Die Wirbelsäule 2021; 5(01): 18-20
DOI: 10.1055/a-1324-4424
Leitlinie

Zusammenfassung der S2K-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis“ (Stand 08/2020)

Summary of the S2K guidelines „Diagnosis and Therapy of vertebral osteomyelitis”
Christian Herren
1   Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie; Uniklinik RWTH Aachen
,
Nicolas von der Höh
1   Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie; Uniklinik RWTH Aachen
,
im Namen der Leitlinienkommission der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft › Author Affiliations

Vertebrale Osteomyelitiden sind mit einem Anteil von 3 – 5 % selten, stellen jedoch bei Patienten über 50 Jahren die dritthäufigste Form der Osteomyelitis dar. Auf den europäischen Raum gesehen zeigt sich vor allem in der letzten Dekade eine steigende Inzidenz. In der Literatur wird eine Gesamtmortalität von 15 – 20 % beschrieben. Hintergrund ist der oftmals lange Zeitraum zwischen Beginn der Erkrankung und der finalen Diagnosestellung, da die zum Teil unspezifische Symptomatik und das Fehlen von eindeutigen klinischen Symptomen die Therapieeinleitung verzögern können.

Zudem stellt eine frühzeitige Diagnosefindung und die somit rechtzeitig eingeleitete antibiotische Therapie hierbei einen Grundpfeiler zur erfolgreichen Therapie dar.

Aufgrund der ausgeprägten Heterogenität der Erkrankung sollten alle, die in der Behandlung von Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems und in der Infektbehandlung beteiligt sind, insoweit informiert sein, die Krankheit rechtzeitig zu erkennen und dann einen auf Wirbelsäulenerkrankungen spezialisierten Facharzt hinzuziehen. Im deutschsprachigen Raum existieren bislang Expertenmeinungen und Studien mit niedrigem EbM-Level zu Therapie- und Diagnostikoptionen, aber definitive Handlungsanweisungen oder Algorithmen fehlen. Vor diesem Hintergrund wurde unter der gleichberechtigten Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) sowie der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) unter Beteiligung von Repräsentanten weiterer Kernfachgesellschaften, auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz durch einen multiperspektivischen Konsensprozess eine Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis“ erarbeitet und konsentiert. Zu den aktuellen Diagnose- und Therapiestandards bietet die aktuelle, erstmals zu der Erkrankung Spondylodiszitis im deutschsprachigen Raum formulierte Leitlinie, einen hervorragenden Überblick.

Die Spondylodiszitis ist eine Osteomyelitis der Wirbelsäule. Sie wird definiert als eine Infektion der Bandscheibe bzw. der angrenzenden Endplatten, die unbehandelt zu einer zunehmenden Destruktion des betroffenen Wirbelsäulensegmentes führen kann. Die Spondylodiszitis wird unterteilt in eine unspezifische (= pyogene) Form und die spezifische Spondylodiszitis, wie beispielsweise bei Vorliegen einer Tuberkulose oder seltener einer Pilzinfektion oder Brucellose. In der Diagnosefindung besteht das Grundproblem in der ausgesprochenen Vielfalt der klinischen Ausprägung, so dass bei jeglicher Art von Wirbelsäulenbeschwerden und begleitendem Verdacht auf ein Infektgeschehen, die weitere spezifische Diagnostik eingeleitet werden soll. Als hilfreiche anamnestische Fragen haben sich herausgestellt: vorausgegangene Interventionen an der Wirbelsäule, wie beispielsweise Infiltrationen/Interventionen an der Wirbelsäule oder an anderen Orten (zahnärztliche Eingriffe, Endoskopien), Fragen nach dem Vorliegen eines Diabetes mellitus und Erfassung von jeglicher Art von Voroperationen.

Im Anschluss an die Anamnese bietet die nativ-radiologische Aufnahme des entsprechenden Wirbelsäulenabschnitts in 2 Ebenen hier nur wenig Aussagekraft, da ausgeprägte destruktive Veränderungen erst im späteren Stadium gezeigt werden können. Trotz der geringen Spezifität und Sensitivität gehört die standardisierte Röntgenaufnahme weiterhin zur Basisdiagnostik, da diese flächendeckend verfügbar ist. Als weitere Basisdiagnostik wird die laborchemische Abklärung empfohlen. Auch wenn bislang kein Spondylodiszitis-spezifischer beweisender Parameter existiert, bietet die Basis-Blutuntersuchung mit Erfassung der Leukozytenzahl und des C-reaktiven Proteins (CRP) eine gewisse Aussagekraft. Die Bestimmung der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist unspezifisch und soll nicht mehr angewendet werden.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist das Mittel der Wahl zum bildgebenden Nachweis der Spondylodiszitis, wobei erst die Addition eines Kontrastmittels die Unterscheidung zwischen Neoplasie, Degeneration oder Spondylodiszitis-verdächtigem Befund möglich macht. Zudem können mögliche Abszedierungen oder intraspinale Prozesse dargestellt werden. Zur weiteren Abklärung sollte die Darstellung der gesamten spinalen Achse erfolgen, um „skip lesions“ auszuschließen.

Die Computertomographie (CT) schließt sich an die Magnetresonanztomographie zur präoperativen Planung an, da hier das Ausmaß einer bestehenden Destruktion im Vgl. zur MRT besser dargestellt und die Schraubenposition mit Durchmesser und -länge bestimmt und geplant werden kann. Zudem kann die CT mit Kontrastmittel als Alternative bei Kontraindikationen zur MRT genutzt werden.

In seltenen Fällen kann durch die oben genannten Maßnahmen, gerade in den ersten beiden Wochen nach Erkrankungsbeginn, die Diagnose der Spondylodiszitis nicht sicher gestellt werden. Hier bietet sich die Positronen-Emmissions-Tomographie mit kombiniertem PET-CT an. Auch bei weiteren Kontraindikationen für eine kontrastmittelgestützte MRT/CT wie beispielsweise die bestehende hochgradige Niereninsuffizienz bietet das PET-CT eine gute Alternative. Im Vergleich zur Ganzwirbelsäulen-MRT ist jedoch die PET-CT deutlich teurer und die Untersuchungsdauer variiert zwischen 2 – 3 Stunden. Zudem ist die PET-CT nicht flächendeckend verfügbar und sollte daher nicht routinemäßig zur Primärdiagnostik eingesetzt werden. Sie kann als ergänzendes Verfahren erwogen werden, wenn die sichere Diagnosestellung durch eine MRT nicht möglich ist.

Neben der bildgebenden Diagnostik ist der Erregernachweis ein weiterer Grundstein für die endgültige Diagnosestellung der Spondylodiszitis. Dieser soll sofern es vertretbar ist, vor Beginn der Antibiotikatherapie erfolgen. Basis hierfür ist die Entnahme von mindestens 3 Blutkulturenpaaren (aerob/anaerob) innerhalb von 24 Stunden. Ist durch die Blutkulturen kein Erreger zu isolieren, soll im nächsten Schritt die CT-gestützte Feinnadelpunktion oder die operative minimal-invasive oder offene Probenentnahme erfolgen. Hierbei ist darauf zu achten, dass mindestens 3 Proben für die mikrobiologische Begutachtung und eine ausreichend große Probe für die histopathologische Analyse gewonnen werden. Es ist zu empfehlen, dass die Biopsie sowohl aus dem Bandscheibengewebe als auch aus den angrenzenden destruierten Endplatten entnommen wird. Bei negativem Kulturnachweis werden weiterführende mikrobiologische Untersuchungsverfahren wie beispielsweise die PCR ergänzt.

Dank der verbesserten Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sind progressive Verläufe heute deutlich seltener. Im Fokus der Therapie stehen die Verhinderung der Infektionsausbreitung und die Infektionssanierung. Hierbei sollen Schmerzen reduziert und das Patientenwohl verbessert werden. Bei Vorliegen von Destruktionen oder segmentalen Instabilitäten sollten diese in einem ausreichenden Maße saniert, rekonstruiert und stabilisiert werden unter bestmöglichem Erhalt von Funktion und Struktur. Der Zeitpunkt der Therapie spielt demnach eine wesentliche Rolle.

Weitere Therapieziele sind

  • die Ausheilung der Infektion bzw. Verhinderung von Rezidiven,

  • die Wiedererlangung einer schnellen Belastbarkeit,

  • die Ausheilung in physiologischer Stellung,

  • der Erhalt der Wirbelkörperintegrität

  • sowie die Vermeidung neurologischer Defizite und Deformitäten.

Es sei darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren verschiedene Scoringsysteme veröffentlicht wurden, um den behandelnden Ärzten einen Therapie-Algorithmus an die Hand zu geben. Hier ist jedoch ist zu bedenken, dass auf Grund der ausgeprägten Heterogenität der Spondylodiszitis individuell und interdisziplinär auf den Patienten angepasste Therapiekonzepte essentiell sind und solche Scoringsysteme nur eine Orientierungshilfe geben können.

Generell kann im Anfangsstadium eine konservative Therapie der pyogenen und spezifischen Spondylodiszitis erfolgen, wenn nur eine geringe Symptomatik ohne Nachweis eines neurologischen Defizits vorliegt und die bildgebende Diagnostik keinen Anhalt für eine Destruktion bzw. segmentale Instabilität bietet. Die konservative Therapie basiert in erster Linie auf der Erreger-spezifischen Antibiotikatherapie und bezieht im Anschluss sowohl eine adäquate Schmerztherapie als auch eine patienten-orientierte Physiotherapie ein. Bei unkompliziertem Therapieverlauf ist die Antibiotikatherapie nach 6 Wochen zu beenden. Eine orale Antibiotikatherapie ist bei guter Bioverfügbarkeit möglich. Grundsätzlich sollte eine enge Kommunikation mit den betreuenden Mikrobiologen/Infektiologen erfolgen, um im interdisziplinären Konsens die Dauer der Antibiotikatherapie festzulegen. Um das klinische Ansprechen der Patienten auf die Behandlung zu kontrollieren, ist die laborchemische Bestimmung der Infektionsparameter (Blutbild und CRP) sinnvoll. Patienten mit einem höheren Risiko für ein Therapieversagen (MRSA, hohes Patientenalter) sollten identifiziert werden und bedürfen im interdiziplinären Konsens eine Antibiotikatherapie über 6 Wochen hinaus. Die Durchführung einer erneuten MRT-Untersuchung zur Bestätigung eines Behandlungserfolges ist nicht sinnvoll, da gerade in den MRT- Bildgebungen bis zu 6 Monate nach Therapiebeginn noch positive Zeichen einer Spondylodiszitis selbst bei klinisch unauffälligem Patienten nachgewiesen werden können.

Die spezifischste Messung des Therapiemisserfolges ist die mikrobiologisch bestätigte Persistenz der Infektion trotz adäquater mikrobiologischer Therapie mit entsprechender Dauer. Im klinischen Alltag zeigt sich ein Therapieversagen durch die mögliche Kombination aus erhöhten Entzündungsparametern, positiven bildmorphologischen und mikrobiologischen Ergebnissen sowie dem klinischen Zustand des Patienten.

Auch wenn ein Großteil der an einer Spondylodiszitis erkrankten Patienten unter suffizienter konservativer Therapie erfolgreich behandelt wird, bedarf es in bestimmten Fällen eines operativen Vorgehens. Dieses ist gegeben bei Vorliegen von neurologischen Defiziten, bestehender Sepsis, intraspinalem Empyem und/oder progressiven Instabilitäten und Deformitäten. In Abhängigkeit von der Lokalisation, dem Ausmaß der Destruktion und Instabilität sowie dem Vorliegen einer intraspinalen Beteiligung variiert das Spektrum der operativen Therapie. Die veröffentlichten Behandlungskonzepte unterscheiden sich dabei häufig. Abhängig vom Zugangsweg sind im Allgemeinen die ventrale und dorsale Technik zu unterscheiden. Je nach Bedarf können diese isoliert, kombiniert, einzeitig oder zweizeitig durchgeführt werden. Die Erstellung einheitlicher operativer Therapiekonzepte ist sicherlich aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung der Spondylodiszitis, des heterogenen Patientenkollektivs sowie aufgrund des z. T. inhomogenen Erregerspektrums schwierig und bleibt damit ein individueller an den jeweiligen Patienten angepasster Entscheidungsprozeß. Festzuhalten ist, dass bei Vorliegen einer thorakalen oder lumbalen Entzündung die Operation von dorsal erfolgen soll. Liegen begleitende Instabilitäten vor, dann wird zusätzlich eine Instrumentation durchgeführt. Die ventrale Abstützung kann monosegmental an der Lendenwirbelsäule gut in bekannter TLIF-/PLIF-Technik erfolgen, während Eingriffe an der BWS meist dorsoventral erfolgen. Ob diese einzeitig oder zweizeitig durchgeführt werden, ist vom Status des Patienten abhängig. Ein zweizeitiges Vorgehen empfiehlt sich bei den Patienten mit großen ventralen Defekten.

Zweifelfrei sind laborchemische als auch klinische Kontrollen erforderlich, um das Erreichen der Therapieziele zu überprüfen. Zu den Intervallen und den einzelnen Zeitpunkten der klinischen Kontrollen existiert keine Evidenz. In einigen Arbeiten wurden Kontrollen 6 Wochen, 3 Monate, 6 Monate und 12 Monate nach Abschluss der antibiotischen Therapie durchgeführt, ohne dass der konkrete Nutzen dieser Intervalle näher untersucht wurde. Nach Ansicht der Leitlinien-Autoren erscheinen Kontrollen nach 3, 6, 12 und 24 Monaten sinnvoll, da 75 % der Fälle von Therapieversagern innerhalb der ersten 6 Monate und über 90 % innerhalb von etwa 2 Jahren auftreten. Die radiologische Verlaufskontrolle sollten ebenfalls zu diesen Zeitpunkten erfolgen. Bei erweiterter Fragestellung bei fehlenden nativ-radiologischen Fusionszeichen bietet die Computertomographie eine gute Darstellung. Die Kontrolle des Alignements der Wirbelsäule mit Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule im Stehen ist insbesondere hinsichtlich der Entwicklung einer Kyphose von Bedeutung.



Publication History

Article published online:
16 February 2021

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York