Diabetes aktuell 2022; 20(05): 201
DOI: 10.1055/a-1851-0005
Editorial

Diabetes und Energiekrise

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Fast täglich überschlagen sich ja die Nachrichten, dass wir in Deutschland und europaweit in einer Energiekrise landen. Es gibt viele Kollegen, die meinen, dass das vorhersehbar war, für andere ist es ganz überraschend.

Beim Diabetes ist es nicht viel anders. Letztendlich ist ein Diabetes eine Energiekrise unseres Körpers. Es lohnt sich, das einmal genau zu betrachten. Der Energiefluss passiert durch Elektronenkanäle in unseren Mitochondrien. Es gibt einen aktiven Elektronentransfer in das Mitochondrium. Dieser ist notwendig, um Energieprozesse zu starten und aufrecht zu halten. Manche Mitochondrien allerdings haben einen Defekt in einigen Elektronentransportern, sodass es eine Art Kurzschluss gibt und ein Teil der Elektronen das Mitochondrion passiv wieder verlässt. Insgesamt gibt es über 30 verschiedene Elektronentransporter, sodass es eine sehr variable Mischung von aktiven und defekten Transportern gibt. Weiterhin ist ja bekannt, dass Mitochondrien nur von der mütterlichen Linie vererbt werden, da die männlichen Mitochondrien um den Spermiumschwanz bei der Befruchtung der Eizelle verloren gehen.

Betrachtet man nun die mitochondriale Ausstattung zwischen Eskimos und Indianern, zeigen sich frappierende Unterschiede. Der Eskimo lebte in einem Umfeld, wo wenige Menschen in einem Dorf die Chance hatten über Wochen Nahrung zu haben (wenn ein Walross erlegt wurde), diese Nahrung war häufig sehr fettreich und man lebte in einem kalten Umfeld. Bei den Eskimos findet man daher sehr viele Personen, die eine hohe Anzahl von Defekten mit Mitochondrien mit dem Kurzschluss des Elektronentransfers haben. Warum? Kommt es zu diesem Kurzschluss, wird die Energie, die bei den Mitochondrien ankommt, sehr häufig in Wärme umgewandelt. Diese Personen haben also einen Vorteil bei energiereicher Ernährung in einem kalten Umfeld – sozusagen als Eskimo. Anders dagegen der Indianer. Dieser musste sich in einem Umfeld anpassen, in dem ganz selten mal Nahrung „erlegt“ werden konnte, und musste also darauf ausgerichtet sein, Energie zu speichern. Hier sind nur sehr wenige Mitochondrien mit einem Defekt vorhanden, sodass alle Energie genutzt werden kann, um ATP zu generieren und dieses zu speichern. Der Indianer ist also energetisch darauf ausgelegt, Energie sehr gut zu speichern. Jetzt stellen wir uns vor, dass wir einen Eskimo und einen Indianer zusammen nach New York zu McDonald‘s setzen und beide müssen die gleiche Menge Hamburger essen. Was passiert? Der Eskimo fängt an zu schwitzen und der Indianer wird dick. Der Eskimo ist also derjenige, der landläufig auch als guter Futterverwerter dargestellt wird. Im Alltag sind das sogar Personen, die schnell einmal frösteln, weil sie viel Wärme produzieren aber eben auch abgeben. Der Indianer dagegen ist der typische Kandidat für einen Typ-2-Diabetes. Der Indianer ist genauso wie Deutschland und Europa in einer Energiekrise, aber nicht weil zu wenig Energie ankommt, sondern weil sich bei ihm zu viel Energie aufstaut. Ein Kollege sagte mir einmal: Diabetes ist eine „Energiestau“-Krankheit. Er hatte wohl damit nicht ganz unrecht.

Die Baupläne für die Elektronentransporter in den Mitochondrien werden vererbt, aber nicht über chromosomale DNA, sondern über kleine Bestandteile mitochondrialer DNA. Wie viele komplette und defekte Elektronentransporter man hat, ist ganz variabel von Mensch zu Mensch. Bei uns in Mitteleuropa gibt es sehr viele Menschen mit gut funktionierenden Elektronentransportern – wir erzeugen also unsere eigene diabeteserzeugende Energiekrise.

Was kann man dagegen tun? Energie abbauen, bewegen, 10 000 Schritte laufen, körperlich aktiv sein, Sport treiben, die Energie, die aufgestaut wurde, nutzen – alles was hilft Energie zu verbrennen, hilft uns dem Energiestau entgegenzuwirken. Nutzen Sie den Sommer, werden Sie aktiv oder bleiben Sie aktiv. Probieren Sie neue Bewegungs- oder Sportarten aus – arbeiten Sie dem Energiestau entgegen. Es sei denn … Sie sind ein Eskimo.



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Article published online:
19 August 2022

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