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DOI: 10.1055/a-2509-2864
Lumbale Bewegungskontrolle bei unspezifischen chronischen Rückenschmerzen: Auswertung einer richtungsspezifischen Testbatterie mit Hilfe der Item-Response-Theorie
Lumbar Movement Control in Non-Specific Chronic Low Back Pain: Evaluation of a Direction-Specific Battery of Tests using Item Response Theory
Zusammenfassung
Fragestellung
Das Ziel dieser Studie war, die Dimensionalität und psychometrischen Eigenschaften einer Batterie lumbaler Bewegungskontrolltests mit Hilfe der Item Response Theory zu bewerten. Die Studie hatte hierzu 3 Zielsetzungen: 1. Untersuchung, ob die lumbale Bewegungskontrolle (LMC) am besten richtungsspezifisch oder als Gesamtscore gemessen wird, 2. Validierung der Testbatterie zur Messung der LMC und 3. Quantifizierung der Fähigkeit von Patient*innen mit unspezifischem Lendenwirbelsäulenschmerz, die Bewegungen der Lendenwirbelsäule aktiv zu kontrollieren.
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Physiotherapeutischer Hintergrund
Ein möglicher Faktor bei unspezifischen, chronischen Rückenschmerzen (LBP) ist eine schlechte LMC [1] [2] [3] [4] [5]. Nach wie vor bestehen jedoch Kontroversen über die Rolle der LMC bei LBP, z. B. ob der Schmerz Ursache oder Folge von unangepassten Kontrollstrategien ist [6].
LMC ist definiert als die Fähigkeit, Bewegungen in der Lendenwirbelsäule aktiv zu kontrollieren, während gleichzeitig Bewegungen in anderen Regionen ausgeführt werden [7] [8]. Eine schlechte LMC ist gekennzeichnet durch übermäßige oder vorzeitige unwillkürliche Bewegung der Lendenwirbelsäule bei funktionellen Aufgaben, typischerweise in eine bestimmte Richtung [9]. Sie steht in Verbindung mit übermäßiger Gewebebelastung und nachfolgenden Verletzungen und kann dadurch die Entwicklung und Persistenz von LBP fördern [9]. Frühere Studien deuten darauf hin, dass LMC-Übungsprogramme LBP langfristig reduzieren könnten [7], was neuere Untersuchungen jedoch widerlegen [8] [10].
Zur Bewertung der LMC wurde eine Reihe verschiedener Tests vorgeschlagen [11] [12] [13]. Die Evidenz für ihre Validität ist jedoch begrenzt. Biele et al. (2019) und Luomajoki et al. (2008) untersuchten, ob Bewegungskontrolltests zwischen Patient*innen mit unspezifischem LBP und Gesunden unterscheiden können [14] [15]. In beiden Studien wurden die Testergebnisse für verschiedene Bewegungsrichtungen zusammengefasst, was im Gegensatz zu der richtungsspezifischen Annahme von anderen Arbeiten steht [11] [12] [13] [16].
Die Bewertung der LMC bei unspezifischem LBP ist komplex, was sich in der großen Anzahl an Tests widerspiegelt, wodurch eine Bewertung durch einen einzigen Test nicht möglich ist [17]. Die einzelnen LMC-Tests sind binär skaliert (richtig oder falsch), die LMC selbst wird jedoch auf einer kontinuierlichen Skala gemessen. Daher wird die Anwendung der Item Response Theory (IRT) erforderlich. IRT ist eine probabilistische Messtheorie und geht davon aus, dass die LMC erfasst werden kann, wenn Antworten auf jeden einzelnen LMC-Test existieren. Dabei schätzt die IRT die Wahrscheinlichkeiten für jede Antwortmöglichkeit für jeden einzelnen Test der LMC und der Item-Parameter. Bei Eignung des IRT-Modells ist es möglich, unterschiedliche Patient*innen mit unterschiedlichen Einzeltests zu beurteilen und dennoch vergleichbare Schätzungen der LMC zu erhalten. Die IRT könnte dazu beitragen, die komplexe Messung und Beurteilung der LMC zu lösen.
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Studiendesign
Das Design der Studie ist eine multizentrische Querschnitt-Kohortenstudie.
Einschlusskriterien
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Alter ≥18 Jahre
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Fähigkeit, Anweisungen zu verstehen
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unspezifischer LBP mit oder ohne ausstrahlende Beinschmerzen
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Symptome ≥3 Monate
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Ausschlusskriterien
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spezifische Wirbelsäulenerkrankungen [18]
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Untersucher*innen
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21 Physiotherapeut*innen (Durchschnittsalter: 39,5 Jahre; 9w/12m; durchschnittliche Berufserfahrung: 15,5 Jahre)
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anerkannter Abschluss in Manueller Therapie (oder i.A.)
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eineinhalbstündige Schulung zu den Tests mit ergänzendem Material
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Prozedere
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Bewertung anhand einer numerischen Ratingskala von: schmerzbedingter Beeinträchtigung bei alltäglichen Aktivitäten, Schmerzintensität, Bewegungsempfinden
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Fear-Avoidance Beliefs Questionnaire (FABQ): Einschätzung der schmerzbedingten Ängste [19]
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Fremantle Back Awareness Questionnaire (FreBAQ): Beurteilung der beeinträchtigten Körperwahrnehmung [20]
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Lumbale Bewegungskontrolltests
15 Tests wurden ausgewählt:
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im Stand nach vorne beugen
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im Stand nach hinten strecken
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Arme heben im Stand
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Einbeinstand
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Knieextension im Sitzen
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Brust einsinken im Sitzen
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einseitige Heel Slide in Rückenlage
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beidseitiges Beinheben in Rückenlage
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in Rückenlage das gebeugte Knie zur Seite fallen lassen
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einseitige Knieflexion in Bauchlage
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einseitige Hüftextension in Bauchlage
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einseitige Hüftrotation in Bauchlage
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Rocking Backward im Vierfüßlerstand
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Rocking Forward im Vierfüßlerstand
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Hüftaußenrotation in Seitlage
Die Tests wurden mit standardisierter Anweisung und Reihenfolge durchgeführt. Bei „Nichtbestehen“ konnte jeder Test bis zu 3-mal wiederholt werden. „Nichtbestehen“ bedeutete, wenn Bewegungen der Lendenwirbelsäule nach dem subjektiven Urteil mittels Augenmaß der untersuchenden Person zu früh und/oder zu stark in die jeweilige Richtung (Extension, Flexion oder Rotation/Lateralflexion) erfolgten [21].
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Proband*innen
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277 Teilnehmer*innen (61% w)
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Durchschnittsalter: 42 Jahre (18–81 Jahre)
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schmerzbedingte Beeinträchtigung bei alltäglichen Aktivitäten: 3 (Range: 0–10)
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Schmerzintensität: 3,6 (Range: 0–10)
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Bewegungsempfinden: 6,5 (Range: 0–10)
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FABQ: 20,3 (Range: 0–60)
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Subskala körperliche Aktivität: 9,5 (Range: 0–24)
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Subskala Arbeit: 9,5 (Range: 0–42)
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FreBAQ: 7,9 (Range: 0–27)
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Publication History
Article published online:
15 May 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Dankaerts W, O’Sullivan PB, Burnett AF. et al. The use of a mechanism-based classification system to evaluate and direct management of a patient with non-specific chronic low back pain and motor control impairment – A case report. Man Ther 2007; 12: 181-191
- 2 Hodges PW, Moseley GL. Pain and motor control of the lumbopelvic region: effect and possible mechanisms. J Electromyogr Kinesiol 2003; 13: 361-370
- 3 Jung S, Hwang U, Ahn S. et al. Lumbopelvic motor control function between patients with chronic low back pain and healthy controls: a useful distinguishing tool: The STROBE study. Medicine (Baltimore) 2020; 99: e19621
- 4 O’Sullivan P. Diagnosis and classification of chronic low back pain disorders: Maladaptive movement and motor control impairments as underlying mechanism. Man Ther 2005; 10: 242-255
- 5 Van Dieën JH, Reeves NP, Kawchuk G. et al. Motor Control Changes in Low Back Pain: Divergence in Presentations and Mechanisms. Jf Orthop Sports Phys Ther 2019; 49: 370-379
- 6 Low M. A Time to Reflect on Motor Control in Musculoskeletal Physical Therapy. J Orthop Sports Phys Ther 2018; 48: 833-836
- 7 Hides JA, Jull GA, Richardson CA. Long-Term Effects of Specific Stabilizing Exercises for First-Episode Low Back Pain. Spine (Phila Pa 1976) 2001; 26: e243-e248
- 8 Saragiotto BT, Maher CG, Yamato TP. et al. Motor Control Exercise for Nonspecific Low Back Pain: A Cochrane Review. Spine (Phila Pa 1976) 2016; 41: 1284-1295
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- 10 Macedo LG, Maher CG, Latimer J. et al. Motor Control Exercise for Persistent, Nonspecific Low Back Pain: A Systematic Review. Phys Ther 2009; 89: 9-25
- 11 Comerford M, Mottram S. Kinetic Control – E-Book: The Management of Uncontrolled Movement. Elsevier Health Sciences. 2012
- 12 Luomajoki H. Sechs Richtige: Mit der Testbatterie die lumbale Bewegungskontrolle untersuchen. manuelletherapie 2012; 16: 220-225
- 13 Sahrmann S. Diagnosis and Treatment of Movement Impairment Syndromes. Elsevier Health Sciences. 2001
- 14 Biele C, Möller D, von Piekartz H. et al. Validity of increasing the number of motor control tests within a test battery for discrimination of low back pain conditions in people attending a physiotherapy clinic: a case-control study. BMJ Open 2019; 9: e032340
- 15 Luomajoki H, Kool J, de Bruin ED. et al. Movement control tests of the low back; evaluation of the difference between patients with low back pain and healthy controls. BMC Musculoskelet Disord 2008; 9: 170
- 16 Van Minnen JH. Funktionelle lumbale Instabilität. In: Westerhuis P, Wiesner R, Hrsg. Klinische Muster in der Manuellen Therapie: IMTA-Kurshandbuch Level 2a und b. 2. Aufl. Georg Thieme Verlag; 2014
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