Rehabilitation (Stuttg) 2021; 60(02): 86-94
DOI: 10.1055/a-1361-4028
Originalarbeit

Prädiktoren der Inanspruchnahme und des Beginns einer onkologischen Rehabilitation nach Brustkrebs

Predictors of the Utilization and Waiting Period Before Starting an Oncological Rehabilitation after Breast Cancer
Dorothee Noeres
1   Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Med. Hochschule Hannover
,
Stefanie Sperlich
1   Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Med. Hochschule Hannover
,
Lena Röbbel
1   Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Med. Hochschule Hannover
,
Batoul Safieddine
1   Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Med. Hochschule Hannover
,
Jörg Uwe Deuker
2   Vinzenzkrankenhaus, Hannover
,
Peter Hillemanns
3   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Hochschule Hannover
,
Fakher Ismaéel
4   KRH Klinikum Siloah, Hannover
,
Alexander Moser
4   KRH Klinikum Siloah, Hannover
,
Karl-Heinz Noeding
5   Helios Klinikum Hildesheim
,
Thomas Noesselt
6   Sana Klinikum Hameln-Pyrmont
,
Joachim Pape
2   Vinzenzkrankenhaus, Hannover
,
Tjoung-Won Park-Simon
3   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Hochschule Hannover
,
Susanne Peschel
7   St. Bernwardkrankenhaus Hildesheim
,
Wolfram Seifert
8   KRH Klinikum Robert Koch Gehrden
,
Wulf Siggelkow
9   Diakovere Krankenhäuser gGmbH, Hannover
,
Martin Thoma
10   Ammerland-Klinik GmbH, Westerstede
,
Christoph Uleer
11   Gynäkologische Praxis Frauenärzte am Bahnhofsplatz, Hildesheim
,
Siegfried Geyer
1   Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, Med. Hochschule Hannover
› Author Affiliations
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Zusammenfassung

Ziele der Studie Bestimmungsfaktoren einer Teilnahme von Brustkrebspatientinnen an einer onkologischen Rehabilitation sind bislang wenig erforscht. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche soziodemografischen, medizinischen und arbeitsplatzbezogenen Prädiktoren die Inanspruchnahme und den Beginn einer onkologischen Rehabilitation nach einer Brustkrebsoperation voraussagen.

Methodik Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer schriftlichen Wiederholungsbefragung von erwerbstätigen Brustkrebspatientinnen im Rahmen einer in Niedersachsen durchgeführten multizentrischen Studie der Medizinischen Hochschule Hannover. Es wurden logistische Regressionen zur Inanspruchnahme einer Rehabilitation und lineare Regressionen zum Zeitpunkt des Maßnahmenbeginns gerechnet. Die abhängige Variable der linearen Regression ist die Anzahl der Wochen nach der primären OP bis zum Reha-Beginn.

Ergebnisse Die Stichprobe besteht aus 409 Brustkrebspatientinnen, die zu allen 3 Zeitpunkten an der Befragung teilgenommen hatten. Die Responserate der Erstbefragung 3 Wochen nach der OP (t0) betrug 80,1%, die der Zweitbefragung nach 6 Monaten (t1) 95,2% und die der Drittbefragung nach 12 Monaten (t2) 89,9%. Innerhalb des ersten Jahres nach der Operation nahmen 294 Patientinnen und damit 72% aller Studienteilnehmerinnen an einer onkologischen Rehabilitation teil. Die Befragten, die ihre Reha zu 90% vor der Rückkehr in den Beruf antraten, begannen ihre Rehabilitation im Durchschnitt 21 Wochen nach ihrer primären Operation. Eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit der Reha-Teilnahme zeigte sich, wenn zu t0 ein Bedürfnis nach der Klärung der beruflichen Situation bestand (OR=2,74, p<0,01) oder wenn die Patientinnen ein ungünstiges Verhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung am Arbeitsplatz im Sinne des Gratifikationskrisenmodells angaben (OR=3,89, p<0,05). Mit zunehmendem Alter und unter Realschulabsolventinnen im Vergleich zu Hauptschulabsolventinnen (OR=4,23) zeigte sich ebenfalls eine vermehrte Aussicht auf eine Reha-Teilnahme sowie bei Studienteilnehmerinnen, die zu t0 im SF-12 eine reduzierte körperliche Gesundheit (OR=0,94, p<0,01) aufwiesen.

Schlussfolgerung Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass Brustkrebspatientinnen mit höheren Verausgabungen am Arbeitsplatz und mit vermehrtem Klärungsbedarf ihrer beruflichen Situation mit höherer Wahrscheinlichkeit an einer onkologischen Reha teilnehmen als Patientinnen in einer weniger belasteten Situation. Dieser Befund kann als Indiz gewertet werden, dass der erhöhte Bedarf dieser Personengruppe tatsächlich auch zu einer vermehrten Inanspruchnahme einer Rehabilitation führt, die angetreten wird, sobald es die medizinischen Nachbehandlungen erlauben. Die relativ frühe Inanspruchnahme der Patientinnen mit einer verminderten psychischen Gesundheit richtet den Blick auf den besonderen Bedarf dieser Personengruppe.

Abstract

Purpose This study explores the sociodemographic, medical and work-related factors leading to a participation in an in-house rehabilitation measure after primary treatment for breast cancer.

Methods The prospective multi-center study is based on a written survey with employed breast cancer patients who were recruited at 11 breast cancer centers in Lower Saxony, Germany. Predictors of participation were examined by logistic regression, predictors of the time period before starting the rehabilitation by linear regression.

Results 409 patients returned their questionnaires at all three time-points. Response rates were 80,1% 3 weeks after surgery (t0), 95,2% 6 months after surgery (t1) and 89,9% one year after surgery (t2). Altogether, 294 patients (72%) participated in the rehabilitation measure. Respondents, 90% of whom participated in rehabilitation before returning to work, began their rehabilitation on average 21 weeks after primary surgery. They showed an increased probability of participation if they had indicated the need to clarify their job situation (OR=2,74, p<0,01), or if their answers displayed a detrimental relation between effort and reward at work (OR=3,89, p<0,05). At the same time, higher age, a higher level of school education (OR=4,23) and reduced physical health (OR=0,94, p<0,01) increased the chance for breast cancer patients to take part in oncological rehabilitation. The starting point of rehabilitation was only predictable by medical treatments: adjuvant chemotherapy (β=0,492, p≤0,001), additional surgery (β=0,112, p<0,05), and radiation therapy within the second half year after primary surgery (β=0,20; p<0,001) led to a postponement.

Conclusion This study shows that an increased need of breast cancer patients for medical and socio-psychological support leads to their participation in an in-house rehabilitation and thus underlines the necessity of these institutions. Women with an impaired psychological health should be given extra attention.



Publication History

Article published online:
15 April 2021

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