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DOI: 10.1055/a-2564-6351
Von Grenzen und Schnittstellen

Lieber Leserinnen und Leser der KJP up2date,
lange habe ich überlegt, wovon mein erstes Editorial für die KJP up2date handeln sollte, gibt es doch so viele Themen, die uns alle derzeit bewegen. Rechtsruck, Populismus, die Klimakrise, steigende Zahlen von psychischen Belastungen unter jungen Menschen (und natürlich auch älteren) und der Fachkräftemangel, der uns in allen Bereichen die Arbeit zunehmend schwerer macht. Dazu natürlich gleichzeitig auch immer weitere und neuere Erkenntnisse in Bezug auf die Entstehung von Erkrankungen, neue, teils digitale, Möglichkeiten zum Einsatz z.B. im diagnostischen oder therapeutischen Kontext, die KI, die unsere Arbeitswelt nachhaltig zu verändern verspricht (oder droht). Viele Themen also, derer man sich annehmen könnte, was aber natürlich eine Entscheidung für ein bestimmtes Thema nicht unbedingt einfacher macht.
Beim Blick auf die vielen spannenden Beiträge in diesem Ihnen vorliegenden, dritten Heft KJP up2date im Jahr 2025 kommen mir aber vor allem die im Titel genannten Begrifflichkeiten in den Sinn: Grenzen und Schnittstellen. Die behandelten Themengebiete reichen von Interaktionsschwierigkeiten zwischen Eltern und ihren Kindern im Säuglings- und Kleinkindalter über psychische Belastungen bei chronischen körperlichen Erkrankungen am Beispiel des Diabetes Mellitus bis hin zur Verlagerung psychotherapeutischer Kontexte in den virtuellen Raum. All dies ist sehr relevant für angehende Kinder- und Jugendpsychiater:innen oder KiJu-Psychotherapeut:innen und ohne unsere fachlichen Kompetenzen nicht vollständig denkbar oder gut umsetzbar. Um die meisten dieser Themengebiete aber sinnvoll bearbeiten zu können, benötigt es auch immer Expertisen, die außerhalb unseres Kernkompetenzbereiches liegen und die eine enge Zusammenarbeit mit angrenzenden Disziplinen erforderlich machen. Z.B. die in diesem Heft im Rahmen eines CME-Beitrages ausführlich erläuterte Vorgehensweise zur psychosozialen/psychotherapeutischen Unterstützung und Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus kann nur Hand in Hand in einem gut eingespielten interdisziplinären Team aus Fachleuten unterschiedlicher Richtungen gelingen. Auch die Entwicklung digitaler, therapieunterstützender Angebote wie z.B. der Einbezug virtueller Realitäten in den therapeutischen Kontext kann nur mit technisch versierten Partner:innen gelingen. Ähnlich wie beim Diabetes ist unsere psychiatrisch-psychotherapeutische Kompetenz hier von großer Relevanz, reicht aber alleine für eine gute Umsetzung der meist ambitionierten Vorhaben bei weitem nicht aus. Bei weiterem Nachdenken über Thematik und Begrifflichkeiten würde ich sogar fast sagen, dass wir als psychiatrisch/psychotherapeutische Berufsgruppe fast immer nur einen Teil eines größeren Netzwerkes darstellen können, das, bestenfalls gut aufeinander abgestimmt, psychisch belastete oder erkrankte Kinder- und Jugendliche gemeinsam in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen unterstützt. Schon im kleinen überschaubaren Rahmen der stationären oder teilstationären Behandlung ist die Entwicklung eines sinnvollen und hilfreichen Therapieplanes nur im Zusammenspiel mit allen Berufsgruppen und deren unterschiedlich gelagerten Expertisen und Kompetenzen möglich. Im ambulanten Sektor betont die neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses (GBA) zur Behandlung schwer psychisch erkrankter Kinder- und Jugendlicher die Bedeutung von Netzwerken in unserem Fachgebiet und eröffnet Möglichkeiten der Vergütung von interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Grenzgebiete, Schnittstellen und interdisziplinäre Zusammenarbeit z.B. mit anderen medizinischen Gebieten, Jugendhilfe und Schule, aber auch zwischen den Sektoren gehören also als wesentlicher Bestandteil zu unseren Fachgebieten dazu und werden in Zeiten allseits knapper Ressourcen immer wichtiger.
Die folgerichtige Frage lautet deshalb, was können wir tun und mitbringen, um erfolgreich an diesen Grenzen und Schnittstellen operieren und gut mit anderen Disziplinen, Berufsgruppen oder auch lediglich zwischen klinischen und ambulanten Bereichen zusammenarbeiten zu können?
Die gute Nachricht ist: Eigentlich braucht es aus meiner Erfahrung dafür gar nicht so viel, vor allem wahrscheinlich Respekt vor der Erfahrung und den Kompetenzen des Gegenübers, eine Begegnung auf Augenhöhe ohne Rücksicht auf gerade im medizinischen Bereich noch verbreitete hierarchische Sozialisierung, Neugier auf unbekannte Themenbereiche und den Mut, Grenzen der eigenen Kompetenz anzuerkennen. Und natürlich Lust auf Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Gruppen und Arten von Menschen. Dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen jetzt eine spannende, horizonterweiternde Lektüre der neuen KJP up2date und viel Erfolg und Spaß bei Ihren alltäglichen und neuen Grenzerfahrungen.
Publication History
Article published online:
01 July 2025
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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany