Nervenheilkunde 2025; 44(06): 428-429
DOI: 10.1055/a-2533-4485
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

 

Neuroinflammation bei Clusterkopfschmerzen

***(*) Lund NLT, Westgate CSJ, Soborg MLK, et al. Distinct alterations of inflammatory biomarkers in cluster headache: a case control study. Ann Neurol2025; 00: 1–15

Hintergrund

Neuroinflammation ist definiert als eine inflammatorische Antwort des ZNS auf verschiedene Erkrankungen, die mit diversen immunologischen, physiologischen und biochemischen Konsequenzen einhergehen kann. Dabei spielen Zytokine eine wichtige Vermittlerrolle mit sowohl systemischen als auch lokalen Effekten, wobei diese nicht vollständig verstanden sind. Neuroinflammation bei Kopfschmerzerkrankungen ist wenig und meist nur in kleinen Studien mit heterogenen Untersuchungsergebnissen untersucht, aus der Klinik kann z. B. aufgrund des guten Ansprechens auf Kortikosteroide oder NSAR eine neuroinflammatorische Beteiligung angenommen werden.


#

Zusammenfassung

In dieser Studie wurde zwischen Oktober 2018 und Dezember 2021 in episodischen und chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten, die die ICHD-3-Kritieren erfüllten, 45 Zytokine im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden untersucht. Die Zytokine wurden im EDTA-Blut von 99 chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten, 108 episodischen Clusterkopfschmerz-Patienten während der Episode und 105 Patienten in Remission sowie 100 Kontroll-Probanden ausgewertet. Es erfolgte eine einmalige Blutentnahme bei chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten und Kontrollprobanden, episodische Clusterkopfschmerz-Patienten erhielten eine Abnahme während und außerhalb der Episode. Die Einnahme von prophylaktischer Medikation und Akutmedikation war möglich. Die 45 Zytokine wurden mittels einem Olink Target 48 Cytokine Kit bestimmt.

Im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigten alle Clusterkopfschmerz-Patienten unabhängig der Verlaufsform ein erhöhtes Oncostatin m und eine erniedrigtes TNFSF12. Im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigten chronische Clusterkopfschmerz-Patienten darüber hinaus eine Erhöhung von IL-6, CCL7, CXCL9, CSF, HGF, MMP12 und TGFa. Episodische Clusterkopfschmerz-Patienten während der Episode zeigten im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöhte Zytokinspiegel von CCL7, während IL-1ß, IL-4, IL-7, IL-10, IL-13, CXCL10, CXCL11, EGF und CCL4 erniedrigt waren. Episodische Clusterkopfschmerz-Patienten außerhalb der Episode zeigten erhöhtes CCL11 im Vergleich zu gesunden Kontrollen.


#

Kommentar

Ein Vorteil dieser Studie ist die Untersuchung aller Verlaufsformen des Clusterkopfschmerzes mit einer großen Gruppengröße. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse gibt es weitere Hinweise dafür, dass Neuroinflammation eine Rolle in der Pathophysiologie von Kopfschmerzerkrankungen spielen könnte; dazu passend könnten die veränderten Zytokine in den aktiven Verlaufsformen im Vergleich zur Remission sein. Allerdings bleibt die Rolle der einzelnen Zytokine, deren Funktion oftmals noch nicht ausreichend verstanden ist, unklar. Für ein besseres Verständnis einzelner Komponenten braucht es weitere Studien, z. B. die heterogenen Ergebnisse, auch im Vergleich zu früher durchgeführten Studien zeigen.

Katharina Kamm, München


#
#

CGRP-basierte Migränetherapie: Aktueller Stellenwert und Ausblick

*** Versijpt J, Paemeleire K, Reuter U, et al. Calcitonin gene-related peptide-targeted therapy in migraine: current role and future perspectives. Lancet 2025; 405: 1014–1026

Hintergrund

Dass ein Artikel zur Migränetherapie die Titelseite eines der weltweit renommiertesten medizinischen Fachjournale wie The Lancet ziert, ist bemerkenswert und Ausdruck des gestiegenen wissenschaftlichen und klinischen Interesses an dieser Erkrankung. Dies zeigt nicht nur, wie sehr sich das Verständnis der Migräne in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat, sondern auch, dass gezielte Therapieansätze wie die CGRP-Hemmung zunehmend als medizinisch relevant und innovativ wahrgenommen werden. Der Artikel bietet einen umfassenden Überblick über Wirkmechanismen, klinische Wirksamkeit, Sicherheitsprofil und offene Fragen der CGRP-basierten Therapien.


#

Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt Wirkansätze und pharmakologische Eigenschaften der verfügbaren Substanzen und diskutiert deren Einsatz im Akutfall und in der Prophylaxe. Besonders hervorgehoben wird die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit der CGRP-(R-)mAbs, mit einer ≥ 50 %igen Reduktion der monatlichen Migränetage bei etwa der Hälfte der Patienten. Zudem wird auf eine relevante Subgruppe sogenannter „Super-Responder“ hingewiesen, bei denen eine Reduktion um ≥ 75 % bis hin zur temporären Migränefreiheit beobachtet wird. Gleichzeitig werden zentrale Herausforderungen im klinischen Alltag thematisiert, etwa das Fehlen direkter Vergleichsstudien zwischen den einzelnen mAbs. Eine evidenzbasierte Auswahl des jeweils geeignetsten Wirkstoffs ist dadurch erschwert; Unterschiede in Ansprechraten, Dosierung und Applikation lassen sich oft nur indirekt oder anhand individueller Erfahrungen beurteilen. Das vereinzelt berichtete Nachlassen der Wirksamkeit am Ende des Injektionsintervalls wird trotz fehlender objektiver Evidenz thematisiert, mit der Empfehlung gegebenenfalls durch Intervallverkürzung, Substanzwechsel oder ergänzende Medikation therapeutisch zu reagieren.

Die Übersicht umfasst auch aktuelle Daten zu Gepanten wie Rimegepant und Atogepant, deren Nutzen vor allem bei Patienten mit kardiovaskulären Risiken (Akuttherapie und Prophylaxe), unzureichendem Triptanansprechen (Akuttherapie) oder dem Bedarf an flexibel einsetzbaren Behandlungsoptionen (Prophylaxe) betont wird.

Auch zu praxisnahen Themen wie Therapiepausen, Wechselstrategien und Kombinationstherapien werden Empfehlungen formuliert. So wird etwa eine Pause nach 12–18 Monaten stabiler Kontrolle empfohlen. Bei unzureichendem Ansprechen kann ein Wechsel zwischen Rezeptor- und Ligandenantikörpern sinnvoll sein. Kombinationen mit klassischen Prophylaktika oder Botulinumtoxin werden zunehmend eingesetzt, wenn Monotherapien nicht ausreichen. Real-World-Daten bestätigen die Wirksamkeit dieser Ansätze und zeigen – insbesondere bei mehrfach vorbehandelten Patienten – teils höhere Ansprechraten als randomisierte Studien.

Ein weiteres Kapitel widmet sich offenen Fragen der Präzisionsmedizin: Trotz intensiver Forschung fehlen prädiktive Marker zur gezielten Therapieauswahl. Auch die Rolle von CGRP-basierten Therapien bei anderen Kopfschmerzformen wie Clusterkopfschmerz oder posttraumatischem Kopfschmerz bleibt unklar. Hinsichtlich Sicherheit und Verträglichkeit zeigen sich die Substanzen durchweg günstig. Die potenziellen kardiovaskulären Risiken durch Blockade eines protektiven Neuropeptids werden diskutiert, aber nicht durch klinische Daten gestützt.


#

Kommentar

Diese Publikation unterstreicht eindrucksvoll den klinischen und wissenschaftlichen Stellenwert der CGRP-basierten Migränetherapie. Zum ersten Mal stehen spezifisch für Migräne entwickelte Therapien mit guter Wirksamkeit und Verträglichkeit zur Verfügung, die die Ära unspezifischer Prophylaktika ablösen.

Gleichzeitig zeigt der Beitrag, dass die komplexe Pathophysiologie der Migräne weiterhin viele offene Fragen birgt. Die fehlende Verfügbarkeit prädiktiver Marker erschwert eine gezielte Therapiewahl, und der kombinierte Einsatz verschiedener Wirkprinzipien bleibt empirisch begründet. Bereits jetzt ergäben sich bei 5 verfügbaren CGRP-basierten und 5 verfügbaren nicht-CGRP-basierten Prophylaxeoptionen 45 Kombinationsoptionen, die unmöglich durchzuprobieren sind. Zukünftige Fortschritte werden maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, Biomarker zur individuellen Therapieentscheidung zu etablieren und pathophysiologisch ergänzende Behandlungsstrategien – etwa in Form von Kombinationstherapien – gezielt einzusetzen.

Robert Fleischmann, Greifswald

INFORMATION

*****

Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

****

Gute experimentelle oder klinische Studie

***

Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

**

Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

*

Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigeminoautonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).

Ansprechpartner ist Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch- Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


#
#
#

Publication History

Article published online:
02 June 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany