Sogenannte Wachstumsschmerzen (WS), auch benigne nächtliche Schmerzen, sind im Kindesalter
eine häufige Diagnose. Die Prävalenz liegt zwischen 2,6 bis 49,6 % [1]. Die Diagnose kann klinisch und anamnestisch gestellt werden. Der wichtigste diagnostische
Hinweis ist die rasche Besserung und völlige Beschwerdefreiheit am Folgetag sowie
insbesondere der oft jahrelange Verlauf ohne Progression. Weiterhin spricht die bilaterale,
oft wechselnde Lokalisation im Bereich der unteren Extremität sowie die Besserung
auf Massage und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR – Paracetamol oder Ibuprofen)
für diese Diagnose. Das Prädilektionsalter liegt zwischen 4 und 12 Jahren [2].
Besonders zu berücksichtigen ist, dass sogenannte Wachstumsschmerzen immer eine Ausschlussdiagnose
sind und bei unklarer Symptomatik oder Befunden weitere Erkrankungen ausgeschlossen
werden müssen.
In diesem Artikel stellen wir den Fall einer 3-jährigen Patientin vor, die uns zugewiesen
wurde. Bei der Patientin wurde aufgrund von rezidivierenden Beinschmerzen zuerst die
Diagnose Wachstumsschmerzen gestellt. Im Verlauf zeigte sich zusätzlich eine Sakroiliitis
(SI) und bei der molekulargenetischen Untersuchung konnte ein familiäres Mittelmeerfieber
(FMF) nachgewiesen werden (Homozygote c.2080 A > G; p. Met694Va – Mutation im MEFV
Gen).
Falldarstellung
Ein 3-jähriges Mädchen leidet an beidseitigen, linksbetonten rezidivierenden Beinschmerzen.
Diese bestünden seit ungefähr einem Jahr, würden ca. einmal im Monat auftreten und
für einige Stunden bis maximal einen Tag andauern. Fieber, Bauchschmerzen oder nächtliche
Schmerzen werden negiert. Vorerkrankungen bestünden keine. Die Familie stammt aus
der Türkei. Die Eltern sind nicht konsanguin und Autoimmunerkrankungen sind in der
Familie nicht bekannt. Aufgrund der Schmerzen sei die Patientin mehrmals in verschiedenen
Kliniken vorstellig gewesen, da sie aber zum Zeitpunkt der Vorstellung immer beschwerdefrei
war, wurde zunächst keine Diagnostik veranlasst und der Verdacht auf sogenannte Wachstumsschmerzen
geäußert. Im Verlauf erfolgte sowohl in der Orthopädie als auch in der Neurologie
eine Vorstellung; hier wurden ein Röntgen des Beckens, eine Sonografie der Gelenke,
Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) sowie Somatosensibel Evozierte Potenziale (SEP) durchgeführt,
allerdings ohne pathologische Befunde.
Im Dezember 2020 stellte sich die Patientin in unsere Notfallambulanz abermals aufgrund
von Beinschmerzen vor. Die Schmerzen hätten diesmal nur 2 Stunden angedauert. Die
klinische Untersuchung erbrachte einen komplett unauffälligen Befund. Aufgrund der
vorherigen Anamnese wurde die Patientin zur Diagnostik und Beobachtung stationär aufgenommen.
Die Blutuntersuchung ergab eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) 42 mm/h
(< 20), jedoch ein normales C-reaktives Protein (CRP) sowie ein ebenfalls unauffälliges
Blutbild. Mit dem Verdacht auf eine Osteomyelitis DD Spondylodiszitis wurden eine
Magnetresonanztomografie (MRT) des Beckens und der Wirbelsäule veranlasst, in dem
sich eine ausgeprägte beidseitige SI darstellte ([
Abb. 1
]). ANA-Titer, Rheuma-Faktor sowie HLA-B27 waren negativ. Das Calprotectin S100A8/A9
war mit 25 660 ng/ml (<2940) erhöht. Angesichts der bestehenden Arthritis, der hohen
Inflammationswerte, der HLA-B27-Negativität und vor allem des ethnischen Hintergrunds
der Familie wurde eine molekulargenetische Untersuchung veranlasst, welche eine homozygote
Mutation c.2080 A > G (p. Met694Val) im MEFV-Gen zeigte. Somit wurde die Diagnose
eines familiären Mittelmeerfiebers (FMF) mit SI gestellt und eine Therapie mit Colchicin
0,5 mg/Tag begonnen. Darunter konnte eine eindeutige Beschwerdebesserung erreicht
werden.
Abb. 1 a MRT-STIR-Sequenz transversal – deutlicher Befund einer bilateralen Sakroiliitis:
Erguss der Iliosakralgelenke mit Knochenmarködem im angrenzenden Os ilium und sacrum;
b MRT-STIR-Sequenz koronar – deutlicher Befund einer bilateralen Sakroiliitis: Erguss
der Iliosakralgelenke mit Knochenmarködem im angrenzenden Os ilium und sacrum.
Diskussion
Bei Patienten mit sogenannten Wachstumsschmerzen müssen – bei unklaren Symptomen oder
Befunden – andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Insbesondere eine Blutentnahme
mit auffälliger BSG kann auf eine Grunderkrankung hinweisend sein. Im vorliegenden
Fall wurde überraschenderweise eine SI mittels MRT diagnostiziert. Für diese Erkrankung
weist das Kind ein ungewöhnliches Alter auf; für die – ebenfalls mit einer axialen
Beteiligung einhergehende – Enthesitis-assoziierte Arthritis liegt das durchschnittliche
Alter bei 13,2 ± 2,6. Die Altersverteilung der SI bei FMF lag in derselben Studie
bei 7,2 ± 5,05 [3].
FMF ist eine autosomal-rezessive autoinflammatorische Erkrankung. Typischerweise treten
bei den Patienten rezidivierende Episoden von Fieber mit Bauch- und/oder Brustschmerzen
sowie Gelenkschmerzen oder Arthritiden auf [4]. Als Spätfolgen können lebensgefährliche Komplikationen wie eine Amyloid-A-Amyloidose
auftreten [5].
Das FMF tritt häufiger in der Mittelmeerregion auf (Armenien, Türkei, Israel, Nordafrika,
arabische Halbinsel) [6]. Ursächlich für das klinische Bild einer FMF sind in der Regel homozygote Punktmutationen
in der kodierenden Region des MEFV-Gens. Dieses Gen befindet sich auf Chromosom 16p13.3
und codiert das Protein Pyrin. Einige Varianten im Gen führen dazu, dass Pyrin eine
Hyperaktivität im Inflammasom verursacht, welches wiederum die Ausschüttung von IL-1B
erhöht und dies als Folge die o. g. Entzündungen verursacht [7]. Eine Gelenkbeteiligung bei FMF ist häufig, eine SI jedoch selten, die Prävalenz
liegt bei ca. 7 % [8], [9]. Im Jahr 1987 wurde der erste Fall mit FMF und SI beschrieben [10]. In einer Studie über Patienten mit FMF und SI hatten 44,5 % eine Enthesitis, 36,5
% Fersenschmerzen und 17,4 % untere Rückenschmerzen [3].
Mit einer Prävalenz von 2,6 % entwickeln nur wenige Kinder mit FMF im Verlauf der
Erkrankung eine SI [3], [11], [12]. Die häufigste Variante bei der molekulargenetischen Untersuchung von Patienten
mit SI und FMF ist Met694Val im MEFV Gen, wie auch in unserem Fall. Dies gilt als
eine eindeutig pathologische Variante und ist i. d. R. mit einem schweren Phänotyp
und frühzeitigem Krankheitsausbruch verbunden [13]. Im Vergleich zu Patienten mit einer Spondyloarthropathie sind Patienten mit FMF
und SI meistens HLA-B27 negativ [3].
Die Therapie der Wahl bei FMF ist Colchicin, welches sich in Studien als sehr wirksam
in der Reduktion der Fieberepisoden sowie der Entwicklung einer Amyloidose erwies
[14]. Bei Colchicinresistenz kann zusätzlich eine IL-1-Blockade erwogen werden. Canakinumab
ist bereits seit 2016, Anakinra seit 2020 zur Behandlung des FMF zugelassen. Eine
TNF-alpha-Blockade zeigte sich jedoch auch wirksam bei FMF [15].
Es gibt einige Fallbeschreibungen über Patienten mit FMF und SI in der Fachliteratur.
In den meisten Fällen zeigte sich Colchicin als unzureichend, im Verlauf mussten disease-modifying
anti-rheumatic drugs (DMARDs), z. B. Sulfasalazin, eine IL-1-Blockade [16] oder alternativ eine TNF-alpha-Blockade [17] eingesetzt werden.
Wir stellten hier den Fall einer ungewöhnlich jungen Patientin mit FMF und SI vor,
bei welcher eine SI die Erstmanifestation eines FMF darstellte.
Zusammengefasst sind Wachstumsschmerzen eine Ausschlussdiagnose. Atypische klinische
Präsentationen wie Unilateralität der Schmerzen, erhöhte Entzündungswerte, Hinweise
auf Arthritis oder Morgensteifigkeit sollten bildgebend abgeklärt werden – bei unauffälligem
Ultraschall niederschwellig mittels MRT. Eine SI als Erstmanifestation einer FMF ist
selten, sollte aber bei Kindern mit FMF und Rückenschmerzen in Betracht gezogen werden.