Angewandte Nuklearmedizin 2024; 47(01): 78-79
DOI: 10.1055/a-2183-2133
Interview

Immunologie und Nuklearmedizin

Dr. Barbara Kreppel im Gespräch mit Prof. Gunther Hartmann
Barbara Kreppel
1   Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Germany (Ringgold ID: RIN39062)
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Dr. Barbara Kreppel im Gespräch mit Prof. Gunther Hartmann

Kreppel: Was sind derzeit die größten Herausforderungen der Immunonkologie?

Hartmann: Ein zentrales Thema ist es, die immunsuppressive lokale Umgebung von soliden Tumoren aufzuheben, und damit eine aktive Immunantwort zu ermöglichen. Es geht also darum, sogenannte kalte Tumore in heiße Tumore umzuwandeln. Hierzu müssen die richtigen Signale an das Immunsystem gegeben werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die Rezeptoren des angeborenen Immunsystems zu aktivieren, damit diese die Immunreaktivität von Tumoren erhöhen. Ein weiteres wichtiges Thema ist es, solide Tumore für eine Infiltration durch tumorantigenspezifische T-Zellen zugänglich zu machen, auch für CAR-T-Zellen, oder gentechnologisch veränderte NK-Zellen. Dies ist auch im Zusammenhang mit Tumorvakzinen, insbesondere auch mRNA-Vakzinen, wichtig. Zudem würde die Möglichkeit einer tumorselektiven Aufnahme von Substanzen die Perspektiven der Immunonkologie erheblich verbessern.

Kreppel: Wäre es hilfreich, mit nuklearmedizinischen Methoden dem Immunsystem im lebenden Menschen beim Arbeiten zuzusehen?

Hartmann: Das wäre in der Tat sehr hilfreich, sowohl um die Arbeitsweise des Immunsystems besser zu verstehen, als auch um die Diagnostik von immunpathologischen Erkrankungen weiter zu verbessern. In Echtzeit zu sehen, wie bestimmte Zelltypen des Immunsystems in unterschiedlichen Organen des Menschen einwandern und dort arbeiten, wäre ein Durchbruch.

Kreppel: Wenn Sie sich bezogen auf die vorangegangene Frage einen Vorgang aussuchen könnten, welchen würden Sie sich aussuchen?

Hartmann: Ich würde mich besonders dafür interessieren, wie die lokale Immunaktivierung an der Injektionsstelle, im drainierenden Lymphknoten und dann systemisch in der Milz, im Vergleich verschiedener Injektionsorte für eine mRNA Vakzine, also i.m, i.d., i.v, über die Zeit hinweg abläuft.

Kreppel: In der Immunonkologie hat man gelernt, die Bremse des Immunsystems zu lösen; gibt es denn auch Konzepte für eine Bremse von Autoimmunprozessen, was zum Beispiel hilfreich wäre bei einer Autoimmunthyreoiditis vom Typ Hashimoto oder Morbus Basedow?

Hartmann: Die Bremse also zu aktivieren und den Vorgang zu stoppen? Das wird klinisch bereits eingesetzt, mit Glukokortikoiden beispielsweise, JAK-Inhibitoren, oder anderen Immunsuppressiva. Diese wirken aber nicht organspezifisch. Der Vorteil der Checkpointinhibitoren liegt in der vergleichsweise lokalisierten Wirkung: der Tumor zieht in seinem speziellen Mikromilieu die Bremse ganz fest an, im übrigen Körper ist sie nicht gezogen. Wird nun die Bremse im ganzen Körper gelöst, dann wirkt sich das vor allem im Tumor aus, wo sie überhaupt angezogen ist. Bei Autoimmunprozessen müsste man im Idealfall die Bremse lokalisiert anziehen, so wie das der Tumor vor Ort macht. Aber das bekommt man therapeutisch noch nicht hin. Es wird die Bremse also immer systemisch angezogen, und damit ist man mit dem Umfang des Bremsens eingeschränkt, wegen der unerwünschten Nebenwirkungen einer allgemeinen Immunsuppression. Die Bremse in einzelnen Geweben gezielt anzuziehen oder zu lösen, das wäre ein echter Durchbruch!

Kreppel: Gibt es eine aktuelle neue Erkenntnis in der Immunologie, die jeder Arzt kennen sollte?

Hartmann: Bemerkenswert ist, dass ein kurzzeitiges Ansteigen des CRP und anschließendes Abfallen bei der Verabreichung von Checkpointinhibition auf die Wirksamkeit der Therapie hinweist. Wichtig ist auch, dass eine vorübergehende Zunahme des Tumorvolumens bei Checkpointinhibition nicht als Progression interpretiert werden sollte, sondern Zeichen einer gewünschten Immunreaktion sein kann; dass jeder Patient mit auffälliger Infektionsneigung oder überschießenden Entzündungsreaktionen einer Abklärung in einem entsprechenden immundiagnostischen Zentrum zugeführt werden sollte; dass bei entzündlichen Erkrankungen, wie Vaskulitis, eine frühe und durchgreifende Therapie wichtig ist, weil in diesem Stadium die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie höher ist; und dass unklare akut auftretende neurologische Auffälligkeiten von autoreaktiven Antikörpern verursacht sein können, und, wenn dies erkannt wird, dann möglicherweise therapierbar sind.

Kreppel: Würden Sie jungen Kollegen, die planen, Nuklearmediziner zu werden, eine Promotion in der Immunologie empfehlen?

Hartmann: Auf jeden Fall, so wie jedem angehenden Mediziner, weil alle Krankheitsbilder letztlich eine ursächliche oder begleitende immunologische Komponente besitzen. Nuklearmediziner sollten von Anfang an lernen, die Prozesse, die sie visualisieren wollen, im Detail zu verstehen. Ich hoffe auf eine junge Generation von Nuklearmedizinern, die hilft immunologische Prozesse sichtbar zu machen. Die Immunbildgebung wird sicher einigen Karrieren den Weg ebnen.

Kreppel: Vielen Dank für das Gespräch! ([Abb. 1])

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Abb. 1 Dr. Barbara Kreppel, Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Bonn im Interview mit Prof. Gunther Hartmann, Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Bonn.


Publication History

Article published online:
01 March 2024

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