Osteologie 2021; 30(01): 88-90
DOI: 10.1055/a-1341-4837
Osteoporose-Update

Leitlinie erklärt

Friederike Thomasius

Risikofaktoren Wirbelkörperfrakturen, non-vertebrale Frakturen und immanentes Frakturrisiko

Das Risiko für inzidente Frakturen nimmt bei Frauen und Männern mit der Anzahl und dem Schweregrad von Wirbelkörperfrakturen zu. Dies betrifft klinische Wirbelkörperfrakturen wie auch nichtklinische Wirbelkörperfrakturen, die radiologisch als Zufallsbefund dokumentiert werden. Sie sind mindestens moderate Risikofaktoren für weitere Frakturen, die Osteoporose-assoziiert sind. Dieses Risiko kann je nach Befund jedoch auch um mehr als den Faktor 10 erhöht sein. Ausgenommen werden bis jetzt Wirbelkörperfrakturen nach einem hochenergetischen Trauma sowie nichtfrakturbedingte Wirbelkörperverformungen, worunter degenerative Wirbelkörperveränderungen subsumiert werden [1], [2].

Singuläre nichtvertebrale Frakturen nach dem 50. Lebensjahr sind bei Frauen und Männern ein mäßiger, von Knochendichte und Alter der Patienten unabhängiger Risikofaktor für osteoporotische Frakturen. Mit steigender Anzahl nichtvertebraler Frakturen steigt das Frakturrisiko jedoch an: Zwei nichtvertebrale Vorfrakturen sind ein starker Risikofaktor und drei und mehr Vorfrakturen ein sehr starker Risikofaktor für Folgefrakturen [2], [3].

Die aktuelle Literaturrecherche erweitert das Spektrum der Betrachtung der stärksten Risikofaktoren für weitere Frakturen (Wirbelkörperfrakturen und multiple non-vertebrale Frakturen) um das sogenannte immanente Frakturrisiko. Hierunter wird das Frakturrisiko innerhalb der ersten 24 Monate nach Fraktur subsumiert, das eine Periode besonderer Frakturrisikogefährdung nach inzidenter Fraktur charakterisiert [2], [4], [5]. Frakturrisiko ist keine Konstante, sondern ändert sich im Laufe der Zeit. Hauptrisikofaktor bei der Beeinflussung des unmittelbaren immanenten Frakturrisikos ist die inzidente Fraktur. Das ist logisch, alleine aus der Überlegung heraus, dass ein starker Risikofaktor in einer Kalkulation immer die anderen Faktoren überdecken wird. Aber auch das immanente 1- bis 2-Jahres-Frakturrisiko wird durch weitere Faktoren beeinflusst. Eine Studie von Roland Baron zeigte in einer Population von 2261 Patienten höheren Alters (Durchschnitt 77,9 ± 5,1) Faktoren, die das immanente Frakturrisiko nach Fraktur mit beeinflussen. Von den Untersuchten erlitten 19,4 % innerhalb eines Jahres zwischen 1992 und 2008 eine nichtvertebrale Fraktur und 5,5 % eine Hüftfraktur. Das immanente Frakturrisiko wurde durch folgende Faktoren beeinflusst: zurückliegende Frakturen, niedrigere T-Scores, geringere körperliche Funktionsfähigkeit und kürzliche Stürze. Diese Faktoren wirkten direkt auf das 1-Jahres-Risiko einer non-vertebralen Fraktur. Indirekt wirkten der allgemeine Gesundheitszustand und die körperliche Funktionsfähigkeit als Risikofaktor mit. Das Patientenalter beeinflusste (natürlich) sowohl die körperliche Funktionsfähigkeit als auch den allgemeinen Gesundheitszustand [6]. Und eine Studie an dem Datenkollektiv Medicare gibt detailliertere Daten an, was neben einer kürzlich (< 1 Jahr) aufgetretenen Fraktur, höherem Alter, weiblichen Geschlechtes und weißer Hautfarbe das Sturzrisiko und somit das immanente Frakturrisiko beeinflussen kann: die Einnahme von Antidepressiva / Antipsychotika/Sedativa und Muskelrelaxantien. Von 1 287 354 Personen (mittleres Alter 74,3 Jahre; 56 % weiblich; 84 % weiß) erlitten 3,8 % mindestens eine Fragilitätsfraktur bei der 12-monatigen Nachbeobachtung; 6,6 % hatten eine Fraktur nach 24 Monaten (Frauen vs. Männer: 12 Monate, 4,8 % vs. 2,5%; 24 Monate, 8,3 % vs. 4,4 %; beide P < .01). Nach 12 Monaten war eine kürzliche Fraktur ein etwa 3-fach höheres Frakturrisiko (dies im Vergleich zu keiner kürzlichen Fraktur) [7].

Das immanente Frakturrisiko ist in der Risikokalkulation zu berücksichtigen, und insbesondere bei Hochrisikopatienten ist hierbei auch die primär osteoanabole Therapie zu diskutieren. Ein besonders hohes Frakturrisiko liegt nach Ansicht der Leitlinienkommission bei multiplen vertebralen Frakturen oder bei Z. n. Oberschenkelhalsfraktur vor. Des Weiteren bei einer vorgesehenen Glukokortikoidtherapie in einer Dosierung von mehr als 7,5 mg Prednisolon Äquivalent täglich für mehr als 3 Monate.



Publication History

Article published online:
05 March 2021

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  • Literatur

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  • 2 Kanis JA, Johnell O, De Laet C. et al. (2004). A meta-analysis of previous fracture and subsequent fracture risk. Bone Aug; 35 (02) : 375-382.
  • 3 Gehlbach S, Saag KG, Adachi JD. et al. (2012).Previous fractures at multiplesites increase the risk for subsequent fractures: The global longitudinal study of osteoporosis in women. J Bone Miner Res Mar; 27 (03) : 645-653.
  • 4 Johnell O, Kanis JA, Odén A. et al. Fracture risk following an osteoporotic fracture. Osteoporos Int 2004; 15 (03) : 175-179.
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  • 6 Barron R, Oster G, Grauer A. et al. Determinants of imminent fracture risk in postmenopausal women with osteoporosis. Osteoporos Int 2020; 31: 2103-2111.
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