Die Wirbelsäule 2021; 05(04): 214-216
DOI: 10.1055/a-1533-4012
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Lumbale Diskektomie: Schlechtere Ergebnisse bei langer Schmerzdauer

Ulf Christoph Schneider
1   Charité-Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurochirurgie, Berlin
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Die maßgebliche Fragestellung, die die Autor:innen um Joel Beck durch ihre Daten beantworten möchten, so schreiben sie selbst, ist die Frage nach dem günstigsten OP-Zeitpunkt bei einem lumbalen Bandscheibenvorfall. Sie bedienen sich hierzu der Daten des nationalen schwedischen Wirbelsäulenregisters Swespine, um mit einer großen Patientenzahl robuste Daten zu generieren.

Die Studie hat alle typischen Stärken und Schwächen einer Registerstudie. Um robuste Daten für eine sehr genau formulierte Fragestellung zu erzeugen wurden sehr enge Einschlusskriterien an die Studienpopulation gelegt. Während die Zahl der Patient:innen im arbiträren Zeitraum über 5 Jahre lag bei 43.556 lag wurden für die Auswertung nur 6216 Patient:innen herangezogen. Ein maßgebliches Patient:innenkollektiv in Wirbelsäulensprechstunden mit einem Alter von >65 Jahren und degenerativen Begleiterkrankungen der Wirbelsäule wurde ausgeschlossen, so dass bei der Interpretation der Studie wichtig ist, und auch von den Autor:innen herausgestellt wird, dass die Ergebnisse ausschließlich für die Beratung von nicht weiter vorerkrankten Patient:innen mit erstem Bandscheibenvorfall der untersten drei Segmente der LWS herangezogen werden dürfen. Auf Grund des Designs einer Registerstudie bleiben aber auch wichtige methodische Fragen unbeantwortbar. Vorrangig die maßgebliche Frage, ob jemand mit Ischialgien, die länger als 24 Monate bestehen vergleichbar günstige Voraussetzungen für eine Operation (oder Therapie im Allgemeinen) aufweist, wie jemand mit nur 3 Monaten bestehender Ischialgie. Hinweise hierauf geben beispielsweise der signifikant geringere Schmerzmittelgebrauch und die höhere Rate an Rückenschmerzen in der Gruppe mit deutlich länger bestehender Ischialgie, wie auch die signifikant höhere NRS (Ischialgie), ODI und niedrigeren EQ-Werte in der Gruppe mit kürzer bestehender Ischialgie. All dies weist darauf hin, dass die Gruppen eventuell nicht optimal vergleichbar sind.

Bezüglich der Besserung der Ischialgie profitierten letztlich alle Gruppen deutlich von der Operation. Den größten Profit hatte hierbei die Gruppe mit nur kurzzeitig bestehender präoperativer Ischialgie (<3 Monate). Dieses maßgebliche Ergebnis reproduziert und untermauert frühere Studienergebnisse mit der Power einer Registerstudie mit großen Datenmengen [1] [2] [3] [4] [5]. Es bleibt hier allerdings festzustellen, dass eine Signifikanz im Unterschied der Gesamtzufriedenheit im postoperativen 1-Jahres-Verlauf lediglich im Vergleich der Gruppen mit präoperativer Dauer der Ischialgie kürzer als 12 Monate mit der länger als 12 Monate gezeigt werden konnte. Gründe hierfür diskutieren die Autor:innen multifaktoriell (sozial, somatisch, psychologisch). Hier hätte die Studie durchaus kräftiger argumentieren und die Gefahr einer Chronifizierung von Schmerzen stärker diskutieren können, denn das ist im Grunde das was hiermit gezeigt wird. Die Daten der Studie können von Verfechter:innen der Operation wie auch von Befürworter:innen der prolongierten konservativen Therapie auf unterschiedliche Weise interpretiert werden. Während erstere Ihren Patient:innen nun noch robustere Daten nennen können, die für eine frühere Operation sprechen werden letztere argumentieren, dass auch noch nach längerer Dauer der Ischialgie eine signifikante Besserung erzielt werden kann, und weiterhin von einer frühzeitigen Operation abraten. An dieser Stelle sollte eine fundierte Argumentation über die Gefahren einer Chronifizierung von Schmerzen folgen, und hätte die Diskussion der Arbeit sicher bereichert.

Zusammenfassend darf man aber sagen, dass analog zur aktuellen S2k-Leitlinie zur Versorgung von Bandscheibenvorfällen die Daten für eine frühe Überprüfung eines operativen Vorgehens bei unzureichendem Rückgang der Ischialgie unter adäquater konservativer Therapie noch nie so gut war wie derzeit.



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Article published online:
03 November 2021

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