Laryngorhinootologie 2024; 103(11): 788-796
DOI: 10.1055/a-2353-2347
Leitlinien und Empfehlungen

Ambulante Durchführung rhinochirurgischer Operationen unter Berücksichtigung des Einsatzes von Nasentamponaden

Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, der Arbeitsgemeinschaft Rhinologie/Rhinochirurgie (ARHIN) der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie und des Deutschen Berufsverbandes der HNO-ÄrzteSinunasal surgery as outpatient procedure with special consideration of nasal packingPosition paper of the German Society of Otorhinolaryngology, Head and Neck Surgery, the working group Rhinology/Rhinosurgery (ARHIN) of the German Society of Otorhinolaryngology, Head and Neck Surgery and German Professional Association of Otorhinolaryngologists
Rainer K. Weber
1   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Städtisches Klinikum Karlsruhe, Karlsruhe, Germany
2   Sinus Academy, Karlsruhe
,
Thomas Deitmer
3   Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V., Bonn, Deutschland
,
4   Deutscher Berufsverband der HNO-Ärzte e.V., Neumünster
,
Christoph Aletsee
5   HNO-Praxis, Bad Kreuznach
,
Ingo Baumann
6   Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum, Heidelberg, Germany (Ringgold ID: RIN27178)
,
Christian Betz
7   Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Germany (Ringgold ID: RIN37734)
,
Achim Beule
8   Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum Münster, Münster
,
Robert Böscke
9   Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Medizinischer Campus der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg, Oldenburg
,
Andreas Dietz
10   Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitatsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN39066)
,
Vanessa Harnischmacher
11   Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Städtisches Klinikum, Karlsruhe
,
Frank Haubner
12   Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Klinikum der LMU München, München, Germany
,
Werner Heppt
13   Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Städtisches Klinikum, Karlsruhe
,
Anna Sophie Hoffmann
14   Hals-, Nasen- und Ohrenklinik, UKE, Hamburg, Germany (Ringgold ID: RIN37734)
,
Thomas K. Hoffmann
15   Klinik für Hals, Nasen- und Ohrenheilkunde und Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland
,
Werner Hosemann
16   Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Heliosklinikum, Stralsund
,
Thomas Kuehnel
17   Department of Otorhinolaryngology, Head and Neck Surgery, University Hospital Regensburg, Regensburg, Germany (Ringgold ID: RIN39070)
,
Martin Laudien
18   Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkund, Kopf- und Halschirurgie, Christian-Albrechts-Universität Kiel, Kiel, Germany
,
Bernhard Olzowy
19   HNO-Zentrum Landsberg am Lech, Landsberg
,
Kim-Victoria Seibert
20   EWIG NORD Rechtsanwälte PartmbB, Bonn
,
Fabian Sommer
15   Klinik für Hals, Nasen- und Ohrenheilkunde und Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland
,
Thomas Verse
21   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Asklepios Klinikum Harburg, Hamburg
,
Susanne Wiegand
22   Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Plastische Operationen, Universität Leipzig, Leipzig, Germany
23   Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkund, Kopf- und Halschirurgie, Christian-Albrechts-Universität Kiel, Kiel, Germany
,
24   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitatsklinikum Freiburg, Freiburg, Germany (Ringgold ID: RIN14879)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Die Ambulantisierung rhinochirurgischer Eingriffe wird derzeit intensiv diskutiert und insbesondere von politischer Seite stark propagiert. Viele Fragen zur Stratifizierung in ambulante oder stationäre Durchführung sind unklar. Insbesondere das Vorgehen bei Anwendung von Nasentamponaden ist bisher nicht ausreichend diskutiert.

Material und Methoden Entwicklung einer Checkliste zur ambulanten Durchführung rhinochirurgischer Operationen unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur.

Ergebnisse und Schlussfolgerungen Nach umfassender Auswertung der Literatur und Analyse von Risikofaktoren wird eine Liste von stationär durchzuführenden rhinochirurgischen Operationen definiert. Es wird eine Checkliste für die ambulante oder stationäre Durchführung rhinochirurgischer Operationen vorgelegt, die soziale, allgemeine medizinische und spezifische operationsbedingte Gründe berücksichtigt und hierbei die Anwendung von Nasentamponaden einschließt. Sie wird ergänzt durch eine Checkliste, anhand derer Kriterien die Entlassungsfähigkeit von Patienten nach einer ambulant geplanten rhinochirurgischen Operation bewertet wird.


Abstract

Objective Currently, there is an intensive discussion on advancing and expanding outpatient rhinosurgical procedures. Many questions about how to stratify into out- and inpatient procedures are still not sufficiently clarified. Particularly, the use of nasal packing materials is not adequately discussed.

Material and Methods Development of a checklist to stratify sinunasal procedures into in- or outpatient procedures with consideration of current scientific literature and risk factors.

Results and conclusions After comprehensive assessment of the literature and analysis of specific risk factors, a list of sinunasal procedures is presented, which should be performed as inpatient procedures. We present a checklist for in- and outpatient sinunasal procedures, which considers social, medical and surgical factors as well as the use of nasal packing materials. Furthermore, a checklist is added to assess, whether patients are ready for discharge after a planned outpatient procedure.


Einleitung

Die Ambulantisierung rhinochirurgischer (sinunasaler) Eingriffe wird derzeit intensiv diskutiert und insbesondere von politischer Seite stark propagiert. Einige aktuelle Arbeiten haben die Frage der ambulanten Durchführung derartiger Eingriffe im deutschen Gesundheitswesen unter verschiedenen Aspekten analysiert [1] [2] [3].

Das Potenzial zur ambulanten Durchführung rhinochirurgischer Eingriffe erscheint hoch. Das zeigt nicht zuletzt der Vergleich mit anderen Ländern, in denen sehr viel häufiger ambulante oder tageschirurgische Operationen durchgeführt werden [4] [5] [6] [7] [8] [9].

Eine Vielzahl von Arbeiten verweist auf die grundsätzliche Machbarkeit, wobei die Häufigkeit von begründeten (Wieder-) Aufnahmen in ein stationäres Setting eine nicht unerhebliche Spannweite von 2–13,4% aufweist. Die Komplikationsraten betragen bis zu 16,2% für Blutungsereignisse, 4,1% für Infektionen, 12,7% für Schmerzen in Abhängigkeit von Art und Durchführung der untersuchten Eingriffe [3] [4] [7] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22]. Schädelbasisverletzungen mit der Notwendigkeit einer operativen Versorgung nach endoskopischer Nasennebenhöhlenoperation fanden sich in bis 0,8–2,1% der Fälle [11] [15].

Die unterschiedliche Struktur der Gesundheitssysteme, die Vielfalt der zur Diskussion stehenden rhinologischen Eingriffe und die teilweise großen Unterschiede in der konkreten Durchführung einzelner Operationen im internationalen Vergleich erschweren eine einfache Übertragung externer Algorithmen zur ambulanten Leistungserbringung in den künftigen Alltag.

So stellt sich die Frage, ob die strukturellen Rahmenbedingungen für eine Umsetzung in eine umfassende Ambulantisierung rhinologischer Eingriffe derzeit ausreichend gegeben sind.

Es besteht Unklarheit darüber, wie Grenzwerte zur Patientenselektion für eine ambulante oder stationäre Therapie definiert werden sollten und welche Risiken oder Nachteile als Folge eines ambulanten Vorgehens ggf. in Kauf genommen werden können [1] [2].

Aufbauend auf den Überlegungen von Löhler et al. 2022 und ergänzt um den Teilaspekt der Nasentamponade wird ein praktikabler literaturgestützter Algorithmus zur stationären oder ambulanten Ausführung rhinochirurgischer Eingriffe vorgestellt.


Spezielle Risiken rhinochirurgischer Eingriffe

Rhinochirurgische Operationen führen aufgrund der speziellen Anatomie und der Operationstechnik nicht selten zu Situationen, die ein rasches, fachärztliches Eingreifen erfordern, um eine vitale Gefährdung eines Patienten oder einen bleibenden Schaden zu verhindern:

  • Schädelbasisverletzungen mit der Gefahr intrakranieller Blutung, Meningitis und Spannungspneumenzephalus bei Nasennebenhöhlenoperationen. Hier ist ggf. eine rasche Druckentlastung erforderlich, die Einleitung einer intravenösen Antibiotikatherapie und Durchführung einer Duraplastik.

    • Die Häufigkeit einer Duraläsion wird mit durchschnittlich 0,5% angegeben [23]. In größeren Fallserien und in Studien zur ambulanten Durchführung von Nasennebenhöhlenoperationen fanden sich Duraläsionen in 2,1%, 0,8% bzw. 2.6% [11] [15] [24].

  • Orbitaeinblutung mit potenzieller Erblindung nach Verletzung der Lamina papyracea und Periorbita bei Nasennebenhöhlenoperationen. Hier besteht ein Zeitfenster von maximal etwa 90 Minuten, um im Falle eines drohenden Visusverlustes eine definitive Erblindung zu verhindern [23].

  • Orbitaphlegmone mit potenzieller Erblindung mit oder ohne Verletzung der Lamina papyracea und Periorbita bei Nasennebenhöhlenoperationen. Rasche ärztliche Hilfe in Form einer intravenösen Antibiotikatherapie und ggf. operativen Entlastung bei Druckwirkung auf den Sehnerven sind entscheidend.

    • Die Häufigkeit einer Periorbitaläsion wird mit 1,5% – 3,4% angegeben [16] [24] [25] [26].

    • Zu beachten ist, dass intraoperativ nicht jede Verletzung der Lamina papyracea / Periorbita oder Schädelbasis erkannt wird [23] [27].

  • Postoperative Blutungen. Relevante Blutungen nach rhinochirurgischen Operationen entstehen durch Blutungen vor allem aus der Arteria sphenopalatina und ihren Ästen und aus der Arteria ethmoidalis anterior. Insbesondere Revisionsoperationen haben hier ein erhöhtes Risiko [5].

    • (Nach)Blutungen sind mit bis zu 16,2% die häufigste Komplikation nach rhinochirurgischer Operation im zur Diskussion stehenden Kontext [3] [4] [7] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22]. In der Selbsteinschätzung liegt dieser Wert nochmals höher – knapp 30% der Patienten gaben bei standardisierter, prospektiver Befragung an, nach endonasaler Nasen- oder Nasennebenhöhlen-Chirurgie nachgeblutet zu haben [28]. Nachblutungen nach rhinologischen Operationen sind gleichzeitig der häufigste Grund, nach ambulanter Chirurgie den Notdienst in Anspruch zu nehmen [7] [11] [12] [14] [16] [17] [20] [25] [29].

    • Das Besondere der Blutungen nach rhinologischen Operationen ist nicht nur, dass aufgrund des Blutverlustes eine behandlungsbedürftige Kreislaufinstabilität eintreten kann. Die in den Pharynx laufende Blutung führt zusätzlich einerseits zum Verschlucken, was eine Übelkeit und abruptes Erbrechen auslösen kann. Dieses wiederum kann zur Aspiration führen, wenn der Patient auf dem Rücken liegt. Das in den Pharynx laufende Blut kann außerdem direkt zur Aspiration führen. Durch verschluckte Blutanteile ist das Ausmaß der Blutung schwierig einzuschätzen

Im Blick auf diese Gefahren und die Notwendigkeit einer dringlich gebotenen speziellen Therapie sollten die folgenden Operationen grundsätzlich (d.h. unabhängig vom Einsatz einer Nasentamponade) in einem stationären

Setting durchgeführt werden, um eine rasche Handlungsfähigkeit im entsprechenden Blutungsfall zu gewährleisten:

  • Alle weitergehenden Operationen an der Stirnhöhle (Stirnhöhlendrainage Typ IIa, IIb, III nach Draf und erweiterte Eingriffe).

  • Alle weitergehenden Operationen am Siebbein mit Darstellung der Schädelbasis.

  • Alle Operationen an der Keilbeinhöhle.

  • Weitergehende Operationen an der Kieferhöhle (z.B. Drainage Typ 3 bis zur Hinterwand der Kieferhöhle, prälakrimaler Zugang).

  • Weitergehende Operationen an der lateralen Nasenwand (partielle oder mediale Maxillektomie).

  • Die Conchotomie der unteren Nasenmuschel und/oder die Abtragung deren hinterer Muschelenden.


Tamponaden in der Rhinochirurgie

Tamponaden in Nase und Nasennebenhöhlen können in sehr verschiedenen Arten und Indikationen angewendet werden und unterschiedlich lange geplante Anwendungszeiten haben [9] [30] [31].

Auch wenn bekannt ist, dass nach sinunasaler Chirurgie auf eine Nasentamponade verzichtet werden kann [32] [33] [34] [35] [36] [37] [38] [39], verbleibt eine Reihe von Gründen und Vorteilen, eine Nasentamponade zu verwenden: Dies betrifft vor allem die Blutstillung am Ende der Operation, aber auch die günstige Beeinflussung der Wundheilung und ggf. die topische Applikation von Medikamenten [30] [31].

Als Indikationen für eine sich nicht auflösende Nasentamponade gelten z.B.

  • ein erhöhtes Blutungsrisiko bei Einnahme von Antikoagulanzien, dem Vorliegen von Blutgerinnungsstörungen oder einer vom Patienten angegebenen erhöhten Blutungsneigung,

  • eine persistierende diffuse Blutung am Ende der Operation,

  • ein Schutz vor postoperativer Aspiration von Blut,

  • das Stützen mechanisch instabiler Anteile der Nase [9] [31] [40] [41].

Das Einlegen einer Nasentamponade und die Auswahl des spezifischen Produktes erfolgen nach Maßgabe des Operateurs am Ende des Eingriffs und richten sich neben dem Preis, der Verfügbarkeit der Materialien nach Art und Ausmaß der Operation, intraoperativen Faktoren, Patienten-abhängigen Faktoren und der Präferenz des Operateurs [41]. In Deutschland ist entsprechend einer von uns durchgeführten Umfrage der Anteil der durchgeführten Operationen ohne Nasentamponade eher klein [41].


Spezielle Komplikationen bei Verwendung von Nasentamponaden

Im Kontext der ambulanten Chirurgie sind vor allem 3 Aspekte der Verwendung von Nasentamponaden relevant [41]:

  • Der Effekt der Nasenobstruktion auf Apnoen und Hypopnoen, obstruktive Schlaf-Apnoe (OSA) und die nächtliche Sauerstoffsättigung

    • Eine vollständige nasale Obstruktion durch eine beidseitige Nasentamponade erhöht die Anzahl von Apnoen und Hypopnoen bei Gesunden und bei Patienten mit OSA, führt zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung bei einem nicht unerheblichen Anteil der Patienten [42] [43] [44] [45] [46] [47] [48] [49] und kann somit ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom auslösen und/oder verstärken [50] [51].

  • Die Komplikationsmöglichkeit der Dislokation, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erforderlich macht und bei Dislokation nach dorsal einen absoluten Notfall darstellt [41].

    • Entsprechend einer Umfrage unter deutschen HNO-Kliniken und Facharztpraxen hatten dies 24,1% der Antwortenden schon einmal erlebt. Es wurden 5 Todesfälle und 1 Patient mit einer Hirnschädigung im Zusammenhang mit einer Nasentamponade angegeben, was die Relevanz dieser Komplikationsmöglichkeit belegt [41]. Auch in der Literatur finden sich Berichte über schwerwiegende Komplikationen mit Aspiration, Ingestion und ggf. Todesfolge bei zu entfernenden, aber auch bei sich auflösenden Tamponaden [52] [53] [54] [55].

    • Das größte Potenzial zur Dislokation nach dorsal und zur Aspiration mit ggf. Todesfolge, insbesondere bei Nichtbeachten üblicher Regeln zur Fixation über Haltefäden, besitzt der Gummifingerling aufgrund seiner Struktur und glatten Oberfläche. Der Gummifingerling ist gleichzeitig die am häufigsten verwendete Nasentamponade bei rhinochirurgischen Operationen in Deutschland [41].

  • Ein relevanter Grund, Nasentamponaden zu verwenden, ist die persistierende diffuse Blutung am Ende der Operation (siehe oben) und/oder eine erhöhte Blutungsneigung bzw. das generelle Nachblutungsrisiko [31]. Hierbei sind bekannte Gerinnungsstörungen, die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulantien oder eine vom Patienten angegebene, nicht näher spezifizierte Blutungsneigung relevant.

Häufigkeit und Relevanz der potenziellen Komplikationen und die Notwendigkeit, notfallmäßig zu handeln, unterstützen das Statement der Literatur, dass die Verwendung einer nicht resorbierbaren Nasentamponade ein relevanter und häufiger Grund ist, eine rhinochirurgische Operation nicht ambulant durchzuführen [8] [41] .


Gründe für eine ambulante oder stationäre Operationsdurchführung

Soziale, allgemeine medizinische und spezifische operationsbedingte Gründe sprechen für oder gegen eine ambulante Behandlung [1] [25] [56] [57] [58].

  • Allgemein-Medizinische Gründe.

    • Hier ist die Klassifikation der American Society of Anesthesiologists (ASA) ein seit vielen Jahren etabliertes System zur Risikoklassifikation von operativen Patienten [59], wobei ein präoperativer ASA Score von 3 (Patient mit schwerer systemischer Erkrankung) aufgrund der ehöhten Komplikationsrate üblicherweise eine stationäre Operationsdurchführung impliziert [60].

    • Postoperativ sollte vor einer Entlassung nach einem ambulant geplanten Eingriff eine Überprüfung des aktuellen Zustandes des Patienten erfolgen, sowohl hinsichtlich des Allgemeinbefindens als auch des Operationsgebietes (Postanesthesia Discharge Scoring System PADS). Der PADS Score sollte einen Wert von ≥9 erreichen [56] [58] [61].

    • Weiterhin ist unabhängig vom vorliegenden ASA Score das Vorhandensein einer Gerinnungsstörung und/oder die Einnahme von gerinnungshemmenden Medikamenten (Antikoagulantien, Thrombozytenaggregationshemmer) bzw. ein erforderliches Bridging ein Grund für eine stationäre Operationsdurchführung.

    • Obstruktive Schlaf-Apnoe mit einem AHI ≥15 [5] [62].

    • Ein Alter >50 Jahre, wie von Gengler et al. 2017 [15] angegeben, scheint uns als isoliertes Kriterium für ein stationäres Vorgehen nicht geeignet, sofern sonst keinerlei Risikofaktoren vorliegen.

  • Operationsbedingte, medizinisch chirurgische Gründe (s.o.)

    • Rhinochirurgische Operation mit erhöhtem Komplikationsrisiko (siehe oben).

    • Anwendung einer sich nicht auflösenden und zu entfernenden Nasentamponade mit relevantem Dislokationsrisiko (Gummifingerling, PVA-Tamponade) und/oder Nasentamponade mit vollständiger Okklusion der Nasenatmung, auch bei einseitiger Anwendung. Auch im Positionspapier zum perioperativen Management von erwachsenen Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe bei HNO-ärztlichen Eingriffen wird festgestellt, dass beim Einsatz von Nasentamponaden von einer ambulanten Operation abgesehen werden sollte [62].

    • Operationsdauer >90 Minuten.

      • Die Häufigkeit perioperativer Komplikationen nimmt mit der Dauer einer Operation zu [1] [63] [64] [65] [66], weshalb auch bei verlängerter Operationsdauer eine stationäre Operationsdurchführung erfolgen sollte. Eine vermehrte Komplikationsrate umfasst hierbei Narkose-bedingte und allgemeine medizinische Nebenwirkungen, Auswirkungen aufgrund eines über die Dauer zunehmenden Blutverlustes und ansteigende chirurgische Komplikationen, sowie eine verlängerte Dauer des stationären Aufenthaltes.

      • Die Frage, welche Operationsdauer einen längeren Eingriff mit vermehrter Komplikationsrate (und damit zu bevorzugender stationärer Durchführung) definiert, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet, wobei jeweils unterschiedliche Patientenkollektive und Operationen zugrunde liegen. Als kritische Operationsdauer werden zwischen 60 und 187 Minuten angegeben [5] [15] [16] [22] [66] [67]. Die EUFOREA (European Forum for Research and Education in Allergy and Airways diseases) weist darauf hin, dass im Hinblick auf die Sicherheit des Patienten schon ab einer Operationsdauer von 30 Minuten auch bei Gesunden Komplikationen beschrieben worden seien und ein stationäres Setting zu erwägen ist [68].

      • In Würdigung der genannten Literatur lässt sich für das vorliegende Positionspapier die Feststellung treffen, dass eine Operationsdauer von maximal 90 Minuten bei fehlenden Risikofaktoren grundsätzlich noch ambulant erfolgen kann. Ab 120 Minuten sollte ein grundsätzlich stationäres Vorgehen bevorzugt werden. Dazwischen ist ein individuelles Abwägen zu empfehlen.

      • Ein Nebenaspekt im Bereich des ambulanten Operierens ist die Notwendigkeit einer ausreichend langen postoperativen Überwachung vor einer Entlassung. Diese führt zur Empfehlung, dass eine Nachbeobachtungszeit von mindestens 4 Stunden möglich sein muss und die Operation daher spätestens um 16 Uhr beendet sein sollte, wenn eine professionelle Beobachtung bis 20 Uhr gewährleistet werden kann [5] [62]. Dies entspricht einem Operationsbeginn von spätestens ca. 14 Uhr unter Annahme einer akzeptablen Operationsdauer von maximal 90 Minuten.

    • In der Literatur finden sich zwei weitere operationsbedingte Gründe, die ein stationäres Vorgehen bedingen sollen:

      • Blutverlust >150 ml [67]. 150 ml erscheinen uns für übliche Fälle als Grenzwert gering. Die Untersuchung weist allerdings darauf hin, dass im Einzelfall schon ab diesem intraoperativen Blutverlust ein stationäres Vorgehen erfolgen sollte.

      • Postoperativer Schmerzscore von ≥7 von 10 [67].


Checkliste für eine ambulante oder stationäre Durchführung einer rhinochirurgischen Operation ([Abb. 1], [Abb. 2])

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Abb. 1 Ex-ante Checkliste für eine ambulante oder stationäre Durchführung einer rhinochirurgischen Operation. ALLE Kreuze müssen für eine ambulante Operationsdurchführung in einem der grau hinterlegten Felder gemacht sein. EIN „Ja“ führt zum Ausschluss bzw. einer individuellen Aufklärung hinsichtlich einer Abweichung hiervon.
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Abb. 2 Checkliste vor Entlassung nach einer ambulant geplanten rhinochirurgischen Operation. EIN „Ja“ in einem der grau hinterlegten Felder führt zur stationären Aufnahme bzw. einer individuellen Prüfung und ggf. Aufklärung hinsichtlich einer Abweichung hiervon. Der Score zur Beurteilung einer Entlassungsfähigkeit bei geplanter ambulanter Chirurgie (modif. PADS; Abdullah und Chung 2014) muss einen Wert von ≥9 von 10 erreichen (max. Wert 5×2). Die Beurteilung findet direkt vor der geplanten Entlassung statt.

Die Aussagen des vorliegenden Positionspapieres lassen sich in eine präoperative Checkliste überführen. Die Evidenz der Aussagen ist durch die zitierten Studien sowie die erfolgte Umfrage begründet.

Auch der aktuelle AOP-Vertrag zwischen dem GKV-Spitzenverband, der Dt. Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung betont, dass der betreuende Arzt in jedem Einzelfall prüfen muss, ob unter Beachtung von Art und Schwere der beabsichtigten Leistung, des Gesundheitszustandes des Patienten, der Aspekte der unmittelbaren Betreuung nach Entlassung im häuslichen Bereich, einer ärztlichen und ggfs. pflegerischen Versorgung eine ambulante Durchführung nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten möglich ist. Diese Entscheidung muss der Arzt dokumentieren (sinngemäßes Zitat aus AOP-Vertrag 2023 § 2 Abs. 2).

Bei Anwendung von Nasentamponaden können zu den allgemeinen Operationsrisiken und den speziellen Risiken rhinologischer Operationen zusätzliche unterschiedliche Risiken entstehen, die sich im individuellen Fall durch besondere Zustände oder Vorerkrankungen des Patienten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten realisieren können.

Nasen- und Nebenhöhlentamponaden und die Begleitumstände können sehr risikoarm und für eine ambulante Weiterbetreuung nach den Regeln ärztlicher Kunst geeignet sein. Ebenso kann jedoch die Gesamtsituation des Patienten mit einer solchen Tamponade sehr risikogeneigt sein, sodass eine ambulante Weiterbetreuung sich nach den Regeln ärztlicher Kunst verbietet. Nicht allein die Art oder Größe einer Tamponade, sondern alle gesundheitlichen und sozialen Umstände bis hin zur Erreichbarkeit einer Nothilfe sind für die Frage einer ambulanten Betreuung relevant. Es ist eine ärztliche Leistung und Pflicht, für jeden Einzelfall auch in der Interaktion von Tatbeständen diese Frage abzuwägen und entsprechend für den Patienten zu organisieren. Wenn auch gern diese Frage in der späteren Beurteilung aus dem ex-post-Wissen des Verlaufes nachvollzogen bzw. kritisiert wird, muss betont werden, dass auch nach § 2 Abs. 2 des AOP-Vertrages 2023 die Entscheidung ex-ante getroffen werden muss.

Bei der Indikationsstellung und Terminierung eines Eingriffes muss der zuständige HNO-Arzt seine Entscheidung dokumentieren, um diese nachvollziehbar und begründbar zu machen. Eine operationalisierbare Entscheidung ähnlich einem Flussdiagramm für die Frage einer ambulanten Betreuung bei Nasen- oder Nebenhöhlentamponade ist nicht möglich, da verschiedenste Faktoren in verschiedensten Ausprägungen auf die individuelle ärztliche Entscheidung Einfluss haben müssen.

Die wissenschaftliche Fachgesellschaft möchte in diesem Positionspapier wichtige Faktoren für eine solche Entscheidungsfindung vorschlagen. So soll einerseits handelnden Ärzten eine wissenschaftlich fundierte Argumentation und andererseits den Ärzten in der postoperativen Nachbetreuung eine Erklärung angeboten werden. Auf die Notwendigkeit, dass eine solche Entscheidungsfindung standardisiert sein, auf objektiven Kriterien basieren und durch Fachpersonal erhoben werden sollte, weist auch Jakobsson 2019 [70] in seiner Übersichtsarbeit hin.

In diesem Sinne sollen in der nachfolgenden, nicht abschließenden Liste Einflussfaktoren für eine fallindividuelle Entscheidung (§ 8 Abs. 3 AOP-Vertrag) in der Frage „Ambulante Durchführung einer rhinochirurgischen Operation“ benannt werden.

Aus der oben zitierten und diskutierten Literatur ergibt sich eine Liste von Subkategorien in den Hauptkategorien soziale, allgemeine medizinische und operationsbedingte Gründe, die eine standardisierte und auf objektiven Kriterien basierende Zuordnung zur ambulanten oder stationären Leistungserbringung bei rhinochirurgischen Operationen bedingen ([Abb. 1], [Abb. 2]).

[Abb. 1] listet Kriterien für eine Planung zur ambulanten Durchführung einer rhinochirurgischen Operation auf. Da jeder Punkt für sich relevant ist und zu einer nicht zumutbaren Gefährdung führen kann, bedarf diese Checkliste einer ausschließlichen Ankreuzung mit „Nein“, wenn eine ambulante Leistungserbringung gerechtfertigt ist.

Dies bedeutet, dass eine ambulante Durchführung nicht zugemutet oder von Dritten gefordert werden kann, wenn zumindest eine Antwort mit „Ja“ angekreuzt wurde.

Wünscht ein Patient ausdrücklich eine ambulante Durchführung und wird in der Liste irgendeine Kategorie mit „Ja“ beantwortet, bedarf es einer Aufklärung über ein erhöhtes Risiko und einer speziellen, ausdrücklichen und schriftlich dokumentierten Einwilligung des Patienten.

In [Abb. 2] werden Kriterien aufgelistet, die zum einen die grundsätzliche Entlassungsfähigkeit nach Operation und Narkose beinhalten (PADS-Score). Zum anderen finden sich Kriterien, die sich während bzw. nach der Operation ergeben und gegen das geplante ambulante Vorgehen sprechen.



Interessenkonflikt

Rainer Weber: Empfang von Honoraren oder Beratungsgebühren: GSK, Hommel Pharma, Infectopharm, KARL STORZ, Sanofi-Aventis, Sidroga, Spiggle & Theis, Stryker Bernhard Olzowy: Vortragshonorare für Radiofrequenzchirurgiekurse seitens der Fa. Neuwirth Medical Products, die selbstauflösende Chitosantamponaden (PosisepX) vertreibt. Frank Haubner: Honorare für Vorträge bei folgenden Firmen: Brainlab, Spiggle&Theis, RG Ärzteberatung, Neuwirth Robert Böscke: Reisekosten, Vortragshonorare: Sanofi, GSK Achim Beule: Vorträge für AstraZeneca, GlaxoSmithKline, Happersberger otopront, Medtronic, Novartis, Sanofi Aventis, Xion; Beratertätigkeit für AstraZeneca, GlaxoSmithKline, Medtronic, Novartis, Sanofi Aventis, Durchführung von wissenschaftlichen Studien an der Uniklinik Münster für Allakos, AstraZeneca, BioMed Elements/EU, Bristol Myers Squibb, GlaxoSmithKline, Happersberger otopront/AiF,Sanofi Aventis, Winicker Norimed; insgesamt aber keine Tätigkeiten mit Schwerpunkt „Nasentamponaden“ oder mit Bezug zu dieser Publikation Thomas Kühnel: Glaxo Smith Kline: Advisory Board; Karl Storz Endoskope: bezahlte Tätigkeit bei Operationskursen; Sanofi: Advisory Board (Einladung), Vortragstätigkeit; Dt. Fachgesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie; Dt. Fachgesellschaft für Schädelbasischirurgie


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Rainer K. Weber
Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Städtisches Klinikum Karlsruhe
Moltkestraße 90
76133 Karlsruhe
Germany   

Publication History

Article published online:
30 September 2024

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Abb. 1 Ex-ante Checkliste für eine ambulante oder stationäre Durchführung einer rhinochirurgischen Operation. ALLE Kreuze müssen für eine ambulante Operationsdurchführung in einem der grau hinterlegten Felder gemacht sein. EIN „Ja“ führt zum Ausschluss bzw. einer individuellen Aufklärung hinsichtlich einer Abweichung hiervon.
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Abb. 2 Checkliste vor Entlassung nach einer ambulant geplanten rhinochirurgischen Operation. EIN „Ja“ in einem der grau hinterlegten Felder führt zur stationären Aufnahme bzw. einer individuellen Prüfung und ggf. Aufklärung hinsichtlich einer Abweichung hiervon. Der Score zur Beurteilung einer Entlassungsfähigkeit bei geplanter ambulanter Chirurgie (modif. PADS; Abdullah und Chung 2014) muss einen Wert von ≥9 von 10 erreichen (max. Wert 5×2). Die Beurteilung findet direkt vor der geplanten Entlassung statt.