Hintergrund
Qualifizierte Atmungstherapeuten („Respiratory Therapists“) sind seit
über 50 Jahren fester Bestandteil des US-amerikanischen Gesundheitssystems
[1]. In Kanada gibt es ca. 12000
Atmungstherapeuten, die in einer eigenständigen Fachgesellschaft organisiert
sind, und deren Tätigkeit in einigen Provinzen bereits gesetzlich geregelt
ist [2]. Auch in Ländern des
arabischen oder asiatischen Raums gibt es ähnliche Abschlüsse [3]
[4].
Während Atmungstherapeuten auf Neurointensivstationen in Nordamerika
(85%), im Nahen Osten (85%) und in Lateinamerika (84%) sehr
häufig eingesetzt werden, ist dies in Europa (26%) seltener der Fall
[5]. Auch in Bezug auf die Ausbildung gibt
es im internationalen Vergleich Unterschiede: Amerikanische, arabische oder
asiatische Respiratory Therapists durchlaufen eine eigenständige
Berufsausbildung oder ein Studium, in Deutschland wird die Qualifikation
„Atmungstherapeut“ hingegen über eine qualifizierende
Weiterbildung erlangt [1]. Alle
internationalen und nationalen Ausbildungs- oder Studienformate haben einen Fokus
auf die Bereiche Beatmungsmedizin, Schlafmedizin, Pneumologie, Kardiologie und
Intensivmedizin. Atmungstherapeuten verfügen über Expertise im
Trachealkanülen-, Sekret- und Beatmungsmanagement sowie in der Sauerstoff-
und Inhalationstherapie. Sie verfügen außerdem über Wissen
aus den Bereichen Medizin, Pflege und Therapie und können andere
Teammitglieder im Umgang mit Medizinprodukten schulen. Auch wirtschaftliche
Belastungen können durch den Einsatz von Atmungstherapeuten sinken. Die
Kostensenkung kommt beispielsweise durch eine bessere Compliance der Patienten oder
durch strukturiertere Therapiekonzepte zustande. Dies hat Auswirkungen auf die
Aufenthaltsdauer im Krankenhaus oder das Auftreten von Komplikationen [6]. Die Weiterbildung zum Atmungstherapeuten
– nicht zu verwechseln mit dem uneinheitlich genutzten Begriff des
„Atemtherapeuten“ − wird in Deutschland durch die Deutsche
Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und die Deutsche
Gesellschaft für pflegerische Weiterbildung (DGpW) angeboten [7]. Teilnehmen können
Pflegekräfte, Physiotherapeuten und – bei der DGpW – auch
Logopäden und Ergotherapeuten. Die Dauer der Weiterbildung bei der DGP und
der DGpW liegt bei ca. 1,5 Jahren und beinhaltet neben theoretischen Schwerpunkten
auch Praktika im Bereich der Intensivmedizin, der Schlafmedizin oder der
Physiotherapie. Im Jahre 2021 wurde erstmalig ein Weiterbildungslehrgang zum
„Atmungstherapeuten für Neurologie und Neurorehabilitation“
durch die Deutsche Gesellschaft für pflegerische Weiterbildung angeboten.
Dieser Weiterbildungslehrgang umfasst vier Wochen Theorie, eine Woche Praktikum in
der Neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation und eine
Erfolgskontrolle.
Die Rolle der Atmungstherapeuten im Wandel von Demographie, Epidemiologie und
Medizin
Gesellschaft und Gesundheitssystem in Deutschland befinden sich im Wandel. Der
Altersdurchschnitt steigt und die Häufigkeit von Multimorbidität
nimmt zu. Gleichzeitig schreiten die Technisierung und die Spezialisierung der
Medizin voran [8]
[9]. Aufgrund von Weiterentwicklungen in der
Notfall- und Intensivmedizin überleben mehr Patienten Traumata,
ausgedehnte Schlaganfälle, Infektionen und entzündliche
Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems sowie akutmedizinische
Folgen dieser Erkrankungen. Daher kommt sowohl der klinischen als auch der
außerklinischen Beatmung eine wachsende Bedeutung zu [10]. Aufgrund des großen Einflusses
chronischer Erkrankungen der Atemwege wie auch des zentralen und peripheren
Nervensystems auf Mortalität, Teilhabe und Lebensqualität ist
das Aufgabengebiet der Atmungstherapeuten gesellschaftlich und
gesundheitsökonomisch bedeutsam [11].
Eine intensivmedizinische Therapie kann in eine prolongierte Beatmung
münden, weswegen im letzten Jahrzehnt neurologisch, pneumologisch oder
anästhesiologisch geführten Zentren für
Beatmungsentwöhnung etabliert wurden [8]. Durch die Weiterentwicklung der Intensivmedizin steigt auch die
Zahl mit einer Trachealkanüle versorgter oder lebenserhaltend beatmeter
Patienten in der außerklinischen Intensivpflege. Wahrscheinlich weisen
mehr als 50% dieser Patienten eine neurologische Erkrankung auf [8]. Durch die COVID-19-Pandemie ist eine
weitere Gruppe von Patienten mit häufig zugleich vorliegender
respiratorischer und neurologischer Symptomatik entstanden, was dazu
führte, dass Beatmungsstrategien und Rehabilitationsmaßnahmen
neu entwickelt und auf das neue Krankheitsbild angepasst werden mussten [12]
[13].
Das Delegieren ärztlicher Aufgaben im deutschen Gesundheitssystem
erfährt in diesem Zusammenhang eine zunehmende Bedeutung [9]. Die Verantwortung und Haftung liegen
gemäß § 823 BGB sowohl beim delegierenden Arzt, als auch
beim Mitarbeiter. Grundlage der Delegation sind regelmäßige,
dokumentierte Schulungen. Außerdem muss der Arzt sich persönlich
von der Befähigung des Mitarbeiters und dessen Qualifikation zur
Durchführung der Maßnahme überzeugen und dies in Form
eines Befähigungsnachweises dokumentieren. Grundsätzlich nicht
delegierbare Aufgaben sind hiervon ausgenommen [14].
Versorgungsstrukturen für neurologische Patienten
Sowohl bei Patienten mit schweren neurologischen Akuterkrankungen, als auch bei
Patienten mit chronisch-progredienten Erkrankungen, kann ein erheblicher Bedarf
an Rehabilitation vorliegen, um eine bestmögliche Teilhabe und
Lebensqualität zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten die
interdisziplinären Teams in der Neurologie eng miteinander zusammen und
integrieren diverse therapeutische Konzepte und Methoden in die gemeinsame
Arbeit. Durch die sehr unterschiedlichen neurologischen
Beeinträchtigungen der Patienten, ist die Prioritätensetzung der
Professionen unterschiedliche stark gefragt. Gleichzeitig bedeutet dies, dass
für die komplexen Versorgungsbereiche Spezialisten – wie zum
Beispiel Atmungstherapeuten − im Team vorhanden sein müssen
[15]. Das Phasenmodell der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (Bundesarbeitsgemeinschaft
für Rehabilitation, 1995) grenzt die Akutphase im Krankenhaus (Phase A)
von der Neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation (NNFR, Phase
B) ab [16]. Patienten in der Phase B sind
aufgrund reduzierter Belastbarkeit, starker psychischer oder kognitiver
Beeinträchtigungen oder akutmedizinischer
Behandlungsbedürftigkeit noch nicht fähig, eine medizinische
Rehabilitation zu absolvieren [17].
Mittlerweile kommen zunehmend Methoden der Phasen A und B gleichzeitig zum
Einsatz, beispielsweise bei der Beatmungsentwöhnung in der
neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation. Die Verweildauer im
erstversorgenden Akutkrankenhaus verringert sich daher stetig [18]. Im Jahre 2017 wurde die Leitlinie
„Besonderheiten des prolongierten Weanings bei Patienten in der
neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation“ publiziert
[19]. Insgesamt stehen in Deutschland
nun ca. 1100 Betten zur Beatmungsentwöhnung im Rahmen der NNFR zur
Verfügung [20].
Die OPS für die „Neurologisch-neurochirurgische
Frührehabilitation” (8–552) und für die
„Beatmungsentwöhnung von der maschinellen Beatmung“ (OPS
8–718) müssen allerdings getrennt erfasst werden. Inzwischen ist
der Einsatz von Atmungstherapeuten zwei Untergruppen der OPS für die
„Beatmungsentwöhnung von der maschinellen Beatmung“ (OPS
8–718.8 und 8–718.9) als Struktur- und Mindestmerkmal
relevant.
Im Herbst 2021 wurde von der Deutschen Gesellschaft für
Neurorehabilitation in Kooperation mit der TÜV Rheinland AG, die auch
die Stroke-Unit-Zertifizierung durchführt, die Zertifizierung von
„Zentren für Beatmungsentwöhnung in der
Neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation“ begonnen.
Der Einsatz von Atmungstherapeuten ist hierfür ein
Zertifizierungskriterium. In Deutschland sind außerdem ca. 60
Weaningzentren von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und
Beatmungsmedizin (DGP) zertifiziert, wofür die Beschäftigung von
Atmungstherapeuten ebenfalls ein Zertifizierungskriterium ist [8]. Die Deutsche Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) nimmt die Zertifizierung
„Entwöhnung von der Beatmung“ im Rahmen des modularen
Zertifikats Intensivmedizin vor, welches den Einsatz von Atmungstherapeuten
allerdings nicht erfasst. Beatmete neurologische Patienten werden
außerdem in Schlaflaboren (Deutsche Gesellschaft für
Schlafforschung und Schlafmedizin, DGSM), Neuromuskulären Zentren
(Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke, DGM) und
Querschnittgelähmten-Zentren (Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft
für Paraplegiologie, DMGP) behandelt. Auch im Rahmen der Zertifizierung
von Querschnittgelähmtenzentren wird der Einsatz von Atmungstherapeuten
erfasst.
Besonderheiten neurologischer Erkrankungen mit Beeinträchtigung der
Atmung
Neurologische Krankheitsbilder, die zu einer Beatmungstherapie führen,
sind zum Beispiel der ischämische Hirninfarkt, die intrazerebrale
Blutung, der hypoxische Hirnschaden, das Schädel-Hirn-Trauma,
immunologische und metabolische Enzephalopathien, Epilepsien und Tumore. Auch
Erkrankungen des Rückenmarks, neuromuskuläre Erkrankungen und
die Critical-illness-Polyneuropathie-/Myopathie (CIP/CIM) als
Komplikation können zur Beatmungsindikation führen [21]. Auch die COVID-19-Infektion kann sich
neurologisch manifestieren: neben der Anosmie treten Hirninfarkte,
Enzephalopathien, Meningoenzephalitiden, das Guillain-Barré-Syndrom, die
akute disseminierte Enzephalomyelitis, intrazerebrale Blutungen, Epilepsien,
Schluck- und Atemantriebsstörungen sowie auch die CIP/CIM
gehäuft auf [22]
[23]
[24]
[25]. Gerade bei
neurologisch Schwer- und Schwersterkrankten beeinflussen zudem
Komorbiditäten wie eine COPD oder kardiale Erkrankungen den Verlauf
[26]
[27]. Die hohe Mortalität neurologischer Erkrankungen und die
häufig schwere Symptomlast begründen oft einen
palliativmedizinischen Behandlungsbedarf [28].
Der atmungstherapeutische Behandlungsbedarf begründet sich durch Symptome
wie der Dysphagie, der Husteninsuffizienz, der Parese der Atemmuskulatur,
obstruktiven und zentralen Apnoen und Hypopnoen, dem erworbenen zentralen
Hypoventilatonssyndrom sowie der Sekretretention [29]
[30]. [Tab. 1] gibt einen
Überblick über das Auftreten dieser Symptome bei
unterschiedlichen Gruppen neurologischer Erkrankungen. Häufig treten
Pneumonien als Komplikation auf [31]
[32]
[33]. Zudem stellen bulbäre Paresen, Störungen von
Bewusstsein, Wahrnehmung, Kommunikation, Sprache, höherer Hirnleistung
und Motorik sowie Schmerzen, Spastik, Mangelernährung, fehlende
Entscheidungsfähigkeit und unklaren Prognosen eine besondere
Herausforderung dar. Diesbezügliche Schulungen sind notwendig und werden
in der Weiterbildung zum Atmungstherapeuten für Neurologie und
Neurorehabilitation durch die Deutsche Gesellschaft für pflegerische
Weiterbildung vermittelt.
Tab. 1 Gruppen neurologischer Erkrankungen und typische
Symptome.
Erkrankung
|
Typische Symptome
|
Zerebrale Erkrankungen
|
Husteninsuffizienz
Dysphagie
Sekretretention
Schlafbezogene Atmungsstörungen
Erworbenes zentrales Hypoventilationssyndrom
(Medulläre Läsionen)
|
Querschnittlähmung
|
Parese der Atempumpe
Husteninsuffizienz
Dysphagie [34]
Sekretretention
Schlafbezogenen Atmungsstörungen
|
CIP/CIM (ICU-acquired weakness)
|
Parese der Atempumpe
Husteninsuffizienz
Dysphagie [35]
Sekretretention
|
Neuromuskuläre Erkrankungen
|
Parese der Atempumpe
Abnahme der thorakopulmonalen Compliance [36]
Husteninsuffizienz
Dysphagie
Sekretretention
Schlafbezogenen Atmungsstörungen
Sekundäres zentrales Hypoventilationssyndrom (Myotone
Dystrophie Typ I)
|
Atmungstherapeutische Diagnostik
Atmungstherapeuten sind qualifiziert, unter ärztlicher Supervision
respiratorische Diagnostik durchzuführen, zu dokumentieren und
vorzubefunden. Die atmungstherapeutische Basisdiagnostik umfasst die
Blutgasanalyse, die Spirometrie (sitzend und liegend), die Messung des
Hustenspitzenflusses (Peak Cough Flow), die Tracheoskopie, die transkutane
Kapnometrie und die Polygraphie. Die Polysomnographie sowie die Lungen- und
Zwerchfellsonographie erfordern zusätzliche Schulung. Die flexible
endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) wird aktuell nur von
Ärzten und Logopäden durchgeführt. Mehrere medizinische
Fachgesellschaften haben ein Curriculum mit Abschlusszertifikat
eingeführt [37]
[38]. Da diese Curricula für
Atmungstherapeuten nicht zugänglich sind, kann nur mittels
Einführung eines eigenständigen Curriculums eine Ausbildung von
Atmungstherapeuten in der FEES erreicht werden. Ein solches Curriculum befindet
sich in Vorbereitung. Die atmungstherapeutische Diagnostik muss bei
neurologischen Patienten häufig mittels mitarbeitsunabhängiger
oder an die motorische Situation angepasster Verfahren erfolgen.
In den Vereinigten Staaten von Amerika überwachen Atmungstherapeuten
bereits telemedizinisch die respiratorischen Parameter von Patienten mit
Amyotropher Lateralsklerose. Unter Anleitung eines Atmungstherapeuten sind dort
die Ergebnisse der telemedizinischen Funktionstests ähnlich der
traditionellen Vorgehensweise [39].
Viele diagnostische Verfahren wurden insbesondere für
neuromuskuläre Erkrankungen wissenschaftlich untersucht, haben aber noch
keinen Eingang in die Routinediagnostik gefunden:
-
Kortikale und zervikale Magnetstimulation des Zwerchfells mit Ableitung
des transdiaphragmalen Drucks [40]
-
Magnetstimulation des Zwerchfells und der Bauchwandmuskulatur mit
invasiver Ableitung der resultierenden Druckgradienten in Thorax und
Abdomen [41]
-
Sonographische Bestimmung der Exkursions- und
Kontraktionsfähigkeit des Zwerchfells [42]
-
Korrelation von sonographischen, neurographischen und
invasiv-manometrischen Parametern der Zwerchfell- und Phrenicusfunktion
mit volitional erhobenen Messgrößen der Lungenfunktion
und Atemmuskelkraft [43]
-
Spirometrisch gesteuerte Magnetresonanztomographie [44]
-
Messung der Atemmuskelkraft [45]
Atmungstherapeutische Interventionen und Aufgaben
„Auf neurologischen Weaningstationen werden zunehmend mehr
Atmungstherapeuten eingesetzt. Zielgruppe für die Atmungstherapie im
Weaningprozess sind v. a. die Patienten, bei denen aufgrund ihrer
neuromuskulären Einschränkung mit negativen Auswirkungen auf
Mobilität, Sekretclearance und Einschränkungen der Atempumpe
gerechnet werden muss“ [46]. Es
gehört es zum Aufgabengebiet der Atmungstherapeuten, Hinderungsfaktoren
der Beatmungsentwöhnung zu identifizieren und aktiv am
Entwöhnungs- und Frührehabilitationsprozess mitzuwirken. Die
atmungstherapeutische Mitgestaltung der Strategie und Kontrolle der
Dokumentation der Beatmungsentwöhnung fördert ein sowohl
einheitliches und nachvollziehbares als auch auf den Einzelfall angepasstes
Vorgehen. Dies führt dazu, dass die Versorgungsqualität
gesteigert wird und Beanstandungen durch den Medizinischen Dienst vermieden
werden. Die Anwendung von Weaning-Protokollen verbessert die Ergebnisse
nachweislich, gleichzeitig ist die Compliance der Anwender gering. Wenn die
protokollbasierte Beatmungsentwöhnung jedoch von Atmungstherapeuten
überwacht wird, sinken Beatmungsdauer und Intensivverweildauer [47]. Es gibt außerdem Hinweise
darauf, dass durch Atmungstherapeuten geführte
Entwöhnungsprotokolle zu signifikant geringeren Kosten für die
Beatmungstherapie führen [48].
In enger Kooperation mit dem ärztlichen- und pflegerischen Team leiten
Atmungstherapeuten notfallmäßig oder elektiv nichtinvasive
Beatmungstherapien ein, wählen geeignete Beatmungszugänge aus
und passen Beatmungsmasken oder Mundstücke an. Atmungstherapeuten
können durch Kontrolle und Optimierung der Beatmungsparameter zu einer
verbesserten Akzeptanz und Behandlungskontinuität beitragen. Sind
beispielsweise Atmungstherapeuten in das interdisziplinäre Team von
Zentren für Amyotrophe Lateralsklerose integriert, entscheiden sich
Patienten häufiger für eine nichtinvasive Beatmungstherapie,
wenden diese konsequenter an und überleben länger [49]. Die High-Flow-Therapie und die
Therapie schlafbezogener Atmungsstörungen werden ebenfalls durch
Atmungstherapeuten begleitet.
Atmungstherapeuten erproben und empfehlen Maßnahmen zum Sekretmanagement
und unterstützen deren Implementierung. Zum Sekretmanagement
zählen sowohl apparative als auch nicht-apparative Verfahren. Zum
Einsatz kommen Lagerungs- und Inhalationstherapien, Air Stacking
(„Luftstapeln“), die Intermittierende positive
Überdruckbeatmung (IPPB), PEP-Systeme, oszillierende PEP-Systeme,
maschinelle Insufflatoren-Exsufflatoren und das Erlernen spezieller
Atemtechniken wie z. B. der glossopharyngeale Atmung
(„Froschatmung“) [29].
Außerdem können Atmungstherapeuten Absaugbronchoskopien
selbstständig durchführen.
Die Auswahl von Trachealkanülen, das Trachealkanülenmanagement,
die Entwöhnung von der Trachealkanüle sowie das Sprechen unter
Beatmung oder bei geblockter Trachealkanüle sind Schnittstellen zum
Tätigkeitsgebiet der Logopäden. Während der Nachweis
erbracht werden konnte, dass die Dysphagietherapie die Inzidenz nosokomialer
Pneumonien senkt, konnte dies für die Atmungstherapie noch nicht
nachgewiesen werden [50]. Weiterhin
können Atmungstherapeuten Inhalationstherapien und die hierfür
erforderlichen Devices empfehlen und die Therapie nach ärztlicher
Verordnung umsetzen. Hierbei spielt u. a. die (Wieder-) Aufnahme der
Inhalationstherapie bei obstruktiven Lungenerkrankungen eine wichtige Rolle.
Atmungstherapeuten geben außerdem Empfehlungen zur Sauertofftherapie und
unterstützen den ärztlichen Dienst bei der Rezeptierung von
Hilfsmitteln. Gemeinsam mit der Physiotherapie kann das Implementieren von
Screeninginstrumenten (Borg Skala, SpO2 Messung unter Belastung etc.)
und das Einstellen von Beatmungsprofilen für die Mobilisation erfolgen.
Atmungstherapeuten begleiten ihre Patienten auch in palliativen Situationen,
nicht nur bei Maßnahmen zur Reduktion der Dyspnoe, sondern aber auch bei
der Bahnung und Findung grundsätzlicher Entscheidungen.
Schulung durch Atmungstherapeuten
Regelmäßige Schulungen des interdisziplinären Teams durch
Atmungstherapeuten fördern die leitliniengerechte Therapie, bringen
wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis und erweitern die Kompetenzen des
Teams. Themenbeispiele sind:
Atmungstherapeuten beraten und schulen Patienten, Angehörigen, betreuende
Intensivpflegekräfte und sogar Patienten transportierende
Rettungsdienste. Betroffenen vermitteln sie Ideen für eine individuell
verbesserte Lebensqualität. Patientenedukation führt zu besseren
Ergebnissen in der Behandlung So konnte in einer Studie mit ALS-Patienten
gezeigt werden, dass sich durch Atmungstherapeuten die Therapieadhärenz
verbessert hat [49].
Schnittstellenfunktion
Viele Akteure, unter anderem Ärzte, Pflegende, Therapeuten und Provider,
müssen beatmete und trachealkanülierte Patienten gemeinsam
bestmöglich versorgen. An dieser interdisziplinären
Schnittstelle nehmen Atmungstherapeuten inner- wie auch außerklinisch
eine Schlüsselposition ein. An der intersektoralen Schnittstelle
für Atmungstherapeuten gestalten Atmungstherapeuten gemeinsam mit dem
Sozialdienst das Überleitmanagement, um zukünftig die Versorgung
von immer mehr außerklinisch intensivpflegebedürftigen Patienten
zu sichern [10]. Im Zuge des Aufbaus
telemedizinischer Strukturen ergeben sich eine Vielzahl weiterer
Tätigkeits- und Einsatzmöglichkeiten.
Professionalisierung
Atmungstherapeuten haben mittlerweile eine wichtige Funktion im deutschen
Gesundheitswesen. Die Anzahl an ausgebildeten Fachkräften von der DGP
und der DGpW steigt stetig, ebenso die Nachfrage nach Atmungstherapeuten [51]. Allerdings ist der Atmungstherapeut in
Deutschland noch immer kein geschütztes Berufsbild, im Sinne eines
Ausbildungsberufs mit Staatsexamen. Auch sind die Curricula der Weiterbildungen
noch nicht vereinheitlicht und die Schnittstellen zu den Berufsgruppen der
Ärzte, Pflegekräfte, Logopäden und Physiotherapeuten
nicht ausreichend definiert. Die Gründung einer eigenständigen
Fachgesellschaft könnte die Interessen dieser Berufsgruppe
stärken und helfen, Standards für die Weiterbildung zum
Atmungstherapeuten zu entwickeln und Schnittstellen zu andere Berufsgruppen zu
definieren. Eine Akademisierung des Berufsbilds würde wiederum die
Rahmenbedingungen für atmungstherapeutische Forschung verbessern.
Während es Hinweise darauf gibt, dass der Einsatz von Atmungstherapeuten
generell positive Effekte auf die Beatmungsdauer und die Intensivverweildauer
hat und somit Kosten einspart [47]
[48]
[52], ist die Evidenz für ihren Einsatz speziell im Bereich
der Neurologie nicht ausreichend. Für die Untersuchung der klinischen
Relevanz des Einsatzes von Atmungstherapeuten in der Neurologie stellt die
Überschneidung der Aufgaben von Atmungstherapeuten mit denen anderer
Berufsgruppen eine besondere Herausforderung dar [50].
-
Für Atmungstherapeuten sind die Beatmungsentwöhnung
in der Neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation,
die Betreuung außerklinisch beatmeter Patienten und die
neurologische Palliativversorgung zentrale Arbeitsfelder.
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Schwerpunkte der atmungstherapeutischen Tätigkeit liegen im
Bereich der Diagnostik, des Sekretmanagements, der inner- und
außerklinischen Beatmungstherapie, der
Beatmungsentwöhnung, der Therapie pulmonaler
Komorbiditäten sowie der Schulung von Patienten,
Angehörigen und Personal.
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Die Expertise der Atmungstherapeuten fördert die
leitliniengerechte Therapie und den Behandlungserfolg in der
Beatmungsentwöhnung.
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Atmungstherapeuten sollten ausschließlich mit
atmungstherapeutischen Aufgaben betraut und fachlich einem leitenden
Arzt unterstellt sein.
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Die weitere Professionalisierung des Berufsbilds wird durch den
Abgleich der Curricula zwischen den Bildungsanbietern, die
Einführung von Zusatzmodulen wie „Neurologie und
Neurorehabilitation“, die Gründung einer
eigenständigen Fachgesellschaft und die Akademisierung
gefördert.
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Der Einsatz von Atmungstherapeuten in der Neurologie kann die
Qualität der Patientenversorgung verbessern, jedoch besteht
Bedarf an weiterer wissenschaftlicher Evidenz.