Nervenheilkunde 2022; 41(01/02): 75-79
DOI: 10.1055/a-1650-1966
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Vergleich zwischen CGRP(R)-Antikörpern und Topiramat: Verträglichkeit und Wirksamkeit

****Overeem LH, et al. Indirect comparison of topiramate and monoclonal antibodies against CGRP or its receptor for the prophylaxis of episodic migraine: a systematic review with meta-analysis. CNS Drugs 2021; 35: 805–820

****Reuter U, et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia 2021. doi: 10.1177/03331024211053571

In dieser Besprechung soll auf 2 Publikationen eingegangen werden, die grundsätzliche Fragen der Migräneprophylaxe adressieren am Beispiel des Vergleichs von Topiramat und den CGRP-Antikörpern.

In der monozentrischen Studie von Overeem et al. aus Berlin haben die Autoren sämtliche publizierten Phase-II-- und -III-Studien analysiert, die entweder Topiramat oder einen CGRP-Antikörper mit Placebo zur Behandlung der episodischen Migräne verglichen haben. Es konnten 13 Studien identifiziert werden, 5 zum Einsatz von Topiramat und 8 zum Einsatz der CGRP-Antikörper. Mit den statistischen Methoden für Metaanalysen bei klinischen Studien wurden verschiedene Zielgrößen untersucht. Hauptzielgröße war die Reduzierung der monatlichen Migränetage. Diese lag für die CGRP-Antikörper nach Abzug der Placeborate (therapeutic gain) bei 1,55 und für Topiramat bei 1,11. Dieser Unterschied war nicht signifikant. Die Number needed to treat (NNT) lag für die CGRP-Antikörper bei 6 und für Topiramat bei 7, dies war ebenfalls nicht signifikant. Bei der Analyse der kognitiven und sensiblen Nebenwirkungen zeigte sich dagegen eine signifikant geringere Rate für die CGRP-Antikörper im Vergleich zu Topiramat. Die Autoren schließen daraus, dass Topiramat und CGRP-Antikörper ungefähr die gleiche Wirksamkeit aufweisen, dass die CGRP-Antikörper jedoch deutlich besser wirken. Als Limitation für diesen Vergleich werden die unterschiedlichen Studiendesigns angeführt.

Die zweite Publikation berichtet über die HERMES Studie. Hierbei wurden in 82 deutschen Zentren Migränepatienten randomisiert und doppelblind entweder mit Erenumab oder mit Topiramat behandelt. Hauptzielgröße war ungewöhnlicher Weise die Rate der Studienabbrecher. Als ein sekundärer Endpunkt wurde der Anteil der Patienten gewählt, die eine Reduktion der Migränetage um mehr als 50 % gegenüber der Baseline aufwiesen. Es wurden 777 Patienten randomisiert. Die Abbruchquote lag für Erenumab bei 10,6 % und für Topiramat bei 38,9 % (p < 0,001). Die Responderrate lag für Erenumab bei 55,4 % und für Topiramat bei 31,2 % (p < 0,001). Zusammenfassend folgern die Autoren, dass Erenumab signifikant besser vertragen wird und besser wirksam ist als Topiramat in der Behandlung der episodischen Migräne von Erwachsenen.

Kommentar

Beide Studien widersprechen sich vordergründig. Man muss jedoch die Zusammenhänge genauer betrachten und vor allem die Entstehungsbedingungen der jeweiligen Studien. Die Metaanalyse hatte die Zulassungsstudien eingeschlossen, die für Topiramat und für die CGRP-Antikörper durchgeführt worden waren. Dabei handelte es sich um sehr aufwendige Studien in spezialisierten Zentren. Die Studien waren darauf angelegt, eine Überlegenheit der Substanz gegenüber Placebo zu zeigen. Endpunkt war in variierenden Definitionen die Häufigkeit der Migräne. Die Topiramat-Studien liegen dabei teilweise 20 Jahre zurück.

Schon bei den ersten klinischen Studien über die CGRP-Antikörper fiel auf, dass die Wirksamkeit in Zahlen ausgedrückt gar nicht besser schien als vergleichbare Zahlen für die konventionellen migräneprophylaktischen Medikamente. Es ist lange darüber spekuliert worden, was die Gründe dafür sind. Dazu zählen die immer komplexer werdenden Voraussetzungen für klinische Studien, die nur noch begrenzte Populationen in hoch spezialisierten Zentren zulassen. Weiter spielt eine Rolle, dass als Zielparameter immer die Tage mit Migräne gewertet werden, ohne dass andere Aspekte wie Lebensqualität, Intensität oder Nebenwirkungen berücksichtigt werden. Es ist daher ein interessantes Phänomen, dass sämtliche Studien zur Migräneprophylaxe zumindest der episodischen Migräne In den letzten 20 Jahren fast identische Ergebnisse gezeigt haben völlig unabhängig von der eingesetzten Substanz. Das Design scheint zu uniformen Ergebnissen zu führen.

Die HERMES-Studie dagegen hat eine Überlegenheit des CGRP-Antikörpers Erenumab gegenüber Topiramat gezeigt. Diese Studie jedoch ist nicht unter den strengen Auflagen der klinischen Zulassungsstudien durchgeführt worden, sondern spiegelte die wirkliche Welt der Migränebehandlung in Deutschland wider. Daher ist es an dieser Stelle kein Wunder, dass eine Überlegenheit von Erenumab gezeigt werden konnte. Dies erleben wir täglich in der Praxis. Dabei ist zum ersten Mal überhaupt in einem direkten Vergleich die Überlegenheit eines CGRP-Antikörpers gegenüber einem konventionellen migräneprophylaktischen Medikament gezeigt worden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Ergebnis auch für andere Kombinationen von CGRP-Antikörper und oralem Medikament eingetreten wäre. Kritisch ist gegen diese Studie eingewendet worden, dass Topiramat als Vergleichssubstanz gewählt worden war, weil zu erwarten war, dass gerade Topiramat eine hohe Zahl von Nebenwirkungen hervorrufen würde. Dieser Einwand ist vordergründig richtig, man muss jedoch bedenken, dass in dieser Studie ein hoher Anteil an Patienten mit chronischer Migräne vertreten war, für die nur Topiramat in klinischen Studien eine spezifische Wirksamkeit gezeigt hat. Insofern konnte nur Topiramat als Vergleichssubstanz herangezogen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Vergleich der Wirksamkeit die Therapieabbrecher mit einbezogen hat – Patienten die Topiramat (oder seltener Erenumab) wegen Nebenwirkungen beendet hatten, hatten dann keine wirksame Therapie. Man muss hierbei berücksichtigen, dass die HERMES-Studie in ihrem Design gemeinsam mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) entwickelt worden war. Die zuständige Firma Novartis wollte diese Studie verwenden, um die Nutzungsbewertung für Erenumab neu zu verhandeln. Inzwischen hat auch der G-BA einen Anhalt für einen erheblichen Zusatznutzen für Erenumab gegenüber der zugelassenen Vergleichstherapie festgestellt. Dies bedeutet, dass nunmehr der Stellenwert von Erenumab neu bewertet werden kann und dass auch in den Preisverhandlungen andere Voraussetzungen vorliegen, sodass eine Preissenkung zu erwarten ist. Es muss an dieser Stelle jedoch abschließend darauf hingewiesen werden, dass die HERMES-Studie vorerst nichts an den Vorgaben des G-BA ändert, nämlich dass die CGRP-Antikörper inklusive Erenumab nur beim Versagen der zugelassenen oralen migräneprophylaktische Medikamente zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen.

Stefan Evers, Coppenbrügge


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Article published online:
09 February 2022

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