Zeitschrift für Palliativmedizin 2025; 26(03): 131-135
DOI: 10.1055/a-2560-8420
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Doppelkopf: Tanja Fusi-Schmidhauser und Caroline Hertler

Tanja Fusi-Schmidhauser

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Das ist eine sehr gute Frage, da ich eigentlich zufällig auf die Palliativmedizin kam. Ich wollte schon seit klein auf Medizin studieren und als meine Mutter an einem Typ 1 Diabetes erkrankte (da war ich 13 Jahre alt), war ich noch fester entschlossen diesen Weg zu gehen. Ich verbrachte im Wahlstudienjahr einige Monate in Kanada, genauer in Neufundland, wo ich eine Professorin für Innere Medizin kennenlernte, die mir die Leidenschaft für diese Fachrichtung vermittelt hat! Ich kam in die Schweiz zurück, habe dann meine Ausbildung in Innere Medizin angefangen und abgeschlossen, doch ich merkte, dass etwas in meinem Erfahrungsschatz fehlte. Ich betreute immer mehr Patienten mit chronischen Erkrankungen mit vielen palliativen Bedürfnisse und die Zusammenarbeit mit einem palliativmedizinischen Team hat mir die Möglichkeit gegeben, diese Patienten besser zu betreuen. Da war es um mich geschehen: ich habe den Schwerpunkt in Palliativmedizin gemacht und meine klinische und wissenschaftliche Karriere auf nicht-onkologische Palliativmedizin aufgebaut. Ich habe meine Seele als Internistin nicht komplett aufgegeben, ich bin weiterhin in diesem Fach tätig, auch wenn nur zu einem kleinen Teil meiner Berufszeit.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Eigentlich keine, ich habe wirklich einen Traumberuf ausgewählt! Wenn ich doch an eine Alternative innerhalb der Medizin denken muss, dann hätte ich die Fachrichtung Infektiologie und Tropenmedizin gewählt. Ich bin heute noch von den Anpassungs- und Überlebensfähigkeiten von Viren und Bakterien fasziniert. Außerhalb der Medizin hätte ich gerne politische Wissenschaften, Geschichte und Sprachwissenschaften studiert, um eine Karriere im diplomatischen Dienst zu wagen. Botschafterin in Ottawa oder Auckland zu sein, aber auch in London oder Berlin, das wäre sehr toll gewesen!

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Ich bin eigentlich eine Nachteule, doch ich stehe früh auf, mache mich auf den Arbeitsweg, der je nach Tag kürzer oder länger sein kann, da wir verschiedene Settings der Palliativmedizin im Tessin betreuen (zwei Bettenstation, eine in Lugano und eine in Bellinzona, Konsiliardienst und Ambulatorium in fünf Krankenhäusern). Auf dem Arbeitsweg gibt es Musik oder Podcasts über internationale Politik oder Geschichte, dann Kaffee und Frühstück mit meinem Team.

Leben bedeutet für mich …

Enjoy, enjoy, enjoy! Das Leben in vollen Zügen zu genießen, mit den Menschen, die mir nahestehen und die ich liebe, dies ist für mich der Sinn des Lebens. Mag banal klingen, ist aber nicht immer so einfach zu pflegen und ich versuche es jeden Tag!

Sterben bedeutet für mich …

Bewusst Abschied nehmen und sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzen. Dies habe ich in all diesen Jahren mit vielen Patienten und deren Angehörigen erlebt, die Wichtigkeit dieser Auseinandersetzung wurde mir aber erst mit dem Verlust meines Vaters durch eine Krebserkrankung innig bewusst. Sterben gehört zum Leben und in einer „technologischen“ Medizin, wo fast alles machbar ist, haben wir dies leider „verlernt“. Albert Einstein hat einmal gesagt, dass „das Leben kurz ist, aber das der Sinn eines Lebens für immer dauern kann“. Dem Leben Sinn zu verleihen ist die wichtigste Bedeutung der Endlichkeit und des Todes. Als spirituelle Atheistin bin ich doch gespannt, ob und was danach kommt!

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Ziele sind das A und O des Lebens, doch manchmal ist ein bescheidenes Ziel ebenso wichtig wie Meilensteine der Menschheit! Beruflich möchte ich gerne noch mehrere Projekte für die Integration der Palliativmedizin für nicht-onkologische Patienten entwickeln, zusammen mit meinem ganz tollen Team. Bezüglich Forschung möchte ich absolut mit meiner Doppelkopf-Kollegin Caroline Hertler und weiteren tollen Palliativmedizinerinnen (Women In Palliative Care Switzerland, WIPS) weiter wissenschaftlich zusammenwachsen. Persönlich möchte ich mehr Zeit mit meinem Mann und mit meiner Familie und Freunden verbringen. Meiner besten Freundin habe ich eine Reise zu zweit versprochen, generell möchte ich noch Teile der Welt erkunden, die mir noch unbekannt sind.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

Dass jede Person zählt und einen Platz in der Gesellschaft haben sollte. Dass man Ungerechtigkeiten zuerst im eigenen Umfeld bekämpfen sollte, bevor man an weltpolitische Veränderungen denkt. Und dass „good thoughts, good words, good deeds“ (gute Gedanken, gute Worte, gute Taten), ein Zitat aus der Lehre des Zoroastrismus, von Freddie Mercury oft gebraucht, eine gute Lebensphilosophie darstellen.

Was würden Sie gern noch lernen?

Sicherlich Sprachen, am liebsten Isländisch (ich versuche mich gerade daran), aber auch Japanisch und Griechisch. Dann würde ich gerne noch meine önologischen Kenntnisse vertiefen (ich habe hier schon einen Basiskurs besucht) und Dudelsack spielen lernen, damit ich am Edinburgh Tattoo in einem echten Tartan mitmachen dürfte.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Aus der Freizeit mit meinem Mann, meiner Familie und meinen Freunden. Aus der Musik, einem guten Buch oder aus den Gesprächen mit meiner besten Freundin, die auch Ärztin ist. Aus den Begegnungen, die ich in unseren Reisen mache rund um die Welt. Ich schöpfe viel Kraft aus dem Alltag, mit meinen Patient*innen und Angehörigen, es ist immer eine neue Erfahrung mit ihnen. Aus meinem tollen Team, welches aus so vielen unterschiedlichen Leuten besteht und wo ich immer wieder staune, wie wir in dieser Vielfältigkeit gemeinsame Ziele verfolgen können … das ist doch Klasse!

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Eigentlich könnte ich mir vorstellen, mit verschiedenen Prominenten aus der Welt- oder Medizingeschichte einen Abend zu verbringen. Wenn ich mir diesen Wunsch erfüllen könnte, dann würde ich Rita Levi-Montalcini, Rosa Parks und Ruth Bader Ginsburg einladen. Rita Levi-Montalcini war eine italienische Neurologin, die als vierte Frau den Medizinnobelpreis im Jahre 1986 gewann. Sie war eine Freidenkerin in einer schwierigen Zeit. Rosa Parks wurde 1955 berühmt, als sie sich weigerte ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Dies brachte die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten ins Rollen. Ruth Bader Ginsburg war eine US-amerikanische Juristin und Richterin am Obersten Gericht der Vereinigten Staaten. Sie hat immer für Frauenrechte, Rechte für Minderheiten und für den gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle gekämpft. Wenn noch Platz frei wäre, dann würde ich den amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck auch einladen … das wäre doch ein unvergesslicher Abend!

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

Meinem Mann ein paar gespenstige Tricks vorbereiten! Im Ernst, ich würde gerne am Seeufer in Lugano spazieren gehen oder in einem Restaurant gemütlich Nachtessen ohne gesehen zu werden … das wäre für einen Tag eine schöne Auszeit!

Wie können Sie Frau Hertler beschreiben?

Ich habe versucht Frau Hertler zuerst mit einem Wort zu beschreiben. Das einzige, dass mir in den Sinn kam, war herausragend, aber auch diese Beschreibung wird ihr nicht gerecht. Sie ist außerordentlich, smart, einfühlsam und bescheiden. Sie ist ein wahres Rollenmodel für junge und weniger junge (wie ich) Palliativmedizinerinnen, sie kann Klinik, Lehre, Forschung, akademische Tätigkeiten und standespolitische Arbeit mit einer erstaunlichen und breiten Kompetenz bewältigen. Ich habe eigentlich Frau Hertler „indirekt“ kennengelernt, da ein lieber Kollege von mir im Tessin sich mit Neuro-Onkologie befasst und Frau Hertler schon länger kannte. Er hat von ihr geschwärmt, da war ich natürlich sehr neugierig. Und er hatte absolut recht, als ich sie persönlich kennengelernt habe. Frau Hertler, drei andere Palliativmedizinerinnen und ich haben die Women In Palliative Care Switzerland, WIPS, ins Leben gerufen und ich freue mich immer auf unsere beruflichen und persönlichen Treffen! Wir haben bewiesen, dass auch in einer sehr konkurrenzreichen Forschung die Zusammenarbeit, die Unterstützung und der Halt in guten und schlechten Zeit unbezahlbar sind. In dieser Hinsicht ist Frau Hertler eine wahre Freundin geworden, auch wenn wir uns nicht so oft sehen. Wenn aber, dann wird zusammen gefeiert!

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Ich gehe eher spät ins Bett. Wenn ich nach Hause komme, dann genieße ich das Nachtessen mit meinem Mann. Da kann ich den Tag Revue passieren lassen. Manchmal sehen wir fern, meistens die Nachrichten des Tages oder einen spannenden Film. Die letzte halbe Stunde des Tages verbringe ich mit einem Buch, je nach Lust und Laune, dann wird das Licht abgelöscht!

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ich muss zugeben, dass einige Fragen dieses Interviews eine absolute Neuigkeit für mich waren, hat sicherlich eine Menge Spaß gemacht, aber auch zum Nachdenken geholfen!

Zur Person

Tanja Fusi-Schmidhauser ist Fachärztin für Innere Medizin mit einer Zusatzausbildung in Palliativmedizin. Nach mehreren Jahren als Internistin im Tessin wechselte sie zur Palliative Care, wo sie zuerst als Oberärztin, dann als Leitende Ärztin und als stellvertretende Chefärztin in verschiedenen Settings (Bettenstation, Konsiliardienst und Ambulatorium) arbeitete. In dieser Zeit hat sie einen Master in Health Research und ein PhD in Palliative Care am International Observatory on End Of Life Care an der Lancaster University in England abgeschlossen. In ihrer Doktorarbeit entwickelte sie ein innovatives Model für die Integration der Palliative Care für Patienten mit einer chronisch obstruktiven pulmonalen Erkrankung. Sie habilitierte im Jahre 2022 an der Universität Genf. Seit dem 1. Juli 2023 ist sie Chefärztin der Clinica di Cure Palliative e di Supporto (Palliative and Supportive Care Clinic) im Tessin. Sie leitet ein junges Forschungsteam, welches sich mit Symptomkontrolle, nicht-onkologischer Palliative Care und mit dem Gebrauch von neuen Technologien (wie die virtuelle Realität) befasst. Sie ist zudem der principal investigator für die Schweiz in der PAINLESS Studie, ein Horizon Europe Konsortium, welches sich mit der Behandlung von Schmerz in der Onkologie befasst. International ist sie mit der Lancaster University vernetzt, ist Mitglied der EAPC (European Association for Palliative Care) und in der Interessensgruppe der EAPC Taskforce für Palliative Care für Menschen in Haft. Auf nationaler Ebene ist sie Co-Leiterin der Steuergruppe Ärzte der Fachgesellschaft palliative.ch und Leiterin der Arbeitsgruppe Bigorio, welche sich mit den Leitlinien der Palliative Care in der Schweiz befasst. Sie arbeitet an nationalen Versorgungsleitlinien mit (Heart Failure Working Group/Swiss Cardiology Society and Swiss PC Society) und hat zusammen mit ihrer Doppelkopfkollegin PD Dr. Caroline Hertler und weiteren Kolleginnen aus der ganzen Schweiz die Women in Palliative Care Switzerland WIPS gegründet. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen, sowohl in der Palliative Care wie auch in der Inneren Medizin.



Publication History

Article published online:
28 April 2025

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