Gefäßmedizin Scan - Zeitschrift für Angiologie, Gefäßchirurgie, diagnostische und interventionelle Radiologie 2021; 08(02): 123-136
DOI: 10.1055/a-1479-1125
CME-Fortbildung

Schlaganfall: Logistik in der Thrombektomie-Ära

Tobias Neumann-Haefelin
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Die mechanische Thrombektomie hat die Akutbehandlung des ischämischen Schlaganfalls revolutioniert. Schwerbetroffene Patienten mit einem Großgefäßverschluss (GGV) können von der Behandlung erheblich profitieren, die aber nur in einem Teil der Stroke Units in Deutschland angeboten wird. Von überragender Bedeutung ist eine möglichst optimale Organisation der lokalen Versorgungs- und Behandlungsnetzwerke. Gerade bei Thrombektomiepatienten ist die Logistik sowohl in der Prähospitalphase als auch initial im Krankenhaus herausfordernd.

Fallbeispiel

Fall 1


Eine 70-jährige Patientin wird durch den Rettungsdienst mit einer 2 Stunden zuvor akut aufgetretenen schweren Hemisymptomatik links und einer Kopf- und Blickwendung nach rechts in die Zentrale Notaufnahme gebracht. Nach Ausschluss einer Blutung im CT wird eine i. v. Lysetherapie gestartet. In der CT-Angiografie zeigt sich ein proximaler Verschluss der A. cerebri media im M1-Segment. Die Patientin wird umgehend ins Katheterlabor gebracht und dort mittels Stent-Retriever mechanisch thrombektomiert (s. [Abb. 1]).

Zoom
Abb. 1 Mechanische Thrombektomie bei der Patientin aus Kasuistik 1 (mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Kai Kallenberg, Klinik für diagnostische und interventionelle Neuroradiologie, Klinikum Fulda) a Angiogramm vor Thrombektomie. b Angiogramm nach Thrombektomie. c Stent-Retriever mit geborgenem Thrombusmaterial.
Fazit

Take Home Message

Der Schlaganfall ist der häufigste neurologische Notfall. Rekanalisierende Verfahren stellen die einzige kausale Therapie in der Akutphase des ischämischen Schlaganfalls dar.

Fazit

Take Home Message

Schlaganfallpatienten sollen in Kliniken mit Stroke Unit versorgt werden. Eine Thrombolyse kann in allen Stroke Units in Deutschland durchgeführt werden. Überregional zertifizierte Stroke Units bieten zusätzlich auch die mechanische Thrombektomie rund um die Uhr (24/7/365) an. Die Prozedur wird in der Regel durch Radiologen mit neurointerventioneller Expertise durchgeführt.

Fazit

Take Home Message

Das Zeitfenster für eine rekanalisierende Therapie kann unter bestimmten Umständen bis zu 24 Stunden nach Symptombeginn betragen. Auch Patienten mit einem Wake-up-Schlaganfall können potenziell behandelt werden (s. a. Fallbeispiel 2).

Fazit

Take Home Message

Die Mehrzahl der Schlaganfallpatienten wird aktuell (noch) in die nächstgelegegene Stroke Unit gebracht, unabhängig von der Schwere der Schlaganfallsymptome. Beim Nachweis eines Großgefäßverschlusses erfolgt dann ein Transport in ein Thrombektomiezentrum.

Fazit

Take Home Message

Schwer betroffene Schlaganfallpatienten haben mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Großgefäßverschluss.

Es gibt mehrere einfach zu erhebende klinische Scores, mit denen die Schlaganfallschwere abgebildet werden kann. Alle bekannten Scores korrelieren bei hohen Werten gut mit einem Großgefäßverschluss, sind aber nicht perfekt in der Vorhersage.

Fallbeispiel

Fall 2

Der Rettungsdienst wird gegen 7.30 Uhr zu einer 80-jährigen Patientin gerufen. Die Angehörigen berichten, die ansonsten noch rüstige Patientin sei mit einer Sprachstörung und erheblichen Schwäche der rechten Körperseite aufgewacht. Es wird ein pathologischer FAST-Test (3/3-Punkte) und eine Blickwendung nach links registriert (G-FAST 4/4 Punkte).

In der Medikationsliste findet sich das Präparat „Xarelto (bei Vorhofflimmern)“, das sie gestern Abend zuletzt eingenommen hat. Eine Thrombolysetherapie kommt damit vermutlich nicht in Frage. Die Tatsache, dass die Patientin mit dem Schlaganfall aufgewacht ist, wäre aufgrund neuer Studiendaten keine zwingende Kontraindikation gewesen. Es ist aber möglich und aufgrund der schweren Schlaganfallsymptomatik sogar wahrscheinlich, dass die Patientin einen Großgefäßverschluss hat und damit von einer mechanischen Thrombektomie profitieren würde.

Zwei Einrichtungen mit SU (mit bzw. ohne Thrombektomiedienst) sind gleich weit vom Einsatzort entfernt. Nach Rücksprache mit der Leitstelle wird die Patientin in die Einrichtung mit Thrombektomiedienst gebracht und dort schließlich thrombektomiert.

Fazit

Take Home Message

Mobile Stroke Units (MSUs) sind spezielle Rettungsmittel mit u. a. einem CT, die nach Blutungsausschluss eine Lyse vor Ort erlauben. Durch eine ergänzende CTA kann ein Großgefäßverschluss nachgewiesen werden und direkt ein Thrombektomiezentrum angefahren werden.

Fazit

Take Home Message

Statt der Sekundärverlegung eines Patienten aus einem regionalen in ein überregionales Zentrum gibt es auch Modelle, bei denen der Interventionalist entweder bodengebunden oder per Hubschrauber zum Patienten gebracht wird.

Kernaussagen
  • Patienten mit Großgefäßverschluss (GGV) sind meist schwer betroffen und haben ohne erfolgreiche Rekanalisation eine sehr schlechte Prognose.

  • Die mechanische Thrombektomie ist bei Schlaganfallpatienten mit einem GGV eine hochwirksame Therapie.

  • Etwa 5 % aller Schlaganfallpatienten werden aktuell in Deutschland thrombektomiert. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 10 % potenziell thrombektomiert werden könnten. Das Zeitfenster beträgt bis zu 24 h.

  • Einrichtungen mit überregional zertifizierter Stroke Unit bieten die mechanische Thrombektomie 24/7 an.

  • Schlaganfallpatienten werden meist in die nächstgelegene Stroke Unit gebracht und bei Nachweis eines GGV in ein Thrombektomiezentrum verlegt, sofern vor Ort keine Thrombektomiemöglichkeit besteht.

  • Eine enge Kooperation zwischen Zentren unterschiedlicher Versorgungsstufen, in der Regel in einem festen Netzwerk, ist von wesentlicher Bedeutung für den Behandlungserfolg.

  • Alternative Strategien (z. B. der Einsatz von klinischen Scores, mobile Stroke Units, Drive-the-Doctor- bzw. Flying-Doctors-Konzepte) sind in Erprobung und können die Zeit bis zur Behandlung potenziell verkürzen.



Publication History

Article published online:
09 June 2021

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