Arthritis und Rheuma 2021; 41(02): 148-150
DOI: 10.1055/a-1395-9115
Kasuistik Kinderrheumatologie

Leptospirose-assoziiertes Kawasaki-Syndrom – Differenzialdiagnose oder Krankheitsassoziation?

Mohammed Nashawi
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
,
Friedrich Reichert
2   Abteilung für pädiatrische Infektiologie und pädiatrische Notfallmedizin, Klinikum Stuttgart
,
Friederike Blankenburg
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
,
Anita Heinkele
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
,
Christian Stirnkorb
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
,
Felix Noll
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
,
Kirsten Timmermann
3   Abteilung für Pädiatrische Nephrologie, Klinikum Stuttgart
,
Toni Hospach
1   Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Das Kawasaki-Syndrom (KS) ist eine systemische Vaskulitis, die mittelgroße Arterien betrifft. Obwohl Diagnose- und Klassifizierungskriterien existieren, kann die Abgrenzung von anderen Krankheiten schwierig sein.

Falldarstellung: Bei einer 3-jährigen Patientin wurden neben Fieber folgende Symptome und Befunde festgestellt: Konjunktivitis, zervikale Lymphadenopathie, Palmarschwellung, gerötete und rissige Lippen sowie ein makulöses Exanthem. Diese Befunde sind mit einem kompletten KS vereinbar. Die Urin-PCR auf Leptospiren war positiv. Nach 2 Wochen entwickelte sich eine periunguale Schuppung.

Diskussion: Dieser Fall zeigt, dass eine Leptospirose nicht nur ähnliche Symptome wie das KS aufweist, sondern auch mit dieser Erkrankung assoziiert sein kann. Dafür sprechen spezifische Befunde wie Schuppungen an Fingern, Zehen und Veränderungen der oropharyngealen Schleimhäute.


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Das Kawasaki-Syndrom (KS) ist eine systemische Vaskulitis, die mittelgroße Arterien betrifft. Die genaue Pathophysiologie ist nicht bekannt [1]. Neben der genetischen Veranlagung werden immunologische und infektiöse Auslöser berichtet [2]–[4]. Darüber hinaus wurden in der jüngsten SARS-COV-2-Pandemie mehrere Fälle von pädiatrischen Patienten gemeldet, bei denen ein KS oder eine Hyperinflammation im Zusammenhang mit einem pädiatrisch entzündlichen Multisystem-Syndrom (PIMS) auftritt [5]–[8].

Das KS sollte hauptsächlich bei Vorschulkindern in Betracht gezogen werden, die Fieber, Bindehautentzündungen, Lymphadenitiden, oropharyngeale Schleimhautentzündungen, palmoplantare Schwellungen und generalisierte Hautausschläge aufweisen [2], [9]. Die Patienten können in der zweiten Woche eine periunguale Schuppung an Fingern und Zehen entwickeln, ein relativ spezifisches Kennzeichen eines KS [10]. Die richtige Diagnose kann schwierig sein, da kein Bestätigungstest vorliegt.

In diesem Artikel stellen wir den Fall einer 3-jährigen Patientin vor, bei der ein komplettes KS diagnostiziert wurde, einschließlich einer periungualen Schuppung der Finger. Dieses Mädchen wurde auch positiv auf Leptospiren getestet.

Falldarstellung

Eine 3-jährige Patientin mit Fieber seit 4 Tagen wurde in unser Krankenhaus eingeliefert. Sie hatte eine zervikale Lymphadenitis, eine bilaterale Bindehautentzündung und entwickelte einen erythematösen Hautausschlag, hauptsächlich am Rumpf ([ Abb. 1 ]). Sie konnte wegen Arthralgien und Myalgien nicht laufen. Sie hatte leichten Durchfall ohne Erbrechen. Während der Untersuchung wurde eine Erdbeerzunge sowie eine Palmar- und Plantarschwellung festgestellt. Es wurden keine Auffälligkeiten an anderen Organsystemen entdeckt.

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Abb. 1 Erythematöser Hautausschlag.

Die Mutter gab an, dass es Mäuse in ihrem Haus gäbe. Die Blutuntersuchung ergab erhöhte Entzündungsparameter: CRP: 12,4 mg/dl (< 0,5); BSG: 90 mm/h (< 20); Leukozyten: 5,2 × 103/μl (5,5–15 × 103/μl); Thrombozyten: 313 × 103/μl (210–500 × 103/μl); AST: 105 U/l (< 60); ALT: 105 U/l (< 35); NT-ProBNP: 991 pg/ml (< 400). Der Urin zeigte eine leichte Proteinurie (Protein/Kreatinin-Ratio: 0,9 g/g Kreatinin). Serologische Tests auf Epstein-Barr-Virus, Adenovirus, Puumalavirus, Masern und COVID-19 waren negativ.

Da die Patientin alle Kriterien für ein komplettes KS erfüllte, wurden Immunglobuline 2 g/kg und ASS 50 mg/kg/Tag gestartet. Da die Patientin klinisch schwer krank war, hohe Entzündungsparameter sowie einen hohen NT-Pro-BNP-Wert aufwies, wurde additiv mit Prednisolon 2 mg/kg/Tag begonnen. In weniger als 24 Stunden sistierte das Fieber und die Patientin besserte sich klinisch. Die Echokardiografie zeigte keine Anzeichen einer Herzbeteiligung. Die Entzündungsparameter nahmen ab und zeigten am Tag 7 des Krankheitsverlaufs ein normales CRP.

Aufgrund des Berichts der Mutter über den Mauskontakt und der beschriebenen Symptome in Kombination mit der Proteinurie wurde eine Diagnostik auf Leptospirose (PCR im Urin und Leptospirose-Antikörper im Blut) veranlasst. Die Urin-PCR war positiv, sodass –bei ausgeprägtem Krankheitsgefühl – eine additive antibiotische Therapie mit Penicillin begonnen wurde. Die spezifischen Leptospirose-Antikörper im Serum waren negativ. In der 2. Woche der Krankheit entwickelte die Patientin eine deutliche periunguale Fingerschuppung ([ Abb. 2 ]). Bei der Nachuntersuchung nach 6 Wochen blieb die Patientin asymptomatisch und zeigte echokardiografisch keine Koronaraneurysmata oder andere KS-assoziierte Komplikationen wie Hörstörungen.

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Abb. 2 Periunugale Schuppung im Bereich der Fingerkuppen.

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Diskussion

Die Leptospirose ist eine Zoonose, die durch ein Spirochätenbakterium verursacht wird, das im Urin verschiedener Tiere wie Hunde, Nutztiere und Nagetiere ausgeschieden wird. Die Übertragung erfolgt meist durch Kontakt mit kontaminiertem Urin [11].

Obwohl sich Schätzungen zufolge mehr als eine Million Menschen weltweit infizieren, sind weniger als 20 pädiatrische Fälle pro Jahr berichtet [14]. Eine Antibiotikabehandlung wird insbesondere bei schweren Verläufen empfohlen.

Die rasche Verbreitung des Erregers führt zum klinischen Bild eines septikämischen Stadiums von 3 bis 7 Tagen Dauer mit Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien (40–97 %), Übelkeit, Konjunktivitis (28–99 %), begleitet oder gefolgt von einer immunvermittelten Phase (Dauer: 0 Tage bis 1 Monat) mit Meningitis, Uveitis, Hautausschlag und Fieber [11]–[13]. Eine Leptospireninfektion kann jedes Gewebe betreffen und neben einer hämorrhagischen Vaskulitis auch zu einer hepatozellulären Dysfunktion und einer Proteinurie führen. Diagnosebeweisend ist der Nachweis im Urin mittels PCR; negative serologische Ergebnisse – trotz bestätigter Diagnose – sind in der Literatur beschrieben [11], [13].

Da viele Befunde und Symptome zwischen einer Leptospirose und einem KS identisch sind, kann die Leptospirose sowohl imitierend als auch assoziativ mit einem KS auftreten ([ Abb. 3 ]). Die periungualen Schuppungen und die oropharyngealen Schleimhautveränderungen und Koronaraneurysmen sind dabei ausschließlich für das KS berichtet [2], [11]. Im vorliegenden Fall präsentierte die Patientin das klinische Bild eines kompletten KS; bekanntermaßen kann diese Diagnose auch beim Vorliegen nicht KD-typischer Kriterien wie nephritischen Urinveränderungen gestellt werden [11], [12].

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Abb. 3 Vergleich zwischen Befunden und Symptomen beim KS und bei Leptospirose.
FAZIT

Zusammenfassend gibt es eine breite klinische Überlappung zwischen KS und Leptospirose. Dabei sollte die Möglichkeit der Auslösung eines KS nicht übersehen werden, um mit einer frühzeitig eingeleiteten Therapie Folgeschäden vermeiden zu können. Eine Anamnese inklusive Reisen und Kontakt zu Tieren ist der erste Schritt zu einer solchen Diagnose.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Eine Einwilligung der Mutter der Patientin zur Publikation der Kasuistik liegt vor.

  • Literatur

  • 1 Hedrich CM, Schnabel A, Hospach T. Kawasaki disease. Frontiers in pediatrics 2018; 6: 198
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  • 7 Verdoni L, Mazza A, Gervasoni A. et al An outbreak of severe Kawasaki-like disease at the Italian epicentre of the SARS-CoV-2 epidemic: an observational cohort study. Lancet 2020; 395 10239 1771-1778
  • 8 Viner RM, Whittaker E. Kawasaki-like disease: emerging complication during the COVID-19 pandemic. Lancet 2020; 395 10239 1741-1743
  • 9 Ozen S, Ruperto N, Dillon M. et al EULAR/PReS endorsed consensus criteria for the classification of childhood vasculitides. Annals of the rheumatic diseases 2006; 65 (07) 936-941
  • 10 Wang S, Best BM, Burns JC. Periungual desquamation in patients with Kawasaki disease. The Pediatric infectious disease journal 2009; 28 (06) 538
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  • 13 Shapiro ED. Leptospirosis. In: Long SS, Prober CG, Fischer M, eds. Principles and Practice of Pediatric Infectious Diseases. Philadelphia/PA, USA: Elsevier; 2018
  • 14 Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI 2.0 https://survstat.rki.de DOI: date of inquiry: 19.07.2020

Korrespondenzadresse

Dr. Mohammed Nashawi
Zentrum für pädiatrische Rheumatologie am Klinikum Stuttgart
Kriegsbergstraße 62, 70174
Stuttgart
Deutschland   

Publication History

Article published online:
20 April 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

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Abb. 2 Periunugale Schuppung im Bereich der Fingerkuppen.
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Abb. 3 Vergleich zwischen Befunden und Symptomen beim KS und bei Leptospirose.