Z Sex Forsch 2022; 35(01): 60-61
DOI: 10.1055/a-1747-2447
Buchbesprechungen

Textbook of Female Sexual Function and Dysfunction. Diagnosis and Treatment

Zoom Image
Irwin Goldstein, Anita H. Clayton, Andrew T. Goldstein, Noel N. Kim und Sheryl A. Kingsberg, Hrsg. Textbook of Female Sexual Function and Dysfunction. Diagnosis and Treatment. Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell 2018. 376 Seiten, USD 180,00

Als erste internationale Gesellschaft mit Fokus auf weibliche Sexualität hat die International Society for the Study of Women’s Sexual Health (ISSWSH) es sich zur Aufgabe erklärt, ein interdisziplinäres Forum für alle Berufsgruppen zu bieten, die sich mit der Behandlung sexueller Probleme von Frauen befassen. Das von ihr herausgegebene Lehrbuch soll nicht nur dieses Bestreben abbilden, sondern auch Zeugnis der Entwicklung der Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahr 2000 sein.

Gegliedert ist es in vier Abschnitte, die die Bereiche Störungen des sexuellen Interesses, Erregungsstörungen, Orgasmusstörungen und sexuelle Schmerzstörungen abdecken. Diagnostik und Behandlung werden für diese Bereiche separat abgehandelt. Durch das Fehlen eines Kapitels zu gemeinsamen Grundlagen wie etwa den Vorläufern heutiger Sexualtherapie (z. B. die Arbeit von Masters und Johnson) kommt es stellenweise zu Wiederholungen.

Im ersten Kapitel zur Geschichte der Gesellschaft werden ihre enge Verbindung zur Pharmaindustrie und deren finanzielle Unterstützung der Gesellschaft zwar erwähnt, dennoch verrät der Buchtitel nichts über den biologisch-medizinischen Schwerpunkt, der beim Lesen zum Vorschein kommt. Trotz mehrfacher Betonung der Wichtigkeit des bio-psycho-sozialen Modells zum Verständnis und zur Behandlung sexueller Störungen werden beispielsweise im Abschnitt zu Störungen des sexuellen Interesses neuroanatomische und -chemische Aspekte sexueller Lust sowie die medizinische Behandlung mangelnder Lust auf insgesamt 48 Seiten beschrieben, während die Darstellung psychologischer Behandlung auf vier Seiten zusammengekürzt ist. Das letzte Kapitel zu zukünftigen Entwicklungen und perspektivischer Forschung ist allein pharmakologischen Themen gewidmet. Ebenso wird die Kombination von medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung als „natürliche“ (S. 56) Schlussfolgerung aus dem bio-psycho-sozialen Modell bezeichnet.

Sexualmedizinisch Tätige und Interessierte finden in den jeweiligen Kapiteln zu physiologischen Grundlagen detaillierte Beschreibungen zur Beteiligung des Nervensystems, von Neurotransmittern und Hormonen an sexuellen Vorgängen im Körper sowie zur Schmerzrezeption. Erfreulich ist, dass es ein eigenes Kapitel zur persistierenden genitalen Erregung (persistent genital arousal disorder, PGAD) gibt, da Betroffene oftmals unter extremem Leidensdruck stehen und Behandelnden bislang wenig Fachwissen zur Verfügung stand. Leider bezieht es sich aber allein auf medizinische Behandlungsverfahren. Der psychotherapeutische Beitrag zu Orgasmusstörungen fällt merklich ausführlicher aus und bezieht kulturelle Aspekte und Details klinischer Arbeit ein. Als fortschrittlich und überaus sinnvoll zu bewerten ist, dass das Buch sowohl zu Orgasmusstörungen als auch zu sexuellen Schmerzstörungen ein Kapitel zur physiotherapeutischen Behandlung aufweist. In diesen wird anschaulich und illustriert durch Bilder beschrieben, wie die Diagnostik abläuft und welche Interventionen verfügbar sind.

Irritierend ist hingegen, dass im Abschnitt zu sexuellen Schmerzstörungen uneinheitliche Bezeichnungen verwendet werden bzw. die Unterkapitel zum Teil auf sexuelle Schmerzen als Allgemeinbegriff oder auf spezifische Diagnosen wie provozierte Vestibulodynie fokussieren, ohne darauf einzugehen, dass diese nicht alle sexuellen Schmerzstörungen umfassen. Auf die Beschreibung der Symptomatik des Vaginismus und dessen Behandlung wurde komplett verzichtet.

Insgesamt ist das Buch eine nützliche Lektüre für alle, die mehr über die Physiologie von sexueller Lust, Erregung und Orgasmus, den entsprechenden aktuellen Stand der Forschung und körperliche Maßnahmen bei Störungen der sexuellen Funktionsfähigkeit erfahren wollen. Für ein Standardwerk zu weiblichen sexuellen Funktionsstörungen werden die psychologische und die soziale Seite jedoch zu wenig einbezogen.

Thula Koops (Hamburg)



Publication History

Article published online:
08 March 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York