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DOI: 10.1055/a-2411-6007
Trainieren trotz Verletzung: So bleiben die Gelenke mobil!
- Warum die Mobilisation der Gelenke wichtig ist
- Übungsauswahl und Compliance
- Übungen zur Mobilisation der Gelenke
- Fazit
Die komplexe Funktionalität der Hand erfordert bei einer Handverletzung eine besondere Nachbehandlung, vor allem in der frühen posttraumatischen und postoperativen Zeit. Neben der lokalen Behandlung der verletzten Strukturen spielt die Mobilisation der angrenzenden Gelenke eine wichtige Rolle: Bei bestimmten Verletzungen steht diese sogar in den ersten Wochen im Vordergrund einer Handtherapie.
Warum die Mobilisation der Gelenke wichtig ist
Die Behandlung einer Handverletzung darf nicht ohne Berücksichtigung der angrenzenden Strukturen erfolgen, sonst kann es schon nach kurzer Zeit zu muskulären Dysbalancen, Mobilitätseinschränkungen, Einschränkungen der Handfunktion und Fehlhaltungen kommen, die Schmerzen verursachen können. Das kann wiederum eine Reihe von Störungen nach sich ziehen, die die Behandlung erschweren und die Reintegration der behandelten Person in den Alltag verzögern.
Zu den angrenzenden Gelenken der Hand zählen die jeweiligen Armgelenke sowie die Wirbelsäulenabschnitte der Hals- und Brustwirbelsäule. Das Ellenbogengelenk zeichnet sich durch seine Beuge-Streck-Bewegung aus, steuert aber auch die Funktionsbewegung im proximalen und distalen Radio-ulnar-Gelenk. Durch ihre Pronation und Supination spielen diese eine tragende Rolle bei Bewegungen der Hand zum Körper hin sowie bei Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL). Das Schultergelenk muss bei der Behandlung von Handverletzungen ebenfalls berücksichtigt werden. Es besteht aus 3 echten Gelenken zwischen Humerus und Scapula (Humeroscapulargelenk), Klavikula und Acromion (Acromioclaviculargelenk) sowie Sternum und Klavikula (Sternoclaviculargelenk). Zusätzlich gibt es die thorakale Gleitebene zwischen Scapula und Thorax. Gesichert wird das Schulterblatt über Muskelschlingen am Thorax, wodurch alle beteiligten Gelenke und vor allem das Humeroscapulargelenk ihre große Bewegungsfreiheit erhalten. Dadurch können Patient*innen die Übungen einer Behandlung erst durchführen.
Die zu aktivierenden Strukturen sollten im Bereich der angrenzenden Gelenke der oberen Extremität sowie der Hals- und Brustwirbelsäule liegen. Da viele Patient*innen im Alltag auch Zwangshaltungen einnehmen, also regelmäßig wiederkehrende gleichbleibende Bewegungsabläufe durchführen, wie z.B. Fließbandarbeit oder Computertätigkeiten, ist es außerdem sinnvoll, eine Haltungsschule zu integrieren und leichte mobilisierende Übungen durchzuführen, wie bei den Übungen hier beschrieben.
Nicht alle Beschwerden können durch Übungen verhindert werden. Die Muskulatur braucht immer einen adäquaten Reiz, damit sie trainiert bzw. erhalten werden kann. Bei einer Ruhigstellung der Hand kann ein entsprechendes Training leider nicht immer vollständig erfolgen. Die hier vorgestellten Übungen zur Mobilisation der Gelenke können aber dabei helfen, folgenden Beschwerden vorzubeugen:
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Muskelatrophien
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Kontrakturen
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Schon- und Fehlhaltungen
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Überlastungssyndrom der Schulter
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Beeinträchtigung des Stoffwechsels und der Durchblutung
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Knorpeldegeneration
Übungsauswahl und Compliance
Die Fähigkeiten und Bereitschaft der Patient*innen spielen bei der Nachbehandlung eine wichtige Rolle: Je größer deren Verständnis und Bereitschaft zum Üben ist, desto mehr der vorgestellten Übungen können für eine Nachbehandlung ausgewählt werden. Die Übungen sollten sich möglichst gut in den Alltag der Patient*innen integrieren lassen. Vielen hilft es, wenn die Übungen an bestimmte Tagesabschnitte oder Alltagsroutinen gekoppelt sind, um sich daran zu erinnern. Gleichzeitig schützt die zuvor vereinbarte Regelmäßigkeit engagierte Patient*innen davor, nicht zu häufig zu trainieren und dadurch eine Überlastung der Gelenke zu bewirken. Therapeut*innen sollten darauf achten, dass ihre Patient*innen von der Übungsauswahl und der Ausführung nicht überfordert werden: Je einfacher und schneller die Übungen z. B. Zuhause oder am Arbeitsplatz durchgeführt werden können, desto wahrscheinlicher ist es, so die Erfahrung des Autors, dass Patient*innen diese regelmäßig durchführen. Während der Nachbehandlung in der Praxis sollten Therapeut*innen daher auch darauf achten, die Auswahl der Übungen an die jeweilige Compliance der Patient*innen anzupassen. Fühlt sich eine behandelte Person überfordert, kann beispielsweise eine einfache achsengerechte Bewegung zweckmäßiger sein, als dass gar nicht geübt wird. Es ist auch oft hilfreich, die Übungen mit so wenig Hilfsmitteln wie möglich zu gestalten, damit Patient*innen nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind, wo sie größere Geräte lagern müssen.
Die Übungen sollten niemals bei entsprechenden Kontraindikationen ausgeführt werden, Schmerzen auslösen oder zu früh in eine Bewegung führen, die durch die Heilung noch limitiert und durch die therapeutische Nachbehandlung nicht freigegeben ist. Während der Behandlungen in der Ergo- oder Physiotherapiepraxis sollte die Übungsauswahl immer wieder mit den Patient*innen besprochen und wiederholt werden, um mögliche Fehler oder Fehlhaltungen auszuschließen.
Die hier vorgestellten Übungen lassen sich in 2 Kategorien einteilen: Zum einen in Übungen zum Erhalt von Kraft, zum anderen in Übungen zum Erhalt der Beweglichkeit. Beides sollte bei der Auswahl berücksichtig werden und in die Behandlung einfließen.
Übungen zur Mobilisation der Gelenke
Die folgenden Übungen lassen sich jeweils unter verschiedenen Aspekten steigern, um den individuellen Leistungsstand von Patient*innen und die jeweiligen Trainingsziele zu berücksichtigen. So kann die jeweilige Ausgangsstellung (ASTEN) entsprechend angepasst werden, es ist aber auch eine Steigerung durch die Wahl des Untergrundes zur Förderung des Gleichgewichtssinnes möglich. Eine weitere Variationsmöglichkeit sind Kleingeräte, z. B. Theraband oder Loop, um die Muskulatur zu trainieren und somit ein Teil der Kraft zu erhalten. Ohne solche Kleingeräte entsteht bei den Übungen nur ein geringer Reiz auf die Muskulatur durch die Schwerkraft.


Da die Übungen an die jeweilige behandelte Person und ihre individuelle Situation angepasst werden sollten, lassen sich keine pauschalen Angaben zu Wiederholungsanzahl und Trainingssätzen machen. Gerade in der frühen Phase der Wundheilung ist es oft schwierig, die richtige Dosierung zu finden, denn zu dieser Zeit sind lokale Entzündungen im Wundgebiet häufig noch vorhanden. Physiotherapeut*innen müssen die behandelte Person über solche Aspekte aufklären, damit sie die Übungen Zuhause entsprechend ihres Gesundheitszustandes optimal ausführen. Grundsätzlich gilt: Qualität geht vor Quantität, es ist also wichtiger, dass die Übungen richtig statt häufig ausgeführt werden.
Achsengerechte Bewegung des Ellenbogens und der Schulter ([Abb. 1 a, b] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung:
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Ellenbogen in Flexion und Extension aus neutraler Unterarm-Position
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Schulter Elevation und Abduktion aus neutraler Unterarm-Position
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Steigerung:
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Kombination von Schulter-Elevation mit Ellenbogen-Flexion und -Extension
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Schulter-Elevation über Abduktion mit Armwende bei ca. 90° (Händfläche zur Decke)
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Schulterkreisen
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung: Kreisen der Schulter
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Steigerung: Unterschiedliche Arm-Positionen (z. B. Schultergelenk in 60°, 90°, 110° Flexion)
Diagonale Bewegung des Arms mit Einbindung von Ellenbogen und Schulter [(Abb. 2a–e)] [2]
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung: In Anlehnung an PNF-Muster im Verlauf über die Körperdiagonale
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Steigerung: Einbindung Rumpfbewegung (Rotation des Oberkörpers und Kopfes in Bewegungsrichtung des Armes)
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CAVE: Rotation des Unterarmes erst nach Freigabe durch Operateur*in, Freigabe von Bewegungen erfolgt durch Ärzt*innen/Operateur*innen
Aufrichtung des Rumpfes mit bilateraler Arm-Elevation ([Abb. 3] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung:
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Beidseitige Armelevation
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Weiterlaufende Bewegung in BWS-Aufrichtung
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Steigerung: Widerstand ventrolateral am Oberarm über z. B. Theraband oder Loop
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CAVE: Kopfpositon (Kopf bleibt in Verlängerung der Wirbelsäule)
Kräftigung der schulterblattstabilisierenden Muskulatur ([Abb. 4a, b] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung:
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Schulterblätter werden in die Depression gebracht, Spannung isometrisch halten
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Ellenbogen 90° gebeugt halten
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Steigerung:
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Widerstand dorsolateral an Oberarmen mit z. B. Theraband oder Loop
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Arme bis max. 60 Grad heben, Position der Scapula halten
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Katze und Kuh (Mobilisation der Wirbelsäule) ([Abb. 5a, b] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung: Katze: Rücken runden, Schultergürtel bewegt sich Richtung Hüften/Oberschenkel. Kuh: Rücken strecken, „Hohlkreuz“ bilden (vollständige Extension von BWS und LWS), Blick geht Richtung Zimmerdecke
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Steigerung: Vierfüßler an der Wand/auf dem Boden, ggf. nur Unterarmstütz


Äpfel pflücken (Mobilisation der Wirbelsäule) ([Abb. 6] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung: Seitliches Heben der Arme bis über den Kopf in Verbindung mit einer Lateralflexion des Rumpfes
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Variation: Endposition halten als Stretching oder wechselseitig mit Gegenseite als Mobilisation


Stretching der Schulter- und Schulter-Nacken-Muskulatur ([Abb. 7 a, b] [2] [3])
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung:
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Stretching M. trapezius pars descendens: Kopf mit dem Ohr Richtung Schulter
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Stretching M. biceps brachii: gestreckter Arm in Schulter-Extension bewegen
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Steigerung: gesamten Arm in Innenrotation inkl. Pronation


Sehnengleiten
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Diese Übung kann bei Verletzungen von Ellenbogen oder Schulter angewandt werden. Bei Handverletzungen erst nach Rücksprache und durch Anleitung eines Therapeuten bzw. einer Therapeutin.
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ASTE: Sitz oder Stand
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Bewegung: Dach (MCPs 90Grad, PIP und DIP gestreckt), Superficialisfaust, große Faust, kleine Faust, Finger strecken (und spreizen)
Fazit
Die Nachbehandlung von Handverletzungen erfordert eine ganzheitliche Betrachtung: Es sollte nicht nur die Hand, sondern die gesamte funktionelle Kette von Ellenbogen, Schulter, HWS und BWS berücksichtigt werden. Durch die Integration der funktionalen Kette in die Nachbehandlung sowie die Durchführung von entsprechenden Übungen im Alltag der Patient*innen kann das volle Bewegungspotential der Hand wiederhergestellt und Komplikationen vorgebeugt werden. Die Compliance der Patient*innen, aber auch die Aufklärung durch die Therapeut*innen über die Behandlung und das Training zu Hause ist entscheidend für den Erfolg der Nachbehandlungsphase und der gesamten Rehabilitation.
Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
15. Januar 2025
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Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
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ist Physiotherapeut, Manualtherapeut, Sport- und Fitnesskaufmann, Fortbildung in MLD und Krankengymnastik am Gerät, und arbeitet als leitender Physiotherapeut in einem Berliner Krankenhaus vor allem auf der orthopädischen und unfallchirurgischen Station.













