Suchttherapie 2025; 26(03): 116-117
DOI: 10.1055/a-2584-4869
Editorial

Offene Drogenszenen

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Liebe Leserinnen und Leser

seit einigen Jahren nimmt die öffentliche Debatte rund um offenen Drogenszenen in vielen deutschen Großstädten zu. Die Verelendung der Konsument*innen ist subjektiv deutlicher zu erkennen und die Konflikte in den Sozialräumen nehmen zu. Sowohl Anwohner*innen als auch Geschäftsleute fühlen sich durch die offenen Drogenszenen in ihren Vierteln eingeschränkt. In der öffentlichen Diskussion werden die Orte, in denen offene Drogenszenen verortet sind, als Angsträume gelabelt [1].

In dieser Situation werden schadensmindernde Angebote der Suchthilfe wie Drogenkonsumräume, niedrigschwellige Kontaktstellen oder auch Streetwork implizit eine weitere Aufgabe zugesprochen – die sozialen Konflikte rund um offene Drogenszenen auflösen. Dieses Doppelmandat scheint kaum umsetzbar zu sein, da es einerseits nicht die primäre Aufgabe von Suchthilfe ist, diese sozialräumlichen Konflikte zu lösen. Andererseits ist die finanzielle Situation in vielen Städten und Kommunen sehr angespannt, was sich auch in der Finanzierung niedrigschwelliger Suchthilfeangebote zeigt [2].

Die prekäre Situation, in der sich Menschen in offenen Drogenszenen befinden, ist multifaktoriell bedingt. Seit 2016 wird Europa mit hochreinem Kokain geflutet [3]. In vielen offenen Drogenszenen sind die Menschen dort dazu übergegangen, das Kokain zu Crack zu verarbeiten und dann zu rauchen. War der Konsum von Crack bisher ein lokal begrenztes Phänomen in Hamburg, Hannover und Frankfurt a.M., hat er sich in den Szenen vieler Großstädte in ganz Deutschland ausgeweitet [4]. Der Crack-Konsum geht häufig mit einer gegenüber Heroin erhöhten Konsumfrequenz einher. Zudem sind Konsument*innen häufig deutlich verelendet, sind stärker von Straßenobdachlosigkeit betroffen, die Nahrungsaufnahme ist reduziert und die Zeitfenster, in denen Mitarbeiter*innen der Suchthilfe die Konsument*innen erreichen deutlich eingeschränkt [5].

Neben dieser Entwicklung haben wir einen Höchststand an drogenbedingten Todesfällen zu verzeichnen [6]. Auch wenn die Daten der Todesfallstatistiken nur sehr eingeschränkt zu interpretieren sind, dürften Opioide eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung spielen. Sollten nun, aufgrund der Verknappung des Heroins auf dem Weltmarkt, vermehrt synthetische Opioide wie Nitazene oder Fentanyl dem Heroin beigemengt werden, dürfte sich die Situation gerade bei Menschen, die sich in offenen Drogenszenen aufhalten, verschlechtern [7].

Die Situation in offenen Drogenszenen unter dem Einfluss der sich veränderten internationalen Drogenmärkte ist der Gegenstand der Übersichtarbeit von Fleißner et al. Die Autorengruppe zeigt, in welcher prekären Lebenssituation sich die Konsument*innen in unterschiedlichen Drogenszenen befinden. Zudem zeigen sie, welchen Einfluss sich verändernde Drogenmärkte auf die Verfügbarkeit von Kokain und Heroin haben und wie dies die Konsumgewohnheiten der Konsument*innen beeinflusst.

Bergmann et al. präsentieren Daten einer bundesweit durchgeführten Erhebung in 29 deutschen Drogenkonsumräumen. In diesen Drogenkonsumräumen wurden im Jahr 2023 rund 18 500 Nutzer*innen erreicht. In 650 Fällen kam es zu drogenbedingten Notsituationen, in denen ein Eingreifen notwendig wurde. Keine Person verstarb in einer solchen Einrichtung. Die Ergebnisse dieser Erhebung zeigen eindrücklich den Nutzen und die Leistungsfähigkeit von Drogenkonsumräumen als schadensminderndes Angebot der Suchthilfe.

Im Herbst 2024 wurden in den vier nordrhein-westfälischen Städten Köln, Düsseldorf, Essen und Münster 525 Personen in den lokalen offenen Drogenszenen umfänglich befragt. Die Ergebnisse dieser multizentrischen Szenebefragung stellen Deimel et al. in ihrem Beitrag vor. Es wird deutlich, dass in allen vier Städten inzwischen Crack die am häufigsten konsumierte Substanz ist und Wohnungs- und Obdachlosigkeit eines der zentralsten Problemfelder ist. Dort wo niedrigschwellige Angebote der Suchthilfe gut verfügbar sind, werden sie durch die Konsument*innen genutzt.

Florian Meyer zeigt in seinem Beitrag, wie Zürich mit offenen Drogenszenen umgeht und niedrigschwellige Angebote entwickelt hat. Nach den Zeiten des „Neele Park“ am Platzspitz und Bahnhof Letten Anfang der 1990er Jahre ist Zürich inzwischen ein Vorreiter der niedrigschwelligen Suchthilfe. Zentral sind hierbei mehrere Kontakt- und Anlaufstellen mit integrierten Konsumräumen in der Innenstadt, die alternierend geöffnet sind. Zudem wird der Mikrohandel von Drogen – von Konsument*in zu Konsument*in – in den Einrichtungen toleriert. So werden die Sozialräume entlastet und den Konsument*innen ein sicheres Umfeld angeboten.

Deutlich wird bei all diesen Beiträgen, dass die Situationen von Menschen, die sich in offenen Drogenszenen aufhalten und dort ihren Lebensmittelpunkt haben äußerst komplex sind. Andererseits gibt es Konzepte und Ansätze die wirksam sind. Es bedarf jedoch vielmals des politischen Willens, solche Maßnahmen umzusetzen und zu etablieren.

Ich wünsche Ihnen eine anregende und spannende Lektüre dieses Themenheftes und lade Sie zur Diskussion ein.

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Article published online:
12 August 2025

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