physioscience 2025; 21(03): 138-139
DOI: 10.1055/a-2544-0423
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Negative und positive Einstellungen zur Videotherapie bei Menschen mit chronischen Knieschmerzen: eine Mixed-Methods-Studie

Understanding Negative and Positive Feelings about Telerehabilitation in People with Chronic Knee Pain: A Mixed-Methods StudyContributor(s):
Carolin Bahns
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Zusammenfassung

Hintergrund

Chronische Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems stellen eine erhebliche gesundheitliche, soziale und ökonomische Belastung dar [1]. Physiotherapeut*innen nehmen eine zentrale Rolle bei der Behandlung ein, die traditionell in Präsenz erfolgt. Seit der COVID-19-Pandemie gewinnen jedoch digitale Therapieformen an Bedeutung, insbesondere für Menschen mit eingeschränktem Zugang zur Versorgung. Für Patient*innen, bei denen ein aktives Selbstmanagement (z. B. körperliche Aktivität und Training) im Vordergrund steht, können physiotherapeutische Behandlungen per Videokonferenz eine sichere, effektive und oft kostengünstigere Alternative zur Präsenztherapie bieten [2] [3].


Trotz zahlreicher Vorteile ist die Skepsis gegenüber der Videotherapie groß. Befragungen von Patient*innen mit Arthrose und chronischem Rückenschmerz zeigen, dass 28–43 Prozent der Menschen ohne Vorerfahrung digitale Therapieformen ablehnen [4] [5]. Diese Vorbehalte erschweren die Implementierung. Bisherige Studien konzentrierten sich primär auf freiwillige Nutzer*innen. Ein besseres Verständnis der Perspektiven anderer Personengruppen könnte jedoch dazu beitragen, gezielte Strategien für eine breitere Akzeptanz und Integration von Videotherapie zu entwickeln.

Ziel

Ziel der Studie von Lawford et al. war es, die anfänglichen Einstellungen von Personen, denen unerwartet Physiotherapie per Videokonferenz angeboten wird, zu untersuchen. Zudem wurde analysiert, ob die Erfahrungen den Erwartungen entsprechen und inwiefern die Teilnehmenden bereit sind, Videotherapie künftig zu nutzen.


Methode

Die Mixed-Methods-Studie war in eine randomisierte kontrollierte Studie eingebettet, die die Nichtunterlegenheit physiotherapeutischer Behandlungen per Videokonferenz gegenüber einer Präsenztherapie untersuchte [6]. Die Teilnehmenden (≥ 45 Jahre, Kniearthrose) wussten bis zur zufälligen Gruppenzuordnung nicht, dass die Behandlung digital erfolgen würde.

Die Intervention umfasste 5 Zoom-Sitzungen innerhalb von 3 Monaten und beinhaltete Edukation, Kräftigungsübungen sowie Maßnahmen zur Förderung der körperlichen Aktivität. Nach Studienabschluss wurden die Teilnehmenden mittels quantitativer (Likert-Skalen, deskriptiv ausgewertet) und qualitativer (Freitext, inhaltlich/thematisch ausgewertet) Fragen zu ihren anfänglichen Einstellungen, ihren Erfahrungen sowie ihrer Bereitschaft zur zukünftigen Nutzung der Videotherapie befragt.


Ergebnisse

Die Datenerhebung erfolgte zwischen Oktober 2021 und März 2023. Die Interventionsgruppe umfasste 181 Personen, davon konnten die Fragebögen von 122 Personen für die Analyse der Mixed-Methods-Studie verwendet werden.

Vor der Teilnahme standen 49 Prozent (60/122) der Videotherapie positiv, 36 Prozent (44/122) negativ und 15 Prozent (18/122) neutral gegenüber. Die positiven Erwartungen gründeten auf der Zeitersparnis durch den Wegfall von Fahrten, der Überzeugung, dass Videotherapie praktisch sei, der einfachen Handhabung der Technik und der Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln. Negativ eingestellte Teilnehmende äußerten Zweifel an der Effektivität, vermissten den direkten Kontakt zu Therapeut*innen und hatten Bedenken bezüglich der Kommunikation und ihren technischen Fähigkeiten.

Nach der Teilnahme gaben 66 Prozent (80/122) an, dass die Videotherapie ihre Erwartungen übertroffen hat, darunter 72 Prozent (43/60) der zuvor positiv und 61 Prozent (27/44) der zuvor negativ eingestellten Personen. Die Teilnehmenden berichteten, dass sie die Umsetzung der Videotherapie einfacher als erwartet empfunden haben, von der Wirksamkeit positiv überrascht waren, die unerwartet starke Bindung zu den betreuenden Therapeut*innen schätzten und Vorteile durch die bequeme Umsetzung der Therapieform sahen, die sich gut in den Alltag integrieren ließe. 4 Personen bewerteten die Erfahrung schlechter als erwartet.

Rund 77 Prozent (94/122) der Teilnehmenden würden Videotherapie erneut nutzen, während 23 Prozent (28/122) nicht oder eher nicht dazu bereit wären. Die Hauptgründe für die Ablehnung waren die Bevorzugung von Hands-on-Behandlungen, unzureichende Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten durch die Therapeut*innen, der Wunsch nach direktem Kontakt und eine generelle Abneigung gegenüber digitaler Behandlungen.


Schlussfolgerungen

Jede zweite Person stand der Videotherapie von Beginn an positiv gegenüber. 6 von 10 anfänglich skeptischen Teilnehmenden bewerteten ihre Erfahrungen letztlich besser als erwartet. Dennoch lehnte etwa jede vierte Person eine zukünftige Behandlung mittels Videotherapie ab.




Publication History

Article published online:
14 August 2025

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  • Literatur

  • 1 Cieza A, Causey K, Kamenov K. et al. Global estimates of the need for rehabilitation based on the Global Burden of Disease study 2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet 2021; 396: 2006-2017
  • 2 Marks D, Kitcher S, Attrazic E. et al. The Health Economic Impact of Musculoskeletal Physiotherapy Delivered by Telehealth: A Systematic Review. Int J Telerehabil 2022; 14: e6524
  • 3 Corso M, Cancelliere C, Mior S. et al. Are Nonpharmacologic Interventions Delivered Through Synchronous Telehealth as Effective and Safe as In-Person Interventions for the Management of Patients With Nonacute Musculoskeletal Conditions? A Systematic Rapid Review. Arch Phys Med Rehabil 2022; 103: 145-154
  • 4 Fritz JM, Lane E, Minick KI. et al. Perceptions of Telehealth Physical Therapy Among Patients with Chronic Low Back Pain. Telemed Rep 2021; 2: 258-263
  • 5 Lawford BJ, Bennell KL, Hinman RS. Consumer Perceptions of and Willingness to Use Remotely Delivered Service Models For Exercise Management of Knee and Hip Osteoarthritis: A Cross-Sectional Survey. Arthritis Care Res (Hoboken) 2017; 69: 667-676
  • 6 Hinman RS, Campbell PK, Kimp AJ. et al. Telerehabilitation consultations with a physiotherapist for chronic knee pain versus in-person consultations in Australia: the PEAK non-inferiority randomised controlled trial. Lancet 2024; 403: 1267-1278
  • 7 Vielitz A, Höpfner M, Jochum I. et al. Eine qualitative Studie zu Erfahrungen von Physiotherapeut*innen und Patient*innen mit Videotherapie in der Heilmittelversorgung muskuloskelettaler und neuromuskulärer Beschwerden. physioscience 2022; 19: 7-15
  • 8 Krzyzaniak N, Cardona M, Peiris R. et al. Telerehabilitation versus face-to-face rehabilitation in the management of musculoskeletal conditions: a systematic review and meta-analysis. Phys Ther Rev 2023; 28: 1-17
  • 9 Stark AL, Krayter S, Dockweiler C. Competencies required by patients and health professionals regarding telerehabilitation: A scoping review. Dig Health 2023; 9: 20552076231218841