PiD - Psychotherapie im Dialog 2025; 26(02): 94-95
DOI: 10.1055/a-2342-2798
Resümee

+/- 18

Bettina Wilms
,
Silke Wiegand-Grefe

Ganz schön aufregend!

„Ganz schön aufregend!“ Das würden wir zu diesem Heft sagen – und auch zu dieser Lebensphase, in der so viel in Bewegung ist.

Und wie wir werden auch Sie, unsere Leserinnen und Leser, wahrnehmen, dass Bedarf und Bedürfnisse nach Unterstützung in der Phase der Transition zum Erwachsenenalter erheblich zu steigen scheinen. Dabei scheint es um die Unterstützung der direkt Betroffenen zu gehen und gleichermaßen auch um die Unterstützung ihres Umfeldes. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Hilfesysteme hierzu sehr unterschiedliche und vielfältige Konzepte entwickeln. Wir hoffen, Ihnen in diesem Heft einige Ansätze näher gebracht zu haben, die es aus Ihrer Sicht lohnen, sich gründlicher damit zu befassen.

Die wesentliche Herausforderung ist in unserem Gesundheitssystem dabei immer die Abgrenzung zwischen Bereichen, Verfahren und letztlich dem Lebensalter, die es für die Betroffenen oft so schwer macht, und die es zu überwinden gilt. Ziel sollte sein, dass nicht da, wo viel Bewegung ist, auch noch ständig neue Ansprechpartner hinzukommen. Für Nutzende, die bereits Erfahrungen mit Hilfen im früheren Jugendalter gemacht haben, geht es dabei um Übergänge und Veränderungen aus bekannten Unterstützungskontexten. Für „Neulinge“ im Hilfesystem ist es in dieser Lebensphase oft nicht nur ein System, in dem Angebote bestehen, sondern auch noch ein zweites, mindestens ebenso komplexes, in dem das Sich-Zurecht-Finden gelingen sollte.

Viel beschäftigt sich dieses Themenheft daher mit den Übergängen und Schnittmengen zwischen Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie und -psychotherapie und Erwachsenenpsychiatrie und -psychotherapie. Dabei wird im Alltag immer wieder deutlich, dass bei aller Nähe viel Trennendes zu überwinden ist – und dies eben nicht nur für die Betroffenen und ihre Familien, sondern auch für die Helfenden. Und so ist es auch uns ergangen: Vom ersten Brainstorming im Herausgebergremium bis zur Einladung zu Beiträgen konnten wir eine ondulierend sinusartig verlaufende Kurve zwischen Interesse, Begeisterung aber auch Rückzug und Abgrenzung feststellen.

Wir resümieren: Es ist nicht so einfach mit den Schnittstellen zwischen den inhaltlich scheinbar so nah beieinander liegenden Fächern und den psychotherapeutischen Verfahren und deren gemeinsamer Verknüpfung auf der Ebene interdisziplinärer Zusammenarbeit. Eine von uns (Bettina Wilms) macht dazu seit 2017 täglich Erfahrungen in und mit einer über die Lebensspanne fusionierten Psychiatrischen Institutsambulanz. Ein Versuch einer Zusammenfassung könnte lauten: „Das gibt es so selten, weil es im Detail und in der Alltagspraxis so herausfordernd ist, was von außen betrachtet doch ganz einfach aussieht.“ Sobald die Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe dazukommen, werden die Dinge dann auch noch über die Sozialgesetzbücher hinweg zusätzlich komplex, und schon manche Mitarbeitende wünschten sich gerade deshalb klarere altersbezogene Grenzen in den Zuständigkeiten zurück. Gleichzeitig treffen professionell erhobene Bedarfe oft auf Bedürfnisse von betroffenen Menschen, die andere Zugangswege als üblich erfordern, um wirklich als Hilfestellung angenommen werden zu können. Wir haben daher auch die Kontexte Beratung und Schule in dieses Heft aufgenommen.

Über alle Herausforderungen hinweg bleibt aber auch die Besonderheit, dass alle Helfer*innen, die Lebensphase +/- 18 selbst zumindest im Wesentlichen bereits hinter sich gebracht haben. Es könnte also die Chance bestehen, dass eigentlich alle Beteiligten, Nutzende und professionelle Helfer*innen, auf eine spezielle Art Expert*innen in eigener Sache sind. Ob dies zu Lösungen führen kann, die Unterschiede machen, oder ob es Mentalisierungsprozesse der Perspektivübernahme eher erschwert („Hab ich doch auch überlebt! – Ist doch kein Hexenwerk!“), das markiert möglicherweise einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu hilfreichen individuellen Entwicklungen.

Und dazu möchte auch dieses Heft Sie ermutigen: sich Ihrer Erfahrungen bewusst zu werden und weder Neugier noch „Old School“ abzuwerten. +/- 18 ist keine Krankheit, sondern ein Abenteuer, dem wir uns nicht entziehen können. Psychotherapeut*innen sind dabei manchmal Guide, manchmal Reisebegleiter und vielleicht auch mal Mitreisende.

Wir als Herausgeber*innen wünschen Ihnen auf diesem Weg eine sichere Reise und ein gutes Ankommen.

Bettina Wilms, Silke Wiegand-Grefe



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
20. Mai 2025

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