Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2024; 29(03): 180-186
DOI: 10.1055/a-2335-8853
Originalarbeit

Kombinationsabschlag nach GKV-Finanzstabilisierungsgesetz: valide Berechnung auf Basis von Krankenkassendaten möglich?!

Discount on combination therapies according to the new law (“GKV-Finanzstabilisierungsgesetz”): Valid calculation based on German claims data possible?!
Antje Mevius
1   Institut für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik e.V., Alter Holzhafen, Wismar
,
Barthold Deiters
2   GWQ ServicePlus AG, Ria-Thiele-Str. Düsseldorf; im folgenden: GWQ
,
Ulf Maywald
3   Payers GmbH, Heilwigstraße, Hamburg
,
Sabrina Müller
1   Institut für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik e.V., Alter Holzhafen, Wismar
,
Thomas Wilke
1   Institut für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik e.V., Alter Holzhafen, Wismar
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

In einem Pilotprojekt wurde der Frage nach der Berechenbarkeit des neuen Kombinationsabschlags nach GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nachgegangen. Die Wirkstoffe Daratumumab/Pomalidomid (Bsp1) sowie Empaglifozin/Semaglutid (Bsp2) wurden exemplarisch für die Berechnungen mit dem TAKiT-Tool ausgewählt. Für Bsp1 wurden bei Zugrundlegung von 90 Tagen Überlappungszeitraum 805 Packungen von Daratumumab identifiziert; die Änderung der 90 Tage in 30 oder 120 Tage, oder zu einem Einschluss taggleicher Abgaben oder einer Zweitabgabe jedes Kombinationsarzneimittels innerhalb von 90 Tagen führte zu einer 34,9%igen Reduktion, einer 10,7%igen Steigerung oder einer 32,5%igen Reduktion der Packungszahlen (Bsp2: 3.843 Packungen sowie -25,1%,+8,1% bzw. -44,7%). Die Berechnung der kombinationsrelevanten Verordnungen ist herausfordernd, analytisch aber gut machbar. Spezifische Festlegungen vieler Parameter üben einen erheblichen Einfluss auf die Sinnhaftigkeit des gesamten Instruments aus.


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Abstract

The objective of this pilot project was to assess whether a valid calculation of the new combination discount according to the German GKV-Finanzstabilisierungsgesetz is feasible. Based on the published G-BA list of almost 300 relevant combinations, we chose two examples for our calculations: Daratumumab/Pomalidomid (case1) and Empaglifozin/Semaglutid (case2). Based on a 90 days overlap for prescriptions, we identified 805 Dara packs prescribed as part of case1. If, instead of 90 days, an overlap within 30 or 120 days, or at the same day or 2 prescription of each drug within 3 months was required, number of identified packs was reduced by 34.9%, increased by 10.7%, or reduced by 32.5% (case2: 3,843 packs, in scenarios: − 25.1%,+8.1% and − 44.7%). Identification of prescribed combinations and calculation of combination discounts is challenging but feasible. Specific assumptions do have a substantial impact on calculation results.


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Kombinationsabschlag: Ein neues Instrument im Arzneimittelmarkt

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG), das im Oktober 2022 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, wird im deutschen Gesundheitssystem ein neuartiges und in dieser Form einmaliges Instrument eingeführt: der Kombinationsabschlag. Ab dem 2. Mai 2023 erhalten gesetzliche Krankenkassen gemäß § 130e Abs. 1 SGB V für alle Arzneimittel (AM) mit neuen Wirkstoffen, die in einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zuvor nach § 35a Abs. 3 Satz 4 SGB V benannten Kombination eingesetzt und zulasten der GKV abgegeben werden, vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent des Abgabepreises ohne Mehrwertsteuer. Durch die Einführung des Kombinationsabschlags rechnet der Gesetzgeber mittelfristig mit Einsparungen von ca. 185 Mio. Euro [1].

Die Einführung des zusätzlich zum Herstellerrabatt gemäß § 130a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1b SGB V anfallenden Kombinationsabschlags wurde damit begründet, dass Arzneimittelausgabenanstiege durch den gleichzeitigen Therapieeinsatz mehrerer AM verursacht werden, ohne dass der Kombinationseinsatz mit einem dem Mehrpreis adäquaten entsprechenden zusätzlichen Nutzen verbunden wäre. Dabei beschränkt sich der Kombinationsabschlag auf „freie Kombinationen“, da für „fixe Kombinationen“, bei denen mehrere Wirkstoffe in einer Arzneimittelpackung vorhanden sind, ohnehin bereits eine gemäß § 35a SGB V stattfindende Nutzenbewertung erfolgt. Zudem sind diejenigen freien Kombinationen vom Abschlag ausgenommen, für die in der Nutzenbewertung durch den G-BA ein mindestens beträchtlicher Zusatznutzen festgestellt wurde.

Der Kombinationsabschlag wird nach Willen des Gesetzgebers nicht bei jedweder freien Kombination relevant. Vielmehr hat der Gesetzgeber den G-BA beauftragt, die nach dem neuen Gesetz maßgeblichen AM-Kombinationen im Sinne einer Positivliste festzulegen. Nach eigener Aussage favorisierte der G-BA bei der Bestimmung der Kombinationen zunächst die Sicht des Bundesgesundheitsministeriums, umfassend vorzugehen und auch all jene Wirkstoffe als Kombinationspartner zu benennen, die rein theoretisch möglich wären, ohne dass es dafür einen konkreten Bezug in der Fachinformation gebe [2]. Erste kritische Diskussionen und insbesondere Rückmeldungen im Rahmen eines Stellungnahmeverfahrens haben dann jedoch bewirkt, dass weitaus engere Maßstäbe angesetzt wurden, um Wirkstoffe als Kombinationspartner bei der Bewertung neuer AM zu benennen. Nach Ausführungen des G-BA müssen kombinationsrelevante AM in ihrer Fachinformation zumindest Angaben zu einem Einsatz als Kombinationstherapie mit einem anderen AM ausweisen, um abschlagsfähig zu sein [3]. Die Kombinationspartner müssen also „offiziell“ im gleichen Anwendungsgebiet zugelassen sein. Damit ist der „Off label“-Kombinationseinsatz vom Abschlag ausgenommen.

Der G-BA hat mit Stand Dezember 2023 insgesamt 57 Wirkstoffe benannt, deren Kombinationseinsatz mit insgesamt 106 unterschiedlichen Wirkstoffen abschlagsfähig ist. Daraus abgeleitet löst theoretisch der beobachtete Einsatz von insgesamt 279 Kombinationstherapien (Doppelzählung ein und derselben Kombination in unterschiedlichen Indikationsgebieten/Patientengruppen herausgerechnet) den neuen gesetzlich vorgesehenen Abschlag von 20% aus. Allerdings: Fünf der genannten Arzneimittel[1] oder benannten Kombinationsarzneimittel sind im Betrachtungszeitraum bereits vom Markt genommen worden, so dass lediglich 202 Kombinationen verbleiben. Nach § 130e Abs. 2 SGB V ist es Aufgabe der pharmazeutischen Hersteller und des GKV-Spitzenverbandes, weitere Details zur Berechnung und Abrechnung der Abschlagsbeträge einvernehmlich festzulegen. Dies ist bislang nicht gelungen, so dass die Klärung durch das Bundesgesundheitsministerium zu erfolgen hat [4]. Aktuell erfolgt ein Stellungnahmeverfahren zu einem ersten Entwurf des BMG hinsichtlich der weiteren Festlegungen.

Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen die Verantwortung zugewiesen, den vom G-BA definierten Kombinationseinsatz in ihren Daten zu quantifizieren und sodann mit entsprechendem Nachweis pharmazeutischen Unternehmen in Rechnung zu stellen. Da von einer zeitlichen Verzögerung von ca. neun Monaten bis zur Verfügbarkeit notwendiger ambulanter Diagnosedaten in Krankenkassendatensätzen auszugehen ist, kann angenommen werden, dass die ersten relevanten Daten zu kombinationsabschlagsrelevanten AM-Therapien (ab Mai 2023) bereits aktuell vorliegen; die gesamten Daten zum Jahr 2023 (abschlagsrelevanter Zeitraum 02. Mai 2023 bis 31.12.2023) und damit die ersten Jahresrechnungen an die pharmazeutische Industrie sind im frühen Herbst 2024 zu erwarten. Dies gilt allerdings nicht, wenn – wie im derzeitigen BMG-Entwurf vorgesehen – ambulante Diagnosen für die Abrechnung des Kombinationsabschlags nicht notwendig sind, weil weder die Identifikation von spezifischen Patienten(sub)populationen noch die Prüfung auf Monotherapieeinsatz erfolgen würde.

In der Diskussion zum Kombinationsabschlag wird neben der insbesondere von der pharmazeutischen Industrie hervorgebrachten Kritik am Abschlag selbst [5] häufig argumentiert, dass die Berechnung des Kombinationsabschlags faktisch rechtssicher kaum zu leisten sei. Grund wären fehlende Rahmenparameter und eine hohe Komplexität der Berechnung.

In einem Pilotprojekt, das die Autoren auf Basis des anonymisierten Forschungsdatensatzes der GWQ durchführen, soll der Frage nach der Berechenbarkeit des Kombinationsabschlags nachgegangen werden. Dies schließt auch die Identifikation von Faktoren ein, die Einfluss auf die Identifikation abschlagsrelevanter Kombinationen und die Berechnung der Abschlagsbeträge nehmen.

Zwei Wirkstoffe aus der obigen G-BA-Kombinationsliste wurden für die exemplarischen Kalkulationen in diesem Beitrag ausgewählt: Daratumumab in Kombination mit Pomalidomid mit einer Zulassung für die Therapie des multiplen Myeloms (MM) sowie Empaglifozin in Kombination mit Semaglutid mit einer Zulassung für die Behandlung der Diabetes mellitus Typ 2 (DM 2). Einer der Gründe für die Auswahl von Empaglifozin neben dessen Einsatz in einem von Daratumumab sehr unterschiedlichem Indikationsgebiet war, dass diesem in spezifischen Indikationen/Einsatzgebieten ein mindestens beträchtlicher Zusatznutzen vom G-BA zugeschrieben wurde. Insofern sollte im Pilotprojekt auch geprüft werden, ob ein Herausrechnen von Subpopulationen mit einem beträchtlichen Zusatznutzen möglich ist, auch wenn dieser Rechenschritt nach aktuellen BMG-Vorgaben entfallen würde.

Die Beispielberechnung auf Basis von Abrechnungsdaten der GWQ mit insgesamt 4,4 Mio. Versicherten zum 01.01.2022 nutzte exemplarisch das Kalenderjahr 2022; die Kalenderjahre 2020 und 2021 standen als Basiszeitraum zur Verfügung. Daten aus der ambulanten Versorgung (ICD-10 Codes und OPS-Codes), der stationären Versorgung (ICD-10 Codes und OPS-Codes) sowie der ambulanten Arzneimittelversorgung (Verordnungsdaten inkl. ATC-Codes und PZNs) wurden für die Berechnung genutzt. Die Berechnungen erfolgten mit dem Berechnungstool TAKiT ® , das eigens zur Berechnung von Kombinationsabschlägen entwickelt wurde.


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Methodik

Im Pilotprojekt und bei der Programmierung des TAKiT®-Tools wurde eine schrittweise Kalkulationsmethodik umgesetzt, die zunächst Patienten und Packungen mit Kombinationseinsatz gemäß G-BA-Vorgaben identifiziert und dann schrittweise spezifische Ausschlusstatbestände quantifiziert ([Abb. 1]). Zahlreiche strategische Annahmen, deren konkrete Ausprägung (innerhalb des Rahmens des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes) einen erheblichen Einfluss auf die Zahl der ausgewiesenen Kombinationspackungen und damit der (potenziell) in Rechnung zu stellenden Kombinationsabschläge ausüben, wurden identifiziert. Im entwickelten TAKiT®-Tool wird Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, entsprechende strategische Entscheidungen bezüglich der Annahmen in einem „Annahmencockpit“ zu treffen. Dass diese strategischen Parameter auch nach Veröffentlichung der BMG-Vorhaben existieren, ist angesichts erster BMG-Entwürfe, die zahlreiche Parameter nicht erwähnen, anzunehmen.

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Abb. 1 Schema der Berechnungslogik.

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Beispielrechnung Daratumumab in Kombination mit Pomalidomid

Für das erste Beispiel, die Kombination von Daratumumab mit Pomalidomid, wurden bei Abgabe beider Arzneimittel innerhalb von 90 Tagen unter Einbindung (in Kassendaten sichtbarer) stationärer Abgaben im Datensatz der GWQ 805 Packungen (440 Abgaben) von Daratumumab, die die Kombinationskriterien erfüllen, identifiziert. Das Vernachlässigen stationärer Abgaben von Daratumumab hätte zu einer Reduktion der relevanten Packungsanzahl um 4,3% auf 770 Packungen geführt; stationäre Abgaben des Kombinationspartners Pomalidomid wurden auch in diesem Szenario zur Identifikation der ambulanten Kombinationsabgaben von Daratumumab berücksichtigt. Die (beispielhafte) Änderung des 90-Tage-Kriteriums in 30 Tage oder 120 Tage würde zu einer 34,9%igen Reduktion auf 524 Packungen oder einer 10,7%igen Steigerung auf 891 Packungen führen ([Abb. 2]). In einer sehr engen Definition eines Kombinationsfalls (nur Betrachtung taggleicher Abgaben als Kombination) ergäben sich lediglich 39 als Kombination abgegebene Packungen und damit eine Reduktion zum Basisfall um 95,2%. Nähme man an, dass Kombinationsabgaben nur dann als gegeben angenommen werden, wenn die Verschreibungen entweder am gleichen Tag oder zumindest eine jeweils zweite Verordnung jedes der beiden Kombinationsarzneimittel innerhalb von 90 Tagen erfolgten, resultierten daraus 543 Packungen und damit eine 32,5%ige Reduktion im Vergleich zum „einfachen“ 90-Tage-Kriterium.[2]

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Abb. 2 Einfluss der Parameterdefinitionen auf die Menge der abschlagsfähigen abgegebenen Packungen.

Im Fall dieser Kombination wurden keine relevanten Ausschlusskriterien definiert. Werden die 770 ambulant abgegebenen Packungen im Basisszenario zugrunde gelegt, kassenspezifische Rabatte vernachlässigt und die Preise vom 01.01.2022 angenommen, resultierte im Beispielszenario (ohne Berücksichtigung stationärer Abgaben) ein Abschlag von 330.000 €; bei ausschließlicher Berücksichtigung taggleicher Abgaben als Kombinationsfall wären es lediglich 18.500 €, bei Gültigkeit des „taggleichen oder Zweitverordnung innerhalb von 90 Tagen-Kriteriums“ wären es 240.000 €.


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Beispielrechnung Empaglifozin in Kombination mit Semaglutid

Im zweiten Beispiel, der Kombination der Antidiabetika Empaglifozin und Semaglutid, wurden bei Abgabe beider Arzneimittel innerhalb von 90 Tagen 3.843 Packungen, die die Kombinationskriterien erfüllen, identifiziert. Stationäre Abgaben von Empaglifozin noch Semaglutid konnten aufgrund fehlender spezifischer stationärer OPS-Codes im Datensatz nicht identifiziert werden, so dass sie nicht berücksichtigt wurden. Die (beispielhafte) Änderung des 90-Tage-Kriteriums in 30 Tage oder 120 Tage würde zu einer 25,1%igen Reduktion auf 2.879 Packungen oder einer 8,1%igen Steigerung auf 4.156 Packungen führen. Bei der ausschließlichen Berücksichtigung von Abgaben von Empagliflozin und Semaglutid am gleichen Tag würde sich die Anzahl der abschlagsfähigen Packungen um 53,5% auf 1.788 Packungen reduzieren ([Abb. 3]). Nähme man wiederum an, dass Kombinationsabgaben dann als gegeben angenommen werden, wenn die Verschreibungen entweder am gleichen Tag oder zumindest eine jeweils zweite Verordnung jedes der beiden Kombinationsarzneimittel innerhalb von 90 Tagen erfolgten, resultierten daraus 2.124 Packungen und damit eine 44,7%ige Reduktion im Vergleich zum „einfachen“ 90-Tage-Kriterium.

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Abb. 3 Szenarienbetrachtung: Abgabe von Abschlags- und Kombinationsarzneimittel innerhalb von 90 Tagen, am gleichen Tag bzw. im aktuellen BMG-Szenario (Abgabe am gleichen Tag oder jeweils zwei Abgaben beider Kombinationsarzneimittel im gleichen 3-Monatszeitraum).

Im Fall dieser Kombination existieren formal mindestens zwei relevante Ausschlusskriterien: Zum einen ist Empaglifozin neben der Behandlung von DM 2 zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz und/oder chronischer Niereninsuffizienz (CKD). Beide können über relevante ambulante und stationäre ICD-10-Codes identifiziert werden. Im Beispiel betraf das 48.380 Abgaben von 17.680 Versicherten, die bis zu drei Jahre vor (inklusive) dem zu bewertenden Abgabedatum von Empaglifozin im Jahr 2022 eine dieser Erkrankungen (eine stationäre und/oder zwei zeitlich voneinander getrennte ambulante Diagnosen) aufwiesen. Würde man bei der Bewertung die Rückschau um ein oder sogar zwei Jahre reduzieren, verringerte sich die Anzahl der von der Abschlagspflicht ausgeschlossenen Packungen um 0,6–2,8% ([Abb. 2]). Für die „reale“ Abrechnung wäre das Zulassungsdatum von Empaglifozin für die CKD (24.07.2023) mit zu berücksichtigen, da der Ausschluss von der Abschlagspflicht erst nach dem Zulassungsdatum möglich wäre. In unserer Beispielrechnung auf Basis des Jahres 2022 wurde exemplarisch angenommen, dass Empaglifozin-Verordnungen bei Patienten mit CKD von der Abschlagspflicht ausgenommen sind. Andere Berechnungsszenarien wären denkbar – zum Beispiel lediglich der Ausschluss einer Packung von der Abschlagspflicht, wenn die erste entsprechende Verordnung erst nach der inzidenten CKD-Diagnose erfolgt ist.

Empaglifozin in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln (hier: Semaglutid) weist nach G-BA-Beschluss [6] einen beträchtlichen Zusatznutzen bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung in Kombination mit weiterer Medikation zur Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren auf. In unserer Kalkulation wurden 1.750 Abgaben von 692 Versicherten, auf die die Diagnosekriterien innerhalb von drei Jahren vor der Abgabe zutreffen (die Kombination der kardiovaskulären Medikation wurde analog zur Abschlagskombination kalkuliert), von der Abschlagspflicht ausgeschlossen. Bezieht sich die Kalkulation nur auf den Zeitraum von zwei Jahren oder einem Jahr vor der Abgabe, werden weniger Abgaben ausgeschlossen und die Anzahl der kombinationsrelevanten Empaglifozin-Packungen erhöhte sich entsprechend um 0,8% bzw. 3,5% ([Abb. 2]). Gälte hingegen, dass jedwede Kombination von Empaglifozin mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln anwendungsgebietsübergreifend von jedweder Abschlagspflicht aufgrund des mindestens beträchtlichen Zusatznutzens in einer Indikation ausgenommen ist, würde dies die Zahl abschlagsfähiger Packungen um 100% reduzieren; ein Verbleib auf der Liste des G-BA wäre damit nicht sinnvoll.

Werden die 3.843 Packungen im Basisszenario zugrunde gelegt ([Tab. 1]), kassenspezifische Rabatte vernachlässigt und die Preise vom 01.01.2022 angenommen, resultierte im Beispielszenario auf Basis der GWQ-Forschungsdaten ein Abschlag von 108.000 € aus der Kombination von Empaglifozin mit Semaglutid. Bei der ausschließlichen Berücksichtigung von taggleichen Kombinationsabgaben wären dies lediglich 750 € ([Abb. 3]), bei Gültigkeit des „taggleichen oder Zweitverordnung innerhalb von 90 Tagen-Kriteriums“ wären es 60.000 €. Gälte der aktuelle BMG-Vorschlag, resultierten keine Abschlagsbeträge aus jedweder Empaglifozin-Kombinationsabgabe.

Tab. 1 Berechnungslogik des Kombinationsabschlags anhand zweier Beispiele und Auswahl relevanter strategischer Parameter (Quelle: TAKIT®); Begriff „Monotherapie“ bezieht sich auf Einsatz eines Kombinationsarzneimittels als Monotherapie in einer Indikation, die von Kombinationstherapieindikation abweicht, jedoch beim jeweiligen Patienten diagnostiziert wurde.

Kalkulationssschritt

Daratumumab: Kombination mit Pomalidomid (Base Case)

Empaglifozin: Kombination mit Semaglutid (eine von 15 benannten Kombinationen; Base Case)

Auswahl strategischer Annahmen

Identifikation aller Abgaben des Abschlagsarzneimittels (AAM) im Abrechnungszeitraum

100% (13.643 Packungen)

100% (114.516 Packungen)

  • Einbezug stationärer Verordnungen (ja/nein)

  • Versichertenauswahl (durchgängige Versicherung, Mitarbeiter, etc.)

Identifikation von als relevanter Kombination abgegebener Packungen

5,9% aller AAM-Abgaben (805 Packungen)

7,7% aller AAM-Abgaben (8.798 Packungen)

  • Einbezug stationärer Verordnungen (ja/nein)

  • Definition Kombination (zeitraum- versus DDD-basierte Berechnung)

Ausschluss: Einsatz des Abschlagsarzneimittels als Monotherapie?. Logik: Wurde der Patient mit einer Erkrankung diagnostiziert, für die das Abschlags-AM als Monotherapie zugelassen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es für diese Erkrankung eingesetzt wird; damit keine Abschlagsfähigkeit.

Nicht relevant

36,4% (3.250 Packungen)

  • Diagnosekriterien (Zahl Diagnosen, ambulante und/oder stationäre Diagnosen, diagnostizierender Arzt, etc.)

  • Zeitraum der Diagnosen

  • Erforderliches zeitliches Vorliegen der Diagnosen (bei Therapiebeginn oder später)

  • Länge Basiszeitraum

Ausschluss: Einsatz des Abschlagsarzneimittels mit beträchtlichem Zusatznutzen verbunden?. Logik: Kann der Patient zum Abgabezeitpunkt einer Patientengruppe zugeordnet werden, für die der GBA einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen beschieden hat, ist die Kombination nicht abschlagsfähig.

Nicht relevant

19,9% (1.750 Packungen)

  • Siehe oben für Diagnosekriterien

  • Bei beträchtlichem Zusatznutzen in einer spezifischen Therapielinie: Annahmen bei Linienbestimmung (Einbezug ambulanter und/oder stationärer Therapiedaten, Zeiträume, „Ereignisse“ vor Linienbeginn, Definition „Linie“, etc.)

Kombinationsrelevante Packungen

100,0% (805 Packungen; davon: 770 ambulant abgegeben)

43,7% (3.843 Packungen)

Abschlagsbetrag

  • Preiszeitpunkt

  • Mit/ohne Einbezug kassenspezifischer Rabatte

  • Mit/ohne Einbezug der stationär abgegebenen Packungen


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Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die Diskussionen zu einem Kombinationsabschlag begannen bereits im Jahr 2015 [7]. Sieben Jahre später realisierte der Gesetzgeber mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz das Konzept, ließ dabei allerdings viele Detailfragen offen.

Die exemplarische Betrachtung von zwei aus einer Auswahl von insgesamt fast 300 durch den G-BA definierten Kombinationen lässt bereits drei Schlussfolgerungen zu. Erstens zeigen unsere Analysen, dass die Zahl der kombinationsrelevanten Verordnungen nebst der Kalkulation der Abschlagsbeträge herausfordernd, analytisch aber gut machbar ist. Zu erwähnen ist, dass die in diesem Beitrag dargestellten Berechnungen den Aspekt der Therapielinienbestimmung bisher unberücksichtigt gelassen haben; dies ist relevant, wenn ein mindestens beträchtlicher Zusatznutzen eines Kombinationsarzneimittels in einer spezifischen Therapielinie ein Ausschlusskriterium darstellt und nicht Kombinationen, sofern sie in einer Teilpopulation bzw. Therapielinie oder Indikation einen mindestens beträchtlichen Zusatznutzen erhalten haben, grundsätzlich von der Abschlagspflicht ausgenommen sind. Zudem müssten analytische Teams, die die Berechnungen durchführen, stets den aktuellen Zulassungsstatus der Kombinationsarzneimittel berücksichtigen, da insbesondere Indikationserweiterungen weitere Ausschlusstatbestände begründen können. Tools wie das TAKIT®-Tool sollten in jedem Fall die bestehende Unsicherheit zur Analytik berücksichtigen, indem die Berechnungsgrundlagen transparent dargestellt werden und ein Reporting bis auf Packungsebene nebst entsprechender Belegnummer erfolgt.

Zum zweiten zeigen unsere Szenarioanalysen, dass spezifische Festlegungen einen erheblichen Einfluss auf die Sinnhaftigkeit des gesamten Instruments haben können. Sollte so beispielsweise festgelegt werden, dass lediglich taggleiche Abgaben von Arzneimitteln oder auch Abgaben, bei denen die Folgeverordnung maximal 90 Tage nach der Erstverordnung erfolgen dürfen, als Kombinationsabgabe gelten, würde dies zu einer deutlichen Reduktion der Zahl der Kombinationsabgaben führen und damit sicher auch die Erzielung der avisierten Einsparungen von 185 Mio. € im gesamten GKV-System unrealistisch werden. Für eine Forderung eines Maximalabstandes zwischen Verordnungen eines der Kombinationspartner wie aktuell im BMG-Vorschlag etabliert spricht wenig, da für jede einzelne Verordnung ohnehin die zeitliche Nähe zur Verordnung des Kombinationspartners geprüft wird. Ein Wiederaufnehmen einer Kombinationstherapie zum Beispiel nach 180 Tagen sollte idealerweise abschlagsfähig sein, währenddessen eine Folgeverordnung eines der Kombinationspartner innerhalb von 90 Tagen, ohne dass der zweite im Überlappungszeitraum verordnet wurde, keine Abschlagspflicht auslösen sollte. Insofern empfehlen wir eine Abkehr vom bisherigen Vorschlag des BMG und stattdessen eine einfache Festlegung eines „Überlappungszeitraums“ der beiden Kombinationspartner, der angesichts typischerweise verordneter N3-Packungsgrößen bei 90 Tagen liegen sollte.

Zum dritten zeigen unsere Kalkulationen, dass die aktuellen Rahmenbedingungen – auch aufgrund des bisherigen Fehlens einer Festlegung relevanter Regeln zur Berechnung der Kombinationsabschläge – Interpretations- und Berechnungsspielräume offen lassen. Es kann erwartet werden, dass einzelne Krankenkassen diese Spielräume in unterschiedlicher Art und Weise nutzen werden. So ist zu definieren, wie mit Ausschlusstatbeständen (Ausschluss vom Kombinationsabschlag aufgrund einer Monotherapie in einer anderen Indikation und/oder aufgrund eines beträchtlichen Zusatznutzens) umzugehen ist, die nicht in Routinedaten der Krankenkassen abgebildet sind (fehlende Operabilität, Stadium einer onkologischen Erkrankung, Mutationsstatus etc.); hier bleiben faktisch nur zentrale Quotenfestlegungen auf Basis bekannter epidemiologischer Daten. Ein genereller Ausschluss dieser Kombinationen von der Abschlagspflicht wie aktuell vorgesehen wäre angesichts der teilweise hohen Zahl an Indikationsgebieten für einzelne Wirkstoffe eine suboptimale Vorgehensweise, zumal im Zuge der Preisverhandlungen für diese Wirkstoffe (gewichteter Preis gemäß Größe der Indikationsgebiete) ein anderer Ansatz gefunden wurde. Wird dieser Ansatz dennoch gewählt, sind vom G-BA von den 202 genannten Kombinationen, die auf aktuell im Handel befindlichen AM beruhen, 34 Kombinationen ersatzlos zu streichen. Andererseits werden pharmazeutische Unternehmen, deren Arzneimittel nicht gestrichen werden (kein mindestens beträchtlicher Zusatznutzen in mindestens einer Indikation und/oder Patientengruppe), erhebliche Kritik an der Abschlagspflicht anmelden, wenn ihre Arzneimittel auch im Monotherapieeinsatz verordnet werden können, dies aber nicht zum Ausschluss von der Abschlagspflicht führt. Einige weitere organisatorische und technische Aspekte sollten im Sinne der Rechtssicherheit und der Vermeidung administrativer Aufwendungen zentral festgelegt werden. Hierunter fällt die Einrichtung einer Schiedsstelle sowie die Vorgabe eines Rahmenvertrags oder alternativ die Streichung der Vorgabe des § 130e Abs. 3 (Pflicht zu Verträgen).

Die Darstellung der Berechnungen anhand von zwei Beispielen in diesem Beitrag verdeutlicht neben der eigentlichen „Machbarkeit“ der Analysen, dass bei der Berechnung von Kombinationsabschlägen Einzelfallgerechtigkeit kaum zu erreichen ist – und die Versuche, sich dieser zu nähern, oftmals mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sind. So wäre es wenig sinnvoll, Ärzte auf dem Rezept die Therapieintention dokumentieren zu lassen, um damit eine höhere Sicherheit bei der Abschlagsberechnung zu erzielen. Zusätzliche Kosten im Kontext zu ändernder Rezeptformulare (analog und e-Rezept) inklusive des Aufwands in den Arztpraxen, die Berücksichtigung der Sektorengrenzen sowie die Umsetzung dieser Regelungen im stationären Bereich ständen in keinem Verhältnis zum Nutzen.

Eine Restunsicherheit bei der Berechnung der Kombinationsabschläge muss nicht zuletzt wegen der nun bestehenden gesetzlichen Regelung von allen Beteiligten akzeptiert werden. Andererseits haben sämtliche Parteien einen Anspruch darauf, dass die Analysen zum Kombinationsabschlag bestmöglich unter Nutzung sämtlicher verfügbarer Daten erfolgen sollten; „einfache“ Berechnungen ohne Beachtung sämtlicher Aspekte (insbesondere: Ausschlusstatbestände) wären ganz sicher nicht akzeptabel. Dieser Beitrag zeigt, dass die verbleibende Unsicherheit bei Festlegung von Rahmenparametern mit guter Analytik auf ein geringes Ausmaß reduziert werden kann und damit die Berechnung der Abschläge gut und rechtssicher durch Krankenkassen erfolgen kann.


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Interessenkonflikt

Thomas Wilke und Sabrina Müller sind Mitinhaber der GIPAM GmbH, die das TAKiT-Tool entwickelt hat.

1 Canagliflozin, Dasabuvir, Insulin degludec+Liraglutid, Ritonavir und Vigabatrin (Kigabeq).


2 Diese Methodik stellt aktuell den Vorschlag des BMG dar. Zu jeder Verordnung eines Kombinationsarzneimittels ist zu prüfen, ob eine zweite Verordnung innerhalb eines Verordnungszeitraums von 90 Tagen vorlag (Beispiel: Verordnungen am Tag 30 und am Tag 90). Hinzu kommt, dass zu prüfen ist, ob Verordnungen des Kombinationspartners innerhalb des gleichen 90-Tageszeitraums erfolgten (hier im Beispiel: Tag 0 bis Tag 120 als „Potenzialzeitraum“, sofern die Verordnungen des Kombinationsarzneimittels auch innerhalb von 90 Tagen erfolgten). Bei den im Beispiel erfolgten Berechnungen wurden allerdings zur Vereinfachung, ausgehend von einem Verordnungsdatum, lediglich die Zeiträume -90 Tage bzw-+90 Tage geprüft, dynamische Zeiträume blieben bislang unberücksichtigt.


Zusätzliches Material

  • Literatur

  • 1 Deutscher Bundestag. Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. 2022
  • 2 G-BA. G-BA regelt Benennung von Arzneimittel-Kombinationen, Pressemitteilung. 2023
  • 3 G-BA. Tragende Gründe zum Beschluss des G-BA vom 5. Oktober 2023, Arzneimittel-Richtlinie/Anlage XII und XIIa: Ergänzung der Benennung von Kombinationen gemäß § 35a Absatz 3 Satz 4 SGB V in bereits gefassten Beschlüssen. 2023
  • 4 Bundesministeriums für Gesundheit. Evaluationsbericht über die Auswirkungen der Änderungen durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die Versorgung mit Arzneimitteln. 2024
  • 5 vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen. Pharmastandort Deutschland braucht verlässliche Erstattungsbedingungen – auch für eine gute Versorgung. 2024
  • 6 G-BA. Geltende Fassung Empagliflozin. 2016
  • 7 Bausch J. Wirkstoffkombinationen – Qualitative und monetäre Herausforderungen. Forum Fam Plan West Hemisph 2016; 31: 102-103

Korrespondenzadresse

Mrs. Antje Mevius
IPAM, Research, Alter Holzhafen 19
Wismar, 23966
Germany
Phone: +49 3841 7581020   

Publication History

Received: 16 May 2024

Accepted: 29 May 2024

Article published online:
14 June 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Deutscher Bundestag. Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. 2022
  • 2 G-BA. G-BA regelt Benennung von Arzneimittel-Kombinationen, Pressemitteilung. 2023
  • 3 G-BA. Tragende Gründe zum Beschluss des G-BA vom 5. Oktober 2023, Arzneimittel-Richtlinie/Anlage XII und XIIa: Ergänzung der Benennung von Kombinationen gemäß § 35a Absatz 3 Satz 4 SGB V in bereits gefassten Beschlüssen. 2023
  • 4 Bundesministeriums für Gesundheit. Evaluationsbericht über die Auswirkungen der Änderungen durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf die Versorgung mit Arzneimitteln. 2024
  • 5 vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen. Pharmastandort Deutschland braucht verlässliche Erstattungsbedingungen – auch für eine gute Versorgung. 2024
  • 6 G-BA. Geltende Fassung Empagliflozin. 2016
  • 7 Bausch J. Wirkstoffkombinationen – Qualitative und monetäre Herausforderungen. Forum Fam Plan West Hemisph 2016; 31: 102-103

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Abb. 1 Schema der Berechnungslogik.
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Abb. 2 Einfluss der Parameterdefinitionen auf die Menge der abschlagsfähigen abgegebenen Packungen.
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Abb. 3 Szenarienbetrachtung: Abgabe von Abschlags- und Kombinationsarzneimittel innerhalb von 90 Tagen, am gleichen Tag bzw. im aktuellen BMG-Szenario (Abgabe am gleichen Tag oder jeweils zwei Abgaben beider Kombinationsarzneimittel im gleichen 3-Monatszeitraum).