Gesundheitswesen 2025; 87(03): 202-207
DOI: 10.1055/a-2508-4769
Originalarbeit

Allokationsprinzipien und die Organisation der Gewebespende – ethische Herausforderungen und mögliche Einflüsse auf die Spendebereitschaft aus Sicht multidisziplinärer Expert*innen

Allocation principles and the organization of tissue donation: ethical challenges and possible influence on the willingness to donate from the perspective of multidisciplinary experts
1   Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Universität Bayreuth, Bayreuth, Germany
,
Michael Lauerer
1   Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Universität Bayreuth, Bayreuth, Germany
,
Eckhard Nagel
1   Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Universität Bayreuth, Bayreuth, Germany
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Zusammenfassung

Einleitung

Durch den Mangel an Geweben und Organen müssen zahlreiche Patient*innen unter einer eingeschränkten Lebensqualität leiden oder sogar sterben. Bei Maßnahmen zur Steigerung der Spenderate wird jedoch trotz erheblicher Unterschiede die Gewebespende oft der Organspende subsumiert: So können Gewebetransplantate im Gegensatz zu Organen bis zu fünf Jahre gelagert und global allokiert werden. Zudem können industriell verarbeitete Gewebezubereitungen kommerziell vertrieben werden, wohingegen für Organe ein Handelsverbot gilt. Auch in ihrer dezentralen Organisation unterscheidet sich die Gewebespende von der Organspende. Da damit einhergehende ethische Herausforderungen sowie mögliche Einflüsse auf die Spendebereitschaft bisher nur insuffizient untersucht wurden, stehen diese im Fokus dieser explorativen Expert*innenbefragung.

Methodik

Wir führten qualitative Interviews mit 14 Expert*innen, die als Mitarbeitende, die in unterschiedlichen Positionen am Prozess der Gewebespende beteiligt sind. Darüber hinaus befragten wir Medizinethiker*innen, Jurist*innen und Wissenschaftler*innen. Die Interviews werteten wir mit einer strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring aus und führten eine Frequenzanalyse durch. Bei der Berichterstattung folgten wir den Standards für qualitative Studien.

Ergebnisse

Altruismus und die medizinische Notwendigkeit von Transplantationen wurden als Legitimation der Gewebespende angeführt. Daher befürwortete das Gros der Expert*innen ein Handelsverbot für alle Arten von Gewebetransplantaten. Bei einer kommerziellen Nutzung von Geweben wurde ein negativer Effekt auf die Spenderate befürchtet. In Angehörigengesprächen werden laut Aussage der meisten Expert*innen weder eine mögliche kommerzielle Verwendung von Gewebetransplantaten noch die dezentrale Organisation der Gewebespende oder die internationale Allokation von Transplantaten thematisiert, obwohl einige Expert*innen davon ausgehen, dass sie sich auf die Spendebereitschaft auswirken können. Darüber hinaus ist auch die Gesamtbevölkerung nicht suffizient über die Charakteristika der Gewebespende informiert.

Schlussfolgerung

Die Rahmenbedingungen der Gewebespende können die Spendebereitschaft beeinflussen. Gleichzeitig werden sie weder in Angehörigengesprächen noch in der öffentlichen Kommunikation thematisiert. Sollte sich die vorliegenden Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, muss im Sinne einer informierten Entscheidung sowohl in Angehörigengesprächen als auch in der öffentlichen Kommunikation Transparenz über die die entscheidungsrelevanten Aspekte geschaffen werden.

Abstract

Introduction

Due to the shortage of tissues and organs, numerous patients suffer from a reduced quality of life or even die. In political measures to increase the donation rate, tissue donation is often subsumed to organ donation, despite considerable differences: For example, unlike organs, tissue transplants can be stored for up to five years and allocated internationally. Similarly, industrially processed tissue preparations can be sold commercially, whereas organs are subject to a trade ban. Tissue donation also differs from centrally organized organ donation in terms of decentralized organization. As the associated ethical challenges and possible influence on the willingness to donate have only been insufficiently investigated to date, these are the focus of this exploratory expert survey.

Methodology

We conducted qualitative interviews with 14 experts who are involved in the tissue donation process in different positions. In addition, we interviewed medical ethicists, lawyers and scientists. We evaluated the interviews with a structuring content analysis according to Mayring and performed a frequency analysis. In reporting, we followed the standards for qualitative studies.

Results

Altruism and the medical necessity of transplantation were cited as legitimation of tissue donation. Therefore, most experts were in favor of a commercial ban for all tissues. In case of a commercial use of tissues, a negative effect on the donation rate was feared. According to most experts, neither the possible commercial use of tissue transplants nor the decentralized organization of tissue donation or the international allocation of transplants are discussed in conversations with relatives, although some experts assume that they could have an impact on the willingness to donate. Furthermore, the general population is not sufficiently informed about the characteristics of tissue donation.

Conclusions

The characteristics of tissue donation can influence the willingness to donate. At the same time, they are discussed neither in conversations with relatives nor in public communication. If the present results are confirmed in further studies, in the sense of an informed decision both in in discussions with relatives as well as in public communication, transparency must be created about the decision-relevant aspects.

Zusätzliches Material



Publication History

Received: 30 December 2023

Accepted after revision: 26 December 2024

Article published online:
06 March 2025

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