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DOI: 10.1055/a-1910-0734
Tiefe Venenthrombose – Diagnostik und Abklärung Schritt für Schritt
Deep vein thrombosis – diagnostics and clarificationAutor*innen
Zusammenfassung
Die frühzeitige Diagnose und Therapie von tiefen Venenthrombosen vermindern das Risiko für eine Lungenembolie und ein postthrombotisches Syndrom. In diesem Beitrag wird erklärt, welche Schritte für die Diagnosestellung von Bedeutung sind und welche Ursachen der tiefen Venenthrombose zugrunde liegen können.
Abstract
Deep vein thrombosis usually manifests as leg or pelvic vein thrombosis (DVT). The causes are either acquired or inherited and can also occur in combination. Early diagnosis and treatment of DVT can reduce the risk of pulmonary embolism and postthrombotic syndrome. The estimation of the clinical probability, if necessary in combination with the D-dimer test, points the way to further imaging diagnostics. After diagnosis, risk factors that led to the occurrence of thrombosis can be identified in many cases. In more than half of the cases, genetic causes play a role. If the cause is not clear, tumor screening should be performed, since up to 20 % of thromboses are due to tumor disease.
Einleitung
Tiefe Venenthrombosen treten meist als Bein- oder Beckenvenenthrombose (TVT) oder Lungenembolie in Erscheinung. Die Ursachen sind entweder erworben oder vererbt und können auch kombiniert auftreten.
Als akute TVT wird der partielle oder vollständige Verschluss von tiefliegenden Venen bezeichnet. Das Risiko besteht in einem appositionellen Wachstum und einer Embolisation in die Lunge. Als Folge der TVT können sich sowohl durch insuffiziente Venenklappen oder bei unvollständiger Rekanalisation durch bindegewebige Organisation der Thromben chronische Abflussstörungen bilden. Die symptomatische chronische venöse Insuffizienz wird als postthrombotisches Syndrom (PS) bezeichnet. Durch eine frühzeitige Diagnose und Therapie der TVT kann das Risiko für das Auftreten von Lungenembolien und PS vermindert werden.
Bei der Thrombophlebitis sind lediglich die oberflächlichen Venen betroffen. Sofern keine Nähe zum tiefen Venensystem besteht, ist im Gegensatz zur TVT keine therapeutische, sondern lediglich eine prophylaktische Antikoagulation notwendig.
Diagnostik
Schritt 1: Symptome und klinisches Bild
Die folgenden Symptome sind typisch für das Vorliegen einer TVT:
-
Beinschwellung,
-
Schmerzen
-
Wärme und
-
Rötung der Haut.
Die Symptome sind in der Regel einseitig, können aber auch beidseitig sein. Ein Unterschied der Wadendurchmesser ([Abb. 1]) hat dabei einen höheren diagnostischen Wert als der Wadendruckschmerz (Homans-Zeichen) [1]. Im Falle einer Thrombose der Vena iliaca kann zusätzlich eine Schwellung im Gesäßbereich auftreten.


Schritt 2: Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer TVT
Bei einem Verdacht auf eine TVT sollte zunächst anhand klinischer Parameter die Wahrscheinlichkeit abgeschätzt werden. Dafür hat sich in der Klinik der sog. Wells-Score etabliert ([Tab. 1]) [2] [3].
Schritt 3: D-Dimer-Test
Der D-Dimer-Test eignet sich zusammen mit dem Wells-Score zur weiteren Festlegung der diagnostischen Maßnahmen bei Verdacht auf TVT. D-Dimere sind Abbauprodukte von quervernetztem Fibrin. Ein positiver D-Dimer-Test ist hoch sensitiv, aber nicht spezifisch für das Vorliegen einer TVT. Der D-Dimer-Test ist daher nicht als Screeningtest geeignet, und erhöhte D-Dimere sind keine Indikation für eine Antikoagulation. D-Dimere entstehen bei vermehrter Gerinnungs- und Fibrinolyseaktivität, z. B. im Rahmen von Entzündungen, Traumata, Operationen, Schwangerschaft, aktiven Tumorerkrankungen oder Blutungen. In diesen Fällen sollte von einer D-Dimer-Bestimmung abgesehen werden. Der Grenzwert für ein positives Ergebnis liegt in der Regel bei 500 ng/ml. D-Dimer-Werte steigen mit dem Alter an, was die Spezifität bei älteren Patienten weiter erschwert [4] [5]. Die Verwendung eines höheren D-Dimer-Cut-offs bei älteren Patienten verbessert den diagnostischen Nutzen und die Spezifität [6] [7].
Stellenwert des D-Dimer-Tests in Abhängigkeit von der klinischen Wahrscheinlichkeit:
-
Bei Patienten mit klinischem Verdacht auf eine TVT, aber niedriger Wahrscheinlichkeit (Wells-Score < 2) sollte ein D-Dimer-Test durchgeführt werden. Ist dieser negativ, so ist das Vorliegen einer TVT mit ausreihend hoher Sicherheit ausgeschlossen und es kann auf weitere diagnostische Maßnahmen verzichtet werden.
-
Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit soll kein D-Dimer-Test durchgeführt werden, sondern gleich eine weiterführende Diagnostik erfolgen. Der negative prädiktive Wert der D-Dimere ist in dieser Situation nicht ausreichend hoch, entsprechend kann eine TVT übersehen werden.
Schritt 4: Kompressionssonografie
Bei niedriger Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer TVT und erhöhten D-Dimer-Spiegeln (> 500 ng/ml) oder hoher klinischer Wahrscheinlichkeit ([Abb. 2]) sollte eine Kompressionssonografie durchgeführt werden.


Die Kompressionssonografie mit Doppler gilt als zuverlässigste Methode zum Nachweis einer TVT. Die Sensitivität und Spezifität der Methode für proximale Venen (d. h. in den Venen femoralis communis, femoralis und poplitea) wird mit > 95 % angenommen. Bei unklaren Befunden sollte eine Kontrolle nach 4–7 Tagen erfolgen. Relevante Differenzialdiagnosen bei Patienten mit Verdacht auf eine TVT umfassen Muskelzerrung/Lymphödem, venöse Insuffizienz, Poplitealzyste (Baker-Zyste) und Zellulitis.
Bei Verdacht auf eine Beckenvenenthrombose sollte ein Beckenvenenultraschall und bei unzureichenden Schallbedingungen (z. B. Darmüberlagerung, Adipositas) eine Computertomografie (CT) durchgeführt werden. Eine Phlebografie ist nur noch ausnahmsweise bei unklaren Fällen angezeigt, z. B. bei sonografisch nicht eindeutiger Abklärung einer Rezidivthrombose.
Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit und fehlender Möglichkeit einer zeitnahen Bestätigungsdiagnostik sollte bereits mit der Antikoagulation begonnen werden und die Bildgebung zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.
Ursachen und Risikofaktoren einer TVT
Die folgenden, als Virchow´sche Trias bekannten Einflüsse bilden die pathophysiologische Grundlage einer TVT [8]:
-
Veränderungen im Blutfluss (z. B. Stase),
-
Schädigung des Endothels sowie
-
Veränderungen in den Bestandteilen des Blutes (d. h. ererbter oder erworbener Zustand der Hyperkoagulabilität).
Bei über 80 % der Patienten mit TVT kann ein Risikofaktor identifiziert werden. Häufig sind auch mehrere Faktoren beteiligt. Lässt sich keine zugrunde liegende Ursache eruieren, so liegt eine idiopathische TVT vor.
Hereditäre Thrombophilie
Unter den genetisch bedingten Neigungen zu venösen Thromboembolien dominieren die Faktor-V-Leiden-Mutation und die Prothrombin-Genmutation (Prothrombin G20 210A), die zusammen 50–60 % der Fälle ausmachen. Defekte in Protein S, Protein C und Antithrombin sind für die meisten der übrigen Fälle verantwortlich [9] [10] [11] [12].
Die Faktor-V-Leiden-Mutation ist der häufigste angeborene thrombophile Risikofaktor. Das Thromboserisiko ist bei heterozygoten Anlageträgern um das 7-Fache und bei homozygoten Anlageträgern um das 40-Fache gegenüber der Normalbevölkerung erhöht. Etwa 5 % der Europäer sind heterozygote Merkmalsträger für die Faktor-V-Leiden-Mutation. Bei 19–40 % der Patienten mit TVT lässt sich die Faktor-V-Leiden-Mutation in heterozygoter Form nachweisen [13]. Das Thromboserisiko für eine Frau mit Faktor-V-Leiden-Mutation während der Schwangerschaft oder im Wochenbett wird auf etwa 1 zu 400–500 geschätzt, verglichen mit 1 zu 1400 in der Allgemeinbevölkerung [14]. Angaben zur Inzidenz sowie des relativen Risikos für die weiteren wichtigsten angeborenen und erworbenen Thromboseneigungen finden sich in [Tab. 2].
|
Thrombophilie |
Inzidenz Normalbevölkerung (%) |
relatives Risiko |
Inzidenz bei TVT (%) |
|
Faktor-V-Leiden-Mutation (heterozygot) |
5 |
7 |
19–40 |
|
Prothrombin-Mutation (heterozygot) |
3 |
3 |
7–16 |
|
Faktor-V-Leiden- + Prothrombin-Mutation (heterozygot) |
< 0,05 |
20 |
2 |
|
Faktor-V-Leiden-Mutation (homozygot) |
0.02 |
40 |
3 |
|
Faktor-VIII-Erhöhung |
11 |
5 |
25 |
|
milde Hyperhomocysteinämie (> 15 µmol/l) |
5 |
1,5–2 |
7 |
|
Protein-C-Mangel |
0,4 |
7–10 |
2–5 |
|
Protein S-Mangel |
0,7–2,3 |
5–11 |
1–7 |
|
Antithrombin-Mangel |
0,1 |
4–50 |
1–3 |
|
erworben: Antiphospholipid-Antikörper |
1–5 |
5–10 |
2–10 |
Die Gesamtprävalenz einer hereditären Thrombophilie wird mit 24–37 % bei Personen mit TVT gegenüber 10 % in der Normalbevölkerung angenommen. Etwa 50 % der thrombotischen Ereignisse bei Patienten mit hereditärer Thrombophilie sind mit dem zusätzlichen Vorhandensein eines erworbenen Risikofaktors (z. B. Operation, längere Bettruhe, Schwangerschaft, orale Kontrazeptiva) verbunden [15].
Thrombophiliemarker sind in der Akutphase der Thrombose häufig verändert. Da auch die Antikoagulation Einfluss auf Gerinnungsfaktoren hat, ist eine aussagekräftige Thrombophiliediagnostik erst nach Abschluss der Antikoagulation möglich. Ausgenommen hiervon sind die humangenetischen Untersuchungen zur Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-Mutation.
Tumor und TVT
Patienten mit aktiver Tumorerkrankung haben ein erhöhtes Thromboserisiko. Ursache hierfür sind prothrombotische Substanzen, die von einigen Tumorzellen produziert werden. Etwa 20 % der Patienten mit symptomatischer TVT haben eine bekannte Tumorerkrankung [16] [17]. Diese ist häufig Ursache für schwerwiegende klinische Folgen [18]. Im Zusammenhang mit Thrombosen diagnostizierte Tumoren waren häufig in Lunge, Bauchspeicheldrüse, Kolon und Rektum, Niere und Prostata lokalisiert [19].
Nachdem die Diagnose einer TVT der Diagnose einer Tumorerkrankung vorausgehen kann [20], empfiehlt sich im Falle einer idiopathischen TVT ein Tumorscreening. Dies beinhaltet die geschlechts- und altersspezifischen Routine-Vorsorgeuntersuchungen sowie eine Bildgebung von Lunge und Abdomen (Röntgen-Thorax, Sonografie Abdomen oder CT-Thorax/Abdomen).
Erworbene Thrombophilie
Zu den erworbenen Risikofaktoren oder prädisponierenden Bedingungen für eine Thrombose gehören
-
ein vorangegangenes thrombotisches Ereignis,
-
eine kürzlich durchgeführte größere Operation,
-
das Vorhandensein eines zentralen Venenkatheters,
-
ein Trauma,
-
eine Immobilisierung,
-
eine maligne Erkrankung,
-
eine Schwangerschaft,
-
die Einnahme oraler Kontrazeptiva oder von Heparin,
-
myeloproliferative Erkrankungen,
-
das Antiphospholipid-Syndrom (APS) und
-
eine Reihe anderer schwerer medizinischer Erkrankungen [16] [21] [22].
Die Schwangerschaft ist mit einem erhöhten Thromboserisiko assoziiert. Dabei spielen sowohl die vermehrte Gerinnungsaktivierung gegen Ende der Schwangerschaft wie auch der verminderte venöse Rückfluss durch den vergrößerten Uterus eine Rolle.
Aufgrund ihrer weit verbreiteten Anwendung sind hormonelle Kontrazeptiva die wichtigste Ursache für Thrombosen bei jungen Frauen [23] [24]. Das Thromboserisiko steigt innerhalb der ersten 6–12 Monate nach Therapiebeginn an und ist unabhängig von der Dauer der Einnahme [25]. Die Anwendung von Hormonpräparaten bei älteren Frauen zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden ist ebenfalls mit einem deutlich erhöhten TVT-Risiko assoziiert, insbesondere bei Frauen mit vererbter Thrombophilie oder einer familiären TVT-Anamnese [26].
Das Antiphospholipid-Syndrom (APS) ist eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen und durch das Vorhandensein von Antikörpern gegen Phospholipide wie Cardiolipin und Phospholipid-bindende Proteine wie beta-2-Glykoprotein I gekennzeichnet. Klinisch tritt es durch Symptome wie venöse oder arteriellen Thrombosen sowie wiederkehrende Fehlgeburten in Erscheinung. Das Krankheitsbild kann alleinstehend oder in Verbindung mit dem systemischen Lupus erythematodes und anderen rheumatischen Erkrankungen auftreten.
Die TVT ist eine häufige klinische Diagnose, die keinesfalls übersehen werden darf. Die rasche Einleitung einer Antikoagulation bei entsprechender Symptomatik steht dabei im Vordergrund, um Komplikationen wie Lungenembolie oder PS zu vermeiden. Eine gründliche Ursachenforschung ist erforderlich, um die Patienten individuell bezüglich ihres Thromboserisikos behandeln zu können.
Zitierweise für diesen Artikel
Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 832–836. DOI: 10.1055/a-1226-5288
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
-
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
17. Oktober 2022
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
-
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