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DOI: 10.1055/a-2532-0311
Kommentar zu: Pränatales Screening auf fetale und neonatale Alloimmun-thrombozytopenie

Wie können die wenigen Anti-HPA-1a-positiven Schwangeren mit einem fetalen Blutungsrisiko identifiziert werden, um durch eine gezielte Prophylaxe mit intravenösem Immunglobulin (IVIG) eine fetale / neonatale intrakranielle Blutung (ICH) mit meist fatalen Folgen zu verhindern? In der niederländischen verblindeten Beobachtungsstudie [1] trat eine fetale ICH bei nur 1,2% (95% CI 0–6,7%) der immunisierten Schwangeren auf. Hohe Anti-HPA-1a-Antikörpertiter sind mit niedrigen neonatalen Thrombozytenzahlen assoziiert [2]. Trotz niedriger Thrombozytenzahlen treten jedoch häufig keine fetalen / neonatalen Blutungskomplikationen auf. Die vorliegende Studie schlägt ein Screening- und Interventionsprogramm vor, das Antworten gibt. Wir haben Fragen.
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Ist die quantitative Bestimmung der mütterlichen Anti-HPA-1a-Antikörper ein geeigneter Parameter für eine gezielte Blutungsprophylaxe?
Die Autoren schlagen ein Antikörper-Screening in der 20. und 27. Schwangerschaftswoche (SSW) und eine wöchentliche Prophylaxe mit IVIG bis zur Geburt vor, sobald der Anti-HPA-1a-Antikörpertiter>3 IU/mL beträgt. Die Autoren beziehen sich dabei auf Daten aus der großen norwegischen Screening-Studie [2]. Die Anzahl der Schwangeren, die behandelt werden müssten, um eine ICH zu verhindern (number needed to treat, NNT), wird von den Autoren auf 10,2 geschätzt. Diese Zahl erschien uns optimistisch niedrig und wir haben nachgerechnet. In der norwegischen Studie wurde ein Anti-HPA-1a-Antikörpertiter von>3,0 IU/mL in der 22. und/oder 34. SSW bei 92 von 168 Anti-HPA-1a-immunisierten Schwangeren (55%) nachgewiesen. Dieser Titer hatte eine diagnostische Sensitivität von 93% und eine Spezifität von 63% für die Vorhersage einer neonatalen Thrombozytenzahl von<50 G/L ([Tab. 1]).
Die Autoren gehen von 171 713 Geburten pro Jahr in den Niederlanden aus. Basierend auf den angegebenen Wahrscheinlichkeiten sind 4121 (2,4%) Schwangere pro Jahr HPA-1a-negativ. Ca. 10% bilden Anti-HPA-1a-Antikörper (n=412), von denen ca. 90% einen HPA-1a-positiven Fetus tragen (n=371). Basierend auf den publizierten Zahlen aus Norwegen müssten demnach in den Niederlanden jährlich ca. 204 Schwangere (55% der Immunisierten) prophylaktisch mit IVIG behandelt werden. Die Autoren gehen jedoch nur von 75,4 behandlungsbedürftigen Schwangeren pro Jahr aus. Die Ursache für diese Diskrepanz bleibt unklar. Die von uns berechnete NNT würde auf Basis der publizierten norwegischen Daten 27,6 betragen, was mit Blick auf die Belastung der Schwangeren durch wöchentliche IVIG-Infusionen und die damit verbundenen Kosten unangemessen hoch erscheint.
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Existiert eine international standardisierte Methode zur quantitativen Bestimmung von Anti-HPA-1a-Antikörpern?
Beim letzten internationalen Workshop zur Quantifizierung von Anti-HPA-1a-Antikörpern [3] wurde ein Variationskoeffizient von bis zu 144% unter 17 Referenzlaboratorien ermittelt. Die verwendeten Inhouse-Methoden (z. B. MAIPA) scheinen somit für eine international reproduzierbare Quantifizierung nicht geeignet zu sein. Als zukünftigen internationalen Standard schlagen wir rekombinante, humane monoklonale Anti-HPA-1a-Antikörper mit definierter Immunglobulin-Subklasse sowie einen Bead-basierten durchflusszytometrischen Bindungstest vor (Publikation in Vorbereitung). Eine internationale Standardisierung der Anti-HPA-1a-Antikörper-Quantifizierung wäre aus unserer Sicht Voraussetzung für eine multizentrische Studie zur Assoziation des Antikörpertiters mit fetaler / neonataler ICH. Dabei könnte auch überprüft werden, ob funktionelle, endothelspezifische Anti-HPA-1a-Antikörper, die mit ICH assoziiert sind [4], auch mit einem Bindungstest nachgewiesen werden können.
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Ist eine Primärprophylaxe mit wöchentlich 0,5 g/kg KG IVIG wirksam in der Verhinderung intrakranieller Blutungen?
Neonatale Thrombozytenzahl |
Diagnostische |
||||
---|---|---|---|---|---|
Prädiktor |
<50 G/L |
>50 G/L |
% |
Sensitivität |
Spezifität |
Anti-HPA-1a > 3,0 IU/mL in Woche 22 und/oder 34 |
50 |
42 |
55% |
93% |
63% |
Anti-HPA-1a < 3,0 IU/mL in Woche 22 und/oder 34 |
4 |
72 |
45% |
Zur Sekundärprophylaxe einer ICH nach vorangegangener Indexschwangerschaft wird in der Regel eine IVIG-Dosierung von 1 g/kg KG wöchentlich empfohlen [5]. Daten zur Primärprophylaxe mit 0,5 g/kg KG liegen nicht vor.
Zusammenfassend gesagt, ist aus unserer Sicht eine international reproduzierbare Quantifizierung von Anti-HPA-1a-Antikörpern Voraussetzung für eine multizentrische Studie zur Risikostratifizierung, bevor das Anti-HPA-1a-Screening Eingang in die Schwangerenvorsorge finden kann. Die Behandlung von Patientinnen mit hohem fetalen Blutungsrisiko könnte in Zukunft durch eine gezielte Blockade des neonatalen Fc-Rezeptors erfolgen [6].
Publication History
Article published online:
14 May 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
- 1 de Vos TW, Winkelhorst D, Porcelijn L. et al. Natural history of human platelet antigen 1a-alloimmunised pregnancies: a prospective observational cohort study. The Lancet Haematology 2023; 10: e985-e993
- 2 Killie MK, Husebekk A, Kjeldsen-Kragh J. et al. A prospective study of maternal anti-HPA 1a antibody level as a potential predictor of alloimmune thrombocytopenia in the newborn. Haematologica 2008; 93: 870-877
- 3 Wikman A, Mörtberg A, Sachs UJ. et al. Report on the 18th Platelet Immunology Workshop of the ISBT 2016. ISBT Science Series 2017; 12: 214-222
- 4 Santoso S, Wihadmadyatami H, Bakchoul T. et al. Antiendothelial αvβ3 Antibodies Are a Major Cause of Intracranial Bleeding in Fetal/Neonatal Alloimmune Thrombocytopenia. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2016; 36: 1517-1524
- 5 Bundesärztekammer. Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. Gesamtnovelle 2020. Zugriff am 19.02.2025 unter www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/Querschnitts-Leitlinien__BAEK__zur_Therapie_mit_Blutkomponenten_und_Plasmaderivaten_-_Gesamtnovelle_2020.pdf
- 6 Moise KJ, Ling LE, Oepkes D. et al. Nipocalimab in Early-Onset Severe Hemolytic Disease of the Fetus and Newborn. The New England journal of medicine 2024; 391: 526-537