Transfusionsmedizin 2025; 15(02): 71-72
DOI: 10.1055/a-2561-9257
Aktuell referiert

Kommentar zu: Klonale Hämatopoese bei Blutspendern

Contributor(s):
Hubert Schrezenmeier

Klonale Hämatopoese – ein neues Kapitel!

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Klonale Hämatopoese (CH) ist definiert als das Auftreten von Zellen, die von einer mutierten multipotenten hämatopoetischen Stamm-/Vorläuferzelle abstammen und einen selektiven Wachstumsvorteil aufweisen, ohne dass unerklärte Zytopenien, hämatologische Neoplasien oder andere klonale Erkrankungen vorliegen [1]. CH ist ein altersabhängiges Phänomen, hat keinen Krankheitswert per se, ist aber mit einer Reihe von Erkrankungen assoziiert [2] [3] [4]. Die Studie von D. Karpova et al. [5] fügt dem dynamisch wachsenden Wissen über Pathogenese und Bedeutung der CH ein sehr wichtiges Kapitel hinzu.

Die Prävalenz von CH steigt mit zunehmendem Alter, insbesondere ab Mitte der 6. Lebensdekade. Bei mehr als der Hälfte der über 70-Jährigen kann mit sensitiven Methoden eine CH nachgewiesen werden [4]. Als Ursache der Zunahme werden verschiedene Faktoren vermutet: die altersabhängige Häufung von Mutationen, ein schrumpfender Pool an Stammzellen, chronische Entzündungen, aber auch äußere Faktoren (u. a. Noxen wie Rauchen) [6].

Karpova et al. untersuchten, ob sich „erythropoetischer Stress“ durch häufige Vollblutspenden mit konsekutiver Erythropoetin-(EPO)-Erhöhung und kompensatorischer Steigerung der Hämatopoese auf die CH auswirkt. Die Arbeitsgruppe zeigte, dass sich die Inzidenz der CH zwischen älteren (> 60 Jahre) Mehrfach- und Gelegenheitsspendern nicht signifikant unterscheidet und in einer Größenordnung liegt, die aufgrund anderer Untersuchungen für ein Kollektiv von über 60-Jährigen zu erwarten ist. Für die klinische Bedeutung der CH spielte die Klongröße, ausgedrückt als „variant allele frequency“ (VAF), eine Rolle. Bei der Analyse der Blutspender gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen häufigen und gelegentlichen Spendern, unabhängig vom VAF-Grenzwert, der für die Bewertung der CH verwendet wurde. CH prädisponiert für die Entwicklung einer malignen hämatologischen Erkrankung [2] [3]. Die Progressionsrate zu einer hämatologischen Neoplasie beträgt bei Menschen mit CH jedoch nur etwa 0,5–1% pro Jahr [2] [3]. Das Progressionsrisiko hängt von der Klongröße, den mutierten Genen, der Art der Mutation und der Anzahl der Mutationen ab [7]. Die Mutationen, die CH verursachen, können in verschiedenen Genen auftreten. Besonders häufig sind die Gene DNMT3A, TET2 und ASXL1 betroffen [2] [3]. Auch in dem von Karpova et al. untersuchten Blutspenderkollektiv waren Mutationen in DNMT3A und TET2 am häufigsten – ohne Unterschied zwischen Mehrfach- und Gelegenheitsspendern. Bei den meisten Blutspendern mit CH wurde jeweils nur eine Mutation nachgewiesen.

Bis zu diesem Punkt entsprechen die Ergebnisse im Blutspenderkollektiv dem, was aufgrund der bisherigen Erkenntnisse zu CH in einer älteren Population (>60 Jahre) zu erwarten war. Die weitere Analyse von Karpova et al. zeigte jedoch einen Unterschied in der Häufigkeitsverteilung der Mutationstypen: Bei den Mehrfachspendern gab es einen Trend zu mehr Mutationen mit Leserasterverschiebungen (und vorzeitigen Stoppcodons) und strukturellen Varianten im DNMT3A, die mit quantitativ verminderter, aber qualitativ normaler Enzymaktivität einhergehen – im Gegensatz zu DNMT3A-Varianten, die zu aberranter Methylierung führen und stärker mit Leukämogenese assoziiert sind. Stammzellen mit den DNMT3A-Varianten, die häufiger bei Mehrfachspendern gefunden wurden, können durch EPO stimuliert werden, nicht aber durch Entzündungssignale. Dies unterscheidet sie deutlich von den präleukämischen DNMT3A-Varianten.

Die Untersuchungen von Karpova et al. sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Sie zeigten, dass es keinen ungünstigen Einfluss einer hohen Anzahl von Blutspenden auf das bekannte Phänomen der altersabhängigen CH im Sinne einer Zunahme der CH-Prävalenz, einer höheren VAF oder einer höheren Mutationszahl gibt. Die tiefergehende Untersuchung zeigte sogar, dass bei Mehrfachspendern häufiger EPO-responsive Varianten auftreten, die sich von den Leukämogenese-assoziierten DNMT3A-Varianten unterscheiden. Dies könnte das Ergebnis einer Selektion somatisch mutierter Populationen durch Stimulation der Erythropoese zur Kompensation der gespendeten Erythrozytenmasse sein. Die Ergebnisse sind beruhigend für die sehr häufigen Blutspenden – auch im Alter. Darüber hinaus zeigen sie erstmals einen neuen Mechanismus der klonalen Dynamik bei CH, der als Modell für weitere Studien dienen wird.



Publication History

Article published online:
14 May 2025

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  • Literatur

  • 1 Khoury JD, Solary E, Abla O. et al. The 5th edition of the World Health Organization Classification of Haematolymphoid Tumours: Myeloid and Histiocytic/Dendritic Neoplasms. Leukemia 2022; 36: 1703-1719
  • 2 Jaiswal S, Fontanillas P, Flannick J. et al. Age-related clonal hematopoiesis associated with adverse outcomes. N Engl J Med 371: 2488-2498
  • 3 Genovese G, Kahler AK, Handsaker RE. et al. Clonal hematopoiesis and blood-cancer risk inferred from blood DNA sequence. N Engl J Med 2014; 371: 2477-2487
  • 4 Hecker JS, Hartmann L, Riviere J. et al. CHIP and hips: clonal hematopoiesis is common in patients undergoing hip arthroplasty and is associated with autoimmune disease. Blood 2021; 138: 1727-32
  • 5 Karpova D, Huerga Encabo HD, Donato E. et al. Clonal Hematopoiesis Landscape in Frequent Blood Donors. Blood. 2025
  • 6 Florez MA, Tran BT, Wathan TK. et al. Clonal hematopoiesis: Mutation-specific adaptation to environmental change. Cell Stem Cell 2022; 29: 882-904
  • 7 van Zeventer IA, de Graaf AO, Wouters HJCM. et al. Mutational spectrum and dynamics of clonal hematopoiesis in anemia of older individuals. Blood 2020; 135: 1161-1170