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DOI: 10.1055/a-2178-7646
Hausärztliches Basiswissen – oder auch Vermeidung von Überversorgung

Aufmerksame Beobachter haben sicher bemerkt, dass eine Neufassung der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes konsentiert wurde und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin hat in ihrer Anwenderversion für Hausärzte eine evidenzbasierte Grundlage zur Diagnostik und Therapie vorgegeben.
Wer von Ihnen führt in der Praxis noch orale Glukosetoleranztests (oGTT‘s) durch? Hand auf‘s Herz! Wer jetzt nicht mit „Ja, immer“ geantwortet hat und ein schlechtes Gewissen hat, sei hier beruhigt: In der Anwenderversion der NVL hat die DEGAM (sowie AkdÄ, DGfW und DGP) betont, dass der „keinen Stellenwert in der Diagnose des Typ-2-Diabetes in der hausärztlichen Praxis“ mehr hat. Die Gründe, die aufgeführt werden, sind neben dem hohen Aufwand in der Praxis, keine überzeugende Reliabilität und überschaubare Validität hinsichtlich diabetesassoziierter Folgeerkrankungen. Tatsächlich können hier frühzeitig (zu zeitig) medikamentöse Einstellungen die Folge sein, ohne dass der tatsächliche Nutzen belegt ist. Ein sinnvolles allgemeines Risikoassessment für kardiovaskuläre Erkrankungen ist nachgewiesenermaßen effektiver, gerade Folgeerkrankungen (auch des Diabetes) vorzeitig zu erkennen und zu behandeln. D. h. für die hausärztliche Praxis: (so aus der Anwenderversion zitiert) „bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko ohne weiteren klinischen oder laborchemischen Verdacht: orientierende Bestimmung der NPG im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsuntersuchung (alle drei Jahre) ausreichend“.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist der zu erreichende Zielwert beim HbA1c. Liegen keinerlei kardiovaskuläre Erkrankungen vor, sollte eine medikamentöse Einstellung ab einem HbA1c von > 7,5 % begonnen werden (Expertenkonsens DEGAM, DGP, AKdÄ).
Kontroverse Diskussion? Eigentlich nicht, sind doch Hausärzte und Schwerpunkt-Diabetologen in unterschiedlichen Settings tätig und gerade dieser Unterschied wird in sehr politisch geführten Diskussionen vernachlässigt.
Ein letzter Aspekt noch zur aktuellen Mediendebatte: aktuell quellen Internet und Laienpresse über an Werbung für GLP-1-Analoga zur Gewichtsabnahme, „Fettkiller“, „Wunderwaffe gegen Fett“, „Endlich Heilung der Adipositas“…. diese unsägliche (seitens der Industrie sehr clevere) Werbekampagne, für die selbst Elon Musk „eingespannt wird“ (er spritze auch gelegentlich Liraglutid, um 2–3 kg Gewicht abzunehmen), führt dazu, dass es Lieferengpässe für GLP-1-Analoga gibt und gerade für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen nicht verfügbar ist. In Großbritannien sind Ärzte aufgerufen, die primäre Einleitung einer Diabetestherapie nicht mit GLP-1-Analoga zu beginnen (https://www.bmj.com/content/382/bmj.p2019; letzter Zugriff: 18.10.2023). Werbung ist sehr präsent und ein mächtiges Instrument. Wir sollten immer ausreichend kritisch bleiben.
Ihr P.E.H. Schwarz und A. Bergmann
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
14. November 2023
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