Vergleich zwischen CGRP(R)-Antikörpern und Topiramat: Verträglichkeit und Wirksamkeit
Vergleich zwischen CGRP(R)-Antikörpern und Topiramat: Verträglichkeit und Wirksamkeit
****Overeem LH, et al. Indirect comparison of topiramate and monoclonal antibodies
against CGRP or its receptor for the prophylaxis of episodic migraine: a systematic
review with meta-analysis. CNS Drugs 2021; 35: 805–820
****Reuter U, et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a
randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia 2021. doi:
10.1177/03331024211053571
In dieser Besprechung soll auf 2 Publikationen eingegangen werden, die grundsätzliche
Fragen der Migräneprophylaxe adressieren am Beispiel des Vergleichs von Topiramat
und den CGRP-Antikörpern.
In der monozentrischen Studie von Overeem et al. aus Berlin haben die Autoren sämtliche
publizierten Phase-II-- und -III-Studien analysiert, die entweder Topiramat oder einen
CGRP-Antikörper mit Placebo zur Behandlung der episodischen Migräne verglichen haben.
Es konnten 13 Studien identifiziert werden, 5 zum Einsatz von Topiramat und 8 zum
Einsatz der CGRP-Antikörper. Mit den statistischen Methoden für Metaanalysen bei klinischen
Studien wurden verschiedene Zielgrößen untersucht. Hauptzielgröße war die Reduzierung
der monatlichen Migränetage. Diese lag für die CGRP-Antikörper nach Abzug der Placeborate
(therapeutic gain) bei 1,55 und für Topiramat bei 1,11. Dieser Unterschied war nicht
signifikant. Die Number needed to treat (NNT) lag für die CGRP-Antikörper bei 6 und
für Topiramat bei 7, dies war ebenfalls nicht signifikant. Bei der Analyse der kognitiven
und sensiblen Nebenwirkungen zeigte sich dagegen eine signifikant geringere Rate für
die CGRP-Antikörper im Vergleich zu Topiramat. Die Autoren schließen daraus, dass
Topiramat und CGRP-Antikörper ungefähr die gleiche Wirksamkeit aufweisen, dass die
CGRP-Antikörper jedoch deutlich besser wirken. Als Limitation für diesen Vergleich
werden die unterschiedlichen Studiendesigns angeführt.
Die zweite Publikation berichtet über die HERMES Studie. Hierbei wurden in 82 deutschen
Zentren Migränepatienten randomisiert und doppelblind entweder mit Erenumab oder mit
Topiramat behandelt. Hauptzielgröße war ungewöhnlicher Weise die Rate der Studienabbrecher.
Als ein sekundärer Endpunkt wurde der Anteil der Patienten gewählt, die eine Reduktion
der Migränetage um mehr als 50 % gegenüber der Baseline aufwiesen. Es wurden 777 Patienten
randomisiert. Die Abbruchquote lag für Erenumab bei 10,6 % und für Topiramat bei 38,9
% (p < 0,001). Die Responderrate lag für Erenumab bei 55,4 % und für Topiramat bei
31,2 % (p < 0,001). Zusammenfassend folgern die Autoren, dass Erenumab signifikant
besser vertragen wird und besser wirksam ist als Topiramat in der Behandlung der episodischen
Migräne von Erwachsenen.
Kommentar
Beide Studien widersprechen sich vordergründig. Man muss jedoch die Zusammenhänge
genauer betrachten und vor allem die Entstehungsbedingungen der jeweiligen Studien.
Die Metaanalyse hatte die Zulassungsstudien eingeschlossen, die für Topiramat und
für die CGRP-Antikörper durchgeführt worden waren. Dabei handelte es sich um sehr
aufwendige Studien in spezialisierten Zentren. Die Studien waren darauf angelegt,
eine Überlegenheit der Substanz gegenüber Placebo zu zeigen. Endpunkt war in variierenden
Definitionen die Häufigkeit der Migräne. Die Topiramat-Studien liegen dabei teilweise
20 Jahre zurück.
Schon bei den ersten klinischen Studien über die CGRP-Antikörper fiel auf, dass die
Wirksamkeit in Zahlen ausgedrückt gar nicht besser schien als vergleichbare Zahlen
für die konventionellen migräneprophylaktischen Medikamente. Es ist lange darüber
spekuliert worden, was die Gründe dafür sind. Dazu zählen die immer komplexer werdenden
Voraussetzungen für klinische Studien, die nur noch begrenzte Populationen in hoch
spezialisierten Zentren zulassen. Weiter spielt eine Rolle, dass als Zielparameter
immer die Tage mit Migräne gewertet werden, ohne dass andere Aspekte wie Lebensqualität,
Intensität oder Nebenwirkungen berücksichtigt werden. Es ist daher ein interessantes
Phänomen, dass sämtliche Studien zur Migräneprophylaxe zumindest der episodischen
Migräne In den letzten 20 Jahren fast identische Ergebnisse gezeigt haben völlig unabhängig
von der eingesetzten Substanz. Das Design scheint zu uniformen Ergebnissen zu führen.
Die HERMES-Studie dagegen hat eine Überlegenheit des CGRP-Antikörpers Erenumab gegenüber
Topiramat gezeigt. Diese Studie jedoch ist nicht unter den strengen Auflagen der klinischen
Zulassungsstudien durchgeführt worden, sondern spiegelte die wirkliche Welt der Migränebehandlung
in Deutschland wider. Daher ist es an dieser Stelle kein Wunder, dass eine Überlegenheit
von Erenumab gezeigt werden konnte. Dies erleben wir täglich in der Praxis. Dabei
ist zum ersten Mal überhaupt in einem direkten Vergleich die Überlegenheit eines CGRP-Antikörpers
gegenüber einem konventionellen migräneprophylaktischen Medikament gezeigt worden.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Ergebnis auch für andere Kombinationen von
CGRP-Antikörper und oralem Medikament eingetreten wäre. Kritisch ist gegen diese Studie
eingewendet worden, dass Topiramat als Vergleichssubstanz gewählt worden war, weil
zu erwarten war, dass gerade Topiramat eine hohe Zahl von Nebenwirkungen hervorrufen
würde. Dieser Einwand ist vordergründig richtig, man muss jedoch bedenken, dass in
dieser Studie ein hoher Anteil an Patienten mit chronischer Migräne vertreten war,
für die nur Topiramat in klinischen Studien eine spezifische Wirksamkeit gezeigt hat.
Insofern konnte nur Topiramat als Vergleichssubstanz herangezogen werden. Zu berücksichtigen
ist auch, dass der Vergleich der Wirksamkeit die Therapieabbrecher mit einbezogen
hat – Patienten die Topiramat (oder seltener Erenumab) wegen Nebenwirkungen beendet
hatten, hatten dann keine wirksame Therapie. Man muss hierbei berücksichtigen, dass
die HERMES-Studie in ihrem Design gemeinsam mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
entwickelt worden war. Die zuständige Firma Novartis wollte diese Studie verwenden,
um die Nutzungsbewertung für Erenumab neu zu verhandeln. Inzwischen hat auch der G-BA
einen Anhalt für einen erheblichen Zusatznutzen für Erenumab gegenüber der zugelassenen
Vergleichstherapie festgestellt. Dies bedeutet, dass nunmehr der Stellenwert von Erenumab
neu bewertet werden kann und dass auch in den Preisverhandlungen andere Voraussetzungen
vorliegen, sodass eine Preissenkung zu erwarten ist. Es muss an dieser Stelle jedoch
abschließend darauf hingewiesen werden, dass die HERMES-Studie vorerst nichts an den
Vorgaben des G-BA ändert, nämlich dass die CGRP-Antikörper inklusive Erenumab nur
beim Versagen der zugelassenen oralen migräneprophylaktische Medikamente zu Lasten
der Krankenkassen verordnet werden dürfen.
Stefan Evers, Coppenbrügge
Antikörper gegen CGRP im Vergleich zu OnabotulinumtoxinA bei chronischer Migräne –
eine indirekte Metaanalyse
Antikörper gegen CGRP im Vergleich zu OnabotulinumtoxinA bei chronischer Migräne –
eine indirekte Metaanalyse
*** Chen YY, et al. Calcitonin Gene-Related Peptide Monoclonal Antibodies Versus Botulinum
Neurotoxin a in the Preventive Treatment of Chronic Migraine: An Adjusted Indirect
Treatment Comparison Meta-Analysis. Front Pharmacol 2021; 12 :671845
OnabotulinumtoxinA wird bereits seit Jahren zu Behandlung der chronischen Migräne
(CM) eingesetzt. AK gegen CGRP sind neue Präparate in der Behandlung der CM. Head-to-Head-Vergleiche
zwischen AK gegen CGRP und OnabotulinumtoxinA existieren nicht. Diese indirekte Metaanalyse
der Wirksamkeit von AK gegen CGRP und OnabotulinumtoxinA bei CM will einen Beitrag
zur optimalen Behandlung liefern.
Hintergrund
Die CM ist eine Kopfschmerzerkrankung die mit einer sehr starken Beeinträchtigung
für die betroffenen Patienten einhergeht. Zur Therapie sind laut Leitlinie der DMKG/DGN
vor allem Topiramat und OnabotulinumtoxinA empfohlen [1]. Mit den Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor existieren weitere Substanzen,
die bei der CM sehr wirksam und zum Einsatz empfohlen sind. Im leitliniengerechten
Vorgehen ist OnabotulinumtoxinA vor den Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor
einzusetzen. Dies ist aus Kostengründen sinnvoll [2]. Bisher existieren keine Head-to-head-Vergleiche der Wirksamkeit von OnabotulinumtoxinA
gegenüber den Antikörpern.
Zusammenfassung
In der folgenden Studie handelt es sich um eine Metaanalyse zum indirekten Vergleich
der Wirksamkeit von OnabotulinumtoxinA gegenüber Antikörpern gegen CGRP (Fremanezumab,
Galcanezumab, Eptinezumab) bei CM. Eingeschlossen wurden bis September 2019 alle randomisierten,
placebokontrollierten Studien mit Antikörpern gegen CGRP oder OnabotulinumtoxinA in
der Behandlung der CM. Die CM musste nach den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft
(ICHD) gestellt worden sein. Zudem mussten folgende Outcome-Parameter auswertbar sein:
monatliche Migränetage oder Migräneattacken, monatliche Kopfschmerztage, monatliche
Kopfschmerzstunden, Intensität der Kopfschmerzen, monatliche Einnahme einer Akutmedikation,
spezifische Fragebögen wie HIT-6 oder MIDAS. Studien mit Erenumab sowie mit einem
Cross-over-Design wurden ausgeschlossen. Als primäre Endpunkte wurden die mittlere
Veränderung der monatlichen Migränetage und Kopfschmerztage ausgewählt. Sekundäre
Endpunkte waren die Anzahl der monatlichen Kopfschmerzstunden, die Anzahl der Patienten
mit einer mehr als 50 %igen Reduktion der Kopfschmerzfrequenz, eine Veränderung im
HIT-6 und MIDAS sowie die Nebenwirkungen der Therapie. Es wurden 10 Studien mit 4678
Patienten ausgewählt, davon hatten 6 Studien ein geringes Risiko und 4 Studien ein
moderates Risiko eines Bias.
Die Ergebnisse (Auswertung von 6 RCT, n = 2809) hinsichtlich der Kopfschmerztage nach
12 Wochen zeigten, dass OnabotulinumtoxinA hier am effektivsten war, allerdings ohne
signifikanten Unterschied zu den Antikörpern. Dem gegenüber zeigte sich bei der Analyse
der Migränetage nach 12 Wochen (Auswertung 4 RCT, n = 2452) eine Überlegenheit der
Antikörper gegenüber OnabotulinumtoxinA, die für Galcanezumab signifikant war. Bezüglich
der Anzahl der Stunden mit Kopfschmerzen war nach 24 Wochen (Auswertung 4 RCT, n =
2742) eine signifikante Reduktion von Galcanezumab gegenüber OnabotulinumtoxinA nachweisbar.
Hinsichtlich der mehr als 50 %igen Reduktion der Kopfschmerzattackenfrequenz nach
12 Wochen (Auswertung von 4 RCT, n = 1826) nahm OnabotulinumtoxinA einen mittleren
Platz ein, ohne signifikante Unterschiede zu den Antikörpern. In der Auswertung des
HIT-6 zeigte sich nach 12 Wochen eine signifikante Überlegenheit von Fremanezumab
gegenüber OnabotulinumtoxinA sowie beim MIDAS nach 12 Wochen eine Überlegenheit von
Galcanezumab gegenüber OnabotulinumtoxinA. Bezüglich der Nebenwirkungen gab es bei
Woche 12 keine signifikanten Unterschiede, während bei Woche 24 Eptinezumab besser
abschnitt als OnabotulinumtoxinA.
Zusammenfassend konnte dieser indirekte Vergleich der Wirksamkeit von Antikörpern
gegen CGRP und OnabotulinumtoxinA zeigen, dass beide effektiv die Kopfschmerztage
reduzieren. Galcanezumab war OnabotulinumtoxinA in der Reduzierung der Migränetage
in Woche 12 und der Kopfschmerzstunden in Woche 24 überlegen. Die Reduktion der Kopfschmerztage
und die mehr als 50 %ige Reduktion der Kopfschmerzfrequenz zeigte zwischen Antikörpern
und OnabotulinumtoxinA keinen Unterschied. Beide zeigten eine ähnliche Rate von Nebenwirkungen
sowie Verträglichkeit. Bei der Interpretation der Ergebnisse gibt es verschiedene
Aspekte zu berücksichtigen. In den Studien sind unterschiedliche Kriterien für die
CM genutzt worden (ICHD-2 bzw. ICHD-3beta). Die Autoren fassen zusammen, dass die
monatlichen Kopfschmerztage und die monatlichen Migränetage zur Baseline zwischen
beiden Gruppen vergleichbar seien. Zudem hatten beide Gruppen einen ähnlichen Anteil
von Patienten mit Medikamentenübergebrauch. Auch die Placeboansprechrate war vergleichbar.
Kommentar
Diese indirekte Metaanalyse vergleicht die Wirksamkeit von OnabotulinumtoxinA und
Antikörpern gegen CGRP bei CM, da keine Head-to-head-Studien existieren. Es handelt
sich um eine sehr relevante Fragestellung, da die Antikörper gegen CGRP in der klinischen
Erfahrung durchaus Vorteile (schnellere Wirksamkeit, bessere Verträglichkeit) gegenüber
OnabotulinumtoxinA zeigen. Zudem favorisieren manche Patienten die monatliche oder
quartalsweise einmalige Antikörper-Injektion. Die vorliegenden Daten zeigen eine vergleichbare
Reduktion der Kopfschmerztage, aber eine Überlegenheit von Galcanezumab bei der Reduktion
der Migränetage. In die Analyse der Migränetage gingen allerdings nur 110 Patienten
mit OnabotulinumtoxinA-Behandlung ein, da die Migränetage zu dieser Zeit noch kein
üblicher Studienendpunkt waren, das gleiche gilt für die Analyse des HIT und MIDAS.
Zudem birgt die Analyse einige strukturelle Schwierigkeiten wie unterschiedliches
Studiendesign, unterschiedliche Endpunkte sowie Lokalisationen und Schemata der Injektionen.
Warum Erenumab nicht berücksichtigt wurde ist unklar. Andere Arbeiten konnten bei
Patienten mit CM und fehlender Wirksamkeit von OnabotulinumtoxinA mit Erenumab eine
signifikante Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage erreichen [3]. Unterm Strich ergibt sich aus den Daten eine vergleichbare Wirksamkeit von Antikörpern
gegen CGRP und OnabotulinumtoxinA hinsichtlich der Reduktion der Kopfschmerztage.
Eine geringe Überlegenheit der Antikörper besteht hinsichtlich der Reduktion der Migränetage
und möglicherweise einer geringeren Anzahl von Nebenwirkungen. Genauere Ergebnisse
werden nur Head-to-head-Studien bringen können.
Torsten Kraya, Leipzig
Lasmiditan bei Migränepatienten mit unzureichendem Ansprechen auf Triptane
Lasmiditan bei Migränepatienten mit unzureichendem Ansprechen auf Triptane
Reuter U, et al. Lasmiditan efficacy in the acute treatment of migraine was independent
of prior response to triptans: Findings from the CENTURION study. Cephalalgia 2021.
doi: 10.1177/03331024211048507
Hintergrund
Lasmiditan ist ein selektiver 5-HT1F-Rezeptoragonist, der für die Akuttherapie der
Migräne entwickelt wurde. Er gehört zur Gruppe der Ditane und bindet – anders als
Triptane – kaum an den 1B-Subtyp des Serotoninrezeptors, weshalb keine relevante Vasokonstriktion
ausgelöst wird [1]. Die in 3 placebokontrollierten Studien bestätigte Wirksamkeit [2]–[4] beruht wahrscheinlich in erster Linie auf der reduzierten Weiterleitung nozizeptiver
Signale im Ganglion trigeminale und dem Nucleus caudalis n. trigemini [1]. Eine dieser Studien war die CENTURION-Studie, in die erwachsene Patienten mit episodischer
Migräne (EM) eingeschlossen wurden, die im Migraine Disability Assessment Test (MIDAS)
mindestens 11 Punkte erreicht hatten. Die Teilnehmer behandelten bis zu 4 Migräneattacken
– je nach Gruppenzugehörigkeit – mit 100 mg Lasmiditan, 200 mg Lasmiditian oder Placebo.
In beiden Verumgruppen waren die Patienten nach 2 Stunden signifikant häufiger schmerzfrei
als in der Placebogruppe. Zudem war der Anteil der Patienten in der Verumgruppe, bei
denen die Behandlung bei mindestens zwei Drittel aller behandelten Anfälle nach 2
Stunden zu Schmerzfreiheit geführt hat, signifikant höher als in der Placebogruppe
[2]. Der klinische Stellenwert des Medikaments, das bisher in den USA, nicht aber in
der EU und der Schweiz zugelassen ist, ist noch unklar. Zumindest anfänglich ist ein
überwiegender Einsatz bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf oder Kontraindikationen
gegen Triptane zu erwarten. Die hier vorgestellte Studie analysiert die Wirksamkeit
von Lasmiditan in dieser Patientengruppe [5].
Zusammenfassung
Diese Post-hoc-Analyse von Daten der CENTURION-Studie untersucht, ob die Wirksamkeit
von Triptanen bei Migränepatienten ein prognostischer Faktor hinsichtlich des Ansprechens
auf Lasmiditan ist [5]. Von unzureichendem Ansprechen gehen die Autoren aus, wenn Triptane bei zwei Drittel
aller behandelten Attacken nicht zu Schmerzfreiheit nach 2 Stunden führten, die Patienten
im Migraine Treatment Optimization Questionnaire 6 (mTOQ-6) nur eine geringe Punktzahl
erreichten oder Triptane wegen unzureichender Wirkung, schlechten Vertragens oder
Kontraindikationen abgesetzt wurden. Mindestens eines dieser Kriterien erfüllten 43
% der Teilnehmer (entsprechend 633 Patienten). Beim ersten behandelten Anfall waren
Patienten in der Verumgruppe mit unzureichendem Ansprechen auf Triptane nach 2 Stunden
signifikant häufiger schmerzfrei als in der Placebogruppe. Es gab keinen Unterschied
zu den Patienten in der Verumgruppe, die in der Vergangenheit auf Triptane angesprochen
hatten. Auch der Anteil der Patienten, bei denen Lasmiditan bei mindestens zwei Drittel
der behandelten Anfälle zu Schmerzfreiheit nach 2 Stunden geführt hatte, war höher
als in der Placebogruppe. Es gab ebenfalls keinen Unterschied zu den Patienten, die
in der Vergangenheit auf Triptane angesprochen hatten.
Die gleichen Analysen wurden in der Patientensubgruppe durchgeführt, bei denen Triptane
nicht gewirkt hatten – unter Ausschluss derer, die Kontraindikationen hatten oder
das Medikament wegen Unverträglichkeit absetzen mussten. Auch hierbei ergaben sich
vergleichbare Ergebnisse. Auch bei Patienten, bei denen 2Triptane in der Vergangenheit
keine Wirkung gezeigt hatten, war das Verum dem Placebo numerisch überlegen – ein
statischer Test wurde hier nicht durchgeführt. Die vorliegenden Daten legen somit
nahe, dass das Ansprechen auf ein Triptan keinen Vorhersagewert hinsichtlich der Wirksamkeit
von Lasmiditan hat.
Kommentar
Nimmt man an, dass es nicht die 5-HT1B-Rezeptorvermittelte Vasokonstriktion ist, die
für die Migränebehandlung relevant ist [1], wäre tatsächlich denkbar gewesen, dass nur diejenigen auf Lasmiditan ansprechen,
die auch auf Triptane ansprechen. Dass dies nicht der Fall ist, gibt all denen Hoffnung,
bei denen bisher kein Triptan gewirkt hat. Andererseits ist bekannt, dass auch das
Nichtansprechen auf ein Triptan nur einen geringen prognostischen Wert hinsichtlich
des Ansprechens auf andere Triptane hat [6]. Interessant wäre gewesen, ob sich Patienten, bei denen viele oder alle Triptane
keine Wirkung gezeigt haben, von denen unterscheiden, bei denen nur eines nicht gewirkt
hat. Bei ersterer Gruppe wäre eine Wirkungslosigkeit des Mechanismus denkbar, während
letztere Gruppe möglicherweise eine bestimmte Pharmakokinetik oder Darreichungsform
benötigt. Dass in dieser Studie in der Patientengruppe, in der 2 Triptane keine Wirkung
gezeigt hatten, keine statistischen Tests durchgeführt wurden, ist zu bedauern, dürfte
aber an der kleinen Patientenzahl liegen. Zu bedenken ist bei dieser Studie auch,
dass das Ansprechen auf Lasmiditan zwar präzise dokumentiert, die Wirkung der Triptane
aber nur erfragt wurde. Somit könnte ein Recall-Bias die Beurteilung der Daten erschweren.
Wie sich Lasmiditan im Vergleich zu den etablierten Medikamenten positioniert werden
erst Phase-IV-Studien zeigen können. Die vorliegenden Daten geben keine Auskunft darüber,
wie sich Patienten entscheiden, die aus mehreren Substanzen wählen können. Zusammenfassend
handelt es sich um eine interessante Post-hoc-Studie, die Hoffnung macht, dass Lasmiditan
eine Migräne lindert, wenn Triptane nicht eingesetzt werden können oder keine Wirkung
zeigen.
Heiko Pohl, Zürich
Perimenstruelle Migräneattacken sind länger und schwerer als nicht perimenstruelle
Migräneattacken
Perimenstruelle Migräneattacken sind länger und schwerer als nicht perimenstruelle
Migräneattacken
*** van Casteren DS, et al. Comparing perimenstrual and non-perimenstrual migraine
attacks using an e-diary. Neurology 2021; 97: e1661-e1671
Hintergrund
Eine Reihe tagebuchbasierter epidemiologischer Studien zeigten, dass Migräneattacken,
die perimenstruell auftreten, signifikant länger dauern [1] und schwerer [2] sind, zudem häufiger von Erbrechen [3] begleitet werden, geringer auf die Akutmedikation ansprechen [1], [2] und insgesamt deutlich beeinträchtigender [4] sind als Attacken ohne Korrelation zur Menstruation. Die vorliegende, niederländische,
longitudinale prospektive Kohortenstudie beschäftigt sich mit den Charakteristika
perimenstrueller und nicht perimenstrueller Migräneattacken sowohl bei Patientinnen
mit MRM (menstrually related migraine) und nicht-MRM und beurteilt darüber hinaus
die Beziehung zu einem eventuell vorhandenen perimenstruellen Syndrom (PMS).
Zusammenfassung
Die Patientenrekrutierung erfolgte 2-stufig mit Hilfe eines von der Universität Leiden
validierten Fragebogens. Von den 901 Patientinnen, die die Screening Kriterien erfüllten,
also weder schwanger noch stillend oder postmenopausal waren, füllten 500 Patientinnen
das elektronische (e-) Tagebuch für mindestens einen Monat aus, 396 Patientinnen lieferten
Daten von 3 Menstruationszyklen. Die Diagnose Migräne wurde mit Hilfe eines validierten
Fragebogens, der auf den Kriterien der internationalen Klassifikation für Kopfschmerzerkrankungen
(ICHD-3) basiert, gestellt. Die endgültige Diagnosestellung erfolgte durch einen neurologischen
Assistenzarzt nach Konsultation eines Kopfschmerzspezialisten. Täglich um 9 Uhr wurden
die Studienteilnehmerinnen erinnert, das e-Tagebuch mit 6 bis 31 Fragen (je nachdem,
ob eine Migräneattacke aufgetreten war oder nicht) auszufüllen. Es wurden weitere
5 Fragen zur Menstruation, wenn vorhanden, und zu einem eventuellen PMS (perimenstruellen
Syndrom) basierend auf der DRSP-Skala (Daily Record of Severity of Problems), gestellt.
Das PMS wurde nur bei Frauen, die Daten von 3 Zyklen lieferten, berücksichtigt.
Perimenstruelle Attacken dauerten (unter Einbeziehung migränefreier Zeit von < 24
Stunden) im Mittel 20 Stunden, nicht perimenstruelle Attacken hingegen 16 Stunden.
Nach Korrektur von Störfaktoren, wie chronische Migräne, MOH (medication overuse headache)
und Verwendung oraler kombinierter Kontrazeptiva dauerten die perimenstruellen Attacken
35 % länger. Wenn die schmerzfreie Zeit auf bis zu 48 Stunden ausgedehnt wurde, dauerten
die perimenstruellen Attacken sogar 85 % länger. Auch trat bei der Akuttherapie perimenstrueller
Attacken trotz vergleichbarer Schmerzfreiheit nach 2 Stunden, häufiger ein Wiederkehrkopfschmerz
auf, der Triptangebrauch war höher, die Schmerzbewältigung schlechter, die Attackenintensität
höher und die Foto- und Fonophobie stärker ausgeprägt. Nausea und Erbrechen hingegen
traten gleich häufig auf. In Subgruppenanalysen zeigte sich, dass der Unterschied
zwischen perimenstruellen und nicht perimenstruellen Attacken bei den Frauen mit MRM
ausgeprägter war als bei Patientinnen mit nicht-MRM. Bei Frauen mit natürlichem Menstruationszyklus
war die Attackendauer von perimenstruellen Attacken 31 % länger im Vergleich zu nicht
perimenstruellen Attacken bei migränefreier Zeit < 24 h und 79 % länger bei migränefreier
Zeit bis 48 h.
Kommentar
Diese Studie mit einer relativ hohen Patientenanzahl verwendete ein elektronisches
Tagebuch, wobei die Patienten jeden Tag erinnert wurden, Daten der letzten 24 Stunden
einzutragen, falls notwendig wurden sie noch weitere Male ans Ausfüllen erinnert.
Ein Zeitschloss nach 6 Tagen verhinderte, dass die Patienten erst am Ende der Studie
das Tagebuch ausfüllten und sich dann möglicherweise nur mehr bruchstückhaft oder
gar falsch an die Migräneattacken erinnerten. Obwohl die Studie sorgfältig geplant
und durchgeführt wurde, ist der Erkenntniszuwachs insgesamt nur gering, da bereits
mehrere Studien, dieselben Fragen bearbeiteten und zu sehr ähnlichen Ergebnissen kamen.
Da perimenstruelle Attacken länger dauern und stärker sind, ist es nicht überraschend,
sondern eher zu erwarten, dass die Beeinträchtigung durch diese Attacken höher ist.
Gabriele Sixt, Bozen
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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**
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und
Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen)
und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.