Klin Monbl Augenheilkd 2024; 241(11): 1233-1235
DOI: 10.1055/a-2331-6968
Der interessante Fall

Spontanverschluss eines durchgreifenden Makulaforamens

Spontaneous Closure of a Full-Thickness Macular Hole
Warda Darwisch
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
,
Boris Stanzel
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
,
Martin Bedersdorfer
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
,
Philipp Ken Roberts
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
,
Peter Szurman
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
,
Augenheilkunde, Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach, Deutschland
› Author Affiliations
 

Anamnese

Eine 66-jährige Patientin stellte sich bei uns mit plötzlich aufgetretener linksseitiger Sehverschlechterung und Zentralskotom, erstmalig seit 1 Woche vor. Trauma und ophthalmologische Voroperationen wurden verneint. Systemisch lag ein oral medikamentös gut regulierter Diabetes mellitus Typ 2 seit 12 Jahren vor.


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Befund und Diagnose

Zum Vorstellungszeitpunkt lag der bestkorrigierte Visus (BCVA) links bei 0,63 und am symptomfreien Partnerauge bei 0,8. Der intraokulare Druck (IOD) lag beidseits bei 16 mmHg. Im Amsler-Gitter wurden keine Metamorphopsien angegeben. Der vordere Augenabschnitt war reizfrei mit inzipienter Katarakt. Funduskopisch imponierte die Fovea links dezent aufgelockert, bei sonst beidseits regelrechtem Fundus. Der Watzke-Allen-Test war negativ. Die optische Kohärenztomografie (OCT, Spectralis, Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland) mit Sternscan ([Abb. 1 c]) zeigte ein kleines durchgreifendes Makulaforamen (Full-Thickness Macular Hole, FTMH) mit gelöster vitreomakulärer Traktion (VMT) [1].

Zoom Image
Abb. 1 Optische Kohärenztomografie (OCT, Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland). Strukturelle Veränderungen der Retina im Zeitverlauf. Initial zeigte sich lediglich in einem Schnitt das durchgreifende Mikroforamen (c). Nach 4 Wochen zeigte sich ein Spontanverschluss (f). Nach 8 Wochen zeigte sich eine abnehmende Destrukturierung der ellipsoiden Zone. Bei der 16-Wochen-Kontrolle schließlich zeigte sich die neuroretinale Strukturierung deutlich verbessert.

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Verlauf

Nach vorsorglicher Planung einer Pars-plana Vitrektomie (ppV) zeigte sich vor dem Operationstermin nach 4 Wochen ein Spontanverschluss des FTMH mit abgehobener Glaskörpergrenzmembran (Posterior Vitreous Detachment, PVD; [Abb. 1 f]). Die Verlaufskontrolle nach 8 Wochen zeigte ein weiterhin verschlossenes Foramen, jedoch mit persistierender subfovealer Dehiszenz in der ellipsoiden Zone ([Abb. 1 f], i) und einem BCVA von 0,4. Der Visus erholte sich aufgrund der neuroretinalen Restrukturierung bei der Abschlusskontrolle (16 Wochen) auf 0,8 ([Abb. 1 l]).


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Diskussion

Diese für die Patientin erfreuliche Entwicklung eines Spontanverschlusses eines FTHM ist selten, wenn auch in diesem Fall aufgrund der kleinen Größe (Mikroforamen, < 150 µm) und der gelösten Traktion wahrscheinlicher [2]. Auch Patienten mit fortgeschrittenen Befunden wünschen oftmals eine Beratung über ein mögliches Abwarten. Trotz hochentwickelter bildgebender Diagnostik sind die Häufigkeit des Foramenverschlusses, die prädiktiven Faktoren, der Verschlussmechanismus und die Folgen des Verschlusses nach wie vor umstritten und unklar [3].

Idiopathische durchgreifende Makulaforamina

Insgesamt sind Spontanverschlüsse von idiopathischen FTMH weniger häufig als von traumatischen FTMH, aber häufiger als bei myopen FTMH [2]. Garg et al. (2022) beschreiben in einer Metaanalyse eine Spontanverschlussrate aller idiopathischen FTMH zwischen 3% und 15% (Minimum Linear Diameter, MLD = 176,8 ± 81,8 µm). Bekannt ist, dass insbesondere kleinere minimale horizontale Durchmesser (MLD) sowie das Vorhandensein einer VMT oder von suspendiertem hyperreflektierendem Material auf einen möglichen Spontanverschluss von FTMH hinweisen können [3].

Kleine (MLD ≤ 250 µm) FTMH zeigen eine höhere Verschlussrate verglichen mit mittelgroßen (250 – 400 µm; 13,3%) und großen (≥ 400 µm; 0%) FTMH [3]. Die durchschnittliche kohärenztomografisch beobachtete Verschlussdauer betrug in dieser Kohorte 4,5 Monate (3 Wochen bis 24 Monate). Bei mittelgroßen FTMH war sie länger (7,0 ± 9,6 [1 – 24] Monate) als bei kleinen (3,3 ± 2,6 [0,75 – 11] Monate). Interessant ist, dass die Verschlussdauer anhand der im klinischen Kontext aktuell noch frequenteren Gass-Klassifikation keine signifikanten Unterschiede zwischen den Stadien 2, 3 und 4 zeigte [3].

In einer retrospektiven Studie von insgesamt 19 Augen mit Spontanverschluss nach FTMH und mittlerer MLD von 191,68 ± 70,57 µm, konnte bei 7 von 9 Augen mit VMT eine spontane Ablösung der VMT beobachtet werden. In der Gesamtkohorte betrug die mediane Zeit (Range) bis zum Spontanverschluss 13,7 Wochen (2,4 – 32,4) [4].

Einzelne Studien zeigen, dass der Spontanverschluss mit einem günstigen Visusergebnis verbunden ist [3]. Dabei ist die Struktur der Photorezeptorschicht und insbesondere der ISOS-Linie (ISOS: Inner Segment Outer Segment) ein wichtiger Prädiktor für den Visus. Der Zusammenhang zwischen der Integrität der ellipsoiden Zone und des BCVA scheint evident [2].

Pathophysiologisch werden in der Literatur verschiedene Verschlussmechanismen diskutiert. Der führende Mechanismus ist das durch Traktion initiierte Bridging des FTMH durch retinale Zellen [2], [3]. Das Bridging fördere die Auflösung der intraretinalen zystoiden Räume, indem sie den Zufluss von Glaskörperflüssigkeit verhindert [2]. Obwohl umstritten ist, welche Zellen proliferieren, geht die führende Meinung von Gliazellen, insbesondere Müller- und Mikrogliazellen, aus [5]. Müller-Zellen interagieren eng mit Mikroglia in der Regulation von Inflammationsprozessen, bei der Homöostase, Immunregulation und Phagozytose von Gewebe [6].

Der 2. beschriebene Mechanismus ist die Freisetzung der VMT durch foveale PVD [2], [5]. Da in Studien auch ein Verschluss ohne PVD beschrieben ist, scheint diese den Verschluss des FTMH zwar zu erleichtern, aber keine notwendige Bedingung zu sein [3]. Der 3. und nach aktuellem Forschungsstand nachrangige Verschlussmechanismus ist die Bildung einer kontraktilen epiretinalen Membran (ERM) und ihre zirkumferenzielle Schrumpfung, die ein Verschließen der Foramenränder ermöglichen kann [2].

Trotz der bestehenden Wahrscheinlichkeit eines Spontanverschlusses bleibt die Beratung der Patienten mit idiopathischer FTMH bez. der Entscheidung zwischen Beobachtung und operativer Versorgung diskutabel. Zwei ältere randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) der Vitrectomy for Macular Hole Study Group [7], [8] und der Moorfields Macular Hole Study Group [9] zeigten bei 165 bzw. 185 idiopathischen FTMH der Gass-Stadien 2, 3 und 4 eine Spontanverschlussrate von 6,6% bzw. 11,5%. Während die 1. Gruppe nach 6 Monaten Nachbeobachtung keinen signifikanten Visusvorteil der ppV gegenüber der Beobachtung zeigte, präsentierte 2. Gruppe einen signifikanten Visusvorteil der ppV nach 3, 12 und 24 Monaten. Eine Subgruppenanalyse fehlte in beiden Studien, was möglicherweise auf die kleine Stichprobe zurückzuführen ist. Daher werden große prospektive Studien benötigt, die die visuellen Ergebnisse von spontan verschlossenen mit chirurgisch verschlossenen idiopathischen FTMH im Langzeitverlauf vergleichen. In Anbetracht der besseren visuellen Ergebnisse bei frühzeitiger ppV verglichen mit später ppV dürften die meisten Chirurginnen und Chirurgen weiterhin für eine sofortige Operation plädieren, anstatt durch abwartendes Verhalten aufgrund der Spontanverschlussmöglichkeit eine Visusverschlechterung zu riskieren. Bei allen FTMHs, unabhängig vom Stadium, bleibt die ppV damit derzeit Therapie der ersten Wahl.


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Fazit

Die Kenntnis über die Wahrscheinlichkeiten und prädiktiven Faktoren für einen Spontanverschluss eines FTMH und auch Lamellar macular hole (LMH) ist essenziell für die patientenorientierte Indikationsstellung zur chirurgischen Intervention. Bei Foramina < 150 µm mit gelöster VMT kann mit Patienten ein abwartendes Verhalten unter engmaschiger Kontrolle erwogen werden. Gerade in Hinblick auf die heutigen und stetig weiterentwickelten Möglichkeiten der multimodalen Diagnostik sollten neuere größere und standardisierte prospektive Studien zur Evaluation prognostischer Biomarker durchgeführt werden. So könnte eine hinsichtlich der funktionellen Ergebnisse bessere Evaluation der Indikation zur Vitrektomie und ihres Zeitpunktes im Verlauf des Monitorings erfolgen. Wie in unserem Fall könnten damit Operationen vermieden werden bei gutem visuellem Ergebnis.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Duker JS, Kaiser PK, Binder S. et al. The International Vitreomacular Traction Study Group classification of vitreomacular adhesion, traction, and macular hole. Ophthalmology 2013; 120: 2611-2619
  • 2 Morawski K, Jędrychowska-Jamborska J, Kubicka-Trząska A. et al. The Analysis of Spontaneous Closure Mechanisms and Regeneration of Retinal Layers of a Full-Thickness Macular Hole: Relationship with Visual Acuity Improvement. Retina 2016; 36: 2132-2139
  • 3 Garg A, Ballios BG, Yan P. Spontaneous Closure of an Idiopathic Full-Thickness Macular Hole: A Literature Review. J Vitreoretin Dis 2021; 6: 381-390
  • 4 Yang Q, Huang X, Peng R. et al. Correlations between suspended hyperreflective material with the macular microstructure and spontaneous closure of full-thickness macular holes. Retina 2024; 44: 237-245
  • 5 Milani P, Seidenari P, Carmassi L. et al. Spontaneous resolution of a full thickness idiopathic macular hole: fundus autofluorescence and OCT imaging. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2007; 245: 1229-1231
  • 6 Chen L, Yang P, Kijlstra A. Distribution, markers, and functions of retinal microglia. Ocul Immunol Inflamm 2002; 10: 27-39
  • 7 Freeman WR, Azen SP, Kim JW. et al. Vitrectomy for the treatment of full-thickness stage 3 or 4 macular holes. Results of a multicentered randomized clinical trial. The Vitrectomy for Treatment of Macular Hole Study Group. Arch Ophthalmol 1997; 115: 11-21
  • 8 Kim JW, Freeman WR, Azen SP. et al. Prospective randomized trial of vitrectomy or observation for stage 2 macular holes. Vitrectomy for Macular Hole Study Group. Am J Ophthalmol 1996; 121: 605-614
  • 9 Ezra E, Gregor ZJ. Surgery for idiopathic full-thickness macular hole: two-year results of a randomized clinical trial comparing natural history, vitrectomy, and vitrectomy plus autologous serum: Morfields Macular Hole Study Group Report no. 1. Arch Ophthalmol 2004; 122: 224-236

Korrespondenzadresse

Dr. Annekatrin Rickmann
Augenheilkunde
Knappschaftsklinikum Saar GmbH Krankenhaus Sulzbach
An der Klinik 10
66280 Sulzbach/Saar
Deutschland   
Phone: + 49 (0) 6 89 75 74 11 21   
Fax: + 49 (0) 6 89 75 74 21 28   

Publication History

Received: 30 March 2024

Accepted: 20 May 2024

Article published online:
03 July 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Duker JS, Kaiser PK, Binder S. et al. The International Vitreomacular Traction Study Group classification of vitreomacular adhesion, traction, and macular hole. Ophthalmology 2013; 120: 2611-2619
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  • 5 Milani P, Seidenari P, Carmassi L. et al. Spontaneous resolution of a full thickness idiopathic macular hole: fundus autofluorescence and OCT imaging. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2007; 245: 1229-1231
  • 6 Chen L, Yang P, Kijlstra A. Distribution, markers, and functions of retinal microglia. Ocul Immunol Inflamm 2002; 10: 27-39
  • 7 Freeman WR, Azen SP, Kim JW. et al. Vitrectomy for the treatment of full-thickness stage 3 or 4 macular holes. Results of a multicentered randomized clinical trial. The Vitrectomy for Treatment of Macular Hole Study Group. Arch Ophthalmol 1997; 115: 11-21
  • 8 Kim JW, Freeman WR, Azen SP. et al. Prospective randomized trial of vitrectomy or observation for stage 2 macular holes. Vitrectomy for Macular Hole Study Group. Am J Ophthalmol 1996; 121: 605-614
  • 9 Ezra E, Gregor ZJ. Surgery for idiopathic full-thickness macular hole: two-year results of a randomized clinical trial comparing natural history, vitrectomy, and vitrectomy plus autologous serum: Morfields Macular Hole Study Group Report no. 1. Arch Ophthalmol 2004; 122: 224-236

Zoom Image
Abb. 1 Optische Kohärenztomografie (OCT, Heidelberg Engineering, Heidelberg, Deutschland). Strukturelle Veränderungen der Retina im Zeitverlauf. Initial zeigte sich lediglich in einem Schnitt das durchgreifende Mikroforamen (c). Nach 4 Wochen zeigte sich ein Spontanverschluss (f). Nach 8 Wochen zeigte sich eine abnehmende Destrukturierung der ellipsoiden Zone. Bei der 16-Wochen-Kontrolle schließlich zeigte sich die neuroretinale Strukturierung deutlich verbessert.