Einleitung
Seit dem 01.01.2023 mussten Pferde, die an Pferdeleistungsschauen der Deutschen
Reiterlichen Vereinigung e.V. (FN) teilnehmen, über einen gültigen Impfschutz gegen
das Equine Herpesvirus vom Typ-1(EHV-1) verfügen [1]. Mit der Entscheidung zog die FN die Konsequenz aus dem gravierenden
EHV-1-Ausbruch, der sich im Februar 2021 bei einem internationalen Reitturnier in
Valencia ereignet hatte [2]. Überraschend wurde
die Entscheidung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V. (FN) Anfang 2024
widerrufen [3]. Die seit Langem im Bereich der
Vollblutzucht und seit März 2021 für deutsche Galopprennpferde und Trabrennpferde
eingeführte Impfpflicht gegen EHV-1 bleibt dagegen in Kraft [4]
[5]. Die
Impfung gegen EHV-1 ist gemäß StIKo-Vet-Leitlinie zur Impfung von Pferden eine
Core-Komponente der Impfung von Pferden [6]. Der
Einsatz derzeit im Handel befindlicher Impfstoffe kann die Schwere des klinischen
Verlaufes beim Einzeltier (respiratorische Erkrankung, Abort, paretisch/paralytische
Verlaufsform) vermindern und reduziert die Dauer und Intensität der
Virusausscheidung [7]
[8]
[9]. Die Impfstoffe schützen das
Einzeltier nicht so sicher, wie das z. B. bei der Impfung gegen Tetanus erwartet
werden kann. Das übergeordnete Ziel ist daher, durch konsequente Impfung der
gesamten Pferdepopulation, insbesondere häufig reisender Pferde, zu einer Reduktion
der Menge von zirkulierenden Herpesviren beizutragen. Damit können Infektionsketten
unterbrochen und die Morbiditätsquoten gesenkt werden. Aus diesem Grund unterstützt
die StIKo Vet die Entscheidungen der Pferdesportverbände, die sich für eine
Impfpflicht aussprechen.
Im August 2022 erschien eine Metastudie, in der verschiedene Publikationen zur
Wirksamkeit von EHV-1 Impfstoffen zusammengefasst wurden. Die Autoren kamen in ihrer
Analyse zu dem Schluss, dass verschiedene, zum Teil auch experimentelle EHV-1
Impfstoffe insgesamt einen nur unzureichenden Schutz vor Infektionen bieten [7]. In einer weiteren Metastudie, die 2023
veröffentlicht wurde und auf einem für die Humanmedizin entwickelten
Beurteilungsschema von präklinischen Studien basierte, welches z. B. die
Gruppengrößen, die Direktheit der Messparameter sowie den Grad der Randomisierung
und der Verblindung gewichtet, kamen die Autoren primär zu dem Schluss, dass das
niedrige Evidenzniveau der untersuchten Studien keine belastbare Aussage über die
Schutzwirkung von EHV-Impfstoffen erlaubt [10].
Die Autoren zogen nicht den Umkehrschluss, dass die Impfung unwirksam ist. Im
Gegenteil, dieselbe Autorengruppe veröffentlichte im März 2024 ein Consensus
Statement des American College of Veterinary Internal Medicine (ACVIM) zu
EHV-1. Auch dieses Consensus Statement bemängelt die insgesamt unzureichende
Datenlage. Die Impfung gegen EHV-1 wird darin für entsprechende Risikopopulationen
aber nach wie vor für indiziert gehalten [11].
Insgesamt waren diese Veröffentlichungen Anlass, die verfügbare Literatur noch einmal
systematisch zu sichten. Dabei ist sich die StIKo Vet der Tatsache bewusst, dass
EHV-Infektionsstudien an Pferden aus ethischen, experimentellen und ökonomischen
Gesichtspunkten eine enorme Herausforderung darstellen. Es werden daher auch in
absehbarer Zukunft keine Studien durchgeführt werden, die in ihrer statistischen
Robustheit den stringenten Bewertungskriterien evidenzbasierter Medizin genügen
können. Aus diesem Grund wurden für die hier vorgelegte Stellungnahme die in den
jeweiligen Studien beschriebenen Primärdaten direkt reanalysiert. Auf eine
Gewichtung der Daten, so wie es z. B. im GRADE Ansatz gehandhabt wird [12], wurde daher verzichtet. Neben experimentellen
Infektionsstudien nach Impfung wurde besonderes Augenmerk auf Risikofaktoren gelegt,
die mit der neurologischen Ausprägung einer EHV-1 Infektion in Verbindung
stehen.
Informationen zum Erreger und zur Pathogenese einer
Herpesvirus-Myeloenzephalopathie
Informationen zum Erreger und zur Pathogenese einer
Herpesvirus-Myeloenzephalopathie
Insgesamt werden beim Pferd neun unterschiedliche Herpesviren unterschieden, die
ihrerseits verschiedenen Genera zuzuordnen sind. Der wichtigste Vertreter ist EHV-1,
der Erreger der Equinen-Herpesvirus-Myeloenzephalopathie (EHM) sowie des
seuchenhaften Stutenaborts. Die respiratorische Form der Equinen Rhinopneumonitis
kann auch von einem eng verwandten Virus, EHV-4, ausgelöst werden. Diese beiden
Erreger sind serologisch einheitlich. Sie induzieren nach überstandener Infektion
eine Kreuzimmunität, die aber nur wenige Wochen bis Monate anhält und keinen
belastbaren Schutz vermittelt. Die Infektion erfolgt durch direkten Kontakt oder
hohe Viruslasten in einem gemeinsam genutzten Luftraum. Die aerogene Übertragung
über größere Distanzen spielt eine untergeordnete Rolle. Nach einer initialen
Virämie kommt es zur Ausbildung einer latenten Infektion im Trigeminalganglion.
Einmal infizierte Pferde bleiben somit lebenslang Virusträger. Wie auch bei Herpes
simplex Infektionen des Menschen stehen protektive Immunmechanismen in einem
fragilen Gleichgewicht mit der Tendenz des Virus zu reaktivieren. Stressfaktoren,
wie sie gerade bei Leistungsprüfungen häufig auftreten, z. B. Transporte, sozialer
Stress, physische Anstrengungen etc., können dieses Gleichgewicht zugunsten einer
Reaktivierung der Viren verschieben. Ebenso erhöht sich in solchen Situationen die
Empfänglichkeit gegenüber Neu- bzw. Superinfektionen [13].
Obwohl sie antigenetisch einheitlich sind, zeigen verschiedene EHV-1 Stämme deutliche
Unterschiede hinsichtlich ihrer Pathogenität. Ein mögliches Unterscheidungsmerkmal
ist eine Punktmutation in der viralen DNA-Polymerase: Es gibt Hinweise, dass Stämme,
die mit Abortgeschehen in Verbindung stehen, an Position 752 eher die Aminosäure
Asparagin (N) tragen, während Stämme, die neurologische Verlaufsformen verursachen,
eher ein Aspartat (D) an dieser Position aufweisen. Sehr strikt ist diese
Unterscheidung allerdings nicht. So gibt es N-Stämme, die auch neurologische
Symptomatiken auslösen können. In einem umfassenden Übersichtsartikel von Hussey und
Giessler wurden zentrale Aspekte der Pathogenese der EHM, der neurologischen
Verlaufsform, zusammengefasst [14]: In
in-vitro Studien wurden Hinweise darauf gewonnen, dass die neurotropen
Stämme schneller die respiratorische Schleimhautbarriere überwinden und eher in der
Lage sind, eine Lymphozyten-assoziierte Virämie zu etablieren [15]
[16].
Zellassoziiert gelangen die Viren mit dem Blutstrom z. B. in das zentrale
Nervensystem. Nach Adhäsion infizierter Zellen an Endothelzellen kommt es zur
Virusreplikation und zu lokalen Entzündungsreaktionen. Im Zuge der daraus
resultierenden Vaskulitiden und Mikrothromben kommt es zu ischämischen
Gewebsläsionen, die je nach Lokalisation ihrerseits klinische Erscheinungen
hervorrufen. So verursachen Läsionen in der grauen Substanz des Rückenmarks die
typischen Hinterhandparesen [17]
[18]
[19].
Prädisponierend für die Entstehung einer EHM sind alle Faktoren, die zu einer hohen
Viruslast am sekundären Infektionsort beitragen. Entscheidend für die Eindämmung des
Virus ist ein zeitlich ausbalanciertes Interferon- und Zytokinnetzwerk. Während eine
verzögerte Typ-1 Interferonantwort mit einer verzögerten Kontrolle der
Virusreplikation und damit höheren Viruslasten im Blut einhergeht, ist ein
Ungleichgewicht zugunsten proinflammatorischer Zytokine im zentralen Nervensystem
zu
einem späteren Zeitpunkt ebenfalls Ausdruck einer mangelnder Viruskontrolle und geht
mit Immunpathologie einher [20]
[21]. Mucosale, neutralisierende Antikörper spielen
während der initialen Infektionsphase eine wichtige Rolle. Sobald allerdings das
Virus in den Organismus eingedrungen ist, und eine zell-assoziierte Virämie
etabliert hat, sind sie von untergeordneter Bedeutung. Dagegen ist die Anzahl
zytotoxischer T Zellen (ZTLs), die EHV-infizierte Zellen erkennen und abtöten
können, negativ mit dem Entstehen einer EHM assoziiert und gilt damit als Korrelat
eines Immunschutzes gegen EHM [22]
[23]
[24]. EHV
moduliert die Expression von Adhäsionsmolekülen auf infizierten, mononukleären
Zellen [25]
[26].
Umgekehrt können hormonell- oder auch zytokin-bedingte Unterschiede in der
Expression von Adhäsionsmolekülen auf Endothelzellen im Rückenmark das Anheften
infizierter Monozyten und damit das Risiko der Entstehung einer EHM beeinflussen
[27]
[28].
Zugelassene Impfstoffe gegen EHV
Zugelassene Impfstoffe gegen EHV
Erste Versuche, einen Impfstoff gegen EHV-1 zu entwickeln, basierten auf der
Serien-Passage eines Isolats aus einem abortierten Fetus in Hamstern [29]. Bis in die 70er Jahre wurde dieses
hamster-adaptierte Isolat in einzelnen Bundesstaaten der USA in großem Umfang zur
Abortprophylaxe eingesetzt. Da es eine erhebliche Restvirulenz aufwies, musste
streng darauf geachtet werden, die Stuten das erste Mal in einem frühen Stadium der
Trächtigkeit bis zu drei Monaten und anschließend noch einmal im siebten Monat zu
impfen [30]. Zudem durften ungeimpfte Stuten nicht
in geimpfte Herden zugesellt werden, da immer die Gefahr der Zirkulation des
Impfvirus bestand [31]. Es wurde daher parallel in
den USA und in Deutschland damit begonnen, Lebendimpfstämme durch Passagierung des
hamster-adaptierten Virusisolates, Rac-H, in Zellkultur weiter zu attenuieren. 1968
erfolgte die Beschreibung eines auf Schweinenierenzellen attenuierten Virus [32]. Dieser Lebendimpfstoff wurde viele Jahre durch
die Behringwerke in Marburg hergestellt und von der Firma Hoechst unter dem
Markennamen Prevaccinol vertrieben. Unter diesem Markennamen wird der Impfstoff
bislang noch von der Firma MSD Intervet produziert und vermarktet. Vertreter der
Firma haben gegenüber der StIKo Vet leider angekündigt, dass die Firma plant, den
Impfstoff vom Markt zu nehmen. In den USA erfolgte parallel die Serienpassage des
ursprünglichen, hamster-adaptierten Stammes auf Pferdezelllinien. Zulassungsinhaber
des daraus entwickelten Impfstoffs Rhinomune[1]
[33] ist in den USA aktuell Boehringer Ingelheim.
Über Jahrzehnte wurde der Impfstoff zum Schutz vor Rhinopneumonitis und dem
seuchenhaften Stutenabort eingesetzt. Obwohl Publikationen aus den frühen 80er
Jahren darauf hindeuten, dass unter Verwendung unterschiedlicher EHV-Impfstoffe die
Zahl seuchenhafter Abortgeschehen deutlich zurückging, liegen keine statistisch
belastbaren Daten vor, die die Schutzwirkung von Prevaccinol gegen Stutenabort
zweifelsfrei belegen. 1971 bewarb die Hoechst AG den Impfstoff als „Schutz vor
Virusabort und Rhinopneumonitis“. Im Zuge der Neuzulassung wurde 2004 auf das
Anwendungsgebiet Stutenabort verzichtet. Die aktuelle Gebrauchsinformation von
Prevaccinol weist als spezielle Indikation „die Verringerung der Virämiehäufigkeit,
der Dauer und Höhe der Virusausscheidung, der Körpertemperaturanstiege sowie der
klinischen Symptome der Rhinopneumonitis“ aus, „wie in einem Challenge-Versuch mit
einem pathogenen EHV-1 Stamm gezeigt wurde“ [34].
Veröffentlichte Infektionsstudien für Prevaccinol liegen nicht vor. In zwei
verblindeten Infektions-Studien wurde die Wirksamkeit des Rac H-Lebendimpfstoffes
unter Verwendung des amerikanischen Impfstammes allerdings bestätigt: In der ersten
Studie wurden fünf EHV-1-naive Pferde zweimal im Abstand von 30 Tagen intramuskulär
mit dem Lebendimpfstoff immunisiert und nach weiteren 29 Tagen intranasal mit
5 x 106 PFUs des klinischen EHV-1 Isolates OHO3 infiziert. Als
Kontrolle dienten fünf Pferde, denen anstelle des Impfstoffes zweimal Placebo
appliziert wurde. Anschließend wurden die Tiere ohne Kenntnis der
Gruppenzugehörigkeit von Tierärzten klinisch untersucht sowie Proben zur Bestimmung
der Viruslast im Blut und in der Nasenschleimhaut entnommen [35]. Die zweite Studie war ähnlich aufgebaut.
Allerdings wurden die Pferde hier an Tag 0, an Tag 27 und an Tag 97 immunisiert und
nach weiteren 24 Tagen mit 5 x 107 PFU des gleichen Isolates, OHO3,
infiziert [8]. Beide Studien weisen eine
signifikant kürzere Dauer des Fiebers sowie eine geringere Dauer und Höhe der
Virusausscheidung bei den geimpften im Vergleich zu den Kontrollpferden aus. In der
zweiten Studie, in der Pferde nach der dritten Immunisierung infiziert wurden, wurde
überdies ein signifikanter Unterschied in der klinischen Beurteilung der Pferde
festgestellt.
Parallel zum hamster-adaptierten Lebendimpfstoff wurde mit der Entwicklung von
Formalin-Inaktivaten begonnen. Diese erwiesen sich zunächst als nicht immunogen und
vermittelten keinerlei Schutz [29]. Ende der
1970er Jahre kam in den USA ein mit einem Mineralöl versetztes Formalin-Inaktivat
auf den Markt, Pneumabort K. In einem dreijährigen Feldeinsatz in Kentucky wurde
eine signifikant niedrigere Abortrate in geimpften Stuten im Vergleich zu
ungeimpften Tieren festgestellt [36]. Allerdings
zeichnete sich damals bereits ab, dass ein hoher Infektionsdruck den partiellen
Schutz, der durch den Impfstoff vermittelt wird, durchbrechen kann [31]. Ein weiterer EHV-Inaktivatimpfstoff, der
zunächst von der Firma Solvay-Duphar (später Fort Dodge) entwickelt und produziert
wurde, war Duvaxyn EHV 1,4. Dieser Impfstoff, dessen Zulassung mittlerweile auf die
Firma Zoetis übergegangen ist, und der unter dem Markennahmen Equip EHV 1,4 auch in
Deutschland vermarktet wird, enthält sowohl ein inaktiviertes EHV-1-Isolat wie auch
ein EHV-4-Inaktivat sowie Carbopol als Adjuvans. Gemäß Gebrauchsinformation dient
der Impfstoff „zur aktiven Immunisierung gesunder Pferde gegen respiratorische
Erkrankungen hervorgerufen durch EHV1 und/oder EHV4 sowie zur Anwendung bei
gesunden, immunkompetenten Stuten als Maßnahme zur Verhütung eines Abortes, der
durch EHV-Infektionen ausgelöst wird“ [37]. Auch
für diesen Impfstoff liegen keine veröffentlichten Studien vor, die den Schutz vor
dem Stutenabort eindeutig belegen. In einer veröffentlichten Studie wurde der
Impfstoff aber in drei Versuchsdurchgängen im Infektionsversuch getestet [9]: Zunächst wurden zwei Gruppen von jeweils 10
Fohlen geimpft und anschließend entweder mit 105 PFUs eines EHV-1- oder
mit 106 PFUs eines EHV-4-Feldstammes infiziert. Jeweils 5 ungeimpfte
Fohlen dienten als Kontrollgruppen. Zwei Wochen nach der zweiten Immunisierung
wurden die Fohlen mit einem aus einem abortierten Fetus isolierten EHV-1 Stamm, bzw.
mit einem EHV-4 Stamm infiziert. Obwohl auch die geimpften Tiere klinisch
erkrankten, wurden mittels zweifaktorieller Varianzanalyse signifikante Unterschiede
in den Fieberkurven zwischen geimpften und ungeimpften Tieren beobachtet. Die
Verläufe waren bei geimpften Tieren insgesamt milder: Der Vergleich der klinischen
Scores ergab eine klare Tendenz, die im Fall der EHV-1-Infektion aber knapp das
Signifikanzniveau verfehlte. Nach EHV-1 Infektion unterschied sich die Dauer der
Virämie sowie die Dauer und Höhe der Virusausscheidung signifikant zwischen
geimpften und ungeimpften Tieren. Im Mittelwert schieden geimpfte Fohlen das Virus
ca. 5 Tage aus, während ungeimpfte Pferde das Virus 10 Tage ausschieden. Nach EHV-4
Infektion zeigte sich in der Höhe der Virusausscheidung ebenfalls ein signifikanter
Unterschied, während die Dauer der Ausscheidung bei beiden Gruppen in etwa gleich
war.
In einem dritten Versuchsdurchgang wurden fünf tragende Stuten jeweils im fünften,
siebten und neunten Monat der Trächtigkeit geimpft. Zusammen mit vier ungeimpften,
tragenden Kontrollstuten wurden sie vier Wochen nach der letzten Impfung mit
106 PFU des virulenten, neuropathogenen EHV-1 Stammes Ab4 infiziert.
Alle neun Stuten erkrankten. Der klinische Verlauf der Infektion war bei den
geimpften Stuten aber milder als bei den ungeimpften Stuten. Eine ungeimpfte Stute
entwickelte eine leichte, transiente Ataxie in der Hinterhand. Wieder schieden die
geimpften Stuten kürzer und weniger Virus aus als die ungeimpften Stuten. Alle
ungeimpften Stuten verfohlten, während nur eine der fünf geimpften Stuten
abortierte. Die anderen vier brachten gesunde Fohlen zur Welt [9]. Von denselben Autoren wurde anschließend eine
Folgestudie veröffentlicht, in der die Dauer der Immunität nach EHV-1,4
Immunisierung im EHV-4-Infektionsversuch untersucht wurde. Sechs Monate nach der
dritten Impfung zeigten dreifach immunisierte Tiere einen deutlich reduzierten
klinischen Score, weniger Fieber und eine kürzere sowie niedrigere Virusausscheidung
im Vergleich zu den ungeimpften Kontrollen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen,
dass der Challenge in diesem Fall ausschließlich mit einem EHV-4 Isolat durchgeführt
wurde [38].
Neben Prevaccinol und Equip EHV 1,4 ist in Deutschland ein dritter EHV-1-Impfstoff
zugelassen. Es handelt sich dabei um EquiShield EHV. Das Produkt wird von der Firma
Bioveta hergestellt, die für dasselbe Produkt über eine Zulassung unter dem
Markennamen BioEquin H verfügt. Der Impfstoff enthält inaktiviertes EHV-1 und ist
mit dem ölhaltigen Adjuvans, Montanide ISA 35 VG, versetzt. Laut
Gebrauchsinformation dient der Impfstoff „zur aktiven Immunisierung von Pferden zur
Verminderung klinischer Symptome und zur Reduzierung der Virusausscheidung bei durch
das Equine Herpesvirus Typ 1 (EHV-1) verursachten respiratorischen Infektionen“
sowie „zur aktiven Immunisierung trächtiger Stuten, um das Auftreten von Aborten zu
reduzieren, die durch EHV-1-Infektionen ausgelöst werden“ [39]. Veröffentlichte Studien liegen für diesen
Impfstoff nicht vor. Aufgrund der relativ potenten Adjuvantierung ist aber davon
auszugehen, dass die Schutzwirkung mindestens derjenigen der anderen Impfstoffe
entspricht. Ohnehin wurden für alle Impfstoffe im Rahmen der Zulassung
experimentelle Studien vorgelegt, die den Vorgaben der entsprechenden Monographie
der Europäischen Pharmakopöe genügen müssen. So müssen beispielsweise, um den
Impfschutz vor EHV-bedingten, respiratorischen Symptomen durch einen
Inaktivatimpfstoff zu belegen, mindestens zehn Pferde in die Studie aufgenommen
werden: Davon müssen mindestens sechs immunisiert werden und mindestens vier als
Kontrollen ungeimpft verbleiben. Ein Impfschutz gilt als belegt, wenn die geimpften
Tiere nach experimenteller Infektion allenfalls milde, und deutlich geringere
Symptome zeigen als die Kontrolltiere. Überdies muss die Dauer und der Titer der
Virusausscheidung bei den geimpften signifikant niedriger sein als bei den
Kontrolltieren [40]. Die Zulassungsstudien sind
nicht öffentlich zugänglich, liegen aber dem Paul-Ehrlich-Institut vor und wurden
dort beurteilt. Die Ergebnisse der Studien finden ihren Niederschlag in den
Gebrauchsinformationen. Dort sind nur Sachverhalte aufgeführt, die auch entsprechend
belegt wurden. Bei keinem der drei Impfstoffe ist in der Gebrauchsinformation der
Schutz vor der EHM, der neurologischen Verlaufsform, erwähnt. Dass die Impfung
möglicherweise trotzdem einen gewissen Schutz vermittelt, lässt sich aus einer der
beiden Studien erkennen, in denen der Lebendimpfstamm Rac-H getestet wurde. Für die
Infektion wurde in dieser Studie ein neurotroper EHV-1-Stamm verwendet. Nach der
Infektion entwickelten von den fünf Kontrolltieren drei neurologische Symptome. Die
mit dem Lebendimpfstoff immunisierten Pferde entwickelten keinerlei neurologische
Ausfälle [35]. Für die Ausprägung der
neurologischen Krankheitsform ist die Virämie ausschlaggebend. Im Umkehrschluss
lässt sich folgern, dass jeder Impfstoff, der zu einer reduzierten Virämie beiträgt,
das Potential hat, das Risiko einer EHM zu reduzieren.
Untersuchungen zur Risikoabschätzung schwerer Verläufe nach EHV-Infektion
Untersuchungen zur Risikoabschätzung schwerer Verläufe nach EHV-Infektion
Herpesviren haben evolutionär zahlreiche Immunevasionsmechanismen entwickelt, um
virusspezifische Immunantworten zu umgehen [41].
Trotz latenter Infektion kann es zu Superinfektionen und bei entsprechenden
prädisponierenden Faktoren zum Ausbruch klinischer Symptome kommen. Wie auch aus den
beschriebenen Infektionsversuchen eindeutig hervorgeht, kann nach einer Impfung
gegen EHV-1 daher kein absoluter Schutz vor einer Infektion erwartet werden.
Ausbruchsuntersuchungen zeigen, dass auch geimpfte Pferde zum Teil an schweren,
neurologischen Symptomen erkranken können. Dies war auch bei dem Valencia-Ausbruch
der Fall. Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage gestellt, ob die
Impfung gegen EHV-1 möglicherweise sogar einen Risikofaktor für schwere klinische
Verläufe der Infektion darstellt. Im Folgenden sollen einige dieser Ausbruchsstudien
kurz beschrieben und diskutiert werden:
Die wesentlichen Risikofaktoren für die Entwicklung einer EHM werden hier am Beispiel
einer experimentellen Infektionsstudie rekapituliert. Drei Gruppen von je 12 Pferden
– eine Gruppe aus jungen Stuten (<15 Jahre), zwei Gruppen ältere Stuten (>20
Jahre) - wurden entweder mit einem Abortstamm (12 alte Pferde) oder mit einem
neurotropen Infektionsstamm (12 junge, 12 alte Pferde) infiziert. Neben klinischen
Symptomen wurden auch verschiedene Laborparameter erhoben. Neurologische Symptome
entwickelten ausschließlich Pferde, die mit dem neurotropen Virus infiziert worden
waren, und vornehmlich ältere Stuten [22]. Für die
vorliegende Stellungnahme wurde das Quotenverhältnis, d. h. die Odds Ratio, eine EHM
zu entwickeln, anhand der veröffentlichten Daten für die unterschiedlichen
Risikofaktoren berechnet. Nach dieser experimentellen Studie sind die wesentlichen
Risikofaktoren für die EHM das Fehlen EHV-1-spezifischer, zytotoxischer T
Zellantworten, das Alter der Tiere und der Neurotropismus des infizierenden Virus.
Eine untergeordnete Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Vorhandensein
neutralisierender Serumantikörper (siehe [Abb.
1]).
Abb. 1 Das Risiko, eine neurologische Verlaufsform nach
experimenteller EHV-1-Infektion zu entwickeln, wurde anhand veröffentlichter
Daten [22] für verschiedene Risikofaktoren
berechnet2. Die Signifikanzabschätzung der errechneten Odds
Ratio erfolgte mittels Fisher’s exact test.
2011 kam es in den Vereinigten Staaten bei einem Turnier der National Cutting Horse
Association in Ogden, UT, zu einem Ausbruch eines neurotropen EHV-1-Stammes.
Infizierte abreisende Pferde verursachten zahlreiche Folgeausbrüche. In
Zusammenarbeit mit dem Veterinary Service des US Department of Agriculture wurde der
Ausbruch, der mehrere Bundesstaaten und Teile Westkanadas umfasste, epidemiologisch
aufgearbeitet. Eine Analyse der unmittelbar betroffenen Pferde wurde von
Traub-Dargatz et al. 2013 veröffentlicht [42].
Obwohl die Studie im Wesentlichen auf einer Befragung der Besitzer beruhte, und die
Impfanamnese bei einem unbekannten Anteil der Pferde nicht zweifelsfrei
nachvollzogen werden konnte, wurden die wesentlichen Daten für die vorliegende
Stellungnahme extrahiert und graphisch dargestellt (siehe [Abb. 2]).
Abb. 2 Das Risiko, eine neurologische Verlaufsform zu entwickeln,
wurde anhand veröffentlichter Daten eines EHV-1 Ausbruchs in den USA [42] für verschiedene Risikofaktoren
berechnet. Die Gesamtzahl der betroffenen Pferde betrug 123. Die Anzahl der
Pferde, die einen bestimmten Risikofaktor ausgesetzt waren, ist jeweils mit
N angegeben. Für die Berechnung der Odds Ratio wurden Pferde, die eine EHM
entwickelten, der Gruppe der EHV-1-Infizierten ohne neurologische Symptome
und der ohne Anzeichen einer EHV-1-Infektion gegenübergestellt. Die
Signifikanzabschätzung erfolgte mittels Fisher’s exact test.
123 Pferde, die bei dem Turnier anwesend waren, wurden in die Studie aufgenommen.
19
Pferde erkrankten an einer EHM, 14 Pferde entwickelten anderweitige Symptome einer
EHV-1-Infektion und 90 Pferde zeigten keine Anzeichen einer Infektion. Wie in [Abb. 2a] dargestellt, waren Pferde, die auf dem
Turniergelände in einem Stall und nicht auf offenen Koppeln untergebracht waren,
einem signifikant höheren Risiko ausgesetzt, eine EHM zu entwickeln. Der
Zusammenhang mit der höheren Virusexposition ist ersichtlich. Im Gegensatz zu der
oben beschrieben Prädisposition älterer Pferde war die Wahrscheinlichkeit für die
Entstehung einer EHM bei dem Ausbruch in Ogden bei Pferden unter fünf Jahren
signifikant erhöht. Da nur sechs Tiere in der Gruppe der unter Fünfjährigen waren,
mag dieser Befund aber dem Zufall geschuldet sein. Ein signifikant erhöhtes Risiko
wurde für Stuten beschrieben. Hierbei kann die hormonelle Beeinflussung der
Expression von Adhäsionsmolekülen in Blutgefäßen des Zentralen Nervensystems eine
Rolle spielen. Eine zentrale Beobachtung, die sich aus der Auswertung des Ogden
Ausbruchs ergab, war die Feststellung, dass von den 19 Pferden, die eine EHM
entwickelten, laut Besitzerangabe 15 gegen EHV-1 geimpft waren. Von den 104 Pferden,
die keine EHM entwickelten, waren 70 Pferde im Jahr vor dem Ausbruch gegen EHV-1
geimpft worden. Diese Beobachtung zeigt nicht nur, dass die Impfung bei einem
entsprechenden Infektionsdruck nicht sicher vor der Infektion und vor einer EHM
schützt. Die Odds Ratio, eine EHM zu entwickeln, war sogar etwas größer als 1
(OR=1,17). Bei der Gesamtbetrachtung aller geimpfter Pferde erreichte dieser Wert
aber keine Signifikanz. Signifikant erhöht war die Odds Ratio dagegen, wenn nur
Pferde betrachtet werden, die in einem Zeitraum von weniger als 30 Tagen (und mehr
als 5 Tage) vor dem Turnier geimpft wurden (siehe [Abb.
2b]).
Ähnliche Beobachtungen wurden nach dem Valencia-Ausbruch gemacht. Ursprünglich waren
752 Pferde an dem Turnier beteiligt. Die meisten Reiter verließen nach Bekanntwerden
der ersten EHV-Fälle mit ihren Pferden das Turniergelände. Als das Gelände von den
Veterinärbehörden gesperrt wurde, befanden sich noch 160 Pferde vor Ort. Für eine
retrospektive Auswertung, die 2023 im Journal of Equine Veterinary Science
veröffentlicht wurde, konnten letztlich nur 60 Pferde ausgewertet werden [43]. Davon zeigten 20 eine EHM, 30 zeigten
nicht-neurologische Zeichen einer EHV-Infektion und 10 Pferde zeigten keine
klinischen Anzeichen. Von den Pferden, die an einer EHM erkrankten, waren in dieser
Teilpopulation 15 gegen EHV geimpft, fünf waren ungeimpft. Von den Pferden, die zwar
klinische Erscheinungen aber keine EHM entwickelten, waren 17 geimpft und 13
ungeimpft. Daraus ergibt sich eine erhöhte Odds Ratio für geimpfte Pferde, eine EHM
zu entwickeln. Gleichzeitig waren von den 20 Pferden, die eine EHM entwickelten, 14
im Inneren eines der die Infektion begünstigenden Stallzelte untergebracht, sechs
Tiere standen am Rand des Zeltes oder außerhalb. Bei den Pferden mit klinischen
Anzeichen, die keine EHM entwickelten, standen 17 im Inneren und 13 außerhalb.
Daraus ergibt sich ebenfalls eine erhöhte Odds Ratio zuungunsten der aufgestallten
Pferde. Ob es sich um dieselben Pferde handelt und welcher Faktor den größeren
Einfluss auf die Entstehung der EHM hatte, lässt sich aus den verfügbaren Daten
nicht ableiten. Ähnliche Veränderungen ergeben sich, wenn weitere Risiko Faktoren,
wie z. B. Alter oder Geschlecht, betrachtet werden. Keiner der Werte erreicht
Signifikanz.
In einer weiteren EHM-Ausbruchsuntersuchung beschreiben Henninger et al. den Ausbruch
eines hochvirulenten, neuropathogenen EHV-1-Stammes in einem großen Reitbetrieb
[44]. Von 135 Pferden erkrankten 117. 46
entwickelten Anzeichen einer EHM, zwölf Pferde mussten euthanasiert werden. In
Übereinstimmung mit der Beobachtung von Allen [22]
und im Gegensatz zu der Analyse von Traub-Dargatz et al. [42] war in diesem Fall das Risiko, eine EHM zu
entwickeln, bei Pferden unter fünf Jahren signifikant geringer als bei älteren
Pferden. Fast alle Pferde waren in dem Jahr vor dem Ausbruch z.T. mehrfach -und
mehrheitlich mit einem Inaktivatimpfstoff- gegen EHV immunisiert worden. Hierbei ist
zu bedenken, dass in den USA Kombinationsimpfstoffe zugelassen sind, die unter
vielen anderen auch EHV-Komponenten beinhalten. Die Verwendung dieser
Kombinationsimpfstoffe erschwert es, retrospektiv die genaue Impfanamnese
festzustellen und vor allem auch zu klären, ob das jeweilige Pferd zum Zeitpunkt des
Ausbruchs über einen Impfschutz gegen EHV verfügte. Unabhängig von dieser Frage
waren im hier untersuchten Ausbruch geimpfte Pferde ganz offensichtlich nicht vor
der Infektion und vor schweren klinischen Erscheinungen geschützt. Eine
vergleichende Risikoabschätzung zwischen geimpften und ungeimpften Pferden ist hier
nicht möglich. Es kann also keine Aussage darüber getroffen werden, wie der Ausbruch
verlaufen wäre, wenn ein größerer Anteil an Pferden nicht geimpft gewesen wäre. In
[Abb. 3] wurden die Daten dieses Ausbruchs
für die vorliegende Stellungnahme extrahiert und graphisch dargestellt. Die erhöhte
Odds Ratio bei mehrfach immunisierten Pferden war nicht signifikant.
Abb. 3 EHM-Fallzahlen bei einem EHV-Ausbruch in einem Reitbetrieb
wurden hinsichtlich der Altersverteilung und der Impfhäufigkeit im
vorausgegangenen Jahr untersucht [44]. Die
Gesamtzahl der betroffenen Pferde betrug 135. Die Anzahl der Pferde, die
einem bestimmten Risikofaktor ausgesetzt waren, ist jeweils mit N angegeben.
Für die Berechnung der Odds Ratio wurden Pferde, die eine EHM entwickelten,
der Gruppe der EHV-1-Infizierten ohne neurologische Symptome und der ohne
Anzeichen einer EHV-1-Infektion gegenübergestellt. Die
Signifikanzabschätzung erfolgte mittels Fisher’s exact test.
Interessant ist an dieser Studie die Betrachtung der Impfhäufigkeit: Pferde, die
innerhalb des vorausgegangenen Jahres mehr als zweimal gegen EHV geimpft worden
waren, waren einem höheren Risiko ausgesetzt als Pferde die zwei- oder einmal
geimpft worden waren. Die Odds Ratio beträgt 2,21. Sie erreicht allerdings keine
Signifikanz. Als mögliche, kausale Erklärung für diese Tendenz können Beobachtungen
einer Studie dienen, bei der Pferde innerhalb von acht Monaten fünfmal mit einem
EHV-1-Impfstoff immunisiert wurden. Durch die frequenten Wiederholungsimpfungen kam
es bei diesen Pferden nicht zu einem proportionalen Antikörperanstieg. Im Gegenteil,
bei kurzen Impfintervallen kam es sogar zu einem Titerabfall [45]. Auch von Impfungen gegen Equine Influenza ist
bekannt, dass Wiederholungsimpfungen im Abstand von weniger als 6 Monaten nicht zu
einer optimalen Titerentwicklung beitragen [46].
Eine Verkürzung der Impfintervalle unter die empfohlenen Abstände stört daher
möglicherweise die Ausprägung einer optimalen, wirksamen Immunantwort.
Obwohl in der Gesamtschau in beiden Fallstudien kein signifikant erhöhtes Risiko bei
geimpften Pferden festgestellt wird, wurde aufgrund dieser Studien immer wieder
postuliert, dass die EHV-Impfung möglicherweise einen Risikofaktor für die
Ausprägung einer EHM darstellt. Zu einem gänzlich anderen Schluss kam hingegen eine
Gruppe von Autoren, deren Analyse sich nicht auf einen isolierten EHV-Ausbruch
konzentrierte, sondern insgesamt dreizehn Ausbruchsbetriebe in verschiedenen
europäischen Ländern umfasste [47]. Als allgemeine
Risikofaktoren wurde auch in dieser Studie ein zunehmendes Alter, das Geschlecht
(weiblich) und Fieber identifiziert. Darüber hinaus stellten die Autoren gewisse
Rassedispositionen fest. In der Studie wurde auch der Zusammenhang zwischen Impfung
und EHM untersucht: Die Studie umfasste insgesamt 772 Pferde. Davon waren 77 Pferde
gemäß Herstellerinformationen gegen EHV-1 geimpft. Während von den ungeimpften
Pferden 148 eine EHM entwickelten, war dies nur bei 14 geimpften Fall. Daraus ergibt
sich für geimpfte Pferde ein leicht reduziertes Risiko (OR=0,82). Einem deutlich
reduzierten Risiko, eine EHM zu entwickeln, waren in dieser Studie dagegen Pferde
ausgesetzt, die in einem „Impfbetrieb“ standen: Die Impfrate in den dreizehn
untersuchten Betrieben lag im Mittelwert bei 11%. In zwei Betrieben lag die
Impfabdeckung dagegen bei 41 bzw. 54%. In diesen beiden Betrieben standen insgesamt
133 Pferde, bei 17 kam es zu einer EHM. Vergleicht man die Situation in den beiden
„Impfbeständen“ mit der der übrigen elf Bestände, so war das Risiko eine EHM zu
entwickeln, signifikant etwa um die Hälfte reduziert (OR=0,49, p<0,01; siehe
[Abb. 4]).
Abb. 4 EHM-Fallzahlen aus insgesamt dreizehn Ausbruchsbeständen wurden
hinsichtlich des Impfstatus der betroffenen Pferde untersucht [47]. Die Odds Ratio, an neurologischen
Symptomen zu erkranken, wurde für alle dreizehn Betriebe bezogen auf das
geimpfte Einzeltier berechnet (Linker Balken). Anschließend wurde die Odds
Ratio an neurologischen Symptomen zu erkranken in Bezug auf den Status des
Betriebes (Impfquote>40%) errechnet (weißer, rechter Balken). Die
Signifikanzabschätzung erfolgte mittels Fisher’s exact test.
Die Aussagekraft solcher ex-post Analysen ist generell mit einer gewissen
Unsicherheit behaftet. Auch handelt es sich nur um zwei Impfbetriebe. Es ist daher
durchaus möglich, dass auch andere Faktoren, wie z. B. Virulenz des
Ausbruchsstammes, Betriebsstruktur etc. zu dem verminderten Risiko beigetragen
haben. Die hier gemachte Beobachtung widerspricht aber zumindest nicht der
Wahrnehmung, dass der Erfolg der EHV-1-Impfung am ehesten durch eine breite
Impfabdeckung erreicht wird.
Schlussfolgerungen
Nach dem schweren EHV-1-Ausbruch in Valencia mit etlichen Folgeausbrüchen in
verschiedenen, europäischen Ländern stieg die Nachfrage nach Impfungen gegen EHV-1
sprunghaft an. Die anfänglich sehr hohe Bereitschaft, die Pferde gegen EHV impfen
zu
lassen, ist mittlerweile wieder verflogen. Stattdessen wird, z.T. auch in
deutschsprachigen, veterinärmedizinischen Fachjournalen die Wirksamkeit und
Verträglichkeit der EHV-Impfung grundsätzlich in Zweifel gezogen. Die Diskussion
wurde zusätzlich durch Metastudien angefacht, die systematisch veröffentlichte
EHV-1-Impf- und Infektionsstudien nachuntersuchten. Die Metastudien basierten auf
für die Humanmedizin entwickelten Beurteilungsschemata von präklinischen Studien und
konstatierten insgesamt ein niedriges Evidenzniveau der veröffentlichten
EHV-Impfstudien. D.h. diese Metastudien kamen zu dem Schluss, dass die
veröffentlichten Daten nicht ausreichen, um die Wirksamkeit der EHV-Impfstoffe
zweifelsfrei zu belegen. Der Umkehrschluss, dass die Impfstoffe unwirksam sind,
lässt sich daraus nicht ableiten! Die Bewertungskriterien sind für präklinische
Studien in der Humanmedizin entwickelt worden und gewichten die Validität eines
Experiments anhand von Kriterien wie z. B. der Gruppengrößen, der Direktheit der
Messparameter sowie des Grades der Randomisierung und Verblindung. Obwohl es
grundsätzlich wünschenswert wäre, wenn auch Studien in der Veterinärmedizin solchen
Kriterien genügen würden, ist nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zukunft
entsprechende EHV-Infektionsversuche an Pferden durchgeführt werden. Die StIKo Vet
hat sich daher im Rahmen einer eigenen Sichtung davon überzeugt, dass die hier
untersuchten Studien, die in namhaften Journalen erschienen sind, von den
beteiligten Wissenschaftlern gewissenhaft durchgeführt und nach den Regeln guten
wissenschaftlichen Publizierens veröffentlicht wurden. Auf eine Bewertung anhand des
GRADE Schemas oder vergleichbarer Ansätze [12]
wurde bewusst verzichtet.
Leider existieren keine veröffentlichten Studien zu exakt denselben Impfstoffen, die
derzeit in Deutschland auf dem Markt erhältlich sind. Es stehen lediglich Daten zur
Verfügung, die den verwandten US-amerikanischen Lebendimpfstoff, bzw. ein
Vorgängerprodukt des in Deutschland am häufigsten eingesetzten Inaktivatimpfstoffes
beschreiben. In diesen Studien ergibt sich für beide Impfstoffe über alle gemessenen
Parameter, das sind Grad der klinischen Erscheinungen, Dauer des Fiebers, Dauer der
Virämie sowie Höhe und Dauer der Virusausscheidung, ein sehr deutlicher Unterschied
zwischen ungeimpften und geimpften Tieren. Auch wenn das geimpfte Einzeltier nicht
absolut vor Infektion und klinischen Symptomen geschützt ist, ist die Impfung sehr
wohl in der Lage, die Schwere der Erkrankung und vor allem die Dauer und Höhe der
Virusausscheidung zu reduzieren. Die frühen epidemiologischen Hinweise auf den
Rückgang von Abortgeschehen mit Einführung der Impfung und der Hinweis auf den
Herdenschutz, der in der dritten, hier beschriebenen Ausbruchsstudie vor allem in
Impfbeständen beobachtet wurde, untermauern Empfehlungen, wonach durch die
konsequente Impfung ganzer Bestände die Viruslast reduziert wird und so
Infektionsketten unterbrochen werden können.
Immer wieder wurde die Vermutung geäußert, dass die Impfung gegen EHV nicht schützt,
sondern im Gegenteil eher einen Risikofaktor bei der Entstehung schwerer,
neurologischer Verlaufsformen darstellt [48]. Im
Jahr 2023 hat die StIKo Vet in einer Stellungnahme die Anzahl von Impfnebenwirkungen
beim Pferd anhand der vom Paul-Ehrlich-Institut veröffentlichten
Pharmakovigilanzdaten untersucht [49]. Diese
veröffentlichten Zahlen geben keinen Anlass, die Verträglichkeit der EHV-Impfung in
Zweifel zu ziehen. Auch die in der vorliegenden Stellungnahme dargestellten
Ausbruchsuntersuchungen liefern keinen gesicherten Hinweis darauf, dass EHV-geimpfte
Pferde einem gesteigertem EHM-Risiko ausgesetzt sind. Allenfalls lässt sich
feststellen, dass eine zu häufige Impfung (d. h. kürzere Impfintervalle als die
empfohlenen 6 Monate) mit einer gewissen Häufung von neurologischen Verläufen
einhergeht. Stattdessen deuten die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung mit
insgesamt 772 Pferden daraufhin, dass sowohl das geimpfte Einzeltier, vor allem aber
Pferde, die in einem Impfbetrieb mit einer Impfabdeckung von über 50% stehen, einem
verringerten Risiko ausgesetzt sind.
Die StIKo Vet hält daher an ihrer Sichtweise fest, dass die möglichst
flächendeckende Impfung gegen EHV eine zentrale Komponente in der Prophylaxe der
Erkrankung darstellt. Gerade Pferde, die im Rahmen von
Pferdesportveranstaltungen, in stark frequentierten Reitbetrieben oder im Rahmen
der Zucht einem hohen Expositions- und Erkrankungsrisiko ausgesetzt sind, sollen
zu jeder Zeit über einen ausreichenden Impfschutz gegen EHV verfügen.
Gleichwohl ist klar, dass es bei einer hohen Viruslast und zusätzlichen,
prädisponierenden Faktoren trotz Impfung zum Ausbruch der Erkrankung kommen kann.
Neben der Impfung dürfen daher andere Maßnahmen der Seuchenprävention nicht außer
Acht gelassen werden. Dazu gehören eine transparente Ausbruchskommunikation,
allgemeine Hygienemaßnahmen, die Vermeidung gemeinsamer Aufstallung in nicht
ausreichend belüfteten Innenräumen, insbesondere bei Veranstaltungen mit Pferden,
soweit möglich die Separierung von Tieren aus verschiedenen Beständen und v. a. die
Absonderung bereits erkrankter oder besonders infektionsgefährdeter Pferde.
Inwieweit antigenetische Unterschiede zwischen den z.T. vor über sechzig Jahren
etablierten Impfstämmen und heute zirkulierenden Feldisolaten die Wirksamkeit der
Impfung beeinträchtigen, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es gibt eine Reihe
weiterer Ansätze zur Entwicklung neuer, besserer EHV-Impfstoffe [50]
[51]
[52]
[53]
[54]. Aus Sicht der StIKo Vet wäre es sehr
wünschenswert, wenn vielversprechende Ansätze weiterentwickelt, zur Zulassung
geführt und zuverlässige Marktverfügbarkeit erlangen würden.
Die Stellungnahme wurde vom Arbeitskreis Pferde der StIKo Vet erstellt. Dem
Arbeitskreis gehören an:
Prof. Dr. K. Feige; TiHo Hannover
Prof. Dr. K. Lohmann; Universität Leipzig
Dr. M. Köhler; prakt. Tierarzt, Wusterhausen
Dr. S. Mueller; Tiergesundheitsdienst Baden-Württemberg
Prof. Dr. U. Truyen; Universität Leipzig
PD Dr. M. Venner; prakt. Tierärztin, Destedt
Prof. Dr. A. Volz; TiHo Hannover
Dr. P. Witzmann; prakt. Tierarzt, Leinfelden-Echterdingen
Über den QR-Code kommen Sie direkt zum Artikel:
Hinweis
Dieser Artikel wurde gemäß des Erratums vom 26.03.2025
geändert.
Erratum
Für den oben genannten Artikel wurde die DOI korrigiert. Die
richtige DOI für diesen Artikel lautet:
DOI: 10.1055/a-2518-1976
Die Korrektur wurde in der Onlineversion des Artikels
ausgeführt am: 26.03.2025.