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DOI: 10.1055/a-1710-3767
Auswirkung der COVID-19-Pandemie auf die radiologische Bildgebung in Deutschland
Article in several languages: English | deutschZusammenfassung
Ziel Untersuchung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Durchführung radiologischer Bildgebung in Deutschland.
Material und Methoden In dieser retrospektiven multizentrischen Studie wurden die durchgeführten CT- und MRT-Bildgebungen 7 deutschlandweiter radiologischer Zentren von Januar bis Dezember 2020 analysiert. Das Untersuchungsvolumen wurde mit dem Vorjahreszeitraum verglichen (Wilcoxon-Mann-Whitney-Test). Die Auswertung der aggregierten Daten erfolgte differenziert nach Modalität, Zuweiser, Körperregion und unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Pandemieentwicklung. Die Untersuchungszahlen wurden zudem mit der Inzidenz von SARS-CoV-2-positiven Fällen und assoziierten Todesfällen korreliert (Spearman-Test).
Ergebnisse Im Pandemiejahr 2020 wurden insg. 4 % (n = 8314) weniger CT- und MRT-Untersuchungen durchgeführt als im Vorjahr (p < 0,05). Die Differenz ist vornehmlich auf den Zeitraum des harten Lockdowns (Kalenderwoche 12–16, 22. März bis 19. April 2020) zurückzuführen, welcher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu einem Rückgang der Untersuchungen um 29 % geführt hat (n = 894, p < 0,01). MRT-Untersuchungen waren dabei stärker betroffen als CT-Untersuchungen (36 % vs. 26 %). Der größte Rückgang war mit –38 % (p < 0,01) bei ambulanten Patienten zu verzeichnen und bei Untersuchungen von Wirbelsäule und Extremitäten (–51 % bis –72 %, p < 0,05 bis p < 0,01). Am geringsten tangiert waren Untersuchungen aus den Zentralen Notaufnahmen (–13 %, p < 0,05) sowie CT-Untersuchungen des Thorax (–16 %, p < 0,05). Das Ende des harten Lockdowns ging mit einer sukzessiven Normalisierung des Untersuchungsvolumens auf das Vorjahresniveau einher, die auch mit Beginn der zweiten Pandemiewelle und des milderen Lockdowns am Jahresende anhielt. Der Rückgang der Untersuchungen 2020 korrelierte dabei negativ mit der Inzidenz an SARS-CoV-2-positiven Fällen und assoziierten Todesfällen (r = 0,28 und 0,49; p < 0,05 und p < 0,001).
Schlussfolgerung Die COVID-19-Pandemie in Deutschland führte 2020 temporär zu einem signifikanten Rückgang radiologischer CT- und MRT-Untersuchungen. Nach Ende des ersten Lockdowns im Frühjahr zeigte sich eine rasche Erholung der Untersuchungszahlen mit weitgehender Stabilisierung des Untersuchungsvolumens auf das Vorjahresniveau.
Kernaussagen:
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Die Studie zeigt die pandemiebedingten Veränderungen radiologischer Bildgebung in einer multizentrischen, deutschlandweiten Analyse.
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Im Jahr 2020 kam es während des ersten Lockdowns zu einem temporären quantitativen Rückgang an CT- und MRT-Untersuchungen.
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Mit Beginn der ersten Lockerungen trat eine zügige Normalisierung der Untersuchungsvolumina auf Vorjahresniveau ein, die bis zum Jahresende anhielt.
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Signifikante Nachholeffekte wurden nicht beobachtet.
Zitierweise
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Schmidbauer M, Grenacher L, Juchems MS et al. Impact of the COVID 19 Pandemic on Radiological Imaging in Germany. Fortschr Röntgenstr 2022; 194: 625 – 633
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Einleitung
Der Ausbruch des Severe Acute Respiratory Syndrome Corona Virus 2 (SARS-CoV-2) im Jahre 2020 gilt bereits jetzt als eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, die noch bis heute anhält. Weltweit, so auch in Deutschland, wurden weitreichende Strategien zur Eindämmung des Pandemiegeschehens initiiert und weite Teile des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens temporär stillgelegt, um einen nachhaltigen Rückgang der Fallzahlen zu erreichen und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. Neben den Einschränkungen im öffentlichen Leben waren medizinische Einrichtungen angehalten, nicht zwingend notwendige, planbare Aufnahmen und Operationen zu verschieben und damit Behandlungs- und Intensivkapazitäten in den Kliniken für potenzielle COVID-19-Erkrankte vorzuhalten [1]. Darüber hinaus waren verschiedenste Anpassungen der Arbeitsabläufe erforderlich, beispielsweise veränderte Kommunikations- und Personalstrukturen sowie Hygienemaßnahmen, um den Behandlungsbedarf von Patienten aufrecht zu erhalten sowie den Schutz der Mitarbeitenden zu gewährleisten [2].
Die Radiologie als Querschnittdisziplin kann das allgemeine Angebot und die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung anhand der durchgeführten Untersuchungen gut widerspiegeln. Analysen des ersten Halbjahres 2020 zeigten in der Radiologie eine deutliche Abnahme der Leistungen [3], gleichzeitig verzeichneten die meisten medizinischen Fachbereiche einen dramatischen Rückgang an Behandlungsfällen [4]. Um jedoch mögliche Langzeiteffekte der COVID-19-Pandemie auf das Gesundheitswesen besser einschätzen zu können, ist die Betrachtung eines längeren Zeitraumes notwendig. Datenanalysen zum Gesamtjahr 2020 innerhalb einzelner Fachdisziplinen und insbesondere aus der Radiologie liegen nach unserer Recherche allerdings kaum vor.
Ziel dieser multizentrischen, deutschlandweiten Studie war es, den Einfluss der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 auf das radiologische Untersuchungsvolumen systematisch und objektiv im longitudinalen Verlauf zu evaluieren.
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Material und Methoden
Diese retrospektive, multizentrische Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Gastrointestinal- und Abdominaldiagnostik der DRG. Die überregionale Verteilung der teilnehmenden Zentren verschiedener Versorgungsstufen ermöglicht dabei eine repräsentative, deutschlandweite Analyse der radiologischen Bildgebung. Beteiligt waren sieben radiologische Institute: 4 Universitätskliniken (Medizinische Hochschule Hannover, Universitätsklinikum Frankfurt, Universitätsklinikum Regensburg, Universitätsklinikum Brandenburg a. d. Havel) und 3 nicht universitäre Einrichtungen (Clemenshospital Münster, Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf, Klinikum Konstanz) ([Tab. 1]). Die Studie wurde von den lokalen Ethikkommissionen der beteiligten Zentren genehmigt.
Durchschnittliche 7-Tage-Inzidenz positiver COVID-19-Fälle 2020 deutschlandweit: 56,4 (https://covid19.who.int/region/euro/country/de). MVZ, Medizinisches Versorgungszentrum.
Datenakquisition
Die Untersuchungen wurden aus dem jeweiligen internen RIS der beteiligten Zentren extrahiert. Analysiert wurden die aggregierten Daten von CT- und MRT-Untersuchungen vom 01. Januar 2020 bis 27. Dezember 2020. Für die zeitliche Granularität wurden Wochenintervalle gewählt (Kalenderwochen, KW). Die im Vergleich zu 2019 aufgrund des Schaltjahres zusätzliche KW 53 im Jahr 2020 blieb aus Gründen der Vergleichbarkeit bei der Auswertung unberücksichtigt. Die Daten wurden mit demselben Zeitraum des Vorjahres verglichen, um den Einfluss zufälliger saisonale Effekte auszuschließen. In Subgruppenanalysen wurden zusätzlich Zuweisungsart (ambulant, stationär oder Zentrale Notaufnahme [ZNA]) und untersuchte Körperregion (Kopf, Hals, Thorax, Abdomen, Wirbelsäule, Extremitäten oder Sonstige) betrachtet. Darüber hinaus erfolgte eine Korrelation des Untersuchungsvolumens mit den vom Robert Koch-Institut veröffentlichten SARS-CoV-2-positiven Fallzahlen sowie assoziierten Todesfällen [5].
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Pandemiespezifische Phaseneinteilung:
Um den bundesweiten Einfluss der pandemiespezifischen Phasen abzubilden wurden folgende Zeiträume definiert:
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Prä-Lockdown (PRÄ): KW 1–11, erste Infektionen, Meldepflicht und Absage von Großveranstaltungen
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Harter Lockdown (HLD): KW 12–16, bundesweiter Lockdown während der 1. Pandemiewelle mit umfassenden Kontaktbeschränkungen und weitreichenden Schließungen
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Lockerungsphase (LP): KW 17–23, sukzessive Lockerung der Kontaktbeschränkungen und Öffnungen
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Post-Lockdown (POST): KW 24–43, weitgehende Aufhebung der oben genannten Beschränkungen
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Lockdown Light (LLD): KW 44-Jahresende, bundesweit verschärfte Regelungen und erneuter Lockdown mit Beginn der 2. Pandemiewelle
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Statistische Auswertung
Die statistische Analyse erfolgte mittels GraphPad Prism 9 (GraphPad Software Inc., San Diego, USA). Die multizentrischen Daten wurden auf die einzelnen Kalenderwochen aggregiert und nach Ausschluss einer Gaußschen Normalverteilung mittels Wilcoxon-Mann-Whitney-Test auf statistische Signifikanz geprüft (differenziert nach einzelnen Körperregionen und Zuweiser jeweils separat für jede Modalität und für das Gesamtvolumen im Vergleich zum Gesamtjahr oder den phasenspezifischen Vorjahreszeitraum). Die Korrelation zwischen Untersuchungsvolumen und der Inzidenz von SARS-CoV-2-positiven Fällen bzw. assoziierten Todesfällen für das Gesamtjahr 2020 wurden mittels Spearman-Test ermittelt. Abweichungen zum Vorjahreszeitraum wurden für die Gesamtzahlen sowie einzelne Parameter als prozentuale Differenz dargestellt. Eine Fehlerwahrscheinlichkeit von p < 0,05 wurde als statistisch signifikant angenommen.
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Ergebnisse
Gesamtuntersuchungsvolumen
Die Untersuchungszahlen im Jahr 2020 beliefen sich auf insgesamt 186 885 CT- und MRT-Untersuchungen und blieben mit 4 % nur geringfügig hinter Zahlen des Vorjahres zurück (2019: 195 199; p < 0,05). Während des HLD in Deutschland wurden 13 420 Untersuchungen durchgeführt. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum entspricht dies einer Reduktion von 29 % (18 910, p < 0,01) ([Tab. 2] und [Abb. 1]). Der NADIR war Anfang April (KW 15) nachweisbar und betrug 2353 MRT- und CT-Untersuchungen. Die durchschnittliche Untersuchungszahl betrug zu dieser Zeit wöchentlich 1938 im Vergleich zum Vorjahr mit 2659. Mit Ende des HLD stiegen die Untersuchungszahlen kontinuierlich an und erreichten in der 2. Jahreshälfte ein zum Vorjahr vergleichbares Niveau (LP: 91 %, Post: 101 % am Untersuchungsvolumen 2019). Der LLD führte mit einem Minus von 2 % (699 Untersuchungen) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmals zu einem signifikanten (p < 0,05), im Gegensatz zum HLD jedoch geringer ausgeprägten Rückgang des Untersuchungsvolumens.
Angegeben sind die absoluten Fallzahlen und der Anteil am Vorjahreszeitraum in Prozent (%). *p < 0,001, **p < 0,01, ***p < 0,05. PRÄ, Prä-Lockdown; HLD, Harter Lockdown; LP, Lockerungsphase; POST, Post Lockdown; LLD, Lockdown Light.


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Modalitäten
Vom Rückgang der Untersuchungszahlen während des HLD war die MRT mit einem Minus von 36 % (2318, p < 0,01) gegenüber dem Vorjahreszeitraum stärker betroffen als die CT mit 26 % (3172, p < 0,01) ([Tab. 2]). Mit Ende des HLD nahmen die Untersuchungszahlen beider Modalitäten kontinuierlich zu und erreichten in der 2. Jahreshälfte ein zum Vorjahr vergleichbares Niveau. Die Normalisierung des Untersuchungsaufkommens war bei der CT schneller erreicht und blieb auch mit Beginn des LLD stabil. Das Minus betrug am Jahresende im Vergleich zum Vorjahr 3 % (3414 Untersuchungen, p = 0,28). Die MRT-Untersuchungen fielen mit Beginn des LLD nochmals um 6 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab (643 Untersuchungen, p < 0,05) und blieben am Jahresende mit 7 % hinter den Zahlen des Vorjahres zurück.
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Zuweiser
Im Jahr 2020 waren im Vergleich zum Vorjahr kumulativ weniger stationäre Fälle zu verzeichnen mit einer Differenz von 5947 Untersuchungen (–7 %; p < 0,0001) ([Tab. 3]). Auch die Untersuchungszahlen im ambulanten Bereich waren gegenüber 2019 mit einem Minus von 5 % rückläufig, wobei die MRT mit –8 % (p < 0,05) stärker betroffen war als die CT mit –2 % (p = 0,84). Der HLD ging in allen Bereichen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit einem Rückgang des Untersuchungsvolumens einher. Dabei nahmen die ambulanten Untersuchungsfälle um 38 % (2771 Untersuchungen, p < 0,05) ab, gefolgt von stationären Untersuchungen mit –27 % (2260 Untersuchungen, p < 0,01) und ZNA-Untersuchungen mit –14 % (429 Untersuchungen, p < 0,05). Die MRT war dabei jeweils stärker betroffen als die CT. Der Rückgang an ambulanten CT-Untersuchungen betrug 4 % und ging mit einem relativen Anstieg an ZNA-Untersuchungen einher. Der Rückgang an ambulanten MRTs führte zu einem relativen Zuwachs insbesondere an stationären Untersuchungen (+ 4 %, p < 0,05) ([Abb. 2]). Während die Untersuchungszahlen aus dem stationären Bereich auch im weiteren Jahresverlauf gegenüber den Zahlen aus dem Jahre 2019 erniedrigt waren, konnte bei den ambulanten Fällen bis Ende des Jahres, einschließlich während des LLD, ein zum Vorjahr vergleichbares Untersuchungsvolumen erreicht werden (–5 %, p = 0,28).
Angegeben sind die absoluten Fallzahlen und die prozentuale Differenz (Δ). *p < 0,0001, **p < 0,001, ***p < 0,01, **** p < 0,05. A, ambulant; S, stationär; Z, Zentrale Notaufnahme. PRÄ, Prä-Lockdown; HLD, Harter Lockdown; LP, Lockerungsphase; POST, Post Lockdown; LLD, Lockdown Light.


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Körperregion
Während des HLD nahmen Untersuchungen aller Körperregionen gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab ([Tab. 4]). Am stärksten betroffen waren sowohl für die CT- als auch MRT-Untersuchungen der Wirbelsäule (-33 % bzw. –59 %, p < 0,05 bzw. p < 0,01), gefolgt von CT-Hals- (–33 %, p = 0,15) und CT-Extremitätenuntersuchungen (–28 %, p < 0,01) sowie MRT-Extremitäten- (–42 %, p < 0,01) und MRT-Abdomenuntersuchungen (–41 %, p < 0,05). Mit 16 % war bei den CT-Untersuchungen des Thorax zwar ein signifikanter (p < 0,05), aber im Vergleich zu den übrigen Regionen der schwächste Rückgang zu verzeichnen. Einzig für die CT-Thorax zeigte sich eine relative Zunahme an Untersuchungen am Gesamtvolumen, welche allerdings mit 1 % nur gering war ([Abb. 3]). Mit Beginn der Lockerungen konnte für alle Körperregionen eine allmähliche Annäherung an das Vorjahresniveau beobachtet werden. Eine Ausnahme bilden die CT von Extremitäten (LP: 116 %; Post: 124 %, p < 0,0001) und Wirbelsäule (LP: 108 %; Post: 120 %, p < 0,001) mit teils signifikanten Fallzahlzuwächsen. Zudem zeigte sich für die CT-Thorax eine kontinuierliche Steigerung der Fallzahlen auf ein signifikantes Plus von 10 % in der POST-Phase (660 Untersuchungen, p < 0,001).
Angegeben sind die absoluten Fallzahlen und der Anteil am Vorjahreszeitraum in Prozent (%). *p < 0,0001, **p < 0,001, ***p < 0,01, **** p < 0,05. PRÄ, Prä-Lockdown; HLD, Harter Lockdown; LP, Lockerungsphase; POST, Post Lockdown; LLD, Lockdown Light.


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Korrelation der Untersuchungszahlen mit Inzidenz und Todesfällen
Insbesondere mit abnehmender Inzidenz an SARS-CoV-2-positiven Fällen und rückläufigen assoziierten Todesfällen setzte eine Erholungsphase mit sukzessiver Normalisierung des Untersuchungsvolumens ein ([Abb. 4]). Dabei zeigte sich eine schwache, negative Korrelation für die wöchentliche Inzidenz (r = 0,28, p < 0,05) und eine moderate, negative Korrelation mit den SARS-CoV-2-assoziierten Todesfällen (r = –0,49, p < 0,001).


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Diskussion
Die vorliegende multizentrische Studie spiegelt, exemplarisch basierend auf CT- und MRT-Untersuchungen, die Dynamik deutschlandweit durchgeführter radiologischer Untersuchungen während des Pandemiejahres 2020 wider.
Mit Beginn der COVID-19-Pandemie konnte in nahezu allen Fachdisziplinen ein Rückgang der gesundheitlichen Versorgungsleistungen festgestellt werden. Der Rückgang der Fallzahlen hängt dabei zeitlich eng mit den verordneten Kontaktbeschränkungen und den Auflagen für medizinische Einrichtungen zusammen. Dies bestätigen auch die Ergebnisse unserer vorliegenden Studie. Besonders betroffen waren die ambulant erbrachten Leistungen mit einem Minus von 38 %. Diese Beobachtung deckt sich mit einer Analyse der erbrachten vertragsärztlichen Leistungen des Zentralinstitutes für kassenärztliche Versorgung in Deutschland, die über alle Fachgruppen hinweg einen deutlichen Rückgang der ambulanten Behandlungsfälle zeigte (Bildgebung –39,6 %) [4]. Auch die im Gesamtjahr 2020 deutschlandweit geringere Anzahl stationärer Behandlungsfälle [6] spiegelt sich in unseren Daten mit durchweg niedrigeren Untersuchungszahlen wider. Entsprechend der Erwartung war der geringste Rückgang mit 14 % bei Notfalluntersuchungen mit Zuweisung aus der ZNA zu verzeichnen, welcher allerdings im Vergleich zum Vorjahreszeitraum signifikant war [7] [8]. Ob für dieses verringerte Inanspruchnahmeverhalten der Bevölkerung die allgemeine Verunsicherung, die Angst vor Ansteckung oder die Einschränkung der Aktivität und Mobilität ursächlich sind, bleibt zu diskutieren. Der signifikante Rückgang muskuloskelettaler Bildgebung, welcher im Vergleich zu den Untersuchungen anderer Körperregionen am stärksten ausgeprägt war, könnte allerdings ein Hinweis darauf sein, dass die Einschränkung der Aktivität eine Rolle gespielt hat. Diese Vermutung wird auch durch den fachspezifischen Rückgang an Fallzahlen in der Orthopädie und Unfallchirurgie, die von den stärksten Einbrüchen an Behandlungsfällen betroffen waren [9], bestärkt.
Obwohl der Rückgang des Jahresvolumens an CT- und MRT-Untersuchungen über das Jahr negativ mit den deutschlandweiten SARS-CoV-2-Fallzahlen und assoziierten Todesfällen korrelierte, so ist doch eine auffällige Stabilisierung der Untersuchungszahlen auch mit Beginn der zweiten Welle und des LLD zu beobachten. Obwohl die Inzidenzen in diesem Untersuchungszeitraum diejenigen aus dem Frühjahr rasch um bis das 4-fache übertrafen, konnte kein entsprechender Rückgang der Untersuchungszahlen beobachtet werden. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die öffentliche Wahrnehmung und das Inanspruchnahmeverhalten von Seiten der Patienten für den Rückgang an Untersuchungen und Behandlungen möglicherweise eine größere Rolle als das reduzierte medizinische Angebot gemäß den Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums gespielt haben könnten [10].
Trotz der teils kurzfristig gesteigerten Untersuchungszahlen in der zweiten Jahreshälfte konnten wir keine signifikanten Nachholeffekte beobachten. Mit Ende des HLD und ersten Datenerhebungen zu den defizitären medizinischen Leistungen bei nahezu allen Fachdisziplinen postulierten einige Studien für die Folgezeit eine erhebliche Mehrbelastung, um die nicht durchgeführten bzw. aufgeschobenen Leistungen nachzuholen. Fleckenstein et al. beispielsweise errechneten anhand der entfallenen radiologischen Untersuchungen während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 eine deutliche Mehrbelastung von bis zu 22 % für die zweite Jahreshälfte [3]. Diese Entwicklung lässt sich anhand unserer Daten nicht belegen. Vielmehr normalisierte sich das Untersuchungsvolumen auf das Vorjahresniveau, sodass über den Gesamtjahreszeitraum das Untersuchungsvolumen mit nur einem geringen Defizit von 4 % hinter den Zahlen des Vorjahres zurückblieb. Der ausbleibende Kompensationseffekt ist möglicherweise mit der Priorisierung chronisch kranker und onkologischer Patienten zu erklären, deren Versorgung auch während der Hochphase der Pandemie weitgehend aufrechterhalten wurde. Trotz des erfreulich raschen Erholungseffektes ist allerdings zu vermuten, dass insbesondere Vorsorge- und Intervalluntersuchungen dauerhaft entfallen sind [4]. Die Auslastung in radiologischen Abteilungen ist im Allgemeinen bereits als hoch einzuschätzen, sodass die freien Kapazitäten, insbesondere für zeitintensive Untersuchungen wie die MRT, in der Routine bereits begrenzt sind. Zwar lässt sich durch Prozessoptimierung, z. B. die Wahl verkürzter Untersuchungsprotokolle, die Effizienz in einem gewissen Rahmen steigern, dies steht allerdings nicht im Verhältnis zu den pandemiespezifischen Einschränkungen. So limitieren der erhöhte Aufwand für Hygienemaßnahmen, Reduzierung der Kontaktzeit und Abstandregelungen mit Separierung der Patienten in den Wartebereichen den Ausbau an Untersuchungskapazitäten. Auch personelle Ressourcen dürften nach der Lockdown-Phase angesichts aufgeschobener Urlaubszeiten erschöpft gewesen sein.
Interessanterweise konnte lediglich für die CT-Thorax während des HLD ein relativer und im weiteren Zeitverlauf ein absoluter Zuwachs an Untersuchungszahlen im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. Dies macht deutlich, dass der Radiologie im Management von COVID-19-Verdachtsfällen und -Erkrankten eine besondere Rolle zukommt. Insbesondere die CT war zu Beginn der Pandemie ein wichtiges zusätzliches Diagnostikum [11] und lieferte in der Folgezeit entscheidende Informationen über Krankheitsverlauf und Folgeschäden [12] [13]. Angesichts der neuartigen Lungenerkrankung erscheint die Steigerung der Thoraxuntersuchungen plausibel und unterstützt auch die hohe Relevanz des Radiological Cooperative Network zur COVID-19-Pandemie (RACOON, https://www.netzwerk-universitaetsmedizin.de/projekte/racoon) im Rahmen des Nationalen Forschungsnetzwerkes der Universitätsmedizin zu COVID-19, mit dem deutschlandweit eine Infrastruktur geschaffen wird, um radiologische Daten von COVID-19-Fällen systematisch und strukturiert zu erfassen.
Unsere Studie hat mehrere Limitationen. Der Auswertung liegt ein aggregierter Datensatz zugrunde. Es ist wahrscheinlich, dass regionale und zeitliche Varietäten im Verlauf der Pandemie zu unterschiedlich starken Alterationen der Untersuchungsvolumina in einzelnen Einrichtungen geführt haben. So waren nicht nur bundesweit unterschiedlich hohe Inzidenzen innerhalb der Bundesländer zu beobachten, sondern auch lokale Ausbrüche in Form einzelner „Hotspots“, die sich temporär auf die Leistungen der im Versorgungsbereich gelegenen Klinken ausgewirkt haben dürften. Auch Krankenhaus-interne Infektionsausbrüche oder unterschiedlich strenge Maßnahmen zwischen den einzelnen Einrichtungen wurden nicht abgebildet. Unsere Beobachtungen beziehen sich nur auf CT- und MRT-Untersuchungen. Röntgen, Sonografie und der große Bereich der radiologischen Interventionen blieben unberücksichtigt. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere bei den Röntgenaufnahmen als Basisuntersuchung, aber auch bei Ultraschalluntersuchungen und Interventionen, welche unmittelbaren Patientenkontakt erfordern, noch stärkere Rückgänge der Fallzahlen zu verzeichnen gewesen wären [3]. Auch spezifische Vorsorgeuntersuchungen, im speziellen die Mammografie, dürften erheblich von den Restriktionen betroffen gewesen sein [14] [15].
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Schlussfolgerung
Unsere Analyse zeigt, dass sich die Leistungszahlen im Jahr 2020 nach passagerem Einbruch während des HLD rasch auf Vorjahresniveau erholten. Trotz der weiter andauernden Pandemie und erneut verschärften Restriktionen zum Jahresende konnte ein zum Vorjahr weitgehend vergleichbares CT- und MRT-Untersuchungsvolumen als wichtiger Baustein für eine adäquate medizinische Versorgung erzielt werden.
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Radiologisch erbrachte Leistungen reflektieren die Inanspruchnahme und das Angebot anderer medizinischer Fachdisziplinen.
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Die Ergebnisse helfen, Auswirkungen der aktuellen COVID-19-Pandemie auf die medizinische Versorgung besser zu verstehen.
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Langfristige Analysen können dabei unterstützen, Maßnahmen für zukünftige pandemische Krisensituationen noch besser anzupassen.
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Conflict of Interest
The authors declare that they have no conflict of interest.
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Literatur
- 1 Bundesministerium für Gesundheit (2020, April 27). Ein neuer Alltag auch für den Klinikbetrieb in Deutschland. Abgerufen am 19. März 2021 unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Faktenpapier_Neuer_Klinikalltag.pdf
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- 3 Fleckenstein FN, Maleitzke T, Böning G. et al. Decreased Medical Care During the COVID-19 Pandemic – A Comprehensive Analysis of Radiological Examinations. Fortschr Röntgenstr 2021; 193: 937-946
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Correspondence
Publication History
Received: 18 August 2021
Accepted: 07 November 2021
Article published online:
28 December 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
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