die mehrheitlich bei der Begutachtung von Beschwerden aus der stationären Versorgung festgestellt wurden [5]. Diese Anzahl unterliegt seit vielen Jahren nur geringen Schwankungen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die tatsächlich stattgefundenen Schadensfälle die dokumentierten Daten um ein Vielfaches übersteigen [6]. Rückschlüsse auf den Umsetzungsstand des kRM können mit dieser Datengrundlage nicht getroffen werden. Auch die vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) herausgegebenen Qualitätsberichte der Kliniken lassen keine Schlüsse auf die Umsetzungstiefe des kRM zu.

Die neben kRM verpflichtend einzuführenden Fehlermeldesysteme wie Berichts- und Lernsysteme (CIRS) [7] sowie Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen (M&MK) [8] stellen wichtige Instrumente zur Verbesserung der Patientensicherheit dar. Ohne deren Einbettung in eine Sicherheitskultur, die Offenheit gegenüber dem Auftreten von Fehlern und Unsicherheiten zulässt, wird das Potential des kRM nicht ausgeschöpft. Die internationale Literatur betont, dass eine starke Sicherheitskultur vertiefte organisationale Anstrengungen voraussetzt [9]. In einer in verschiedenen US-amerikanischen Kliniken durchgeführten Befragung wurden die besten Sicherheitskulturen entlang systemischer Planung von Verbesserungsmaßnahmen, der Dissemination auf allen Ebenen sowie Unterstützung durch die Führung gemessen [10]. Ein systematischer Review zu Strategien der Sicherheitskultur ergab positive Ergebnisse bei Teamtrainings und Kommunikationstools, die innerklinische Mikrosysteme wie Teams und Abteilungen adressieren [11]. Dies stimmt mit einer weiteren Übersichtsarbeit zu Interventionen für Sicherheitskultur in Notaufnahmen überein, die den Einsatz von Teamwork- und Kommunikationstrainings als Beitrag zur Reduzierung von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen aufzeigte [9].

Insgesamt gibt es für Deutschland einen Mangel an systematischen Erhebungen zu Status, Nutzungstiefe, Strategien wie auch Verbesserungsbedarfen des kRM in den Kliniken. Um den aktuellen Umsetzungsstand wie auch praxisnahe Einschätzungen zu Ansätzen zur Verbesserung des kRM zu erfassen, ist die direkte Befragung der Verantwortlichen für kRM in den Kliniken unerlässlich.

Ziel war daher, Einschätzungen von kRM-Verantwortlichen in den Krankenhäusern in Deutschland zu folgenden Bereichen systematisch zu erfassen:

  1. Strategien und Ziele des kRM in der Klinik,

  2. Verbesserungsbedarfe des kRM sowie

  3. Fortbildungsbedarfe zum kRM in den Einrichtungen.


Methodik

Design

Zur Erreichung dieses Ziel wurden Ergebnisse einer deutschlandweiten Befragung von Qualitäts- und Risikomanager:innen deutscher Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen ausgewertet: Krankenhausstudie zur Sicherheit durch Management innerklinischer Risiken – KhaSiMiR 21 [12]. Dies ist die umfänglichste und langfristigste Erhebung in diesem Bereich: bereits 2010 und 2015 wurden Befragungen zum Grad der Umsetzung des kRM in deutschen Krankenhäusern durchgeführt [13] [14].


Stichprobe und Durchführung

2022 wurden insgesamt 1703 Krankenhäuser und 1003 Rehabilitationseinrichtungen zur Teilnahme eingeladen. Dies schloß alle nach § 108 SGB V zugelassenen Allgemeinkrankenhäuser mit mehr als 49 Betten sowie Rehabilitationseinrichtungen nach § 107 Abs. 2 SGB V mit Versorgungsverträgen nach § 111 SGB V ein. Der Fragebogen wurde an die jeweils klinikinternen Verantwortlichen für das Qualitäts- und Risikomanagement ausgesandt, um eine valide Einschätzung aus dem Versorgungs- und Arbeitsalltag zu den Voraussetzungen zur Umsetzung des kRM in den Kliniken zu gewinnen.

Hier werden nur die Daten der Krankenhäuser berichtet, da diese zum kRM verpflichtet sind. Die Adressen der Online-Befragung stammten aus der Datenbank des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). Zusätzliche Strukturdaten (Bundesland, Siedlungstyp, Einrichtungsart, und –träger) wurden aus der DKI-Datenbank ergänzt.


Befragungsinhalte

Der vorab pilotierte und geprüfte Fragebogen umfasste mehrere Themen rund um kRM und Patientensicherheit. Details zu Inhalten und Fragebogen sind im KhaSiMiR-Abschlussbericht zu finden [12]. Für diese Auswertung nutzten wir Fragen zu folgenden Inhaltsbereichen:

  1. Umfang, Abläufe, Zuständigkeiten, Verbindlichkeiten, organisationale Verankerung, strategische und operationale Ziele des kRM in der eigenen Klinik;

  2. Verbesserungsbedarfe des kRM zur Umsetzung verpflichtender Regelungen, Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Prozessen sowie organisationalen Unterstützung der Führung;

  3. korrespondierender Fortbildungsbedarf in der eigenen Klinik.

Zur besseren Interpretation der quantitativen Daten zum Optimierungspotential wurden diese um die Option offener Antworten in Freitextfeldern erweitert. In die Auswertung einbezogen wurde die Frage: „Wo sehen Sie in Ihrer Einrichtung im kRM den größten Handlungsbedarf“.


Analyse

Im Rahmen dieser Untersuchungen wurden deskriptive Analysen zu den standardisiert erfragten Bewertungen vorgenommen (insbes. Häufigkeitsanalysen). Für den Inhaltsbereich Verbesserungspotential wurden zusätzlich die offenen Antworten nach thematischen Schwerpunkten qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet und klassifiziert (mit MAXQDA 2020). Dies ermöglicht ein vertieftes Verständnis der standardisierten Aussagen zu Optimierungspotential und Fortbildungsbedarf.



Ergebnisse

Die Einladung zur Teilnahme an der deutschlandweiten Online-Befragung wurde an 1703 Allgemeinkrankenhäuser versendet. Insgesamt erhielten wir 401 Rückmeldungen, was einer direkten Rücklaufquote von 23,5% entspricht. Da einzelne Teilnehmende Angaben für mehrere Standorte machten, bezogen sich die Antworten auf insgesamt 847 Krankenhäuser, was einer effektiven Rücklaufquote von 49,7% entspricht. Die nachfolgenden Analysen basieren ausschließlich auf den tatsächlichen Antworten (N=401).

  1. Strategien und Ziele des kRM in Kliniken

    [Abb.1] führt die Häufigkeiten der Bewertungen auf. Die Befragten gaben einen hohen Umsetzungsgrad für die Definition und Dokumentation der kRM-Prozesse an (68%). Ähnliches gilt für deren Kommunikation an die Mitarbeitenden (65%) und lässt sich auch für die verbindliche Beschreibung und Zuordnung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (62%) festhalten. Hingegen gab es deutlich weniger Zustimmung zum Umsetzungsgrad regelmäßiger kRM-Fortbildungen (25%).

  2. Verbesserungsbedarfe des kRM in Kliniken

    Gefragt nach dem Verbesserungspotential in der eigenen Einrichtung ([Abb. 2]) sieht die Mehrheit der Teilnehmenden dies in der systematischen Prozess- und Strukturoptimierung (24%), im internen regelmässigen Austausch zwischen den zentralen kRM-Akteuren und den einzelnen klinischen Abteilungen (20%) sowie in der klareren Benennung und Definition der Beauftragten in den Fachabteilungen und der Schnittstellengestaltung (20%).

    Tendenziell geringe Verbesserungsbedarfe wurden für die verpflichtenden Meldungen an das BfArM (5%), Umsetzung der G-BA-Richtlinie (6%) und der zeitnahen Bearbeitung von CIRS-Meldungen (9%) beobachtet.

  3. Fortbildungsbedarf in Bezug auf kRM in Kliniken

    Die Angaben zum Fortbildungsbedarf in Bezug auf kRM in der eigenen Einrichtung zeigen im Durchschnitt ein hohes Niveau an Zustimmung ([Abb. 3]). Als sehr relevant angegeben wird der Fortbildungsbedarf bei der Förderung der Sicherheitskultur (23%), von Kommunikationsschulungen (26%) sowie der Rolle von Führung im kRM (23%). Eine hohe Diskrepanz in der individuellen Einschätzung gab es bei der Fortbildungsbedarfen zur ePA-Nutzung ([Abb. 3]).

  4. Qualitative Auswertungen der Freitext-Antworten zu Verbesserungsbedarfen für kRM

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Abb. 1 Strategien und Ziele des kRM Sortiert nach mittlerer Zustimmung; Häufigkeiten<5% nicht bezeichnet. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.
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Abb. 2 Verbesserungspotential des kRM in Krankenhäusern Aufsteigend sortiert nach mittlerer Zustimmung. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist in Klammern angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.
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Abb. 3 Fortbildungsbedarfe in Bezug auf kRM in den Krankenhäusern Aufsteigend sortiert nach Zustimmung. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.

Insgesamt 177 Teilnehmende nutzten das Freifeld für ergänzende Aussagen ([Abb. 4]). Nach thematischer Klassifizierung bezog sich die Mehrheit der Kommentierungen auf Verbesserungsbedarfe der Struktur- und Prozessqualität durch systematisches Lernen aus Fehlern (n=65; 36,7%). Weitere, häufig benannte Bedarfe waren die Schulungen/Ausbildung in kRM (n=34; 19,2%) sowie die Sensibilisierung für das Thema Risiko (n=31; 17,5%).

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Abb. 4 Thematische Schwerpunkte der Freitext-Antworten zu Verbesserungsbedarfen des kRM in Kliniken (n=177) Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.

Die Analyse einzelner Antworten ergab ein breites inhaltliches Spektrum, innerhalb und übergreifend der einzelnen thematischen Schwerpunkte (Online-Anhang Tabelle 1). Ein:e Teilnehmer:in formulierte den Bedarf nach der Verbesserung der Sicherheitskultur durch die “Entwicklung einer Haltung der Mitarbeiterschaft zur Priorität von Patientensicherheit auch in nichtklinischen Abteilungen“. Als Patientensicherheit fördernde Maßnahmen wurde die Unterstützung lösungsorientierten Denkens, die Einführung von Wirksamkeitsprüfungen durchgeführter Maßnahmen und die Auswertung positiver Ergebnisse vorgeschlagen. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen und zur Erhöhung des kRM wurde der Führungsebene eine herausgehobene Verantwortung sowie Vorbildfunktion zugeschrieben. Gefordert werden hierfür auch die dafür erforderlichen zeitlichen und personellen Ressourcen für berufsgruppenübergreifende und interdisziplinäre Kommunikation und Fortbildung.


Diskussion

Klinisches Risikomanagement ist in der alltäglichen klinischen Versorgung von Patient:innen der zentrale Ansatzpunkt zur Gewährleistung von Sicherheit und Qualität. Angesichts der stetigen und sich verändernden Herausforderungen in den Krankenhäusern ergeben sich kontinuierliche Verbesserungsbedarfe für das kRM. Systematische Befragungen und Bestandsaufnahmen, wie die hier berichtete empirische Untersuchung ermöglichen – auch für Einzelne im kRM Verantwortliche – die Einordnung und Orientierung.

Die hier referierten Ergebnisse der KhaSiMiR 21 Studie zeigen im Vergleich zu den Vorerhebungen deutliche Fortschritte bei der Implementation (unter)gesetzlicher Regelungen. Strukturen und Prozesse des kRM sind weitgehend umgesetzt. Dies gilt insbesondere für Instrumente, die auf regulatorische oder zertifizierende Anforderungen zurückgehen. In Vergleich zu den Vorbefragungen lässt sich eine deutschlandweite Implementation von kRM resümieren: so stieg der Anteil der Häuser vom Jahr 2010 mit ca. 50 Prozent auf fast 100 Prozent in 2020. Die Teilnahmerate an Berichts- und Lernsystemen hat in diesem Zeitraum von 20 auf 90 Prozent zugenommen. Allerdings wurden die CIRS Meldungen pro Krankenhaus nur mit einem Medianwert von 25 bei einem Mittelwert von 54 Fällen im Jahr 2020 angegeben, wobei nur etwa von der Hälfte (54 Prozent) aller Abteilungen, der an der Umfrage beteiligten Krankenhäuser im Jahr 2020, ein CIRS-Bericht verfasst wurde. Angesichts der Gesamtanzahl der Behandlungsfälle erscheint diese Summe gering. Im weiteren Vergleich mit den Vorerhebungen zeigen die Befragungen einen deutlichen Rückgang des Fortbildungsbedarfes nur bei der Anwendung des CIRS. Der Weiterbildungsbedarf zur internen Kommunikation und dem Umgang mit Fehlern und Schwachstellen wurde, wie in den Vorerhebungen, mit hoch relevant beantwortet. Der Förderung der Sicherheitskultur und der aktiven Rolle der Führung wurde sogar eine höhere Bedeutung als im Jahr 2010 eingeräumt [15].

Ungenutzter Spielraum für die Durchdringung des kRM in alle Funktionsebenen und Arbeitsbereiche der Krankenhäuser zeigt sich in der Diskrepanz zwischen der Einführung formaler Regelungen und dem berichteten Verbesserungsbedarf. Dieser wird mehrheitlich in der weiteren Entwicklung und Implementation effektiver kRM-Strukturen und Prozesse, den Haltungen und Einstellungen gegenüber Risiken und Fehlern sowie beim Austausch und der Vernetzung zwischen Kliniken, Abteilungen und Funktionsbereichen gesehen – einschließlich der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen. Dies stimmt mit internationalen Studien überein, nach denen system-orientierte und kombinierte Ansätze mit systematischem Vorgehen am effektivsten sind: wie bspw. Kommunikations- und Teamworktrainings sich positiv auf die Erhöhung der Patientensicherheit auswirken [9]; die Festlegung von Sicherheitszielen, die Implementierung von Initiativen und Programmen sowie eine rigorose Überprüfung der Methoden können die Sicherheitskultur stärken [10]. Neben diesen häufig teambezogenen Ansätzen sind jedoch die Barrieren zu berücksichtigen, wie Arbeitsbelastung und Personalmangel [16]. Die Erfüllung formaler Vorhaben ist nicht gleich bedeutend mit einer gelebten, in die Alltagsabläufe integrierten Patientensicherheitskultur. Diese erfordert vielmehr eine kontinuierliche Befassung aller Verantwortungsebenen und Leistungsbereiche, die sowohl zeitliche als auch monetäre Ressourcen benötigt – insbesondere wenn es um die effektive Verbesserung des kRM und Patientensicherheit in der Routineversorgung geht [17].

Unsere quantitativ und qualitativ erhobenen Ergebnisse weisen zudem auf den Bedarf einer systemischen Herangehensweise hin. Grundlegende Voraussetzung ist die Anerkennung der Fehleranfälligkeit auch im Gesundheitswesen, um aus Ereignissen der Vergangenheit konstruktive Schlüsse für die Zukunft zu ziehen [18]. Diese system-orientierten Strategien zur Erhöhung der Patientensicherheit wie „Aus Fehlern lernen“ [19] und „ergebnisoffene systemische Fehleranalyse“ basieren auf einer „offenen und vorurteilsfreien Unternehmenskultur“ [20], die sich mehr für die strukturellen Bedingungen interessiert, unter denen Fehler zustande kommen, als für die Personen, denen sie final zugeordnet werden können. Auch der Patient Safety II Ansatz, der auf die Resilienz der Institution gegenüber unplanbaren und herausfordernden Situationen bei der Erhöhung der Patientensicherheit fokussiert, bezieht sich auf die gesamte Arbeitsstruktur und die Bereitschaft zum gemeinsamen Lernen aus erfolgreichem Vorgehen unter herausfordernden Bedingungen [21].

Die Einschätzungen der kRM-Verantwortlichen zeigen auch das Spannungsverhältnis einer klaren Strategie und Unterstützung der innerklinischen Führungsebenen sowie der Verfügbarkeit effektiver Ressourcen zur Erreichung einer vertieften systembezogenen Sicherheitskultur, wie bspw. bezeichnet als „Senior Commitment to Safety“ in Form eines interdisziplinären Gremiums unter dem Vorsitz der ärztlichen Leitung [22]. Die Hälfte der Befragten gab Verbesserungsbedarf bei der aktiven Unterstützung des kRM durch die Führung an. Angesichts derzeitiger struktureller Krisen der Krankenhäuser in Deutschland, [23] besteht allerdings das Risiko, dass die Patientensicherheit seitens der Leitung als untergeordnete Aufgabe behandelt wird; obwohl ein Ziel der Krankenhausreform die verbesserte Versorgungsqualität durch strukturelle Maßnahmen wie klinische Schwerpunktbildung und Bündelung von Behandlungsresssourcen ist [24]. Barrieren für Qualitätsverbesserungen und Risikomanagement bestehen neben organisationalen Faktoren wie fehlender Managementunterstützung auch in der Trivialisierung bzw. Leugnung von Sicherheitsproblematiken [25].

Zugleich hat sich die Bundesregierung zur Umsetzung des Globalen Aktionsplans für Patientensicherheit der WHO bis zum Jahr 2030 verpflichtet. Eine konkrete Maßnahme ist die „Überprüfung der Fortschritte bei Gewährleistung der Patientensicherheit in den Sitzungen des oberstens Leitungsgremiums der Organisation und in allen anderen wichtigen Sitzungen der Leitungsorgane“ [2]. Die Integration von Patientensicherheit in die Ausbildung der Gesundheitsberufe kann zudem beitragen, Bewusstsein hierfür bereits frühzeitig im Berufsleben zu schärfen [26]. Auf der positiven Seite der Erhebung zum Umsetzungsstand des kRM steht, dass die Mehrheit Verbesserungsoptionen hinsichtlich der intensiveren internen Befassung und der Sensibilisierung für das Sicherheitsthema auf allen Ebenen und in allen Funktionsbereichen sieht.

Limitationen

Die Ergebnisse beruhen auf Selbstauskünften einer Stichprobe, die mittels einer Klinikdatenbank unspezifisch rekrutiert wurde (d. h. pauschale Adressierung der kRM-Verantwortlichen). Eine Auswahlverzerrung ist daher nicht auszuschließen, wenn z. B. in Einrichtungen mit etablierten kRM-Strukturen bzw. größeren Ressourcen des kRM der Fragebogen auf mehr Interesse gestoßen ist. Auch die Beantwortung von Fragen nach sozialer Erwünschtheit ist nicht ausgeschlossen. Aufgrund der zeitlichen Limitationen konnten nicht alle Aspekte des kRM erhoben werden. Zudem fand die Befragung noch während der Belastungen durch COVID-19 im Frühjahr 2022 statt.



Schlussfolgerung

Die Erhebung bietet einen empirisch-fundierten Einblick in das Spektrum und den Implementationsgrad von kRM-Maßnahmen und Aktivitäten in deutschen Krankenhäusern. Mit der Auswertung des Optimierungsbedarfs wird unterstrichen, dass die Entwicklungs- und Anpassungsbedarfe für eine effektive Weiterentwicklung des kRM in einer ressourcenintensiven, systematischen Förderung einer Sicherheitskultur in allen Versorgungs- und Organisationsbereichen liegt und der Leitung bei der Implementierung eine besondere Verantwortung zukommt.


Fördermittel

Bundesministerium für Gesundheit — Förder-Nr. 2521PAT005



Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Autor:innen danken den Qualitätsmanager:innen und anderen Verantwortlichen der an der Befragung beteiligten Kliniken für die Zeit, die sie sich für die Beantwortung der Fragen genommen haben. Ohne die Bereitstellung dieser Informationen wäre diese Studie nicht möglich gewesen.

Zusätzliches Material


Korrespondenzadresse

Mrs. Martina Schmiedhofer
Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.
Alte Jakobstr. 81
10179 Berlin
Germany   

Publication History

Received: 27 January 2025

Accepted: 07 May 2025

Article published online:
05 August 2025

© 2025. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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Abb. 1 Strategien und Ziele des kRM Sortiert nach mittlerer Zustimmung; Häufigkeiten<5% nicht bezeichnet. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.
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Abb. 2 Verbesserungspotential des kRM in Krankenhäusern Aufsteigend sortiert nach mittlerer Zustimmung. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist in Klammern angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.
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Abb. 3 Fortbildungsbedarfe in Bezug auf kRM in den Krankenhäusern Aufsteigend sortiert nach Zustimmung. Die Anzahl der verfügbaren Antworten (N) für die einzelnen Fragen ist angegeben. Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.
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Abb. 4 Thematische Schwerpunkte der Freitext-Antworten zu Verbesserungsbedarfen des kRM in Kliniken (n=177) Quelle: Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Berlin.