Kinder- und Jugendmedizin 2022; 22(02): 131
DOI: 10.1055/a-1726-7459
Buchbesprechung

Umgang mit Suiziden in psychiatrischen Einrichtungen

Susanne Menzel, Peter Brieger: Umgang mit Suiziden in psychiatrischen Einrichtungen. Köln: Psychiatrie Verlag GmbH 2021; Psychosoziale Hilfen 40; 112 Seiten, kartoniert, 30,00 Euro, ISBN 9783966050395

Wenngleich die Zahl der Suizide im Langzeitverlauf eher zurückgegangen ist, bleibt Suizidprävention ein allgegenwärtiges Thema in psychiatrischen Einrichtungen. Suizide sind ein wiederkehrendes und für alle Beteiligten stark belastendes Ereignis. Das gilt nicht nur für Angehörige, sondern auch für das beteiligte Personal psychiatrisch-psychotherapeutischer Einrichtungen. Je nach Bindung an den betroffenen Patienten, auf Basis unterschiedlicher eigener Grundannahmen, Überzeugungen und Erwartungen, können sich für Pflegemitarbeiter, Ärzte oder Psychologen erhebliche psychische Belastungen ergeben. Eigene Erfahrungen des Referenten gehen hier bis zu einzelnen posttraumatischen Belastungssymptomen bei besonders dramatischen miterlebten Suiziden. Zu möglichen Selbstvorwürfen kommen nicht selten Vorwürfe Angehöriger oder polizeiliche bzw. in einzelnen Fällen staatsanwaltliche Ermittlungen. Nach einem erfolgten Suizid müssen Teams somit nicht nur die weiterhin anstehenden dienstlichen Aufgaben, sondern oft auch diverse persönliche Belastungen bewältigen. Gleichzeitig sollte die Möglichkeit, aus dem Ereignis zu lernen, nicht ungenutzt bleiben, um Suizidpräventionsmaßnahmen nicht nur in psychiatrischen Einrichtungen kontinuierlich weiter zu verbessern. Daher ist es für Teams nicht nur entlastend, sondern potenziell auch gewinnbringend, eine möglichst konstruktive Auseinandersetzung mit einem Suizid zu erreichen. Susanne Menzel und Peter Brieger haben sich mit dem vorgelegten Buch diesem Ziel detailliert gewidmet und ihre klinischen Erfahrungen im Umgang mit Suiziden aufbereitet.

Zur Annäherung an das Thema geben die Autoren einen anregend zu lesenden Überblick von geschichtlichen Aspekten über etablierte Risikofaktoren bis hin zur aktuellen gesellschaftlichen Diskussion des Suizids. Theoretische Modelle, wie etwa das Stadienmodell der suizidalen Krise von Pöldinger, werden mit Abbildungen und Fallbeispielen veranschaulicht und die unterschiedlichen Ebenen der Suizidprävention, von baulichen Maßnahmen bis zu Kurzzeitprogrammen zur Risikoreduktion nach einem Suizidversuch, werden übersichtlich beschrieben. Zum Umgang mit Suiziden in psychiatrischen Einrichtungen stellen die Autoren ihr Klinikkonzept vor, das gut strukturiert ist, ohne technisiert zu wirken, und welches fundiert begründet ein stark teamorientiertes Vorgehen der Nachbearbeitung eines Suizids vorschlägt. Die Autoren gehen auf klinische Aufgaben, formale und rechtliche Aspekte ebenso ein wie auf eine günstige Kommunikationsstruktur und -kultur. Sie beschreiben ausführlich und anhand klinischer Beispiele, wie die Unterstützung der von einem Suizid betroffenen Personen, Angehörige, Mitpatienten und Mitarbeiter eines multiprofessionellen Teams, auf Augenhöhe und im Sinne einer modernen Fehlerkultur, gelingen kann und welche Erfahrungen sie selbst aus der Anwendung ihres Konzepts gewonnen haben.

Das Buch schlägt hilfreiche konkrete Strategien vor, nennt Anlaufstellen, Internet-Ressourcen und die Inhalte werden zum Ende jedes Kapitels übersichtlich zusammengefasst, was einen raschen Zugriff auf Informationen ermöglicht. Den Autoren ist es gelungen, ihren vielfältigen persönlichen Praxis-Erfahrungsschatz mit wissenschaftlichen Erkenntnissen sehr übersichtlich zu verbinden und eine praxisorientierte Umsetzung im Umgang mit Suiziden vorzuschlagen, die dem emotional schwierigen Thema gerecht wird und zu einem offenen und konstruktiven Umgang mit Suiziden in multiprofessionellen Teams beiträgt.

Das Buch ist lesenswert für alle, die in der Psychiatrie leiten, Praxis verantworten, organisatorisch mit dem therapeutischen Konzepten arbeiten, aber auch für Ärzte, Psychologen und Pflegemitarbeiter, die sich vertieft mit dem Thema Suizid befassen wollen.

Michael Franz, Gießen/Marburg



Publication History

Article published online:
20 April 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG,
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany