Schlüsselwörter
COVID-19 - Langzeitpflege - Pflegebedürftige - Routinedaten - Todesfälle
Keywords
COVID-19 - long-term care - people in need of long-term care - claims data - fatalities
Einleitung
Nachdem die seit dem 30. Januar 2020 bestehende internationale Gesundheitsnotlage
im
Zusammenhang mit COVID-19 im Mai 2023 durch die WHO wieder aufgehoben wurde [1], hat das gesellschaftliche Leben in
den meisten Ländern eine Normalität wie vor der COVID-19-Pandemie angenommen. In
Deutschland ist schon zum 1. März 2023 der Großteil der öffentlichen Schutzmaßnahmen
und Einschränkungen ausgelaufen [2]
und im Zuge dessen hat auch die mediale Aufmerksamkeit für COVID-19 erheblich
abgenommen. Schon zu Beginn der Pandemie wurde die besondere Betroffenheit
Pflegebedürftiger erkannt, die vor allem auf ihre hohe Vulnerabilität aufgrund von
Alter und Vorerkrankungen sowie auf das hohe Expositionsrisiko in den
Pflegeeinrichtungen durch bedingte Möglichkeiten der Kontaktbeschränkungen
zurückzuführen ist [3]
[4]. International konnte in Folge
dessen ein großes Risiko für Infektionen und schwere Krankheitsverläufe [5]
[6] sowie eine hohe Sterblichkeit unter
Pflegebedürftigen [7] beobachtet
werden. Zugleich konnte ein positiver Effekt der Maßnahmen zum Infektionsschutz in
Pflegeeinrichtungen auf die Betroffenheit der Pflegebedürftigen durch die Pandemie
beobachtet werden [8], wobei dieser
Effekt maßgeblich vom Infektionsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung abhängig ist
[9]
[10]. Da in den Daten des Robert
Koch-Instituts (RKI) nur zu Beginn der Pandemie differenzierte Daten zur
Sterblichkeit Pflegebedürftiger abgebildet wurden, wurden erste Abschätzungen zur
Anzahl der Todesfälle unter Pflegebedürftigen in Deutschland durchgeführt [11]
[12]
[13]. Dennoch fehlt bislang eine
abschließende Analyse der Sterblichkeit von Pflegebedürftigen in Zusammenhang mit
COVID-19 differenziert nach Versorgungsarten in Deutschland über den gesamten
Zeitraum der Pandemie.
Zielsetzung und Fragestellungen
Zielsetzung und Fragestellungen
Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, die Situation der Pflegebedürftigen in
Deutschland in den Jahren 2020–2023 hinsichtlich ihrer Sterblichkeit in Zusammenhang
mit COVID-19 zu analysieren. Dabei sollen folgende Fragestellungen beantwortet
werden:
-
Wie hat sich die Anzahl der COVID-19-Todesfälle von Pflegebedürftigen in den
Jahren 2020 bis 2023 entwickelt?
-
Kann für die Todesfälle differenziert werden, ob es sich um Todesfälle mit
bzw. durch COVID-19 handelt?
-
Wie unterscheiden sich die Risiken für die Sterblichkeit durch COVID-19 von
Pflegebedürftigen zu Nicht-Pflegebedürftigen und welche Unterschiede liegen
zwischen den Versorgungsformen vor?
-
Welche Aussagen können zum Einfluss von Schutzmaßnahmen getroffen werden?
Methodik
Zur Beantwortung der Fragen wurden Routinedaten der BARMER-Versicherung, die
Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes (StBA) sowie Sterbezahlen des
RKI verglichen und analysiert.
Definition von Todesfällen in Bezug auf COVID-19
Für die Beurteilung der pandemischen Lage und insbesondere der Sterblichkeit im
Zusammenhang mit COVID-19 spielen zwei Faktoren eine zentrale Rolle:
-
die Erfassung/Diagnostik der Erkrankung und
-
die Bewertung des Zusammenhangs zwischen Erkrankung und Tod.
Für die Erfassung und Diagnostik einer COVID-19-Erkrankung wurde im April 2020
die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandten
Gesundheitsprobleme, German Modification (ICD-10-GM) angepasst.
Diagnosen mit Bezug zu einer COVID-19-Erkrankung sind seit dieser Aktualisierung
der ICD-Klassifikation in Deutschland in verschiedenen vorläufigen Ausprägungen
gegeben. Die wesentlichen Klassifikationen sind dabei die beiden Schlüssel
U07.1! und U07.2!, welche eine SARS-CoV-2-Infektion mit beziehungsweise ohne
Bestätigung durch einen Labortest ausweisen.
Die Feststellung des Todes wird durch länderspezifische Gesetze und Verordnungen
geregelt und ist eine ärztliche Tätigkeit. Dabei wird durch die Leichenschau
u. a. auch das Grundleiden und die Todesursache festgestellt. Bei letzterer
handelt es sich um „Krankheiten, Verletzungen oder Vergiftungen, die den Tod
unmittelbar verursacht haben“
[14]. Zudem können in Todesbescheinigungen andere wesentliche
Krankheiten und Krankheitszustände angegeben werden, die zum Tod beigetragen
haben, ohne im Zusammenhang mit dem Grundleiden oder der Todesursache zu
stehen.
Die zu Grunde liegenden Datensätze unterscheiden sich hinsichtlich der Definition
der Todesumstände. Aus diesem Grund wird im Folgenden zwischen
COVID-19-Todesfällen (RKI), Todesfällen durch bzw. mit
COVID-19 (StBA) und Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19
(BARMER) differenziert (s. [Tab.
1]). Tiefergehende Erläuterungen zu diesen Definitionen finden sich in
Appendix I.
Tab. 1 Definitionen von Todesfällen in Bezug auf
COVID-19
Datenquelle
|
RKI
|
StBA1
|
BARMER1
|
Bezeichnung
|
COVID-19-Todesfälle
|
Todesfälle durch COVID-19
|
Todesfälle mit COVID-19
|
Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19
|
Diagnostik
|
laborbestätigter Nachweis
|
Zusammenhang zwischen Erkrankung und Tod
|
COVID-19 als ursächliches Grundleiden
|
COVID-19 als Begleiterkrankung
|
Todesfälle, bei denen im Quartal des Todes eine
COVID-19-Infektion aufgetreten ist
|
1 Eine Differenzierung nach laborbestätigten und
klinisch-epidemiologischen Fällen ist in den Daten des StBA und der
BARMER möglich. Um eine größtmögliche Vergleichbarkeit herzustellen,
werden hier nur die laborbestätigten Fälle betrachtet.
Entwicklung der relativen Risiken
Mit Hilfe der Anzahl der Pflegebedürftigen in den unterschiedlichen
Versorgungsarten für jeden Monat lässt sich die Entwicklung der relativen
Risiken der Sterblichkeit durch COVID-19 zwischen Personen mit unterschiedlichen
Pflegeleistungen und Personen ohne Pflegebedarf darstellen. Dazu wurde das
Risiko von Pflegebedürftigen durch COVID-19 zu versterben dem Risiko von
Nicht-Pflegebedürftigen in der Altersgruppe 60+durch COVID-19 zu
versterben gegenübergestellt.[1]
Diese Altersgruppe wurde gewählt, da für die Todesfälle unter Pflegebedürftigen
keine Altersgruppen vorliegen, aber bekannt ist, dass mehr als 80% aller
Pflegebedürftigen und mehr als 95% aller Personen in Pflegeheimen sowie 95% der
COVID-19-Todesfälle dieser Altersgruppe zuzuordnen sind [15]
[16].[2]
Ergebnisse
Sterblichkeit von Pflegebedürftigen
In [Abb. 1] ist dargestellt, ob
Personen, die laut BARMER-Daten im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben
sind, im jeweiligen Quartal pflegebedürftig im Sinne des SGB XI waren oder
nicht. Zudem sind für pflegebedürftige Personen unterschiedliche Leistungsarten
abgebildet, die sie vor ihrem Tod bezogen haben. Die Entwicklung der Todesfälle
wird für den Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2022 dargestellt.
Pflegebedürftige ohne Leistungen sowie Pflegebedürftige in
Behinderteneinrichtungen stellen im Betrachtungszeitraum nur einen sehr kleinen
Anteil (0% – 5%) dar und werden aus diesem Grund in einer Kategorie
zusammengefasst. In jedem dargestellten Monat bilden Pflegebedürftige die
Mehrheit der verstorbenen Personen ab.
Abb. 1 Anteil der Verstorbenen im Zusammenhang mit COVID-19
differenziert nach Nicht-Pflegebedürftigen und Pflegebedürftigen
verschiedener Versorgungssettings in den Jahren 2020 bis 2022. Quelle:
eigene Darstellung anhand von Routinedaten der BARMER
Mit Hilfe der in [Abb. 1]
dargestellten Verteilung sowie der Anzahl der Todesfälle durch und mit
COVID-19 laut StBA (s. dazu auch [Tab. 1] in Appendix II) lässt sich
die absolute Zahl der Todesfälle durch und mit COVID-19
differenziert für Pflegebedürftige und Nicht-Pflegebedürftige in den Jahren
2020–2022 und für die einzelnen COVID-19-Wellen[3] abschätzen. In [Abb. 2] wird diese Anzahl
dargestellt. Dabei werden die Ergebnisse zum einen nach Jahren und zum anderen
nach COVID-19-Wellen ausgewiesen. Insgesamt sind gemäß dieser Datenquelle in den
drei Jahren 123.704 Pflegebedürftige und 37.589 Nicht-Pflegebedürftige
durch und 30.791 Pflegebedürftige sowie 8.147 Nicht-Pflegebedürftige
mit COVID-19 verstorben ([Abb. 2]). Die meisten Todesfälle traten jeweils in der zweiten
COVID-19-Welle auf. Der Anteil der Pflegebedürftigen an allen Todesfällen
durch und mit COVID-19 macht jeweils knapp 80% aus. Fast die
Hälfte aller Todesfälle wird unter Pflegeheimbewohner:innen verzeichnet, jeder
fünfte Todesfall bei Pflegebedürftigen, die durch Pflege- und Betreuungsdienste
versorgt werden, und mehr als jeder zehnte bei Pflegegeldempfänger:innen. Für
das Jahr 2023 wird eine entsprechende Abschätzung der COVID-19-Todesfälle
bei Pflegebedürftigen und Nicht-Pflegebedürftigen auf Grundlage der RKI-Daten
dargestellt. Da für das Jahr 2023 noch keine aktuelle Verteilung der Todesfälle
wie in [Abb. 1] vorliegt, wurde
dabei die durchschnittliche Verteilung der Todesfälle nach Versorgungsformen des
Jahres 2022 in den BARMER-Daten genutzt. Aufgrund der hohen Impfquote, die bei
Pflegebedürftigen schon Ende 2021 erreicht wurde und 2022 und 2023 unverändert
blieb, ist eine Übertragbarkeit gegeben. Mehr als 15.000 der 18.644
COVID-19-Todesfälle im Jahr 2023 wurden demnach bei
Pflegebedürftigen verzeichnet.
Abb. 2 Todesfälle unter Pflegebedürftigen und
Nicht-Pflegebedürftigen durch und mit COVID-19 differenziert nach
Jahren, Wellen und Leistungsarten. Quelle: eigene Berechnungen und
Darstellung anhand der Daten der BARMER, des StBA und des RKI; nicht
dargestellt werden Todesfälle von Pflegebedürftigen ohne Leistungen und
nach SGB XI und von Pflegebedürftigen in Behinderteneinrichtungen
Entwicklung der relativen Risiken
Im Verlauf der Pandemie hat sich die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen
verändert [11]. Um dies bei der
Beurteilung der Situation Pflegebedürftiger hinsichtlich der Sterblichkeit zu
berücksichtigen, wird in [Abb. 3]
dargestellt, wie sich die relativen Risiken durch COVID-19 zu versterben
von Pflegebedürftigen differenziert nach Versorgungsformen gegenüber
Nicht-Pflegebedürftigen entwickelten. Ein relatives Risiko von 1 entspricht
dabei einem gleich großen Risiko Pflegebedürftiger und Nicht-Pflegebedürftiger
durch COVID-19 zu versterben, eine Verdoppelung des relativen Risikos entspricht
einer Verdopplung des Risikos der Pflegebedürftigen gegenüber
Nicht-Pflegebedürftigen. Für Empfänger:innen von Leistungen in den drei
untersuchten Versorgungsformen (Pflegegeld, Pflege- und Betreuungsdienst und
Pflegeheim) zeigte sich durchgängig ein höheres Risiko als für
Nicht-Pflegebedürftige, wobei Personen, die formelle Pflege empfingen und
insbesondere Personen in Pflegeheimen ein vielfach höheres Risiko aufwiesen als
Nicht-Pflegebedürftige. Im Frühling und im Winter 2021 verringerte sich das
relative Risiko durch COVID-19 zu sterben für Personen in Pflegeheimen, im Jahr
2022 war das Risiko erneut deutlich höher als bei Nicht-Pflegebedürftigen und
stieg auch bei Personen, die von Pflegediensten versorgt wurden, an. Mit
Ausnahme der Rückgänge im Jahr 2021 stieg das relative Risiko von
Pflegeheimbewohner:innen im Vergleich zu Nicht-Pflegebedürftigen vor allem
während der COVID-19-Wellen mit einer hohen Gesamtanzahl von Todesfällen an.
Abb. 3 Entwicklung der relativen Risiken und der Todesfälle durch
und mit COVID-19 insgesamt. Quelle: eigene Berechnungen und Darstellung
der Daten der BARMER, des StBA und des RKI; Im Juli und August 2020
werden insgesamt nur sehr wenige (<200) Todesfälle verzeichnet.
Dadurch führen schon einzelne Todesfälle zu starken Abweichungen der
relativen Risiken. Da die Werte entsprechend nur eingeschränkt belastbar
sind, werden sie hier nicht dargestellt. Ein ähnlicher, aber weniger
stark ausgeprägter Effekt zeigt sich im Sommer 2021.
Diskussion
Zentrale Ergebnisse der Analyse
Insgesamt machten Pflegebedürftige einen Anteil von knapp 80% aller Todesfälle
durch und mit COVID-19 aus. Zwar sank dieser Anteil im Zeitraum der
priorisierten Impfungen von Januar bis Mai 2021 (Erstimpfung) und der
sogenannten Auffrischungsimpfung (in der Regel dritte Impfung) von September bis
Dezember 2021 kurzfristig, stieg dann mit fortschreitender Impfquote in der
Allgemeinbevölkerung aber wieder an. Die meisten Todesfälle unter
Pflegebedürftigen wurden im Jahr 2021 verzeichnet, und auch im Jahr 2022 lag die
Anzahl der Todesfälle noch deutlich über der Anzahl im Jahr 2020. Ein
signifikanter Rückgang ist erst im Jahr 2023 zu beobachten. Eine besonders große
Betroffenheit lag bei Bewohner:innen von Pflegeheimen vor.
Stärken und Limitationen
Die vorliegende Analyse stellt als erste Publikation die Sterblichkeit von
Pflegebedürftigen durch und mit COVID-19 in Deutschland über die gesamte Zeit
der Pandemie dar. Dabei liegt mit der Verteilung der Todesfälle auf
Pflegebedürftige und Nicht-Pflegebedürftige bzw. die unterschiedlichen
Versorgungsformen auf Grundlage von Routinedaten der BARMER eine über Zeit
stabile Datengrundlage vor, da sich bei der Erfassung methodisch keine
Änderungen ergeben haben. Im Vergleich mit weiteren Publikationen zeigen sich
sowohl in einer Hochrechnung basierend auf RKI-Daten als auch in Hochrechnungen
von repräsentativen Studien vergleichbare Anteile der Verstorbenen unter
Pflegeheimbewohner:innen [18]
[19] und Klient:innen von Pflege-
und Betreuungsdiensten [13] in
Hinblick auf den Zeitraum bis Anfang 2021.
Darüber hinaus sind aber auch Limitationen zu benennen: Erstens liegt
grundsätzlich eine Unterschätzung der absoluten Todesfälle im Kontext mit
COVID-19 vor, da zwecks Vergleichbarkeit nur Fälle einbezogen wurden, für die
eine laborbestätigte Diagnose vorlag. Es fehlen in der Analyse also alle
Personen, für die eine klinisch-epidemiologische Diagnose vorlag und alle
weiteren Fälle, bei denen gar keine Infektion festgestellt wurde, die aber durch
oder mit COVID-19 verstorben sind. Hier besteht eine strukturelle
Untererfassung, da asymptomatisch infizierte Personen nicht einbezogen werden
[10].
Zweitens unterliegen alle drei Datenquellen (RKI, StBA und BARMER) weiteren
Limitationen. Die Qualität der Todesursachenstatistik des StBA – und somit auch
der Daten des RKI – ist abhängig von der Diagnosequalität in den
zugrundeliegenden Todesbescheinigungen [20]
[21] und somit von
der individuellen Verfügbarkeit von Informationen und individuellen
Entscheidungen. Inwiefern sich die Verfügbarkeit von bzw. das
Durchführungsverhalten bei Labortests – insbesondere im ambulanten Setting –
sowie die Bewertung von Todesursachen durch COVID-19 im Zeitverlauf verändert
hat, bleibt fraglich. Darüber hinaus sind in den Daten des RKI sowohl Über- als
auch Unterschätzungen möglich [15].
In den BARMER-Daten ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Erkrankung und
Todesfall weit ausgelegt. Dadurch entstehen Ungenauigkeiten bei der Erfassung
der absoluten Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 (s. dazu
[Abb. 1]
[2]
[3] in Appendix II). Außerdem
handelt es sich trotz der in Appendix I beschriebenen Hochrechnungen der
BARMER-Daten anhand von Alter, Geschlecht und Bundesland auf die Bevölkerung von
Deutschland, bei der Population dieser Daten um eine selektive Stichprobe und es
liegen Unterschiede zur Bevölkerung in Deutschland insbesondere in Bezug auf die
Morbiditätsstruktur vor [22].
Daraus resultieren auch in Hinblick auf die Mortalität Unterschiede. In Bezug
auf die Verteilung der Todesfälle auf Pflegebedürftige und
Nicht-Pflegebedürftige sowie die unterschiedlichen Versorgungssettings lässt
sich darüber hinaus einschränkend konstatieren, dass nicht geprüft werden kann,
ob die Verteilung bis Ende 2022 trotz gleichbleibender Methodik weiterhin ein
realistisches Bild abzeichnet. Hier ist denkbar, dass sich die
Wahrscheinlichkeit für die Durchführung einer laborbestätigten Testung
strukturell verändert, da bspw. Hochrisikogruppen bei einer insgesamt
zurückgehenden Sensibilisierung für COVID-19, tendenziell eher Testungen
durchführen könnten (s. dazu auch Abb.
4 in Appendix III). Entsprechend könnte es hier zu Verzerrungen in
Bezug auf die Verteilung kommen. Empirisch fällt auf, dass es im Jahr 2022 zu
einem leichten Anstieg des Anteils der Todesfälle von Personen, die von
ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten versorgt werden, kommt. Dies könnte
ein Hinweis auf einen solchen Effekt sein. Dennoch zeigt sich weiterhin eine
weitestgehend vergleichbare Verteilung.
Interpretation und Einordnung in den Stand der Forschung
Die Ergebnisse sind vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten Limitationen zu
interpretieren. Die Informationen und Analysen, die in Appendix I – III
dargestellt werden, zeigen, dass definitorische und empirische Ähnlichkeiten,
aber auch Unterschiede zwischen den Datenquellen bestehen. Die daraus
resultierenden Niveauunterschiede können verschiedene Gründe haben (s.
vorheriger Abschnitt). Demzufolge handelt es sich nicht um eine Auszählung,
sondern eine möglichst präzise Abschätzung der Anzahl der Todesfälle durch
und mit COVID-19 unter Pflegebedürftigen und
Nicht-Pflegebedürftigen.
In der Entwicklung der Todesfälle sind die kurzfristigen Rückgänge des Anteils
der Bewohner:innen in Pflegeheimen im Frühjahr und im Winter 2021 und ein
entsprechender Rückgang des Risikos im Vergleich zu Nicht-Pflegebedürftigen
auffällig. Darin können sich die Effekte der Impfkampagne widerspiegeln, die in
Deutschland im Dezember 2020 mit priorisierten Impfungen von Personengruppen mit
hohem Risiko für einen schweren Verlauf sowie einem hohen Expositionsrisiko
startete. Zu diesen Gruppen gehörten sowohl Pflegebedürftige als auch
Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen. Auch wenn die Ständige Impfkommission
(STIKO) erst im Oktober 2021 eine Empfehlung für Auffrischungsimpfungen für
diese Personengruppen gegeben hat [23], wurde Pflegebedürftigen und Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen
bereits ab dem 1. September 2021 Auffrischungsimpfungen angeboten [2]. In Pflegeheimen hatten dadurch
bereits im Oktober 2021 fast die Hälfte der Bewohner:innen ihre erste
Auffrischungsimpfung erhalten [24]. Zum gleichen Zeitpunkt lag die Quote erwachsener Personen mit
Auffrischungsimpfung in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland mit Werten von
ca. 10% – 20% deutlich niedriger [25]. Die Angleichung dieser Quoten erfolgte in etwa zum Jahreswechsel
2021/2022 [24]
[25]. Sowohl Mitte 2021 als auch
Anfang 2022 zeigen sich einerseits ein deutlicher Rückgang der Todesfälle
durch und mit COVID-19 ([Abb. 3]) und andererseits ein erneuter Anstieg des Anteils der
verstorbenen Pflegeheimbewohner:innen ([Abb. 1]). Dies kann jeweils mit dem Schutz durch die
Impfungen/Auffrischungsimpfungen zusammenhängen, der etwas verzögert bei den
Nicht-Pflegebedürftigen angekommen ist und ebenso an anderer Stelle postuliert
wird [26]
[27]. Mit diesem Verzögerungseffekt
geht im Jahr 2022 ein erneuter Anstieg des Sterberisikos für
Pflegeheimbewohner:innen einher, zugleich wurden allgemeine Schutzmaßnahmen
deutlich reduziert [28]. Dennoch
bleibt das relative Risiko für Pflegeheimbewohner:innen, durch COVID-19 zu
versterben, im Verhältnis zum Risiko für Nicht-Pflegebedürftige unter dem Niveau
der zweiten Welle (Winter 2020/2021). Dies ist angesichts der zunehmenden
Immunität in der Allgemeinbevölkerung plausibel. Ein Erklärungsansatz dafür kann
die Wirkung spezifischer nicht pharmazeutischer Interventionen für
Pflegeeinrichtungen wie Besuchsverbote oder die Isolation von Erkrankten gewesen
sein, die länger aufrechterhalten wurden als die allgemeinen Schutzmaßnahmen
(bspw. die Regelungen zum Tragen von FFP2-Masken im ÖPNV) [29]. Da diese Maßnahmen
weitestgehend auf Länderebene geregelt wurden, lassen sich die Einflüsse
einzelner Maßnahmen auf die bundesweiten Todesfälle nicht identifizieren.
Eine Übersterblichkeit während der COVID-19-Pandemie, die besonders stark in den
höheren Altersgruppen ausgeprägt war, wurde deutschland- und europaweit
festgestellt [30]
[31]. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Pandemie nicht nur direkten Einfluss auf die Zahl der Todesfälle durch
Infektionen hatte, sondern dass es insgesamt zu einer deutlichen
Übersterblichkeit in der Allgemeinbevölkerung gekommen ist [32]. Die hohe Sterblichkeit unter
Pflegebedürftigen in direktem Zusammenhang mit COVID-19 zeigt sich international
[7] und auch in Deutschland,
wo bereits für die Jahre 2020 und 2021 eine Übersterblichkeit unter
Pflegebedürftigen in der stationären Langzeitpflege beschrieben wurde [27]. Darüber hinaus wurden auch
indirekte negative Effekte auf Bewohner:innen von Pflegeheimen wie schlechtere
medizinische Versorgung, Einsamkeit und Kontaktmangel festgestellt [3]
[33].
Die Analyse bestätigt, in welchem Ausmaß Pflegebedürftige, insbesondere
in der stationären Langzeitpflege in Hinblick auf Sterblichkeit von der
COVID-19-Pandemie beeinflusst wurden, und dass das erhöhte Risiko auch
noch im Jahr 2022 fortbestand. Zur Beurteilung der Situation sind die
Erhebung standardisierter und möglichst aktueller Daten über
Sterblichkeit der am meisten betroffenen Gruppen während Pandemien und
bei künftigen Notlagen sinnvoll.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Einhaltung ethischer Richtlinien
Die Autor:innen des Artikels geben an, dass kein Interessenskonflikt besteht. Für
diesen Beitrag wurden von den Autor:innen keine Studien an Menschen oder Tieren
durchgeführt.