Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-1946-2629
Kommentar zu Hodentorsion: Risikoabschätzung mithilfe des TWIST-Scores

Das akute Skrotum gehört zu den häufigsten urologischen Notfällen jeden Lebensalters. Die möglichen Ursachen sind vielfältig. Im Vordergrund steht jedoch immer der schnelle Ausschluss einer Hodentorsion, welche in ca. 25% der Fälle eines akuten Skrotums vorkommt. Ein deutlicher Häufigkeitsgipfel zeigt sich hierbei mit 65% der Fälle zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr mit einer Inzidenz von 1:4000 jährlich [1] [2]
Bereits das breite Altersspektrum macht deutlich, dass die Erstbegutachtung häufig durch Ärzte verschiedener Fachdisziplinen (Urologen, Allgemeinmediziner, Pädiater, Allgemein- und Kinderchirurgen sowie Notärzte) erfolgt.
Neben den fachlichen Unterschieden spielen aber auch weitere personelle Voraussetzungen, wie z.B. der Ausbildungsstand des jeweils Diensthabenden sowie die Verfügbarkeit personeller und technischer Ressourcen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich eine relevante Rolle. Beispielhaft sei hier schlichtweg, dass nicht Vorhandensein eines Ultraschallgerätes oder die Durchführung der Sonografie ausschließlich durch die Radiologen genannt.
Das Bestreben nach einem universell einsetzbaren Instrument, basierend auf einer rein klinischen und v.a. ultraschallunabhängigen Untersuchung zur Stratifizierung des Hodentorsionsrisikos im Rahmen eines akuten Skrotums ist daher nachvollziehbar und scheint fast schon unabdingbar.
Dementsprechend publizierten Barbosa et al. 2013 erstmals den TWIST Score (Testicular Workup for Ischemia and Suspected Torsion) bei Kindern [3]. Dieser teilt nach den folgenden klinischen Kriterien: Hodenschwellung (2 Punkte), Hodenhärte (2 Punkte), fehlender Kremasterreflex (1 Punkt), Übelkeit/Erbrechen (1 Punkt) und hochstehende Hoden (1 Punkt) junge Patienten in 3 Risikogruppen für eine mögliche Hodentorsion ein: niedriges (0–2 Punkte), mittleres (3–4 Punkte) und hohes Risiko (5–7 Punkte). In Abhängigkeit der Punktzahl erfolgt eine konsekutive Empfehlung zum weiteren Vorgehen.
In dem vorliegenden systematischen Review untermauern die Autoren mittels einer Metaanalyse die bereits vorliegenden Daten in Bezug auf die günstige Sensitivität der Patienten mit niedrigem Torsionsrisiko (0.994) sowie eine günstige Spezifität der Patienten mit hohem Torsionsrisiko (0.948). In dem ergänzend durchgeführten Vergleich zur Risikostratifizierung verschiedener Scoring-Systeme zeigte sich keines, dem initial von Barbosa eingeführten System, statistisch signifikant überlegen (AUC 0.924).
Auch wenn anhand der vorliegenden Metaanalyse günstige Ergebnisse für Spezifität und Sensitivität des TWIST-Scores nachgewiesen wurden, ist derzeit eine ausschließliche Verwendung des Scores, durchaus noch kritisch zu sehen. Insbesondere in der Gruppe mit niedrigem Risiko ist eine hundertprozentige Detektionsrate (wie in der initialen Validierung von Barbosa gegeben) zum sicheren Ausschluss einer „missed torsion“ unerlässlich, da diese Gruppe keiner weiteren Diagnostik zugeführt wird. In einer aktuellen Studie konnte erneut gezeigt werden, dass die Überlegenheit der Ultraschalls in Korrelation mit dem TWIST Score weiterhin ein wichtiger Diskussionspunkt ist [4]. Neben dem Vorhandensein von geeigneten Ultraschallgeräten und -sonden, spielt allerdings insbesondere die Expertise des Untersuchers eine wesentliche Rolle.
Fasst man die Daten des aktuellen systematischen Reviews für die Klinik zusammen, dann kann der TWIST-Score als ein richtungsweisendes klinisches Instrument gesehen werden, dessen Effizienz nur durch eine regelmäßige Anwendung sowie der Verwendung ausschließlich eines Score-Systems gesteigert werden kann. Aufgrund der Datenlage kann eine alleinige Verwendung zur Entscheidungsfindung aktuell jedoch nur eingeschränkt empfohlen werden. Neben der Notwendigkeit weiterer Studien, v.a. in Bezug auf die Anwendbarkeit bei Erwachsenen sowie die inter- und multidisziplinäre Vergleichbarkeit, muss zuvor zwingend die Frage der medizinisch-rechtlichen Konsequenz im Kontext von Ultraschall und TWIST- Fehldiagnosen geklärt sein.
Publication History
Article published online:
14 February 2023
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Günther P, Rübben I. The Acute Scrotum in Childhood and Adolescence. Dtsch Arztebl International 2012; 109: 449-458
- 2 DaJusta DG, Granberg CF, Villanueva C. et al. Contemporary review of testicular torsion: new concepts, emerging technologies and potential therapeutics. J Pediatr Urol 2013; 9: 723-730
- 3 Barbosa JA, Tiseo BC, Barayan GA. et al. Development and initial validation of a scoring system to diagnose testicular torsion in children. J Urol 2013; 189: 1859-1864
- 4 Hisamatsu E, Haruna A, Sugita Y. et al. Validation of testicular workup for ischemia and suspected torsion score in patients with acute scrotum. J Pediatr Urol 2022;