Angewandte Nuklearmedizin 2022; 45(04): 254-255
DOI: 10.1055/a-1928-5044
Nuklearmedizinische Hirnbildgebung
Editorial

Medizinische Hirnbildgebung

Brain Imaging in nuclear medicine
Alexander Drzezga
1   Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
2   Institut für Neurowissenschaft und Medizin (INM-2), Forschungszentrum Jülich, Jülich, Deutschland
3   Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Bonn-Köln, Deutschland
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Das Gebiet der nuklearmedizinischen/molekularen Bildgebung des Gehirns zeichnet sich durch eine besondere Vielfalt an diagnostischen Möglichkeiten und durch ein fortgesetzt hohes Maß an Innovationen aus. Die eingesetzten Methoden haben in den vergangenen Jahren wieder wesentlich dazu beigetragen, sowohl das Verständnis von physiologischen Gehirnfunktionen als auch von Pathomechanismen verschiedener Erkrankungen des zentralen Nervensystems zu verbessern. Der klinische Stellenwert dieser Methoden wächst kontinuierlich und wird in klinischen Leitlinien zu unterschiedlichen Erkrankungen in wachsendem Ausmaß anerkannt.

In dieser Ausgabe der Angewandten Nuklearmedizin möchten wir den aktuellen Wissensstand und die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet daher neu zusammenfassen und haben besonders die klinische Relevanz in den Mittelpunkt gestellt. So geben die Autorinnen und Autoren Hinweise zu den wichtigsten Indikationen sowie zur Anwendung und Interpretation der unterschiedlichen Verfahren.

In besonderer Weise ergeben sich Einsatzmöglichkeiten nuklearmedizinisch diagnostischer Verfahren weiterhin bei den neurodegenerativen Erkrankungen, wie den Demenzerkrankungen und den Bewegungsstörungen, die als altersassoziierte Störungen unsere Gesellschaft in erheblichem und zunehmendem Maße betreffen. Mit der ersten Zulassung eines kausalen Therapieansatzes gegen die Amyloid-Ablagerungen (Plaques) bei der Alzheimer-Erkrankung in den USA ist das Thema der Amyloid-Pathologie sowie auch der Amyloid-Bildgebung als molekularer In-vivo-Biomarker wieder in den Vordergrund gerückt. Die Zulassung der betreffenden Therapie war von erheblichen Kontroversen begleitet, die sich bis zur grundsätzlichen Frage hin erstrecken, ob derartige Therapieansätze überhaupt als vielversprechend zu werten sind. Die Amyloid-Bildgebung als diagnostisches Verfahren bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit nicht nur Patienten/innen in zuverlässiger und standardisierter Weise auszuwählen, sondern auch Therapieeffekte zu dokumentieren und zu quantifizieren. Auch wurde jüngst in Deutschland eine GBA-finanzierte Erprobungsstudie zum Nutzen der Amyloid-Bildgebung initiiert. Wir haben daher in dieser Ausgabe den derzeit gültigen Stand zu Indikationen und Beurteilungsgrundlagen der Amyloid-PET-Bildgebung strukturiert zusammengefasst. Neben der Amyloid-Bildgebung haben sich in den vergangenen Jahren auch PET-Tracer für die Bildgebung der Tau-Ablagerungen des Gehirns etabliert, die nicht nur bei der Alzheimer-Erkrankung, sondern auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen als relevanter Faktor diskutiert werden. Einer dieser Tau-Tracer hat in den USA auch bereits klinische Zulassung erlangt. In zwei Artikeln werden daher hier der mögliche Stellenwert dieser Methoden bei den Demenzerkrankungen (Dr. G. Bischof) aber auch bei den Bewegungsstörungen mit Tau-Pathologie (Dr. L. Beyer/PD Dr. Brendel) beleuchtet. Was die Bewegungsstörungen wie die Parkinson-Erkrankung betrifft, so ist die nuklearmedizinische Bildgebung des dopaminergen Systems äußerst bewährt und sicher unter den häufigsten klinischen Anwendungen der Nuklearmedizin im Bereich der neuropsychiatrischen Erkrankungen. Herr Prof. K. Tatsch fasst hier den aktuellen Stand und Beispiele typischer klinischer Erscheinungsbilder zusammen. In der Differenzierung zwischen verschiedenen atypischen Parkinson-Syndromen/Bewegungsstörungen hat sich die FDG-PET mittlerweile als Methode der Wahl etabliert und Eingang in verschiedene Leitlinien/Empfehlungen gefunden. Prof. Ph. Meyer und Kollegen diskutieren das Einsatzgebiet und die jeweiligen charakteristischen Befundbilder. Grundsätzlich bietet die FDG-PET als universelles Werkzeug der Nuklearmedizin über die Detektion verschiedener charakteristischer Muster Informationen zu Art, Lokalisation und Schweregrad unterschiedlicher Erkrankungen des Gehirns. Die typischen Befunde bei unterschiedlichen Demenzerkrankungen werden hier von Dr. R. Buchert und Prof. S. Förster auf aktuellem Stand zusammengefasst und auch unter dem Aspekt aktueller Weiterentwicklungen wie den modernen Kamerasystemen diskutiert. Herr PD Dr. Yakushev und Artem Chaban geben zusätzlich einen Überblick über verfügbare automatisierte Analyseverfahren. Einen erheblichen klinischen Nutzen weist die FDG-PET auch für die Lokalisations-Diagnostik der Epilepsie auf. Die Stärken der nuklearmedizinischen Verfahren für diese Indikation werden von Prof. Ch. La Fougère und Prof. P. Bartenstein hier aktualisiert aufgelistet.

Für unterschiedliche Erkrankungen des Gehirns wird eine Beteiligung inflammatorischer Prozesse in zunehmendem Maße diskutiert. Auch hier kann die nuklearmedizinische Bildgebung einen wichtigen diagnostischen Beitrag leisten, so zum Beispiel bei den Autoimmunenzephalitiden. Hierunter bildet die limbische Enzephalitis eine Entität, die sich sowohl vom klinischen Erscheinungsbild als auch den begleitenden Befunden der Bildgebung äußerst variabel darstellen kann. Eine zuverlässige Diagnostik ist dabei von besonderer Bedeutung, da sich diese Erkrankung bei rechtzeitiger Diagnose generell gut behandeln lässt. Sie gilt im klinischen Alltag insbesondere aufgrund der heterogenen Präsentation als unterdiagnostiziert. Die FDG-PET kann bei den Autoimmunenzephalitiden gleich einen zweifachen Nutzen entfalten, da sie nicht nur eine Diagnostik der Enzephalitis selbst sondern auch eine Suche nach einer zugrundeliegenden Tumorerkrankung (im Sinne eines paraneoplastischen Syndroms) erlaubt. Wir haben uns daher entschieden, den Beitrag von Dr. R. Buchert und Kollegen, in welchem die Hintergründe und klinischen Zusammenhänge zu diesem Phänomen umfassend zusammengefasst werden, als CME-Beitrag auszuführen, um eine Weiterbildung auf diesem Gebiet anzuregen.

Neben der FDG-PET stehen der Nuklearmedizin auch Tracer für eine spezifische Bildgebung der Neuroinflammation zur Verfügung. Prof. N. Albert und PD Dr. M. Brendel führen in dieser Ausgabe aus, dass die Inflammation auch bei Tumoren des Gehirns eine wichtige Rolle spielt und welchen klinischen Wert deren Bildgebung in der Diagnostik dieser Erkrankungen haben könnte. Für die Bildgebung der Gehirntumorerkrankungen haben die Aminosäure-Tracer ihren Status als Goldstandard weiter festigen können. Prof. K.J. Langen und Prof. N. Galldiks erörtern hierzu den aktuellen Stand des Wissens.

Mein herzlicher Dank gebührt den vielen beteiligten Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe, die es ermöglichen, ein umfassendes Bild der diagnostischen Möglichkeiten der Nuklearmedizin auf dem Gebiet der neuropsychiatrischen Erkrankungen zu zeichnen. Die Vielseitigkeit und Qualität der Beiträge reflektieren die in unserem Fachgebiet vorhandene, erfreulich breite Kompetenz auf diesem Feld. Wir hoffen, dass es gelungen ist, eine gute Übersicht der aktuell etablierten Verfahren und deren Stellenwert sowie auch einen fundierten Ausblick auf kommende Möglichkeiten zu geben. Ich wünsche viel Freude bei der Lektüre der Beiträge.



Publication History

Article published online:
02 December 2022

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