Praxis Handreha 2025; 06(01): 8-13
DOI: 10.1055/a-2411-6139
Schwerpunkt | Einführung

Die Schulter – Opfer oder Motor von Beschwerden in der Handtherapie

Paulina Sodeikat
,
Anton Schmidt
,
Kathi Thiele
,
Stephan Pauly
 

Verletzungen der Hand und des Handgelenks sind häufig assoziiert mit Begleitverletzungen der Schulter. Durch komplexe anatomische und funktionale Verbindungen befinden sie sich in einer „Schicksalsgemeinschaft“ mit dem gesamten Arm, sodass bei identischem Trauma verschiedene Schulterverletzungen auftreten können. Diese haben oft direkte Auswirkungen auf die Beweglichkeit und Heilung der Handgelenks- und Handverletzungen und sollten daher stets in einem ganzheitlichen therapeutischen Ansatz berücksichtigt werden.


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Anatomie und Physiologie der Schulter

Das Schultergelenk weist aufgrund seiner Beschaffenheit als Kugelgelenk mit flach-konkaver Gelenkpfanne (Glenoid) und geringer knöcherner Kongruenz eine maximale Beweglichkeit in 3 Ebenen auf. Damit hat es ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Gelenken des menschlichen Körpers. Diese Beweglichkeit resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Komponenten. Einerseits agiert das glenohumerale Gelenk (Schulterhauptgelenk) in enger Abstimmung mit dem akromio- und sternoklavikularen Gelenk sowie der skapulothorakalen Gleitschicht. Zusätzlich trägt das Größenverhältnis zwischen dem relativ „zu“ großen Humeruskopf und der relativ „zu“ kleinen, flachen Gelenkpfanne (Verhältnis ca. 4:1) zu diesem außerordentlichen Bewegungsumfang bei. Führung und Stabilisierung dieses mobilen Gelenks erfolgen vor allem muskulär (aktive Stabilisatoren) durch die umgreifende Rotatorenmanschette. Ergänzend leisten passive Stabilisatoren wie glenohumerale Bänder und besonders das Labrum, die zirkumferente Gelenklippe, durch die Vergrößerung der artikulierenden Kontaktfläche einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Humeruskopfes, unabhängig von der Gelenkposition im Raum [1]. Der maximale Bewegungsumfang des Schultergelenks resultiert aus der Interaktion von 4 Teilgelenken: Sterno- sowie Acromioclavikulargelenk, Glenohumeralgelenk und skapulothorakale Gleitschicht.

Beweglichkeit gleich Verletzungsanfälligkeit?

Gleichzeitig bedingt die dargelegte außergewöhnliche Beweglichkeit bei geringer (knöcherner) Kongruenz und Führung eine Anfälligkeit für Verletzungen. Sowohl mit zunehmendem Lebensalter als auch repetitiv-mikrotraumatisch bei Sportler*innen können degenerative Veränderungen sowie makrotraumatische Ereignisse zu Pathologien führen, die das Schultergelenk mild bis erheblich beeinträchtigen. Solche Läsionen können von entzündlichen Schmerzzuständen bis zu einer nahezu vollständigen Bewegungseinschränkung reichen, wodurch das Schultergelenk eine der verletzungsanfälligsten Regionen des Körpers ist und häufig relevante objektive wie subjektive Funktions- bzw. Alltagseinschränkungen resultieren. Daher sind eine rechtzeitige und angemessene Diagnostik und Therapie dieser Läsionen von zentraler Bedeutung. Diese sollte konservative Maßnahmen und bedarfsweise operative Eingriffe inkludieren, um die volle Beweglichkeit und Funktion des Schultergelenks wiederherzustellen und insbesondere Folgeschäden zu vermeiden.


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Klinische Untersuchung der Schulter

Neben einer dezidierten Anamnese ist die klinische Untersuchung der Schulter einer der zentralen Pfeiler zur Diagnostik und Einordnung der Beschwerden von Patient*innen. In nachfolgender Ergänzung durch technisch-bildgebende Diagnostik kann die exakte Diagnose verifiziert und eine entsprechend punktgenaue Therapie initiiert werden. Die klinische Untersuchung der Schulter folgt dabei dem klassischen Schema von Inspektion, Palpation, Prüfung der aktiven und passiven Beweglichkeit nach der Neutral-Null-Methode sowie ergänzend ggf. spezifischer Provokationstests [2].

Die Inspektion, die bereits bei Betrachtung des Bewegungsablaufes z. B. beim selbständigen Entkleiden der betroffenen Extremität beginnt, kann mit Augenmerk auf das Knochenrelief, Asymmetrien, Hämatom und Muskelatrophien bereits erste Rückschlüsse auf eine akute oder chronifizierte Pathologie geben.

Bei der Palpation kann sich die untersuchende Person an den knöchernen Landmarken (Akromion, Korakoid, Tuberculum majus und minus, Spina scapulae) orientieren und zusätzlich Schmerzpunkte, z. B. im Verlauf der langen Bizepssehne, ertasten [3].

Mittels des sogenannten Codman-Handgriffs zur Fixation des Schulterdachs und der Scapula gegen den Rumpf kann durch den Untersuchenden das passive, ausschließlich glenohumerale Bewegungsausmaß unter Ausschluss der scapulothorakalen Bewegungsebene eruiert werden. So werden beispielsweise charakteristische Bewegungseinschränkungen im Rahmen einer adhäsiven Kapsulitis (Frozen Shoulder) als positives Kapselmuster nach Cyriax beschrieben. Dadurch kann die vergleichsweise häufige Schultersteife gegen andere Pathologien mit eingeschränkter Beweglichkeit abgegrenzt werden [4].

Kenntnis über einige spezifische Funktionstest der Schulter ermöglicht dem Untersuchenden eine genauere Differenzierung der vorliegenden Pathologie. So kann ein positiver Jobe-Test mit vergleichsweise hoher Sensitivität (bis zu 88%) eine vorliegende Ruptur der Supraspinatussehne klinisch detektieren [5]. Eine nachgeschaltete bildgebende Diagnostik, z. B. Ultraschall oder der etablierte Goldstandard MR-Tomografie, hat dabei einen bestätigenden Charakter, um das exakte Schadenausmaß (Sehnen-Retraktion, Muskelverfettung etc.) zu quantifizieren.

Eine ausführliche Beschreibung der essenziellen klinischen Untersuchungen gibt es kostenlos online im Untersuchungsheft der Fachgesellschaft D-A-CH Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE): www.dvse.info


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Sturzbedingte Folgen und Pathologien der Schulter

Unter den häufigsten Verletzungsmechanismen rangiert der klassische Sturz mit dem Reflex des Abfangens/Abbremsens über die obere Extremität, woraus insbesondere mit zunehmendem Lebensalter neben Verletzungen der distalen und zentralen auch die proximale obere Extremität kompromittiert wird. Im Gegensatz zu Verletzungen mit knöcherner Beteiligung (z. B. AC-Gelenk-Luxationen, Clavicula-/prox. Humerusfrakturen) werden insbesondere Weichteilläsionen oft erst verzögert diagnostiziert. Das ist einerseits durch deren nachrangige Präsenz bei gleichzeitigem Vorliegen beispielsweise einer schmerzhaften distalen Radiusfraktur bedingt, andererseits aufgrund verzögerter Verfügbarkeit technisch-diagnostischer Tools.

Erste klinisch-differenzialdiagnostische Abwägungen sollten in Anbetracht von Alter und Geschlecht jedoch frühzeitig angestellt werden. Während die Prävalenz von Schulterverletzung bei Frauen ab 70 Jahren deutlich ansteigt, zeigen sich bei Männern 2 Häufigkeitsgipfel: Junge Männer sind etwa 3-mal häufiger als junge Frauen von traumatischen Schulterverletzungen betroffen und haben die höchste Prävalenz/Inzidenz von Schulterluxationen und ACG-Sprengungen [6]. Mit steigendem Alter steigt hingegen das Risiko für Humerusfrakturen, insbesondere des proximalen Teils. Frauen > 65 Jahre weisen diese etwa doppelt so häufig wie Männer auf [6].

Aufgrund des weiten Spektrums von möglichen isolierten- oder Kombinationspathologien der Schulter im Kontext von Verletzungen der Hand und des Handgelenks werden im Folgenden exemplarisch in aufsteigender Reihe einige typische Pathologien vorgestellt.

Frozen Shoulder

Eine vergleichsweise häufige Pathologie nach sturzbedingten Schmerzen und Ruhigstellung der oberen Extremität ist die adhäsive Kapsulitis bzw. Frozen Shoulder. Schonhaltungen, um Hand oder Handgelenk zu entlasten, können dieses Krankheitsbild und die damit verbundenen langfristigen Probleme ebenfalls auslösen: Bereits nach wenigen Tagen der Entlastung des Unterarms in einer Schalschlinge vollzieht sich die Kaskade einer progredient-entzündlichen Einsteifung mit einhergehender fibroblastisch begünstigter Kapselverdickung. Dieses sekundär-posttraumatisch bedingte Krankheitsbild ist mit der Endstrecke des klinischen Erscheinungsbildes identisch, kausal jedoch zu differenzieren von der primär-idiopathischen adhäsiven Kapsulitis bzw. chronisch entzündlichen Fibrosierung der Schultergelenkskapsel. Letztere betrifft atraumatisch initiiert überwiegend Frauen im perimenopausalen Alter, mutmaßlich endokrinologisch begünstigt (u. a. Diabetes mellitus, Hashimoto-Thyreoiditis), und ist mit einer Inzidenz von 3–5 Prozent eine vergleichsweise häufig vorliegende Pathologie in der Praxis.

In Kombination beider Ätiologien kann bereits eine kurzfristige Immobilisierung des Armes unter dargelegter Risikodisposition einen fatalen Circulus vitiosus auslösen. Die gemeinsame klinische Endstrecke ist primär durch passive wie aktive Bewegungseinschränkungen charakterisiert, insbesondere die Außenrotation und Flexion/glenohumerale Abduktion im Schultergelenk sind eingeschränkt. Klinisch lassen sich 3 Stadien unterscheiden: Im initialen Stadium stehen zunächst entzündliche Prozesse mit einhergehenden Schmerzen aber gleichbleibender Beweglichkeit im Vordergrund. Pathognomisch kann das klinische Leitsymptom der Nachtschmerz sein. Stadium 2 ist mit starker Schmerzsymptomatik und zunehmender Einschränkung der Beweglichkeit assoziiert, die zu starken Einschränkungen im Alltagsleben führen kann. In der letzten 3. Phase zeigt sich eine Abnahme der Schmerzsymptomatik und langsame Verbesserung der ROM (Range of Motion). Diese Phase kann als Heilungsprozess mehrere Monate bis Jahre andauern [7].

Auszuschließen sind wichtige Differentialdiagnosen wie eine glenohumerale Instabilität, subakromiale Pathologien wie Tendinopathie, Bursitis oder Rupturen der Rotatorenmanschette. Neben Anamnese und klinischer Untersuchung können bildgebende Verfahren zur Klärung beitragen. Im (Kontrastmittel-)MRT lässt sich bei vorliegender Frozen Shoulder ein „Schrumpfen“ der Gelenkkapsel inklusive des axillären Recessus sowie eine Hyperintensität bei der T-2-Gewichtung erkennen. Weitere Kriterien umfassen eine Verdickung der Gelenkskapsel am Rotatorenintervall auf > 7 mm, eine Verdickung der Kapsel im Recessus axillaris auf > 3 mm, ein verdicktes CHL (korakohumerales Ligament) sowie ein vermindertes Volumen im Recessus axillaris auf < 0,7 ml [8] ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Typischer MRT-Befund einer adhäsiven Kapsulitis mit verdickter Kapsel-Labrum-Struktur ventral (rot) im Vergleich zu dorsal (blau) in der axialen MRT-Bildebene.
Praxistipp

Leitsymptom: (Nacht-)Schmerz, persistierendes Bewegungsdefizit aktiv/ passiv

Klinische Untersuchung: Kapselmuster nach Cyriax

  • Prüfung der ARO, glenohumeralen Abduktion und IRO

  • Erwarteter Befund: primäre Reduktion der ARO, geringer Abduktion und IRO


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Schulterluxation/-instabilität

Die Schulterluxation tritt mit einer Prävalenz von ca. 30 Prozent aller Schulterverletzungen vergleichsweise häufig auf. Insbesondere unter Ausübung von Wurfsportarten und Kletter-/Bergsportarten bedingt die Schulterluxation eine relevante Zahl traumatischer Notfälle. Besonders Männer im adoleszenten Alter in Risikosportarten sind von diesen Verletzungen betroffen und weisen ein enorm hohes Reluxationsrisiko unter konservativer Therapie auf. Vor allem die Instabilitäts-Omarthrose stellt eine potenziell folgenschwere mittelfristige Folge dar, der im Vorfeld therapeutisch rechtzeitig vorgebeugt werden sollte. Mit zunehmenden Lebensdekaden nimmt einerseits das Risiko erneuter Luxationen drastisch ab, gleichzeitig steigt aber das Verletzungsrisiko der umgebenden dynamischen Stabilisatoren, darunter besonders der anterosuperioren Rotatorenmanschette.

Die häufigste Luxationsform ist die anteroinferiore Schulterluxation. Sie tritt gehäuft in einer Abduktions-/Außenrotationsposition der Schulter auf, wie bei typischen Überkopf-Wurfbewegungen. Ebenso kann ein direktes Trauma durch Sturz oder Gewalteinwirkung eine Luxation herbeiführen. Im Falle einer akuten Luxation ist die dokumentierte Erhebung von Durchblutung, Sensibilität und Motorik aufgrund gefährdeter Nerven- und Gefäßverletzungen essenziell. Dabei kann beim Akutsetting, z. B. das sensible Autonomiegebiet des N. axillaris über dem motorisch innervierten M. deltoideus, helfen, etwaige Schädigungen kursorisch zu beurteilen. Die initial erhobene Bildgebung (typischerweise Röntgen) dient sowohl dem Ausschluss einer etwaigen knöchernen Fraktur/Fissur als auch der sicheren Einschätzung der Luxationsrichtung [18].[Abb. 2]

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Abb. 2 Röntgenbild einer Schulterluxation vor (a) und nach (b) Reposition.

Die durch eine geübte Fachkraft durchgeführte Reposition führt meistens direkt zu einer deutlichen Schmerzlinderung, anschließend sollten jedoch Durchblutung, Sensibilität und Motorik erneut getestet und dokumentiert werden. In der Folge ist die erweiterte Abklärung durch eine spezialisierte Schulterambulanz empfohlen, um stadiengerecht ggf. weitere diagnostische sowie therapeutische Maßnahmen zu veranlassen, um möglichen Reluxationen und deren langfristigen Folgen bestmöglich entgegenzuwirken.

Praxistipp

Leitsymptom: Akutschmerz, verhakte Bewegungseinschränkung, Epauletten-Phänomen

Klinische Untersuchung: Palpation, vorsichtige Beweglichkeitsprüfung, pDMS


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Rotatorenmanschettenrupturen

Die 4 Muskel-Sehneneinheiten der Rotatorenmanschette in absteigender Wahrscheinlichkeit einer Ruptur sind der M. Supraspinatus, M. Subscapularis, M. Infraspinatus und M. Teres minor. Neben genetischen Risikofaktoren sind zunehmendes Lebensalter, Nikotinabusus, ein hoher BMI, Makro/Mikrotrauma und berufliche Belastung mit der ansteigenden Prävalenz von RM-Rupturen assoziiert [9].

Weithin etablierter Goldstandard bei der bildgebenden Diagnostik einer RM-Ruptur ist das MRT. Daneben kann das Röntgen Aufschluss über knöcherne Begleitpathologien, Omarthrose oder Fehlstellungen wie humerale Dezentrierung (Humeruskopfhochstand) geben.

Therapeutisch steht zunächst oft die konservative Therapie bzw. abwartendes Verhalten im Vordergrund, weil viele Rupturen asymptomatisch oder oligosymptomatisch sind und in Abhängigkeit vom individuellen Funktionsanspruch der Patient*innen auftreten. Mittels Injektionsbehandlung kann akut eine (typischerweise temporäre) Linderung der Beschwerden erzielt werden. Im therapeutischen Algorithmus sollte ein physiotherapeutischer Therapieversuch stattfinden, bei dem das den Humeruskopf kaudalisierende Kräftepaar Subscapularis und Infraspinatus gekräftigt wird. Sollte darunter mittelfristig keine subjektiv zufriedenstellende Symptomlinderung eintreten, ist oft eine operative Versorgung erforderlich, um über eine Rekonstruktion der anatomischen und biomechanischen Verhältnisse Schmerzfreiheit und Funktion wiederzugewinnen [19] ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Intraoperative Bilder einer arthroskopischen Supraspinatussehnenrekonstruktion a Darstellung der Läsion, b Durchstechen der Läsion mit im Knochen verankerten Fäden (Blick von intraartikulär), c Verknoten und heranziehen der Sehne an den Sehnenursprung am Humerus (Blick von subacromial auf die Sehne).
Praxistipp

Leitsymptom: Stechender Schmerz im Oberarmbereich, Nachtschmerz, Kraftverlust insbesondere bei Abduktion und Anteversion

Klinische Untersuchung:

  • Supraspinatussehne: Jobe-Test

    • Arme in 90° Abduktion, 30°Anteversion und etwa 45° Innenrotation (Daumen nach unten zeigend)

    • Patient*in versucht die Arme nach oben gegen Widerstand des Untersuchenden zu drücken

  • Subscapularissehne: Belly Press

    • Patient*in drückt die Hände auf den Bauch in maximaler Innenrotation. Es kommt zu einer Flexion im Handgelenk wenn die Ellenbogen vorne gehalten werden sollen

  • Infraspinatussehne: Hornblower Sign

    • Patient*in wird gebeten, die Hand zum Mund zu führen – liegt ein Außenrotationsdefizit vor muss der Ellenbogen häufig höher als die Hand gehoben werden


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Humeruskopffrakturen

Angesichts des demografischen Wandels mit einerseits alternder Bevölkerung unter gleichzeitig ansteigendem Funktionsanspruch wird eine ansteigende Inzidenz von Humeruskopffrakturen als dritthäufigste osteoporotische Fraktur registriert [10]. Etwa 5–6 Prozent aller Frakturen bei Erwachsenen betreffen den Humeruskopf, die Mehrheit davon (70%) betrifft Patient*innen über 65 Jahre, wobei Frauen ca. doppelt so häufig betroffen sind wie Männer [11] [12]. Der häufigste Traumamechanismus ist dabei ein Sturz aus dem Stand, während in jüngeren Altersklassen die (Hoch-)Rasanztraumata als Ursache dominieren [13].

Die klassische Einteilung erfolgt nach Charles Neer in 4 Frakturzonen, die typischerweise in Zugrichtung der dort ansetzenden Muskulatur dislozieren: Tuberculum majus, Tuberculum minus, Collum chirurgicum und Collum anatomium [14]. Diese weltweit etablierte Klassifikation kann zwar neben weiteren vor allem deskriptiv, kaum aber therapeutisch-prognostische Unterstützung leisten.

Die Therapieplanung richtet sich nach Dislokationsgrad und der Deviation/Position der Fragmente gegeneinander, insbesondere unter Berücksichtigung der vaskulären Versorgung derselben. Auch Funktionsanspruch, Begleiterkrankungen und biologisches Alter fließen in die Therapieplanung ein. Der überwiegende Teil von Humeruskopffrakturen wird konservativ therapiert, da es sich meist um Frakturen des Typs Neer I und II mit geringer Dislokation und Achsdeviation handelt [15]. Die konservative Therapie beinhaltet eine kurzzeitige Ruhigstellung in der Orthese, gefolgt von einer frühfunktionellen Nachbehandlung mit Pendelübungen und passiv geführten Bewegungen bis 90° ([Abb. 4.1] [Abb. 4.2]).

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Abb. 4.1 Röntgenbilder einer proximalen Humerusfraktur im zeitlichen Verlauf über 6 Wochen mit sichtbar zunehmender Konsolidierung.
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Abb. 4.2 Funktion der Patientin nach 6 Wochen.

Obligate Operationsindikationen stellen u. a. offene Frakturen, Head-Split-Frakturen, Luxationsfrakturen sowie Gefäß- und Nervenverletzungen dar. Die Auswahl an OP-Techniken reicht von arthroskopischer Schraubankerversorgung bei isolierten dislozierten Tuberculum-majus-Frakturen bis zum endoprothetischen Gelenkersatz bei ungenügender Knochenqualität, unmöglicher anatomiegetreuer Reposition oder zu erwartender Humeruskopfnekrose bei unzureichender Blutversorgung. Die winkelstabile Plattenosteosynthese ist derzeit als gängigstes Implantat anzusehen und ermöglich eine Retention auch von Mehrfragmentfrakturen [16]. Die Therapieentscheidung von Humeruskopffrakturen muss individuell unter Berücksichtigung der genannten Kontextfaktoren getroffen werden. Insbesondere bei älteren, multimorbiden Patient*innen kann initial ein konservativer Therapieversuch erwogen werden, da auch unter Abwägung der Rückzugsoption einer späteren operativen (ggf. endoprothetischen) Versorgung adäquate Ergebnisse erzielt werden können [17].


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Autor*innen

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Dr. med. Paulina Sodeikat
ist Ärztin in Weiterbildung an der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit, Berlin.
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Anton Schmidt
ist Student an der Medizinischen Universität Wien in Österreich.
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Dr. med. Kathi Thiele
ist Leitende Oberärztin in der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit, in Berlin.
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Prof. Dr. med. Stephan Pauly
ist Chefarzt der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit in Berlin tätig. Er unterrichtet an der Medical School Berlin, Fakultät Humanmedizin in Berlin.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse


Publication History

Article published online:
15 January 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Dr. med. Paulina Sodeikat
ist Ärztin in Weiterbildung an der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit, Berlin.
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Anton Schmidt
ist Student an der Medizinischen Universität Wien in Österreich.
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Dr. med. Kathi Thiele
ist Leitende Oberärztin in der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit, in Berlin.
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Prof. Dr. med. Stephan Pauly
ist Chefarzt der Klinik für Schulter-/Ellenbogenchirurgie, Department Bewegungschirurgie West, Vivantes Netzwerk für Gesundheit in Berlin tätig. Er unterrichtet an der Medical School Berlin, Fakultät Humanmedizin in Berlin.
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Abb. 1 Typischer MRT-Befund einer adhäsiven Kapsulitis mit verdickter Kapsel-Labrum-Struktur ventral (rot) im Vergleich zu dorsal (blau) in der axialen MRT-Bildebene.
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Abb. 2 Röntgenbild einer Schulterluxation vor (a) und nach (b) Reposition.
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Abb. 3 Intraoperative Bilder einer arthroskopischen Supraspinatussehnenrekonstruktion a Darstellung der Läsion, b Durchstechen der Läsion mit im Knochen verankerten Fäden (Blick von intraartikulär), c Verknoten und heranziehen der Sehne an den Sehnenursprung am Humerus (Blick von subacromial auf die Sehne).
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Abb. 4.1 Röntgenbilder einer proximalen Humerusfraktur im zeitlichen Verlauf über 6 Wochen mit sichtbar zunehmender Konsolidierung.
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Abb. 4.2 Funktion der Patientin nach 6 Wochen.