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DOI: 10.1055/a-2194-2714
Forschungsgeleitete Lehre in der Radiologietechnologie am Beispiel Neuroanatomie – Methodenbericht

Forschungsgeleitete Lehre (FGL) ist ein zentrales Element in der Akademisierung von Gesundheitsberufen [1],so auch im Studiengang Radiologietechnologie an der FH Joanneum im österreichischen Graz. Zentrales Kennzeichen der FGL ist die eigenständige Entwicklung von Fragestellungen im entsprechenden Handlungsfeld. In weiterer Folge erfolgt ein Wissenstransfer der gewonnenen Erkenntnisse und Kompetenzen innerhalb von Bildungseinrichtungen, Fachgruppen und anderen Interessensvereinigungen.
Im vorliegenden Methodenbericht erfolgt der Wissenstransfer aus dem Forschungsprojekt nARvibrain (Langtitel: Augmented Reality Supported Functional Brain Mapping for Navigated Surgery Preparation and Education), gefördert durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), in die Lehrveranstaltung für Neuroanatomie im 1. Semester des Studiengangs für Radiologietechnologie.
Das Projekt nARvibrain beschäftigt sich im Kern mit der erweiterten visuellen Unterstützung von Neurochirurg*innen in der Vorbereitung auf komplexe Wachoperationen von Patient*innen mit Gehirntumoren mit Hilfe von Mixed Reality Lösungen. Das interdisziplinäre Konsortium besteht aus der Medizinische Universität Graz, der RISC Software GmbH (Hagenberg, OÖ), der cortEXplore GmbH (Linz) sowie der FH Joanneum Graz. Die Forschungsgruppe beschäftigt sich u. a. (1) mit der Erstellung exakter Gehirnfunktionsdaten mittels Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) und (2) mit der Integration eines hochpräzisen Navigationssystems und Mixed Reality Head Sets zur Unterstützung der Durchführung von transkranieller Magnetstimulation.
Der Studiengang Radiologietechnologie beschäftigt sich gemeinsam mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik der FH Joanneum mit zwei Arbeitspaketen:
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der Erstellung eines virtuellen Gehirnmodells zur Unterstützung der Lehr-Lernprozesse in der Neuroanatomie von Radiologietechnolog*innen und
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der Erstellung einer Hardware-Software-Lösung zur Unterstützung der Patient*innen-Aufklärung durch die Neurochirurg*innen vor einer Gehirnoperation.
Ad 1. Erstellung eines virtuellen Gehirnmodells
Ausgangssituation/Problemstellung: Neuroanatomie fordert sowohl Studierende als auch Lehrende in der Ausbildung. Herausforderungen sind die Wissensvermittlung (1a) ohne humane Organpräparate, (1b) über zweidimensionale Abbildungen aus Lehrbüchern, (2) das umfangreiche Lehr-Lernvolumen in kurzer Zeit sowie (3) die didaktisch sinnvolle Eingrenzung auf berufsrelevante Inhalte (Bezugsanker ist die Neuroradiologie und ihre bildgebenden Verfahren). Die auftretende (4) Angst verdrängt die Neugier und Faszination der Studierenden für das Thema und mündet schlimmstenfalls in Neurophobie [2] [3].
Im Forschungsprojekt nARvibrain stellt sich die Frage: „Was können neue Medientechnologien (Virtual Reality, 3D-Visualisierung) im Rahmen einer Lehrveranstaltungskomposition beitragen, damit Studierende (A) die subjektive Lehr-Lernerfahrung (Zielvariable 1) positiv bewerten, sowie (B) das geforderte Learning-Outcome (Zielvariable 2) erreicht werden kann?
Methodenentwicklung zur Beurteilung der Fragestellungen (Zielvariablen 1 und 2): Die Entwicklung einer passenden Messmethode zur Beurteilung technologiegestützter Lehr-Lernprozesse ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Fachexpert*innen zum definierten Domänenwissen (Neuroanatomie), zur Fachdidaktik, zur Mediendidaktik und Medientechnik. Dies entspricht 1:1 den Expertisen der angeführten Autor*innen des vorliegenden Beitrags. Der interdisziplinäre Prozess findet unter den Paradigmen der Co-Creation und Design-Thinking-Methode statt. Co-Creation bezeichnet eine gemeinsame kreative Entwicklung sowie gemeinsame Entscheidungsprozesse. Die Design-Thinking-Methode ist gekennzeichnet durch (1) das Verständnis für die Herausforderungen im Prozess der Wissensvermittlung (individuelle persönlichkeitsabhängige Lehr-Lernstrategien), (2) die Beschreibung von individuellen Lehr-Lern-Erfahrungen (beispielsweise durch Story Telling), (3) die exakte Erarbeitung eines erfolgsversprechenden Lehr-Lernszenarios (Definieren), (4) die Planung von helfenden Technologien zur Unterstützung des Lehr-Lernprozesses (Lösungen finden), (5) durch die Erstellung eines Prototypen sowie (6) die Überprüfung der Zielvariablen (Testung).
Technischer Rahmen: Es wurde eine technische Lösung erarbeitet, die auf der plattformübergreifenden Engine „Unity“ basiert. Die Anwendung wird auf VR-Brillen (Meta Quest 2) ausgeführt. Die lehrende Person hat die Möglichkeit, unterschiedliche Darstellungsformen des Gehirns im dreidimensionalen Raum (u. a. MRT- und DTI-Datensätze) einzusetzen. Die lehrende Person kann Orientierung, Größe und Färbungen von unterschiedlichen Gehirnarealen verändern. Eine Zeigefunktion steht zur Verfügung und der/die Lehrende kann zu bestimmten Gehirnarealen im Rahmen von Fallbesprechungen Lehrvideos aus der Praxis im virtuellen Raum zeigen ([Abb. 1]).


Lernziel: Mittels unterschiedlicher 3D-Visualisierungs-/Darstellungs-/Repräsentationsformen des menschlichen Gehirns soll das organisatorische Zusammenspiel unterschiedlicher Gehirnareale anhand der Funktion Sprache verdeutlicht werden. Die Hervorhebung von wichtigen Regionen wie die primäre Hörrinde, der Lobulus parietalis inferior, das motorische oder das sensorische Sprachzentrum soll den Lernprozess der Studierenden unterstützen. Diese Gehirnzentren und deren unterschiedlichen Aufgabenstellungen werden den Studierenden in dreidimensionaler Form nähergebracht ([Abb. 2]).


Lehrveranstaltungsplanung/Drehbuch: Im Rahmen der Lehrveranstaltungsplanung werden u. a. Kontextbedingungen, Lernziele, Lehr-/Lernaktivitäten sowie Bewertungskriterien definiert. Ein schriftlicher Lernbehelf zum Thema „Das neurologische Netzwerk für Sprache im menschlichen Gehirn“ wird zur Verfügung gestellt, damit sich die Studierenden für den Feldtest vorbereiten können (Konzept: Inverted Classroom).
Evaluation: Im Rahmen eines Feldtests werden die User Experience (Akzeptanz), die Passung der Human Computer Interaction (HCI) und das Learning-Outcome gemessen. Diese Variablen werden in Bezug zu persönlichen Lehr-Lernvorlieben der Individuen gesetzt.
Erwartete Ergebnisse: Das geplante Lehr-Lernszenario soll zu einer objektivierbaren positiven Lehr-Lernerfahrung im virtuellen Lehr-Lernraum führen. Das entwickelte Drehbuch sollte mittels sinnstiftenden Einsatzes der Technologie zur besseren Einordnung des Lernziels führen. Das Lernziel ist das Verstehen der unterschiedlichen Verarbeitungsebenen und Verschaltungen im Gehirn in Bezug auf Sprache (Lernszenario). Die didaktische Reduktion der Lehr-Lerninhalte soll zum besseren Verständnis und zur Reduktion des ersten Lehr-Lernaufwandes führen. Die Veranstaltung soll zudem zur tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema Neuroanatomie motivieren. Die Lehr-Lernergebnisse sollen in Bezug auf die wesentlichen Lehr-Lernziele den beruflichen Anforderungen entsprechen und einen soliden Grundstock für eine weitere Spezialisierung darstellen.
Publication History
Article published online:
31 May 2024
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Germany
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Literatur
- 1 Riiser K, Kalleson R, Holmen H, Torbjørnsen A. Integrating research in health professions education: A scoping review. BMC Med Educat 2023; 23: 653
- 2 Venter G, Bosman MC, Lubbe J. Neurophobia: The inconvenient truth. Eur J Anat 2023; 27: 613-629
- 3 Venter G, Lubbe JC, Bosman MC. Neurophobia: A Side Effect of Neuroanatomy Education?. J Med Systems 2022; 46: 99