Nervenheilkunde 2021; 40(06): 406-418
DOI: 10.1055/a-1389-6534
Schwerpunkt

Einbeziehung von Bezugspersonen im Rahmen eines psychiatrisch-stationären Behandlungsverlaufes

Eine repräsentative Befragung von Patienten, Bezugspersonen und den behandelnden PsychiaternCaregiver involvement in psychiatric inpatient treatmentA representative survey among triads of patients, caregivers and hospital psychiatrists
Florian Schuster
1   kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nord, Schwabing, der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord, Schwabing, München
,
Fabian Holzhüter
1   kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nord, Schwabing, der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord, Schwabing, München
,
Stephan Heres
1   kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nord, Schwabing, der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord, Schwabing, München
,
Johannes Hamann
1   kbo-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nord, Schwabing, der kbo-Tagesklinik und Institutsambulanz Nord, Schwabing, München
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ZUSAMMENFASSUNG

Ziele Die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung wurde kaum durch repräsentative Studien untersucht. Ziel dieser Studie war es daher, die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Routineversorgung anhand einer repräsentativen Stichprobe unter Beteiligung aller 3 Parteien (Patienten, Psychiater und Angehörige) zu untersuchen. Mit Hilfe von persönlich durchgeführten Interviews, bestehend aus geschlossenen und offenen Fragen, wollten wir ein tieferes Verständnis dafür gewinnen, wann Angehörige in die Behandlung einbezogen werden und welche Themen hauptsächlich zur Sprache kommen.

Methoden In diese Querschnittsstudie wurden Patienten von 55 akut-psychiatrischen Stationen aus 10 psychiatrischen Kliniken, die behandelnden Psychiater und, wenn möglich, die zugehörigen Angehörigen einbezogen. Jeder Psychiater nannte zunächst 2–3 Patienten, die kurz vor der Entlassung standen, diese Patienten wurden um Studienteilnahme gebeten. Nachdem ein Patient in die Studienteilnahme eingewilligt hatte, wurde ein persönliches Interview durch einen Forscher durchgeführt. Zusätzlich wurde der behandelnde Psychiater und, wenn möglich, ein vom Patienten benannter Angehöriger befragt. Insgesamt konnten 247 Patienten und 247 Psychiater sowie 94 Angehörige in unsere Studie eingeschlossen werden.

Ergebnisse Laut Patienten und Psychiater fand ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern nur in einem Drittel der Fälle statt. Prädiktoren für den Arzt-Angehörigen-Kontakt waren die Diagnose des Patienten, die Anzahl der vorherigen stationär-psychiatrischen Aufenthalte und das behandelnde Krankenhaus. Nach Angaben der Psychiater wurden mit den Angehörigen am häufigsten therapeutische Fragestellungen besprochen sowie organisatorische und sozialpsychiatrische Themen geklärt. Patienten und Angehörige gaben dagegen an, dass die psychiatrische Behandlung und die diagnostische Einordnung der psychischen Erkrankung die häufigsten Gesprächsthemen waren. Die subjektive Wahrnehmung, dass die Einbeziehung eines Angehörigen in die Behandlung nicht notwendig ist, war der in allen Gruppen am häufigsten genannte Grund für eine ausbleibende Einbeziehung.

Schlussfolgerung Ob ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern stattfindet hängt stark vom zuständigen Krankenhaus ab. Daher könnte die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung dadurch verbessert werden, dass bestehende Strukturen und Abläufe im Krankenhaus verändert werden. Auch ob Angehörige während eines stationären Aufenthaltes kontaktiert und einbezogen wurden, hing stark von der jeweiligen Klinik ab. Alle Parteien (Patienten, Angehörige und Psychiater) gaben zudem am häufigsten an, dass Angehörige nicht in die Behandlung einbezogen wurden, da dies unnötig sei. Dies steht im klaren Gegensatz zur existierenden Evidenz, welche zeigt, dass eine Angehörigeneinbeziehung einen positiven Einfluss auf den Behandlungsverlauf und das Wohlbefinden der Angehörigen selbst hat. Es ist daher notwendig, Wissen über die positiven Effekte der Angehörigeneinbeziehung zu vermitteln.

ABSTRACT

Aims Studies on the frequency of caregiver involvement in representative inpatient samples are scarce. The aim of our study was to conduct a representative survey on caregiver involvement in routine inpatient care involving all 3 parties (patients, caregivers, psychiatrists). Therefore, we performed face-to-face interviews consisting of open-ended questions to gain a deeper understanding of when and how caregivers are involved in care treatment and identify which topics are mainly discussed.

Methods This cross-sectional survey included inpatients from 55 acute psychiatric wards across 10 psychiatric hospitals, their treating psychiatrists and, when possible, their caregivers. In total, we performed semi-structured face-to-face interviews with 247 patients, their treating psychiatrists and 94 informal caregivers. Each psychiatrist named 2–3 patients that were almost ready to be discharged. After a patient had given its informed consent, the interview was performed by a researcher. In addition, the psychiatrist and, when possible, the primary caregiver outlined by the patient, were also interviewed.

Results According to the interviewed patients and psychiatrists contact between caregiver and psychiatrist had taken place in only one third of the patient cases. Predictors for physician-caregiver-contact included the patient’s diagnosis, the number of previous inpatient stays and the respective hospital. According to psychiatrists the most frequent subjects of discussion with caregivers involved therapeutic issues and organizational and social-psychiatric topics (e. g. work, living and social support). In fact, patients and caregivers stated that the psychiatric treatment and the diagnostic classification of the mental illness were the most frequent topics of conversation. For all three groups the most often cited reason for missed caregiver involvement was the subjective perception that a caregiver was not in fact needed.

Conclusion Whether caregivers were contacted and involved during an inpatient stay strongly depended on the individual hospital. The frequency of involvement of caregivers can certainly be increased by changing processes and structures in hospitals. All three parties (patients, caregivers, and psychiatrists) most often stated that the caregiver was not involved in the treatment because they thought it was unnecessary. Therefore, because evidence demonstrates the positive effect of caregivers’ involvement on the therapeutic process but also on the well-being of the caregiver, it is necessary to increase awareness of this evidence among all three stakeholder groups.



Publication History

Article published online:
02 June 2021

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