Neuroinflammation bei Clusterkopfschmerzen
***(*) Lund NLT, Westgate CSJ, Soborg MLK, et al. Distinct alterations of inflammatory
biomarkers in cluster
headache: a case control study. Ann Neurol2025; 00: 1–15
Hintergrund
Neuroinflammation ist definiert als eine inflammatorische Antwort des ZNS auf verschiedene
Erkrankungen,
die mit diversen immunologischen, physiologischen und biochemischen Konsequenzen einhergehen
kann. Dabei
spielen Zytokine eine wichtige Vermittlerrolle mit sowohl systemischen als auch lokalen
Effekten, wobei
diese nicht vollständig verstanden sind. Neuroinflammation bei Kopfschmerzerkrankungen
ist wenig und
meist nur in kleinen Studien mit heterogenen Untersuchungsergebnissen untersucht,
aus der Klinik kann z.
B. aufgrund des guten Ansprechens auf Kortikosteroide oder NSAR eine neuroinflammatorische
Beteiligung
angenommen werden.
Zusammenfassung
In dieser Studie wurde zwischen Oktober 2018 und Dezember 2021 in episodischen und
chronischen
Clusterkopfschmerz-Patienten, die die ICHD-3-Kritieren erfüllten, 45 Zytokine im Vergleich
zu gesunden
Kontrollprobanden untersucht. Die Zytokine wurden im EDTA-Blut von 99 chronischen
Clusterkopfschmerz-Patienten, 108 episodischen Clusterkopfschmerz-Patienten während
der Episode und 105
Patienten in Remission sowie 100 Kontroll-Probanden ausgewertet. Es erfolgte eine
einmalige Blutentnahme
bei chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten und Kontrollprobanden, episodische
Clusterkopfschmerz-Patienten erhielten eine Abnahme während und außerhalb der Episode.
Die Einnahme von
prophylaktischer Medikation und Akutmedikation war möglich. Die 45 Zytokine wurden
mittels einem Olink
Target 48 Cytokine Kit bestimmt.
Im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigten alle Clusterkopfschmerz-Patienten unabhängig
der Verlaufsform
ein erhöhtes Oncostatin m und eine erniedrigtes TNFSF12. Im Vergleich zu gesunden
Kontrollen zeigten
chronische Clusterkopfschmerz-Patienten darüber hinaus eine Erhöhung von IL-6, CCL7,
CXCL9, CSF, HGF,
MMP12 und TGFa. Episodische Clusterkopfschmerz-Patienten während der Episode zeigten
im Vergleich zu
gesunden Kontrollen erhöhte Zytokinspiegel von CCL7, während IL-1ß, IL-4, IL-7, IL-10,
IL-13, CXCL10,
CXCL11, EGF und CCL4 erniedrigt waren. Episodische Clusterkopfschmerz-Patienten außerhalb
der Episode
zeigten erhöhtes CCL11 im Vergleich zu gesunden Kontrollen.
Kommentar
Ein Vorteil dieser Studie ist die Untersuchung aller Verlaufsformen des Clusterkopfschmerzes
mit einer
großen Gruppengröße. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse gibt es weitere Hinweise
dafür, dass
Neuroinflammation eine Rolle in der Pathophysiologie von Kopfschmerzerkrankungen spielen
könnte; dazu
passend könnten die veränderten Zytokine in den aktiven Verlaufsformen im Vergleich
zur Remission sein.
Allerdings bleibt die Rolle der einzelnen Zytokine, deren Funktion oftmals noch nicht
ausreichend
verstanden ist, unklar. Für ein besseres Verständnis einzelner Komponenten braucht
es weitere Studien, z.
B. die heterogenen Ergebnisse, auch im Vergleich zu früher durchgeführten Studien
zeigen.
Katharina Kamm, München
CGRP-basierte Migränetherapie: Aktueller Stellenwert und Ausblick
*** Versijpt J, Paemeleire K, Reuter U, et al. Calcitonin gene-related peptide-targeted
therapy in migraine:
current role and future perspectives. Lancet 2025; 405: 1014–1026
Hintergrund
Dass ein Artikel zur Migränetherapie die Titelseite eines der weltweit renommiertesten
medizinischen
Fachjournale wie The Lancet ziert, ist bemerkenswert und Ausdruck des gestiegenen
wissenschaftlichen und
klinischen Interesses an dieser Erkrankung. Dies zeigt nicht nur, wie sehr sich das
Verständnis der
Migräne in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat, sondern auch, dass gezielte
Therapieansätze wie
die CGRP-Hemmung zunehmend als medizinisch relevant und innovativ wahrgenommen werden.
Der Artikel bietet
einen umfassenden Überblick über Wirkmechanismen, klinische Wirksamkeit, Sicherheitsprofil
und offene
Fragen der CGRP-basierten Therapien.
Zusammenfassung
Der Artikel beschreibt Wirkansätze und pharmakologische Eigenschaften der verfügbaren
Substanzen und
diskutiert deren Einsatz im Akutfall und in der Prophylaxe. Besonders hervorgehoben
wird die gute
Wirksamkeit und Verträglichkeit der CGRP-(R-)mAbs, mit einer ≥ 50 %igen Reduktion
der monatlichen
Migränetage bei etwa der Hälfte der Patienten. Zudem wird auf eine relevante Subgruppe
sogenannter
„Super-Responder“ hingewiesen, bei denen eine Reduktion um ≥ 75 % bis hin zur temporären
Migränefreiheit
beobachtet wird. Gleichzeitig werden zentrale Herausforderungen im klinischen Alltag
thematisiert, etwa
das Fehlen direkter Vergleichsstudien zwischen den einzelnen mAbs. Eine evidenzbasierte
Auswahl des
jeweils geeignetsten Wirkstoffs ist dadurch erschwert; Unterschiede in Ansprechraten,
Dosierung und
Applikation lassen sich oft nur indirekt oder anhand individueller Erfahrungen beurteilen.
Das vereinzelt
berichtete Nachlassen der Wirksamkeit am Ende des Injektionsintervalls wird trotz
fehlender objektiver
Evidenz thematisiert, mit der Empfehlung gegebenenfalls durch Intervallverkürzung,
Substanzwechsel oder
ergänzende Medikation therapeutisch zu reagieren.
Die Übersicht umfasst auch aktuelle Daten zu Gepanten wie Rimegepant und Atogepant,
deren Nutzen vor
allem bei Patienten mit kardiovaskulären Risiken (Akuttherapie und Prophylaxe), unzureichendem
Triptanansprechen (Akuttherapie) oder dem Bedarf an flexibel einsetzbaren Behandlungsoptionen
(Prophylaxe) betont wird.
Auch zu praxisnahen Themen wie Therapiepausen, Wechselstrategien und Kombinationstherapien
werden
Empfehlungen formuliert. So wird etwa eine Pause nach 12–18 Monaten stabiler Kontrolle
empfohlen. Bei
unzureichendem Ansprechen kann ein Wechsel zwischen Rezeptor- und Ligandenantikörpern
sinnvoll sein.
Kombinationen mit klassischen Prophylaktika oder Botulinumtoxin werden zunehmend eingesetzt,
wenn
Monotherapien nicht ausreichen. Real-World-Daten bestätigen die Wirksamkeit dieser
Ansätze und zeigen –
insbesondere bei mehrfach vorbehandelten Patienten – teils höhere Ansprechraten als
randomisierte
Studien.
Ein weiteres Kapitel widmet sich offenen Fragen der Präzisionsmedizin: Trotz intensiver
Forschung fehlen
prädiktive Marker zur gezielten Therapieauswahl. Auch die Rolle von CGRP-basierten
Therapien bei anderen
Kopfschmerzformen wie Clusterkopfschmerz oder posttraumatischem Kopfschmerz bleibt
unklar. Hinsichtlich
Sicherheit und Verträglichkeit zeigen sich die Substanzen durchweg günstig. Die potenziellen
kardiovaskulären Risiken durch Blockade eines protektiven Neuropeptids werden diskutiert,
aber nicht
durch klinische Daten gestützt.
Kommentar
Diese Publikation unterstreicht eindrucksvoll den klinischen und wissenschaftlichen
Stellenwert der
CGRP-basierten Migränetherapie. Zum ersten Mal stehen spezifisch für Migräne entwickelte
Therapien mit
guter Wirksamkeit und Verträglichkeit zur Verfügung, die die Ära unspezifischer Prophylaktika
ablösen.
Gleichzeitig zeigt der Beitrag, dass die komplexe Pathophysiologie der Migräne weiterhin
viele offene
Fragen birgt. Die fehlende Verfügbarkeit prädiktiver Marker erschwert eine gezielte
Therapiewahl, und der
kombinierte Einsatz verschiedener Wirkprinzipien bleibt empirisch begründet. Bereits
jetzt ergäben sich
bei 5 verfügbaren CGRP-basierten und 5 verfügbaren nicht-CGRP-basierten Prophylaxeoptionen
45
Kombinationsoptionen, die unmöglich durchzuprobieren sind. Zukünftige Fortschritte
werden maßgeblich
davon abhängen, ob es gelingt, Biomarker zur individuellen Therapieentscheidung zu
etablieren und
pathophysiologisch ergänzende Behandlungsstrategien – etwa in Form von Kombinationstherapien
– gezielt
einzusetzen.
Robert Fleischmann, Greifswald
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren
methodischen Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Priv.-Doz.
Dr. Robert
Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigeminoautonomer Kopfschmerz
&
Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und
Jugendlichen) und
Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie,
Unimedizin
Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch- Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de
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eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.