Allgemeine Homöopathische Zeitung 2021; 266(01): 39
DOI: 10.1055/a-1312-2984
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Buchbesprechung

Die Krankenjournale Hahnemanns

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Ute Fischbach Sabel war eine der Ersten überhaupt, die die Transkription eines kompletten Krankenjournals in Angriff nahm: 1998 erschien das D34 (1830) samt Kommentar, der bereits 1990 als Dissertation an der Universität Mainz vorgelegt worden war, in der Kritischen Gesamtedition im Haug Verlag. Nun, 22 Jahre später, legt die Autorin eine Gesamtschau aller 55 noch erhaltenen Krankenjournale Hahnemanns vor. Dies ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil nicht einmal ein Viertel aller Krankenjournale transkribiert vorliegt und somit ein großer Teil des Materials im Original, das heißt unter mühsamer Entzifferung von Originalhandschriften, im Archiv des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung zumindest stichprobenartig durchgearbeitet werden musste. Und nicht nur das: Auch viele weitere Manuskripte, Briefwechsel, Arzneimittelprüfungen, Repertorien u. a. wurden in der Arbeit berücksichtigt und an den entsprechenden Stellen eingearbeitet. Eine unglaubliche Fleißarbeit!

Im Vorwort ist vom Wunsch zu lesen, „direkt in die Praxis Hahnemanns hineinschauen zu können“. Gleich vorweg: Dieses Ziel wird mit der Lektüre dieses 770 Seiten dicken Bandes mit Sicherheit erreicht – und die Autorin verhehlt dabei nicht ihre persönliche Bewunderung für Samuel Hahnemann, wovon die ein oder andere hagiografische Note („der Meister“) in ihrer Untersuchung zeugt. Darüber hinaus übt sich die Autorin aber in Bescheidenheit und erklärt, dass dieses Buch absichtlich nicht mit abschließenden Resultaten oder Bewertungen ende, sondern eher als „Reise“ zu verstehen sei. Eine „Endbewertung“ könne erst nach vollständiger Transkription aller Krankenjournale vorgenommen werden.

Der Aufbau des Buches ähnelt der üblichen medizinhistorisch-kritischen Herangehensweise: ausführliche Beschreibung des Nachlasses, der erhaltenen Archivalien und Publikationen Hahnemanns, eine (nicht ganz lückenlose) Sichtung der bisherigen medizinhistorischen Arbeiten, gefolgt von einer ausführlichen, chronologischen Darstellung der Krankenjournale, beginnend beim deutschen D2 (das D1 gilt als verschollen), endend bei den französischen Journalen vom DF2a bis Melanie Hahnemanns DF17 (1863). Es folgen große, detailreiche Kapitel zu Patienten und Konsultationen, zur Anamnese, zu den Behandlungen im Einzelnen und ein abschließendes Kapitel „Beobachtungen an Patienten“ mit einer ausführlichen Diskussion sogenannter „Notabene“-Symptome.

Etwas schwer zu lesen sind dabei seitenlange Transkriptionen zu verschiedenen Patienten aus unterschiedlichen Krankenjournalen, die oftmals kaum oder gar nicht kommentiert werden. Es bleibt dem Fleiß der Leserin/des Lesers überlassen, sich in die Originalia zu vertiefen, und natürlich findet sich hier reichhaltiges Material für weitere Forschungsarbeiten.

Einige sprachliche Besonderheiten rühren vermutlich daher, dass das Buch aus dem Spanischen übersetzt worden ist, beispielsweise die Potenzbezeichnungen CH30, CH60 (statt C30, C60), aber auch nicht konsistente Abkürzungen (die Chronischen Krankheiten werden mal mit „CHK“, mal mit „CKH“ abgekürzt) und relativ viele Schreibfehler (z. B. „Wiek“ – der Vater Clara Schumanns hieß aber Wieck, „Hiacynthe Laennac“ – der Erfinder des Stethoskops schrieb sich allerdings Hyacinthe Laennec, oder ein lateinisches Zitat Hahnemanns: „Nil prodest, quod non ladere …“ – korrekt wäre „laedere“ für verletzen).

Diese Kleinigkeiten mindern aber keineswegs das Verdienst der Autorin, eine solche Gesamtschau der praktischen Tätigkeit Hahnemanns über rund 43 Jahre verfügbar gemacht zu haben. In der Zusammenfassung spürt man weiteren Forschungsdrang, werden doch so manche Vorschläge für weitere Studien zur Praxis Hahnemanns aufgezeigt.

Fazit: Die Arbeit endet mit der Aussage: „Auf alle Fälle war es für mich eine Ehre, diese Zeitreise direkt in die Praxis Hahnemanns unternehmen zu dürfen. Ich hoffe nur, dass der Leser diese ebenso wie ich genossen hat.“ – Auf jeden Fall, und hier ist für jeden homöopathiehistorisch Interessierten etwas dabei.

Christian Lucae



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Article published online:
19 January 2021

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