KJP up2date 2024; 01(02): 173-191
DOI: 10.1055/a-2325-9768
Berufspolitik, Recht und Ethik

Strafrechtliche Begutachtung in der KJP: Eine Einführung

Thomas Lempp
,
Nicola Lindner
,
Florian Daxer
Preview

Jugendpsychiatrische Gutachtertätigkeit in Jugendstrafverfahren kann beides sein: Nervenaufreibende Zusatzbelastung oder spannende Ergänzung der therapeutischen Arbeit. Notwendig ist ein juristisches Grundverständnis, um KJP-Wissen hilfreich in einen Gerichtsprozess einzubringen. Für die jungen Delinquenten kann eine Begutachtung meist Entwicklungschancen verbessern, da Legalprognose und medizinische Prognose oft in engem Zusammenhang stehen.

Kernaussagen
  • Der Kinder- und Jugendpsychiater nimmt als Gutachter und damit als Gehilfe und unparteiischer Berater des Gerichts einen Wechsel in seiner beruflichen Rolle vor. Er ist ein Vermittler von Fachwissen für die Justiz, nicht Therapeut, nicht Ermittler, nicht Verteidiger, nicht Richter.

  • Die Kenntnisse weniger Gesetzestexte sind für die allermeisten Strafrechtsgutachten in der KJP völlig ausreichend ([Tab. 1]).

  • Juristische und medizinische Krankheitsbegriffe dürfen nicht gleichgesetzt werden. Das alleinige Vorliegen einer auch schweren psychischen Störung reicht für die Begründung einer Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit nicht aus.

  • Schuldfähigkeit (§§20/21 StGB) und Strafreife (§3 JGG) beziehen sich immer auf eine konkrete Tat zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Annahme einer generellen Schuldunfähigkeit oder fehlenden Strafreife eines (psychisch kranken) Jugendlichen ist nicht möglich.

  • Heranwachsende (18–21 Jahre) können in Deutschland entweder nach dem Jugendgerichtsgesetz oder nach dem allgemeinen Strafgesetz verurteilt werden, je nachdem, ob „Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind“ oder nicht.

  • Da Gutachten für Kinder und Jugendliche so schnell wie möglich erstellt werden sollten, durch Steuergelder finanziert werden und auch für die Probanden eine belastende Situation darstellen, ist nach einem ökonomischen Prinzip vorzugehen und sich auf den Untersuchungsumfang zu beschränken, der benötigt wird, um die Fragen des Gerichts umfassend und möglichst in kurzer Zeit beantworten zu können.



Publication History

Article published online:
11 October 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany