Z Geburtshilfe Neonatol 2025; 229(01): 67-68
DOI: 10.1055/a-2266-4707
Geschichte der Perinatalmedizin

Amnioskopie? Eine verlassene Methode zur Überwachung des Feten in der Spätschwangerschaft

Matthias David
,
Andreas D. Ebert
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In einem im Jahr 2011 in dieser Zeitschrift erschienenen Leserbrief schrieb Erich Saling (1925–2021): „Die von uns 1961 eingeführte und 1962 erstmalig publizierte Amnioskopie scheint gegenwärtig, insbesondere für Kollegen die vorzugsweise auf hoch angesiedelte Technologien, wie Ultraschall, CTG usw. ausgerichtet sind, verzichtbar geworden zu sein. Solange diese, inzwischen ältere Methode aber doch noch Nutzen bringen kann, ist eine solche Entwicklung aus fachlicher Sicht als bedauerlich anzusehen...“ [1]. Diese Äußerung war wohl ein Kommentar zur DGGG-Leitlinie „Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung“ [2], in der die über 3 Jahrzehnte zum Standard der Schwangerschaftsüberwachung gehörende Amnioskopie (s. Box) mit keinem Wort mehr erwähnt wurde.

Definition

Amnio|skopie (griech.): Ambulant durchzuführendes Verfahren zur Besichtigung und Beurteilung des Fruchtwassers durch die intakten Eihäute mit einem durch Vagina und Zervix eingebrachten Spezialendoskop zur optischen Überwachung gefährdeter Feten sowie zum frühzeitigen Erkennen einer hypoxischen Gefährdung in der Spätschwangerschaft [3] [4] [5].

Die Leitlinie wurde 2010 veröffentlicht. In den 2010 geänderten Mutterschaftsrichtlinie ist allerdings noch der Satz zu lesen: „Bei Risikoschwangerschaften können neben den üblichen Untersuchungen noch folgende in Frage kommen: … Amnioskopien…“ [6], der auch in der Fassung, die im September 2023 veröffentlicht wurde, in einer leicht modifizierten Formulierung weiter zu finden ist [7]. Es ist indessen fraglich, ob derzeit die in Weiterbildung befindlichen Kolleginnen und Kollegen mit dem Begriff Amnioskopie noch etwas anfangen können – sie müssen es auch nicht, denn in der aktuell gültigen Weiterbildungsordnung kommt der Begriff nicht mehr vor [8]. Die Benutzung des Amnioskops gehört allerdings im Rahmen der Fetalblutentnahme bzw. der sog. Mikroblutuntersuchung unter der Geburt auch heute noch zum unentbehrlichen „handwerklichen Rüstzeug“ der Geburtshelferin und des Geburtshelfers [9].

Saling hatte Anfang der 1960er Jahre erkannt, dass die Beobachtung der kindlichen Herzaktion allein „keine sichere Überwachung des Kindes“ erlaubt: „Nach unseren direkten blutgasanalytischen Untersuchungen am Feten ist nur etwa die Hälfte aller Kinder mit ´schlechten Herztönen´ […] tatsächlich durch eine Hyp- oder Anoxie gefährdet...“ [10]. Aus dieser Tatsache ergab sich „die wichtige Frage, wann eine Sprengung [der Fruchtblase] zum Zwecke der Durchführung von Blutentnahmen am Kind als gerechtfertigt anzusehen ist…“ [10]. Ein Mekoniumabgang sei ein allgemein „anerkanntes Warnzeichen für Gefahrenzustände des Feten. […] Die Tatsache, daß Kinder trotz Mekoniumabgang oft lebensfrisch geboren werden, spricht nicht gegen die Zuverlässigkeit dieses Zeichens…“ [10].

Bis Ende der 1950er-Jahre waren nur vereinzelt Publikationen erschienen, die invasive Verfahren beschrieben, die das Erkennen von Mekonumbeimengungen im Fruchtwasser erlaubten, wie etwa die transabdominale Punktion der Fruchthöhle [11] oder die Amniozentese durch das hintere Scheidengewölbe [12]. Saling hatte 1962 nun nach eigenem Bekunden ein neues Verfahren entwickelt, „um eine Fruchtwasserverfärbung bei noch stehender Blase zu erkennen. [..] Es handelt sich um direkte Besichtigung des unteren Eipoles mit Hilfe eines Endoskops, um die von uns so genannte Amnioskopie...“ [10]. Bei dem verwendeten Instrument handelt es sich offenbar um eine modifiziertes Mastdarmspeculum aus Metall, das so und in ähnlicher Form schon um 1900 in Gebrauch war (z. B. [13]): In einer konisch zulaufenden Metallröhre mit den kleinsten Durchmessern 12, 16 oder 20 mm befindet sich ein Metallmandrin mit einem halbkugelartigen Abschluss, der nach Einführen des Amnioskops in den Zervikalkanal entfernt wird. Im Prinzip sollte dann eine direkte Beurteilung der Fruchtwasserfarbe und „-zusammensetzung“ leicht möglich sein. „Klares oder durch Emulsion von Vernix milchig aussehendes Fruchtwasser wird als Zeichen eines normalen Schwangerschaftsverlaufs gewertet…“ [4], während grünliches, stark reduziertes oder nicht vorhandenes Fruchtwasser als auffällig bzw. pathologisch eingestuft wurde. Die Schwangeren über Termin wurden zumeist bis zum 10. Tag alle 2 Tage, danach täglich bis maximal 14 Tage nach dem errechneten Entbindungstermin zur Amnioskopie einbestellt. Die amnioskopische Untersuchung ging relativ schnell, war aber für die Schwangere u.U. schmerzhaft, denn sie gelang bei rund 12% der Frauen nicht beim ersten Versuch und bei 5,4% gar nicht [14].

Nach Erinnerung der Autoren dieses Artikels wurden in der 2. Hälfte der 1990er-Jahre die regelmäßigen amnioskopischen Untersuchungen ab errechnetem Entbindungstermin, aber auch die Amnioskopien bei Aufnahme in den Kreißsaal zur Geburt eingestellt ([Abb. 1]). Die Fruchtwasserspiegelung hatte sich überlebt, CTG und Ultraschall waren nun die „neue Routine“.

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Abb. 1 Idealisierte schematische Darstellung der Amnioskopie; Betrachtung des Fruchtwassers im unteren Eipol, Ausleuchtung mit einer Kaltlichtquelle [15].

1995 hatte die Zeitschrift „gynäkologische praxis“ Antworten zu einer kleinen Umfrage mit dem Titel „Ist die Amnioskopie noch zeitgemäß?“ veröffentlicht. Biedermann und Huch berichteten hier, dass im Universitätsspital Zürich zum Befragungszeitpunkt die amnioskopische Fruchtwasserbeurteilung bereits verlassen worden war. Man stütze nunmehr „die fetale Zustandsdiagnostik am Termin auf das CTG und die ultrasonographisch ermittelte Fruchtwassermenge ab. Der Verzicht auf die Amnioskopie brachte keine Nachteile für die Sicherheit des Kindes...“ [9].



Publication History

Article published online:
06 February 2025

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