Die Wirbelsäule 2022; 06(03): 146-147
DOI: 10.1055/a-1745-3747
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Computer-assistierte Navigation in der operativen Versorgung idiopathischer Skoliosen

Friederike Schömig
1   Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CMSC), Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin
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Die Anwendung Computer-basierter Navigationssysteme zum Einbringen von Pedikelschrauben hat in der Wirbelsäulenchirurgie in den letzten Jahren deutlich an Popularität gewonnen. Darüber soll insbesondere die Komplikationsrate durch Schraubenfehllagen reduziert und damit die Sicherheit operativer Eingriffe erhöht werden. In der Behandlung adoleszenter idiopathischer Skoliosen ist dies von besonderer Bedeutung, da Skoliosen häufig insbesondere im thorakalen Bereich mit einer veränderten Pedikelmorphologie und damit erhöhtem Risiko einer Verletzung nervaler, vaskulärer oder viszeraler Strukturen mit schwerwiegenden Folgen für Patientinnen und Patienten einhergehen. Trotz der steigenden Popularität der intraoperativen Navigation, die auch anhand der in der vorliegenden Studie beschriebenen steigenden Rate navigierter Operationen abzulesen ist, besteht in der Literatur noch Uneinigkeit über den tatsächlichen klinischen Nutzen ihrer Anwendung.

Die dargelegte Studie von Kaur et al. leistet einen wichtigen Beitrag in dieser Diskussion. In ihrer Analyse zeigen sie zwar eine signifikant geringere Gesamtkomplikationsrate in der navigierten Gruppe, jedoch wurde zwischen den Gruppen kein Unterschied hinsichtlich neurologischer Komplikationen oder Revisionsoperationen gefunden. Weiterhin zeigt die Analyse deutlich höhere Kosten für die Anwendung Navigations-basierter Verfahren trotz signifikant kürzerer Krankenhausaufenthalte.

Basierend auf diesen Ergebnissen schlussfolgern die Autoren, dass die Reduktion der Gesamtkomplikationsrate auf den vorwiegenden Einsatz intraoperativer Navigationssysteme an spezialisierten Zentren zurückzuführen sei. Somit bestünde in der Analyse ein Selektions-Bias, da die Reduktion der Gesamtkomplikationsrate gegebenenfalls nicht auf die Anwendung der Navigation, sondern auf die Durchführung der Operation durch einen erfahreneren Operateur zurückzuführen ist. Dies wird ebenfalls dadurch unterstützt, dass zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied in neurologischen Komplikationen gezeigt wurde.

In der Literatur wird die Überlegenheit des navigierten Operierens bis heute kontrovers diskutiert. Baldwin et al. fanden in ihrer Meta-Analyse eine überlegene Genauigkeit navigiert eingebrachter Pedikelschrauben gegenüber Fluoroskopie-gestützten Techniken sowie eine reduzierte durch die Schraubenplatzierung bedingte Komplikationsrate nach Navigation [1]. Chan et al. fanden in ihrem systematischen Review zwar keine Reduktion der Komplikationsrate, zeigen jedoch ebenfalls eine geringere Rate an Schraubenfehllagen nach navigiertem Einbringen von Pedikelschrauben [2].

Ob die intraoperative Navigation ein sichereres Einbringen von Pedikelschrauben erlaubt, lässt sich anhand der vorliegenden Analyse zwar ebenfalls nicht klären, jedoch wird die wichtige Frage, ob der klinische Nutzen navigierter Eingriffe an der Wirbelsäule die Anwendung höherer Dosen ionisierender Strahlung bei Kindern und Jugendlichen sowie die zusätzlich verursachten Kosten gerechtfertigt, aufgeworfen. Diese Diskussion muss insbesondere vor dem Hintergrund einer aktuellen multizentrischen Studie geführt werden, die eine geringe durch Schraubenfehllagen bedingte Revisionsrate von 0,4% nach Freihand-Einbringen von Pedikelschrauben in der operativen Versorgung von idiopathischen Skoliosen zeigt [3]. Betrachtet man jedoch die systematischen Analysen von Baldwin et al. und Chan et al., leistet die intraoperative Navigation einen wichtigen Beitrag zu einer weiteren Reduktion dieses Risikos. Dafür muss die Strahlendosis unter Anwendung pädiatrischer Protokolle so gering wie möglich gehalten werden.

Insbesondere in der operativen Versorgung von Kindern ist die größtmögliche operative Sicherheit und damit das Vermeiden einer jeden Revision das höchste Ziel – hier spielt primär die Erfahrung des Operateurs eine entscheidende Rolle, sodass die operative Korrektur pädiatrischer Deformitäten immer an spezialisierten Zentren durchgeführt werden sollte. Basierend auf der aktuellen Studienlage sollten gleichzeitig jedoch CT-gestützte Verfahren insbesondere mit pädiatrischen Strahlungsprotokollen bevorzugt angewendet werden. Auch wenn die Anzahl notwendiger navigierter Schraubenplatzierungen zur Vermeidung einer einzelnen Revision hoch ist, erhöht die Navigation aufgrund der höheren Genauigkeit der Schraubenlage die operative Sicherheit und ihre Weiterentwicklung und Optimierung ihrer Anwendungsbereiche sollten auch zukünftig im Fokus stehen.



Publication History

Article published online:
26 August 2022

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  • Literatur

  • 1 Baldwin KD, Kadiyala M, Talwar D. et al. Does intraoperative CT navigation increase the accuracy of pedicle screw placement in pediatric spinal deformity surgery? A systematic review and meta-analysis. Spine Deform 2022; 10: 19-29 DOI: 10.1007/s43390-021-00385-5.. (PMID: 34251607)
  • 2 Chan A, Parent E, Narvacan K. et al. Intraoperative image guidance compared with free-hand methods in adolescent idiopathic scoliosis posterior spinal surgery: a systematic review on screw-related complications and breach rates. Spine J 2017; 17: 1215-1229 DOI: 10.1016/j.spinee.2017.04.001.. (PMID: 28428081)
  • 3 Swany L, Larson AN, Garg S. et al. 0.4% incidence of return to OR due to screw malposition in a large prospective adolescent idiopathic scoliosis database. Spine Deform 2022; 10: 361-367 DOI: 10.1007/s43390-021-00434-z. (PMID: 34746979)