Schlüsselwörter
Suizidalität - Krisenintervention - kognitive Verhaltenstherapie - Rückfallprävention
Key words
Suicidality - crisis intervention - cognitive behavioral therapy - relapse prevention
Einleitung
Der Psychotherapie suizidaler Patienten kommt unter den individuumszentrierten Ansätzen
zur Suizidprävention besondere Bedeutung bei. Prävention ist dabei vor und nach Suizidversuch
bedeutsam. Ein stattgehabter Suizidversuch erhöht die Wahrscheinlichkeit für weitere
suizidale Handlungen in der Folgezeit erheblich [[1]], sodass in dieser Zeit die Chance auf eine therapeutische Bearbeitung der Suizidalität
keinesfalls verpasst werden sollte. Dementsprechend empfiehlt die aktualisierte Nationale
Versorgungsleitlinie (NVL) Unipolare Depression [[2]], dass
-
bei akuter Suizidalität Patienten eine Krisenintervention oder Psychotherapie angeboten
werden soll und
-
gemeinsam mit den Patienten ein Notfallplan erstellt werden soll.
Entsprechend starke Empfehlungen finden sich für andere Behandlungsmethoden (Antidepressiva,
Esketamin, Lithium, Elektrokrampftherapie) nicht. Unter den Psychotherapieverfahren
haben sich insbesondere suizidfokussierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme
und die dialektisch-behaviorale Therapie als effektiv erwiesen [[3]]. Von grundsätzlicher Bedeutung scheint es hierbei zu sein, dass suizidales Erleben
und Verhalten den zentralen Fokus der Behandlung darstellen. So haben Interventionen,
die auf die Reduktion assoziierter Psychopathologie (z. B. Depression, Hoffnungslosigkeit)
abzielen, zumeist keinen nennenswerten Einfluss auf suizidales Erleben und Verhalten
[[5]]. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Interventionen suizidspezifischer KVT-Programme
[[6], [7]] vorgestellt. Grundsätzlich zielt eine entsprechende Behandlung darauf ab
Typischerweise sind die entsprechenden Programme als Kurzzeittherapien im Umfang von
10–12 Sitzungen konzipiert und lassen sich in Kombination mit anderen Behandlungen
umsetzen.
Suizidale Krise verstehen, Sicherheit herstellen
Jeder Kontakt mit einer suizidgefährdeten Person muss eine Einschätzung der derzeitigen
Gefährdung beinhalten. Die Vermutung, eine Person könne sich in einer suizidalen Krise
befinden, sollte ihr gegenüber direkt, offen und mit konkreten Worten angesprochen
werden: Denken Sie darüber nach sich das Leben zu nehmen? Sprechen über Suizid ist
kontraintuitiv – es erscheint gefährlich, Suizidalität direkt zu adressieren und dem
Denken an den Tod so viel Raum zu geben. Dabei ist es ein empirisch gut widerlegter
Mythos anzunehmen, dass man Patienten auf die Idee bringt sich umzubringen, wenn man
sie auf Suizidgedanken und -pläne anspricht [[8]]; vielmehr wünschen nicht wenige Betroffene eine ausführliche Exploration suizidalen
Erlebens und Verhaltens und empfinden diese als hilfreich [[9]]. Erfragt, exploriert und dokumentiert werden u. a. Art und Intensität gegenwärtiger
Suizidgedanken, Suizidabsicht, Suizidimpulse, Suizidplanung (inkl. Zugriff auf tödliche
Mittel), Vorbereitungshandlungen, vorangegangene Suizidversuche, nicht suizidales
selbstverletzendes Verhalten, Suizidversuche/Suizide in der Familie, die Selbsteinschätzung
der aktuellen Suizidgefahr, Drogen- und Alkoholkonsum, Furchtlosigkeit vor Tod/Sterben,
soziale Unterstützung, Ressourcen und Agitiertheitssymptome [[10]]. Fragebögen lassen sich nutzen, um das Explorationsgespräch anzubahnen und/oder
zu ergänzen [[11]].
Grundlage für Gespräche über die oft scham- und schuldhaft erlebten Gedanken und Gefühle
im Zusammenhang mit Suizidalität ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung.
Auch in der kurzen Zeit einer Krisenintervention lässt sich durch eine validierende,
das Erleben der Patienten wertschätzende Gesprächsführung ein solcher Kontakt aufbauen.
Die Schwierigkeit besteht zunächst darin, ein Commitment herzustellen: die offensichtliche
Motivation der Therapeuten, das Überleben der Patienten zu sichern, steht im Gegensatz
zur Motivation der Patienten, sich zu töten. Das unbedingte, nichtwertende Interesse
daran, die innere Situation der Patienten zu verstehen ist Voraussetzung dafür, dass
Patienten sich im Gespräch öffnen können, weil sie sich sicher, nicht kritisiert und
auch mitsamt ihrer Suizidalität wertgeschätzt fühlen.
Mit dem Ziel, ein weitergehendes Verständnis davon zu gewinnen, wie sich suizidales
Erleben und Verhalten entwickelt hat und welche Faktoren im Rahmen einer suizidalen
Eskalation von Bedeutung sind, lassen sich narrative Interviews und Kettenanalysen
nutzen. Beim narrativen Interview wird den Betroffenen Raum gegeben, um von für die
Person bedeutsamen Ereignissen wie auch persönlichen Auslösern und Triggern zu erzählen,
die die suizidale Krise – aus ihrer subjektiven Sicht heraus – begründen [[12]]: Ich würde Sie bitten, mir zu erzählen, wie es zu dem Suizidversuch (bzw. dem Höhepunkt
einer suizidalen Krise) kam. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte so wie Sie sie erlebt
haben. Im Nachgang zum narrativen Interview lässt sich das Problemverständnis dadurch
verfeinern, dass die Prozesse im unmittelbaren Vorfeld eines Suizidversuchs (bzw.
des Höhepunktes einer suizidalen Krise) auf Mikroebene – im Rahmen einer Kettenanalyse
[[13]] – betrachtet werden. Es geht darum, ein detailliertes und möglichst akkurates Verständnis
der suizidalen Krise zu entwickeln, um auf dieser Basis eine individuelle Fallkonzeption
und Therapieplanung vornehmen zu können.
Nicht selten bedarf es zunächst jedoch einer gezielten Motivierung suizidaler Patienten,
um sich überhaupt auf einen weitergehenden Explorations- und Behandlungsprozess einzulassen.
So stehen Patienten der Möglichkeit eines Suizides in den allermeisten Fällen ambivalent
gegenüber [[14]]: Auf der einen Seite gibt es den Wunsch zu sterben und auf der anderen Seite gibt
es Wünsche an das Leben und/oder Ängste vor dem Tod. Im Rahmen der Krisenintervention
geht es daher vielfach darum, diese Ambivalenz für Betroffene spürbar und Gründe,
die (immer noch) für das Leben sprechen wieder erlebbar zu machen. Die Aufgabe der
Therapeuten ist es, eine Balance herzustellen zwischen der Einfühlung in die emotionale
Situation und einem behutsamen Mutmachen – die therapeutische Haltung spiegelt hier
gewissermaßen auf funktionale Weise die Ambivalenz der Patienten und adressiert gleichermaßen
die unterschiedlichen inneren Anteile. Hinweise zum Umgang mit ambivalentem suizidalem
Erleben wurden v. a. von Proponenten des Motivational Interviewings gegeben [[15]]. Der Patient wird hierbei dazu eingeladen in einem ersten Schritt, die Gründe,
die gegenwärtig für das Sterben sprechen zu reflektieren (Was ist es eigentlich genau,
dass Sie im Moment sagen lässt, es ist besser für mich zu sterben?). In einem zweiten
Schritt werden sodann Gründe für das Leben bzw. gegen das Sterben exploriert (Gibt
es einen Teil in Ihnen, der – vielleicht ganz klein ist -, der aber noch nicht vom
Sterben überzeugt ist? Gibt es noch Hindernisse auf dem Weg zur Selbsttötung?). Von
dem Patienten genannte Gründe zu leben sollten durch aktives Zuhören, Fragen nach
konkreten Beispielen oder mit der Bitte, um weitere Aufklärung exploriert und vertieft
werden. Schlussendlich werden die Motive gegen und für das Leben zusammenfassend zurückgemeldet,
bevor erfragt wird welche Veränderungen und Anpassungen es benötigen würde, um das
Leben wieder lebenswert zu machen.
Eine Hope Box, d. h. eine Schachtel, ein Koffer oder eine Tasche, die mit Gegenständen
angefüllt wird, welche an persönliche Gründe für das Weiterleben erinnern, kann erstellt
werden, um Gründe, die für das Weiterleben sprechen einprägsam und außerhalb der Therapiesitzung
sinnlich erfahrbar zu repräsentieren (Beispiele unter Hope-box.pdf (papyrus-uk.org);
16]. Zudem lassen sich Strategien der kognitiven Infragestellung nutzen, um erste
Distanz zu wichtigen Suizidmotiven („Ich bin eine Last für andere. Alles ist hoffnungslos.
Niemand interessiert sich für mich“) aufzubauen. Das ein entscheidender Unterschied
besteht zwischen Gedanken („Ich würde mich am liebsten aufhängen“), Motiven („Ich
möchte endlich meine Ruhe haben“) und (Suizid)Handlungen, ist für viele Patienten
eine wichtige Erkenntnis („Ich kann und darf ans Sterben denken – aber das heißt noch
lange nicht, dass ich mich umbringen muss“).
Im Fall, dass sich ein Patient im Gespräch (erstmal) gegen einen Suizid entscheidet,
können veränderungsorientierte Interventionen zur Förderung der Selbstkontrolle zum
Einsatz kommen. Vor dem Hintergrund der empirischen Befundlage [[17]] sollte es zunächst darum gehen, den Zugang zu letalen Suizidmethoden zu begrenzen.
Im therapeutischen Gespräch sollte entsprechend abgesprochen werden, dass gefährliche
Gegenstände (z. B. Rasierklingen, Medikamente, Giftstoffe) entweder weggeworfen oder
an Freunde/Familienmitglieder/Behandler gegeben oder unzugänglich (Keller, Schließfach)
aufbewahrt werden [[18]]. Als weitere Standardintervention im Umgang mit suizidalen Krisen gilt die Erstellung
eines Notfallplans [[19], [20]]. Beim Notfallplan handelt es sich um eine Liste von hierarchisch organisierten
Strategien und Personen/Institutionen, die Patienten im Fall einer suizidalen Zuspitzung
anwenden bzw. kontaktieren können (Kasten).
Der Notfallplan sollte immer verschriftlicht (ein Vordruck kann hier heruntergeladen
werden: www.suizidpraevention-dresden.de) bzw. in einer App (z. B. Krisenkompass App) gespeichert werden. Zudem muss der Plan
im Lauf der Behandlung immer wieder aktualisiert werden. Im Dienste einer bestmöglichen
Unterstützung von Betroffenen sollte schließlich darauf achtgegeben werden Familienangehörige/Freunde
– wenn möglich – in die Behandlung einzubeziehen.
Elemente
-
Identifikation von Warnzeichen einer suizidalen Krise (Woran werden Sie merken, dass
Sie den Notfallplan einsetzen sollten? Z. B. Situationen, Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen)
-
Strategien, die unabhängig von anderen Personen genutzt werden können (Was können
Sie für sich alleine tun, um die Gedanken nicht in die Tat umzusetzen? Z. B. Spazierengehen,
Duschen, ins Bett legen, Musik hören)
-
Kontakte zu Freunden und/oder Familienangehörigen (Wer kann Ihnen in dieser Krisensituation
zur Seite stehen? Können Sie jemanden anrufen, zu jemandem hingehen – es ist dabei
nicht wichtig, ob Sie über ihre suizidalen Gedanken reden oder nicht? Kontaktdaten
von Freunden, Familienmitgliedern, Kollegen)
-
Kontaktdaten professioneller Hilfsstellen (z. B. behandelnde Psychotherapeuten, Arzt,
Telefonseelsorge, die aufnehmende Klinik, Krisenzentren)
Im Fall, dass es bei einer Krisenintervention bleibt, bilden allgemeine Strategien
der Krisenintervention, wie die Sicherung der Lebensbedingungen, Symptommanagement
(insb. Dissoziation, Agitiertheit, Panik, Grübeln, Schlafprobleme) und die Bearbeitung
aktueller Probleme den inhaltlichen Fokus der Folgesitzungen. Im Fall, dass eine weitergehende
Bearbeitung suizidförderlicher Faktoren angestrebt wird, geht es darum, auf Basis
der – durch Risikoabschätzung, narratives Interview, Kettenanalyse und Ambivalenzklärung
– gewonnen Informationen ein individuelles Fallkonzept zu entwickeln: Die Kognitionen,
Gefühle, Verhaltensweisen und Körperzustände die während einer suizidalen Krise aktiviert
sind definieren – gemeinsam mit vorbestehenden Vulnerabilitäten – die Ansatzpunkte
der folgenden Behandlungsphase.
„Suicide drivers“ modifizieren
Auf der Basis des individuellen Fallkonzepts werden im weiteren Therapieverlauf kognitiv-verhaltenstherapeutische
Standardmethoden verwendet, um die „suicide drivers“ [[10]], d. h. individuell bedeutsame Risikofaktoren für die Entstehung, Aufrechterhaltung
und Eskalation suizidaler Krisen zu modifizieren. Die Therapieplanung lässt sich hierbei
beispielsweise mit Blick auf bedeutsame, suizidassoziierte Kognitionen strukturieren
([
Tab. 1
]), d. h. Interventionen werden mit Blick auf solche Kognitionen gewählt, die im individuellen
Fall besonders relevant erscheinen [[21]]. Zentrale Ergebnisse der Auseinandersetzung mit suizidalen Kognitionen sollten
in prägnanter Form auf Bewältigungskarten schriftlich zusammengefasst gefasst und
damit einer wiederholten Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden [[7]].
Tab. 1
Zuordnung suizidaler Kognitionen zu möglichen Interventionen
Suizidale Kognitionen
|
Beispiel
|
Mögliche Interventionen
|
Eindruck, eine Last für andere zu sein (Perceived Burdensomeness)
|
Ich bin eine Last für andere. Andere wären besser dran, wenn es mich nicht mehr gibt.
|
Kognitive Infragestellungsmethoden, Einbezug von Angehörigen, Verhaltensaktivierung
|
Eindruck fehlender Zugehörigkeit (Thwarted Belongingness)
|
Ich gehöre nirgendwo dazu. Niemand würde mich vermissen. Es gibt niemanden, für den
ich wichtig bin. Ich bin ein Außenseiter.
|
Soziale Netzwerkkarte erstellen, kognitive Infragestellungsmethoden (inkl. Verhaltensexperimente),
Verhaltensaktivierung (Fokus soziale Aktivierung), Training sozialer Kompetenzen,
Kommunikationstraining, Dankbarkeit kultivieren
|
Hoffnungslosigkeit
|
Es ist hoffnungslos. Nichts wird sich jemals ändern. Alles wird nur noch schlimmer
werden. Niemand kann mir helfen.
|
Kognitive Infragestellungsmethoden, Exploration von Ausnahmen, Hope Box erstellen,
Verhaltensaktivierung, Problemlösetraining, Inanspruchnahme des psychosozialen Hilfesystems
fördern
|
Unaushaltbarkeit
|
Ich kann den emotionalen Schmerz/die Gedanken/die Symptome/die Situation nicht länger
aushalten. Ich brauche Ruhe.
|
Techniken aus der DBT: Umgang mit Hochstress (Skill-Training), Achtsamkeit, Entspannung,
radikale Akzeptanz; kognitive Infragestellungsmethoden, Problemlösetraining, Techniken
zur Symptomkontrolle, Schlafhygiene
|
Eindruck des Gefangenseins (Entrapment)
|
Ich fühle mich wie gefangen. Es gibt keinen Ausweg für mich. Ich kann nichts tun,
sondern bin all dem ausgeliefert. Ich möchte mir selbst entkommen.
|
Problemlösetraining, kognitive Infragestellungsmethoden, Inanspruchnahme des psychosozialen
Hilfesystems fördern; Techniken zur Symptomkontrolle vermitteln und üben
|
Wertlosigkeit
|
Ich bin nicht liebenswert. Ich bin es nicht wert geliebt zu werden. Ich verdiene es
nicht zu leben.
|
Kognitive Infragestellungsmethoden, Selbstwertlisten, Positiv-Tagebuch, Verhaltensaktivierung
|
Rückfälle vorbeugen
Zum Therapieabschluss werden die erworbenen Fertigkeiten im Hinblick auf die Prävention
zukünftiger suizidaler Handlungen zusammengefasst. Die Relapse Prevention Task [[6], [7]], bei der Patienten angeleitet werden, sich imaginativ in eine zurückliegende und
eine zukünftige suizidale Krise hineinzuversetzen und den Einsatz von Bewältigungsstrategien
in sensu zu erproben (Kasten) kann hierzu genutzt werden.
Rückfallpräventionsübung [[28]]
Im Rahmen der Therapie haben wir viele Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit suizidalen
Krisen erarbeitet. In der letzten Therapiephase möchte ich nun sicherstellen, dass
die Dinge, die wir erarbeitet haben, wirklich hilfreich für Sie sind. Im Rahmen der
Übung werde ich Sie bitten, sich in Ihrer Vorstellung in eine suizidale Krise hineinzuversetzen.
Ist das okay?
Ich möchte Sie bitten, die Augen zu schließen und sich an den Tag des Suizidversuchs
zu erinnern. Denken Sie an die Situation, kurz bevor es zur Entscheidung kam, sich
das Leben zu nehmen. Beschreiben Sie die Ereignisse und Ihr Erleben an diesem Tag,
so als würden Sie sie jetzt gerade erleben. Wo befinden Sie sich? Was passiert um
Sie herum? Was geht Ihnen durch den Kopf? Wie fühlen Sie sich? Was machen Sie? Und
was passiert dann? […] Was geht Ihnen genau durch den Kopf, als Sie sich entscheiden,
Allem ein Ende zu setzen? Wie fühlt sich Ihr Körper an? Was passiert dann? Usw.
Nun geht es darum, zu imaginieren wie Sie heute mit der Situation umgehen würden.
Ich möchte Sie daher bitten, sich die Situation erneut vorzustellen; schließen Sie
dazu auch wieder die Augen. Versetzen Sie sich in die Situation, kurz bevor es zur
Entscheidung kam, sich das Leben zu nehmen. In dem Moment, in dem Sie denken „Ich
halte das nicht mehr aus – ich mache Schluss mit allem“ – was könnte Ihnen da helfen?
Was können Sie zu sich sagen? Was können Sie machen? Wenden Sie sich an jemanden?
Was rät Ihr Notfallplan? Wenn das nicht hilft, was können Sie stattdessen tun? Usw.
Ich möchte Sie bitten, sich eine Situation vorzustellen, in der es in der Zukunft
zu einer suizidalen Krise kommen könnte. Was für Situationen triggern Sie besonders
(Situation kurz beschreiben lassen)? Ok, dann versetzen Sie sich in diese Situation
bitte so hinein, als würde sie jetzt gerade passieren. Schließen Sie dazu die Augen.
Lassen Sie die Situation vor Ihrem inneren Auge entstehen. Wo befinden Sie sich? Was
geht Ihnen durch den Kopf? Wie fühlen Sie sich? Was machen Sie? Gut, was könnte Ihnen
jetzt helfen? Was können Sie machen? (…) Wie fühlt sich das an? Was tun Sie, um sich
weiter zu beruhigen? Wenn das nicht hilft, was können Sie stattdessen tun? Wie stark
sind die Suizidgedanken jetzt? Usw.
Die Technik dient am Ende der Behandlung zur Konsolidierung der Therapieinhalte und
zur Kontrolle, ob Patienten in der Lage sind, die entwickelten Strategien – zumindest
in der Vorstellung – einzusetzen. Ergänzend können Betroffene in einem an sie selbst
gerichteten „Brief an das suizidale Selbst“ [[22]] solche Erkenntnisse und Strategien, die in der Auseinandersetzung mit der überwundenen
Krise hilfreich waren, schriftlich zusammenfassen, um sie so für eine zukünftige Krise
verfügbar zu haben.
Die dargestellten Interventionen sind Teil verschiedener kognitiv-verhaltenstherapeutischer
Behandlungsprogramme [[6], [7]], die sich in ersten Studien als effektiv erwiesen haben [[23], [24]] und deren Übertragbarkeit auf andere Kontexte (Behandlung im stationären Setting,
Behandlung von Jugendlichen, online-gestützte Blended-Care-Behandlung) derzeit erprobt
wird [[25]–[27]]. Grundsätzlich besteht die Hoffnung, dass sich durch eine weitergehende Dissemination
suizidfokussierter Psychotherapie das Behandlungsangebot für suizidale Menschen nachhaltig
verbessern lässt [[28]]. Gleichwohl braucht es – insbesondere in Deutschland – einer weiteren Überprüfung
suizidfokussierter Psychotherapie im Rahmen ausreichend groß angelegter randomisiert-kontrollierter
Efficacy- und Effectiveness-Studien.
Bibliografie
Nervenheilkunde 2022; 41: 222–226
DOI 10.1055/a-1748-5635
ISSN 0722-1541
© 2022. Thieme. All rights reserved.
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