Heilpflanzen 2022; 02(01): 1
DOI: 10.1055/a-1695-2447
Editorial

Wir leben Heilpflanzen!

Christian Böser

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

In der Küche meiner Oma stand auf dem Ofen immer eine Kanne mit frisch aufgebrühtem Kräutertee für uns Kinder bereit. Mal war es Pfefferminze, mal Kamille, mal Ringelblume, manchmal auch ein Tee aus einer Mischung aus all diesen Pflanzen. Je nach Jahreszeit kamen sie entweder frisch aus dem Garten oder getrocknet aus dem Aufbewahrungsglas. Neben dieser Kanne stand immer auch eine Tasse, in der meine Oma einen Tee nur für sich aufbrühte, wir nannten ihn den Omatee. Vor jeder Mahlzeit tat sie in die Tasse getrocknete Pflanzenteile, übergoss sie mit heißem Wasser und trank den Tee anschließend noch warm. Eines Tages, ich war noch keine 5 Jahre alt, griff ich mir die Tasse und nahm einen großen Schluck,– und spuckte ihn gleich wieder in hohem Bogen aus. Bäh! Was ich da im Mund hatte, schmeckte nicht minzig, blumig, frisch, wie der Tee in der Kanne für uns Kinder. Es war bitter, irgendwie erdig, schwer, ich grauste mich, alles in mir zog sich zusammen. Meine Oma lachte, zuckte die Schultern. Ihr einziger Kommentar war, dass das halt der Tee für die Oma sei. Wie konnte sie so etwas Widerliches trinken, wo es doch so viel besser Schmeckendes gab! Viel später verstand ich es: Meine Oma trank diesen Tee nicht des Genusses wegen. Sie litt unter einer Verdauungsschwäche, und mit dem Tee nahm sie ihre Medizin zu sich – Bitterstoffe. Es war das Tausendgüldenkraut, das ihre Verdauungssäfte in Fluss brachte.

Die Bitterstoffe und ihr Potenzial thematisieren gleich mehrere Beiträge in dieser Ausgabe: Im Entgiftungskonzept von Daniel Lorenz spielen sie eine wichtige Rolle (ab S. 24). Cornelia Stern beschreibt, wie sie nicht nur auf die Verdauungsorgane wirken (ab S. 30). Felicitas Molenkamp klassifiziert die Bitterstoffdrogen unter anderem anhand ihrer Begleitstoffe (ab S. 52). Und es sind in zahlreichen Rezepturen Pflanzen mit Bitterstoffen enthalten.

Bitterstoffe enthält sie keine, dafür reichlich Flavonoide, Gerbstoffe, Triterpensaponine, Kalium, ätherisches Öl und Vitamin C. Die Rede ist von der Birke, die Cornelia Stern in der Rubrik „ganz nah“ in dieser Ausgabe porträtiert. Unter anderem beschreibt sie, wie sich der frische Birkensaft aus der Pflanze gewinnen lässt und welche Menge gezapft werden kann, ohne dem Baum zu schaden (ab S. 4).

Haben Sie schon mit dem Frühjahrsputz begonnen? Falls nicht: Anusati Thumm beschreibt in der Rubrik „Aromatherapie“ Rezepte für selbst hergestellte Putzmittel mit ätherischen Ölen (ab S. 42). Sie bringen nicht nur einen tollen Duft in die Wohnung. Ihre desinfizierende Wirkung ist auch ideal für Kühlschrank, Bad und Böden. Aromatherapie mal ganz anders!

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, Zubereiten und Anwenden!

Ihr Christian Böser

Redakteur Heilpflanzen



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Article published online:
16 March 2022

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