Pneumologie 2022; 76(02): 83-84
DOI: 10.1055/a-1711-5733
YoungDGP im Dialog

Arbeitsbedingungen und Berufsalltag in der Pneumologie

Der ärztliche Beruf geht als freier Beruf mit besonderen Privilegien und Verpflichtungen einher. Die Freiberuflichkeit entbindet von Gewerbeordnung und Gewerbesteuer – bindet aber im Fall der Ärzte an die „Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ (MBO-Ä 1997) und basiert auf strengen standes- und berufsrechtlichen Zugangsregelungen, die über die Ärztekammern geregelt werden. Im ersten Absatz der allgemeinen ärztlichen Berufspflichten wird in der MBO festgehalten, dass Ärztinnen und Ärzte „ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit [ausüben]. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können“.

Für angestellte Ärzte im Allgemeinen und sich in Weiterbildung befindliche Ärzte im Besonderen können sich daraus Konflikte in Bezug auf die Verpflichtungen gegenüber ihrem Arbeitgeber ergeben. Ärzte müssen im Spannungsfeld ihrer Handlungsräume stets unterschiedliche Rollenidentitäten annehmen, sowohl gegenüber ihren Patienten als auch gegenüber anderen am Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen und schließlich auch innerhalb ihres privaten Umfelds. Verpflichtungen gegenüber der Berufsordnung einerseits und dem Arbeitgeber andererseits können insbesondere dann zu einer konfliktbeladenen Doppelrolle führen, wenn privatwirtschaftliche Kontexte in die Krankenversorgung und ärztliche Berufsausbildung eingeführt werden und die ärztliche Professionalität zur Privatsache erklärt wird.

Die ärztliche Weiterbildung, die durch die Landesärztekammern geregelt ist, findet zumindest in den ersten Berufsjahren zu einem großen Teil im Krankenhaus statt. Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Krankenhauslandschaft und anderen großen Umwälzungen wie dem demografischen Wandel und der Digitalisierung der Gesellschaft hat die AG YoungDGP eine Umfrage zu den Arbeitsbedingungen junger Pneumologinnen und Pneumologen in Deutschland durchgeführt, deren Ergebnisse in der Oktober-Ausgabe der „Pneumologie“ (Pneumologie 2021; 75: 761–775) veröffentlich wurden. Dort gaben 46 % der Befragten an, mit ihrem Berufsalltag grundsätzlich zufrieden zu sein. Für die andere knappe Hälfte der Befragten waren die häufigsten Gründe für ihre teilweise bestehende Unzufriedenheit (I) ungeplante Mehrarbeit/Überstunden, (II) eine fehlende Ausrichtung der Arbeitsabläufe im Krankenhaus auf die ärztlichen Bedürfnisse und (III) eine hohe Arbeitszeitverdichtung im Berufsalltag. Immerhin 25 % der Befragten haben vor diesem Hintergrund auch bereits über eine Aufgabe der Arbeit als Arzt nachgedacht, 55 % über eine Arbeitszeitreduktion und 60 % über einen Arbeitsplatzwechsel. In Bezug auf die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeiterfassung gaben 46 % der Befragten an, dass diese durch ihren Arbeitgeber manipulationsfrei erfasst wird, während 54 % dies verneinten.

In der Arbeitsplatzorganisation im Krankenhaus treffen unterschiedliche Generationen aufeinander. „Babyboomer“, „Generation X“ und „Generation Y“ sind Schlagworte, die vor allen Dingen Assoziationen zu bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und generationenbedingten Wertvorstellungen hervorrufen. Die veränderten Herausforderungen in der Krankenversorgung, zu denen u.a. der demografische Wandel, die Multimorbidität der Patienten, das Fallpauschalensystem und gestiegene Ansprüche an Dokumentation, Datenschutz und Digitalisierung zählen, lassen sich möglicherweise nicht auf eine einfache Formel wie einen Generationenkonflikt unter den angestellten Ärzten im Krankenhaus herunterbrechen.

Als junge Generation und Vertreter der AG YoungDGP möchten wir den Dialog suchen mit Verantwortungsträgern in Weiterbildung, Forschung und klinischer Versorgung. In der ersten von 5 Ausgaben stellen wir 6 Fragen an Prof. Dr. Tobias Welte, Ärztlicher Direktor der Klinik für Pneumologie, sowie Vizepräsident und Vorstand für Krankenversorgung der Medizinischen Hochschule Hannover.

Herr Professor Tobias Welte, Krankenhäuser erfüllen in Bezug auf die ärztliche Weiterbildung die Rolle eines Ausbildungsbetriebs. Stellt die Aus- und Weiterbildung Ihrer Meinung nach ein betriebliches oder ein ärztliches Interesse dar?

Zweifelsfrei stellt die ärztliche Weiterbildung ein betriebliches Interesse dar, weil jeder Betrieb qualifizierten Nachwuchs braucht. Bildet man diesen selbst aus, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er im Betrieb bleibt, wesentlich größer, zudem schafft das i. d. R. eine bessere Verbundenheit zum Betrieb (auf Neudeutsch: corporate identity).Weiterbildung sollte immer auch im ärztlichen Interesse sein, weil aufgrund des schnellen Fortschritts in der Medizin lebenslanges Lernen eigentlich ein Muss ist. Dies gilt allerdings praktisch in allen Berufen im Leben, nicht nur in der Medizin.

Ist Leidensfähigkeit eine Leistung, und hat die Generation Y zu wenig dieser Fähigkeit? Sind Überstunden eine Voraussetzung für ärztliche Weiterbildung?

Das ist eine sehr schwierige Frage, die sich nicht einfach beantworten lässt. Primär ist jeder Mensch ein Produkt seiner Sozialisation, unterschiedliche Generationen sind durch ihre jeweilige Zeit geprägt. Vergleiche zwischen Generationen sind von daher aus meiner Sicht nicht möglich, weil sich die gesellschaftlichen Bedingungen geändert haben.Primär verstehe ich die Frage, ob Leidensfähigkeit eine Leistung ist, nicht wirklich. Was meinen Sie damit? Was man als „Leiden“ versteht, ist ja individuell sehr unterschiedlich und hängt stark davon ab, was man erreichen möchte. Primär gilt aus meiner Sicht, dass man seine Arbeit in einem vorgegebenen Rahmen, der klar definiert sein muss, für eine der Arbeit angemessene Bezahlung durchführen können muss. D. h. für die ärztliche Arbeit, dass sie in der Regelarbeitszeit durchführbar sein muss. Da in der Medizin, zumindest im Krankenhaus, jedoch kein 8-to-5-Betrieb möglich ist, sind Nachtdienste und Wochenenddienste nicht zu vermeiden, dasselbe gilt im ambulanten Bereich für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Hier muss es Begrenzungen der tatsächlichen wöchentlichen Arbeitszeit geben und Bezahlung für die geleistete Arbeit.Ob jedoch eine über das normale Maß hinausgehende akademische oder medizinische Karriere (also bspw. das Erreichen einer leitendenden Position) unter diesen Bedingungen möglich ist, hier bin ich skeptisch. Es gibt keinen Bereich der Wirtschaft, und dasselbe gilt für Kultur oder Sport, in dem man nicht mehr Leistung bringen muss, wenn man in eine herausgehobene Position möchte. Mit dem Trainingsaufwand eines Landesligaspielers wird man eben nicht Bundesligaprofi. Und ohne zusätzliches Engagement über den normalen Arbeitstag hinaus nicht Universitätsprofessor/In.Ob man darunter leidet, ist eine andere Frage, die meisten in den genannten Positionen würden das sicher von sich weisen.Das Gute in der Demokratie ist, dass man das ja selbst entscheiden kann. Niemand muss in eine leitende Position. Niemand ist gezwungen, als eigenständiger Unternehmer/In eine Praxis zu übernehmen, was automatisch mehr Anforderungen und Risiken (und natürlich Chancen) mit sich bringt, als wenn man angestellt ist.In der jetzigen Generation ist aus meiner Sicht der Ehrgeiz, Karriere „machen“ zu wollen, deutlich weniger ausgeprägt als in meiner Generation. Das ist zunächst einmal in Ordnung, man muss sich dann natürlich fragen, wie man die Leitungsaufgaben (die werden ja nicht weniger) ausfüllen will (und zwar bei gleichbleibender Qualität). Aus meiner Sicht gibt es hier Möglichkeiten, z. B. über geteilte Verantwortung in Spitzenpositionen (shared responsibility) oder über Praxisgemeinschaften (oder ein Zurück zum DDR-System der Polikliniken, das nicht nur schlecht war). Aber man muss dann auch mit den Konsequenzen leben, für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft. Denn das Geld im System ist ja endlich, und geteilte Leitungssysteme sind immer teurer als ein „Chefsystem“ der heutigen Prägung. Hier müsste aus Bildungsetats oder dem Sozialetat investiert werden oder die Menschen müssten bereit sein, mehr (z. B. in Form steigender Kassenbeiträge) zu zahlen. An dieser Stelle ist Politik jedoch – aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen – nicht ehrlich. Einerseits verspricht man den Versicherten mehr Leistungen, andererseits wünscht man sich eigentlich das überkommene System von früher (in dem die Arbeit durch viel unbezahlte Mehrleistung erbracht wurde) wieder zurück. Hier braucht es eine ehrliche gesellschaftliche Diskussion.

Sind neue Berufszweige, wie der Bachelor-Studiengang des Physician Assistant (PA), eine mögliche Lösung, um den Ärztinnen und Ärzten mehr Zeit für ihre Kernkompetenzen zu ermöglichen? Und braucht das ärztliche Berufsbild durch solche und andere Berufe eine Nachschärfung?

Jein. Prinzipiell ist es richtig, wenn der ärztliche Beruf von Arbeiten entlastet wird, die nicht zwingend eine ärztliche Ausbildung voraussetzen. Aber, gerade vor dem Hintergrund des unter 2. Gesagten, ist das Risiko hoch, dass das System der Bachelorärzte dazu genutzt wird, Kosten zu sparen und dann statt einer Ergänzung eine Verdrängung des klassischen Arztberufs entsteht.

Ist die Organisation der ärztlichen Weiterbildung über die Ärztekammern aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß? Welche anderen Wege könnten Sie sich vorstellen?

Berufsständische Kammern gibt es ja nicht nur in der Medizin, sondern z. B. auch bei den Juristen oder im Handwerk. Sie sind gegründet worden, weil man dem Staat (und das wäre ja die einzige Alternative zur Organisation und Steuerung von Aus- und Weiterbildung) nicht getraut hat und das in fachlicher Eigenverantwortung durchführen wollte. Grundsätzlich gibt es immer zwei Möglichkeiten: das bestehende System weiterentwickeln (das würde ich vorziehen) oder einen Systemwechsel vollziehen (Zerschlagung der Ärztekammern und Überführung in ein staatliches Ausbildungssystem). Letzteres führt zu einem Verlust fachspezifischer Inhalte.

Sollten bei der Besetzung von Chefarztposten im Krankenhaus neben der fachlichen und wissenschaftlichen Eignung auch Managementfähigkeiten in Form von Kommunikations- und Führungskompetenz eine Rolle spielen oder tun sie dies bereits?

Das hat sich tatsächlich bereits weitgehend etabliert. Praktisch alle Universitäten bieten verschiedene Weiterbildungsangebote an, bei uns sind diese z. B. schon für die Besetzung von Oberarztpositionen verpflichtend. Auch in den Berufungsgesprächen wird auf diese Faktoren wesentlich geachtet, teilweise werden Unternehmen eingeschaltet, die zur Überprüfung dieser Fähigkeiten Tools entwickelt haben.

Welchen Rat können Sie angehenden Pneumologinnen und Pneumologen geben?

Die Möglichkeiten, die man als Internist und Pneumologe hat, sind breit. Man kann in die Praxis gehen, in verschiedenen Positionen im Krankenhaus bleiben oder sich akademisch entwickeln. Und selbst außerhalb der direkten Patientenversorgung gibt es viele Möglichkeiten (vom Gesundheitsamt bis zum Wissenschaftsjournalismus). Ich würde jedem raten, sich eine gewisse Zeit zu lassen (2 bis maximal 3 Jahre), um herauszufinden, was das Richtige für ihn ist. Dann sollte man sich aber festlegen, weil die weitere Ausbildung sich je nach Ziel unterscheidet. D. h. nicht, dass man seine Meinung, wo man hin will, nicht noch einmal ändern kann, aber man sollte doch eine Idee über das Ziel im Kopf haben. Und ansonsten hat die heutige Generation mehr Angebote, sich zu informieren, und mehr Chancen, Ziele auch umzusetzen, als jede Generation vor ihr.

Die Fragen stellte Prof. Dr. Thomas Bahmer, Kiel.



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Article published online:
17 February 2022

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