Z Sex Forsch 2023; 36(01): 53-55
DOI: 10.1055/a-1999-9669
Buchbesprechungen

Trans Sex. Clinical Approaches to Trans Sexualities and Erotic Embodiments

Zoom Image
Lucie Fielding. Trans Sex. Clinical Approaches to Trans Sexualities and Erotic Embodiments. New York, NY, Oxon, UK: Routledge 2021. 250 Seiten, GBP 29,99

Das 2021 veröffentlichte Praxishandbuch „Trans Sex“ von Lucie Fielding wirft den Hut in den Ring, die Wissenslücken über die Sexualität von trans* Personen zu schließen. Lucie Fielding, PhD, (she/they) arbeitet sexualpädagogisch und psychotherapeutisch-beratend in Charlottesville, Virginia, und greift in „Trans Sex“ auf eigene Erfahrungen als Klient*in und Therapeut*in zurück. Das Buch soll Therapeut*innen das theoretische und praktische Wissen vermitteln, das sie benötigen, um trans, non-binary und gender expansive Klient*innen in einem genussorientierten Dialog über ihre sexuelle Gesundheit besser zu unterstützen. (Anmerkung: Für diese deutschsprachige Buchbesprechung schreibe ich trans* Personen und meine damit in einem umfassenden Sinne alle trans, non-binary und gender expansive Personen.) Dabei hebt Lucie Fielding anschauliche Praxisbezüge, soziale Gerechtigkeit, intersektionalen Trans*-Feminismus und Queer-Theorie als wichtige Ausgangspunkte für die eigene Arbeit hervor. „Trans Sex“ wurde mit dem „AASECT Book Award for Sexuality Professionals 2022“ ausgezeichnet und als Finalist für die „Lambda Literary Awards 2022“ in der Kategorie Transgender Nonfiction nominiert.

Lucie Fielding identifiziert im ersten Kapitel „Unimaginable Bodies“ vier Narrative, die das Denken und Sprechen über die sexuellen Körper von trans* Personen dominieren. 1. Viele Menschen betrachten die Körper von trans* Personen als nicht begehrenswert. 2. Wenn Menschen über trans* Personen sprechen, denken viele gleich an Trauma, Stigma und Unterdrückung. 3. Gesundheitsfachkräfte konzentrieren sich nur auf sexuelle Verluste und Kompromisse, die mit einer medizinischen Transition einhergehen würden. 4. Fachpersonen an und für sich fokussieren eher diagnosegeleitet und defizitär orientiert die sexuelle Erregung und Funktion im Gegensatz zu Lust. Das erste Kapitel widmet sich diesen Narrativen im Detail, da eine sexualtherapeutische Begleitung von trans* Personen auf die Dekonstruktion dieser kulturellen und historischen Narrative abzielen sollte. Wenn einigen Menschen ein erotisches Privileg der Begehrlichkeit und Begehrensfähigkeit zuteilwird, entstehen Hindernisse für Menschen, die nicht über dieses Privileg verfügen. So gestaltet sich Dating für viele trans* Personen als schwierig. Darüber hinaus werden viele trans* Personen selbst in sexpositiven Räumen und Communitys, die Auswege aus dem cisheteronormativen Alltag eröffnen sollen, nur eingeschränkt willkommen geheißen. Sobald lustfeindliche Narrative erkannt und eigene Überzeugungen, nicht begehrenswert und anziehend zu sein, verlernt sind, kann der Weg zu erotischem Embodiment freigemacht werden. Eine sexualtherapeutische Begleitung von trans* Personen sollte schließlich alternative, klient*innenzentrierte und genussorientierte Narrative ermöglichen und erotisches Embodiment unterstützen. Letzteres meint, dass eine Person sich als erotischen Menschen spürt und verkörpert und sexuelles und erotisches Wohlbefinden zulässt.

Das zweite Kapitel „Ethical Curiosity“ umreißt die Rolle der Ethik im Kontakt mit trans* Personen. Es fällt auf, dass cis Personen sehr neugierig darauf sind, ob, wie, mit wem und womit trans* Personen Sex haben. Die Frage nach dem „Womit“ bezieht sich oft auf die Form und Funktion der Genitalien. Es folgen häufig Fragen wie die, ob eine Person genitalangleichende Operationen hatte oder welche öffentliche Toilette sie aufsucht, die für Männer oder die für Frauen. Lucie Fielding hält fest, dass Neugier kein ethisch neutraler Wert ist. Deshalb plädiert Fielding für ethische Neugier als therapeutische Haltung, die keine Ansprüche stellt, um Erlaubnis bittet und den ganzen Menschen in der Behandlung sieht. Das ist notwendig, denn sonst werden trans* Personen zu Karikaturen reduziert oder lustfeindliche Narrative reproduziert. Zwar ist es angemessen und wichtig, eine Person zu fragen, wie sie berührt werden möchte, wie sie bestimmte Körperteile angesprochen haben möchte und wie sie gerne Sex hat. Wer jedoch vehement ohne Rücksicht mehr über „die“ Operation oder darüber, „womit“ trans* Personen Sex haben, erfahren will, objektiviert und fetischisiert trans* Personen. Die oft unnötigen und invasiven Fragen lassen ein Gespräch letztlich auch entgleisen, sodass trans* Personen nicht über ihre wirklichen, gelebten Erfahrungen sprechen können. Ohne einen ethischen Rahmen schadet die Neugier trans* Personen in der sexualtherapeutischen Begleitung. Wer mit trans* Personen therapeutisch arbeiten will, sollte den eigenen Wissensdrang zügeln. Behandelnde haben kein Recht darauf, alles über eine trans* Person und jedes noch so kleine Detail zu wissen. Vielmehr sollten Behandelnde, wenn sie über Identität sprechen, als Person erkennbar sein, sich selbst reflektieren und zu Gesprächen über Intersektionalität einladen. Wer etwas erfragt, bittet um Erlaubnis, und das ist ein fortlaufender, nie endender Prozess. Nicht zuletzt geht es darum, den Menschen, der vor einem sitzt, zu behandeln und zu begleiten, und nicht darum, der anderen Person eine theoretische Vorstellung von der Sexualität aller trans* Personen aufzuzwingen.

Die renommierte Psycho- und Beziehungstherapeutin Esther Perel hat für interpersonelle Beziehungen herausgefunden, dass es für die Bewahrung von Hingabe und Autonomie immer auch notwendig sei, das Andere, das Unbekannte oder Mystische im anderen zu sehen. Lucie Fielding bietet den Perspektivenwechsel für eine leidenschaftliche Beziehung. So ist auch die intrapersonelle Beziehung wichtig, in der eine Person das Unbekannte oder Ungewisse in die Beziehung zu ihrem eigenen Körper und Selbst bringt. Im dritten Kapitel „Coming into Passionate Relationship“ führt Fielding das Konzept der Mystifizierung als dekolonisierende Praxis ein, die totalitäre, hegemoniale Diskurse verlässt und eine Person dazu einlädt, ihren Erfindungsreichtum für neue Wege des erotischen Ausdrucks, der Lust und der verkörperten Freude zu nutzen. Dies knüpft an die Grundideen von Embodiment an, die die körperliche Erfahrung des Seins im eigenen Körper und das Leben als sozial verkörperter Mensch umfasst. Wir alle sind kulturell geprägt in Bezug darauf, wie wir uns zu unserem sexuellen Körper verhalten. Für viele trans* Personen ist es hilfreich und heilsam, bestimmte Körperteile umzubenennen und ihnen einen eigenen Namen zu geben, was Fielding als einen Aspekt des Embodied Re-Visioning beschreibt. Schließlich räumt es mit der Vorstellung auf, dass aus dem Vorhandensein eines bestimmten Körperteils folgt, dass es auf kulturell vorgeschriebene Weise stimuliert werden will. Ein Penis erfordert zum Beispiel keine Fellatio beim Sex, und eine Vulva erfordert keinen Cunnilingus. Wie bei allen Sexpraktiken können Menschen kreativ mit Druck, Reibung, Geschwindigkeit und Bewegung spielen. Es würde uns allen auch guttun, unsere Vorstellungen darüber zu erweitern, wo und wie sexuelle Lust erlebt werden kann. Die Genitalien sind sicher nicht der einzige Ort der Lust. Fielding empfiehlt, dass eine trans* Person für eine leidenschaftliche Beziehung zu sich selbst immer mit einem Anfänger*innengeist an das verkörperte sexuelle Selbst herangehen sollte. Was funktioniert, sagt Fielding, kann beibehalten werden, und was einem nicht mehr dient, kann aufgegeben werden. Fielding betont hier die Mystifizierung und das Embodied Re-Visioning als kreative Akte.

Eine leidenschaftliche Beziehung ist ein wichtiges Anliegen für den Beginn einer Sexualtherapie. Sie ist jedoch praktisch kaum möglich, wenn und solange eine Traumareaktion aktiv ist. Damit befasst sich das vierte Kapitel „Coming into Compassionate Relationship“. Ein Trauma kann dazu führen, dass sich der Körper und die Umgebung unsicher anfühlen. Wo ich meinem Körper mit Neugier und Staunen begegnen könnte, machen sich stattdessen Angst und Beklemmung breit. In der Sexualtherapie ist Selbstmitgefühl oft der erste Schritt, um den eigenen Körper und die eigenen Wünsche wohlwollend zu betrachten. Selbstmitgefühl und die Fähigkeit, sich selbst zu halten und zu tragen, ermöglichen Imaginationsarbeit, Körperarbeit und Traumabearbeitung. Wer trans* Personen sexual- und traumatherapeutisch begleiten will, sollte sie dabei unterstützen, ein inneres Gefühl des Gehaltenwerdens zu entwickeln. Das erlaubt den Sprung ins Ungewisse. Sowohl Behandelnde als auch Behandlungssuchende nehmen eine Position des Nichtwissens ein. Denn das Ungewisse bedeutet unvorhersehbare Erfahrungen und das Lernen, sich auf sich selbst einzulassen. Wenn diese Lernerfahrung von einem Gefühl des Gehaltenwerdens begleitet wird, fördert dies eine mitfühlende Beziehung zu sich selbst. Während manche Behandelnde beim Konzept Sicherheit gleich an die Förderung von Veränderung und Wachstum sowie die sanfte Erweiterung von Grenzen denken, hält Fielding das Beharren auf Sicherheit in einer Therapie für ein Problem. Das Gefühl des Gehaltenwerden ist zu Beginn ein besseres Bild, das in der Arbeit angestrebt werden sollte, als das Gefühl der Sicherheit. Risiken einzugehen und sich ins Unbekannte zu wagen, bietet keine Sicherheit und kann vielmehr Gefühle des Unbehagens auslösen. Ermächtigend ist es hingegen, wenn eine trans* Person merkt, dass sie sich selbst halten kann – zunächst mit therapeutischer Unterstützung und schließlich ganz allein. Dann erlaubt sich eine Person Neugier und Wachstum. Die therapeutische Aufgabe besteht also darin, Werkzeuge bereitzustellen, um in eine mitfühlende Beziehung mit dem verkörperten sexuellen Selbst zu treten und mit Sexpartner*innen kommunizieren zu können. Schließlich lernt eine Person, wie sie einen Raum schaffen kann, in dem Erfahrungen im Unbekannten möglich sind und in dem sie sich gleichzeitig getragen fühlen kann.

Das fünfte Kapitel „Re-Centering Pleasure“ stellt in den Vordergrund, wie eine trans* Person für das eintreten kann, was ihr Lust bereitet. Sobald eine leidenschaftliche und mitfühlende Beziehung aufgebaut ist, können Annahmen über Sex unter Umständen weiterhin eine erfüllende Sexualität einschränken. Manche Menschen reduzieren Sex auf Leistung und Erfolg, was die Vielfalt von Sex und nicht selten trans* Personen ausklammert. Dabei haben viele trans* Personen kreativen Sex und schätzen eine sexpositive Haltung sehr. Einige sind kinky und in BDSM-Communitys vernetzt. Einige erforschen leidenschaftlich gern sinnlichen Sex – mit oder ohne Penetration. Die Hindernisse für den Zugang zu einer erfüllenden Sexualität liegen also wieder einmal in lustfeindlichen Narrativen, die dazu beitragen, wie sich Menschen Sex, Begehren und Vergnügen vorstellen und wessen Körper Zugang dazu gewährt wird. Wenn es in der therapeutischen Arbeit mit trans* Personen also um die Rückbesinnung auf oder das Erforschen von Genuss geht, sollten Behandelnde die Fesseln dominanter sexueller Skripte lösen und die vielfältigen Möglichkeiten betonen, die einer Person bereits zur Verfügung stehen. Dabei können laut Fielding „Sollen“- und „Müssen“-Aussagen, die vom äußeren Umfeld kommen, durch „Wollen“-Aussagen, die von innen kommen, ersetzt werden. Das entkräftet absolute, hinderliche Gedanken für genussvollen Sex. Auch Aussagen, die mit „Ich frage mich…“ oder „Ich stelle fest…“ oder „Ich fühle…“ beginnen, sind laut Fielding eine einladende Perspektive für trans* Personen, um Wünsche zu äußern und umzusetzen. Fielding stützt sich dabei auf das „Always-win“-Szenario der Sexualwissenschaftlerin und Autorin Emily Nagoski, bei dem Vergnügen das Maß für erotisches Wohlbefinden ist. Jedes Vergnügen zählt, nicht nur der Orgasmus oder genital fokussierte Empfindungen. Und jede Lust wird als Ausdruck einer freudigen, überragenden Präsenz verstanden. Während sich die vorangegangen Kapitel sehr auf das behutsame Aufbauen einer Person und ihres verkörperten sexuellen Selbst konzentrieren, arbeitet dieses Kapitel heraus, wie eine trans* Person in einer aktiven, genießenden Rolle im Hier und Jetzt ankommt. Dazu gibt Fielding praktische Tipps, die trans* Personen selbst nutzen können, um die Chance zu erkennen und zu ergreifen, ihr eigenes Drehbuch für ihre Sexualität zu schreiben und Sex zu haben, der ihren eigenen Vorstellungen entspricht und nicht denen anderer.

Im letzten Kapitel „Bringing Theory to Practice“ lässt Lucie Fielding Sexualpädagog*innen und Sexualtherapeut*innen, Beckenbodenphysiotherapeut*innen, Sexarbeiter*innen, Bodyworker*innen und andere Fachpersonen für sexuelle und somatische Gesundheit zu Wort kommen. Dieses Kapitel ist sehr praxisorientiert und eher als therapeutische Schatzkiste denn als theoretische Abhandlung konzipiert. Darin finden sich konkrete Tipps für die psychotherapeutische Arbeit mit trans* Personen, dekolonisierende Ansätze für den Zugang zur eigenen Erotik oder Empfehlungen für eine akkurate und gendersensible Sprache für Genitalien und Tipps zum Zeichnen von Genitalien. Außerdem gibt es Tipps zu Beckenbodenübungen mit trans* Personen, kinkpositive und sexpositive Beiträge sowie Genital-Illustrationen für die kunsttherapeutische oder sexualpädagogische Arbeit. Die große Stärke dieses Kapitels ist, dass die unterschiedlichen Gastbeiträge mit ihren jeweiligen Ansätzen neue Perspektiven auf die Sexualität von trans* Personen und das erotische Embodiment aufzeigen. In diesem Sinne endet das Buch mit vielen Anregungen und Ideen, Sexualität auf neue Weise zu erforschen – offen, vorurteilsfrei und mit ethischer Neugier.

„Trans Sex“ bietet alles, was das Herz – oder treffender ausgedrückt: das verkörperte sexuelle Selbst – begehrt. Es schickt sich an als Grundlagenwerk für alle, die sexual- und traumatherapeutisch mit trans* Personen arbeiten. Lucie Fieldings Buch ist berührend und leistet wertvolle Aufklärungsarbeit für Klient*innen und Therapeut*innen gleichermaßen. Es ist souverän geschrieben, fachlich sehr gut aufbereitet und jedes Kapitel bietet praktische Übungen und Zusammenfassungen zum schnellen Nachschlagen. Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus. Wer mehr zu Lucie Fieldings Arbeit hören will, möge den „Sluts and Scholars“-Podcast (Folge 180 „Trans Sex with Lucie Fielding“, erschienen am 3. Juli 2021) und „Better Sex“-Podcast (Folge 105 „Trans Sexualities – Lucie Fielding“, erschienen am 30. Dezember 2019) anhören.

Janis Renner (Hamburg)



Publication History

Article published online:
14 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany