ergopraxis 2021; 14(01): 34-35
DOI: 10.1055/a-1300-5735
Ergotherapie

Gleichgewicht testen – Assessment: Foam and Dome

Svenja Wittek
 

Um diesen Test durchzuführen, benötigt man vor allem Folgendes: einen Lampenschirm. Das Assessment kommt bei Klienten mit Schwindel und Gleichgewichtsstörungen zum Einsatz. Mithilfe des Testmaterials kann die behandelnde Person die einzelnen Gleichgewichtssysteme der Person ausschalten und dadurch feststellen, worin die Problematik besteht.


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Svenja Wittek

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ist Ergotherapeutin BSc, Bobath-Therapeutin, zertifizierte Handtherapeutin und Dozentin der Akademie für Handrehabilitation (AFH). Sie ist in einer Praxis mit den Schwerpunkten Neurologie und Orthopädie beschäftigt.

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ABB. Bei diesem Test kommen unter anderem eine Schaumstoffmatte (= Foam) und ein Lampenschirm (= Dome) zum Einsatz. Abb.: S. Schädler

Der „Fome and Dome“-Test bietet die Möglichkeit, die Haltungskontrolle eines Klienten unter verschiedenen sensorischen Bedingungen einzuschätzen. Er ist auch als „Clinical Test for Sensory Interaction in Balance (CTSIB)“ oder „Sensory Organisation Test (SOT)“ bekannt und wurde 1986 von der amerikanischen Physiotherapeutin Anne Shumway-Cook entwickelt [1]. Der Test eignet sich vor allem für Personen zwischen 6 und 65 Lebensjahren, beispielsweise nach Schädel-Hirn-Traumata oder Apoplex, bei Multipler Sklerose, Parkinson oder vestibulären Störungen [2].

Er gibt Aufschluss darüber, wie sich die drei Gleichgewichtssysteme Visus, Somatosensorik und Vestibulum organisieren, anpassen, funktionieren und kompensieren. Sie sind die wichtigsten Informationsquellen, um in unterschiedlichen Situationen das Gleichgewicht halten zu können (Sensorik). Wenn eines nicht mehr richtig funktioniert, fehlen Informationen und es kommt zu Gleichgewichtsstörungen. Mit dem „Foam and Dome“-Test kann man identifizieren, in welchem System das Hauptproblem liegt. Das ist für eine klientenzentrierte Problemanalyse und einen daraus resultierenden individuellen Behandlungsaufbau unabdingbar [3].

Durchführung

Für den Test benötigt man folgende Materialien:

  • Stoppuhr

  • Schaumstoffkissen (zum Beispiel eine AIREX-Matte) = Foam

  • einen runden Lampenschirm = Dome

  • ggf. Augenbinde

Der Klient nimmt während des Testes für je 30 Sekunden 6 unterschiedliche Positionen ein ([TAB].) [4]. Dabei ist darauf zu achten, dass er den Test immer gleich durchführt: Ist der Klient beispielsweise bei der ersten Position barfuß, sollte er auch die restlichen Positionen auf diese Weise durchführen. Ob man den Test barfuß macht oder Schuhe trägt oder wie breitbeinig der Klient steht, macht keinen signifikanten Unterschied [2]. Die Arme hängen locker neben dem Körper oder werden in die Seiten gestützt. Für zwei Positionen ist ein Lampenschirm nötig, den die Therapeutin selbst herstellen kann (BAUANLEITUNG als Download). Während der Klient die 6 Positionen durchgeht, beobachtet die Therapeutin den sogenannten Sway (das Schwanken) bzw. die Oszillation (die Schwingung) des Klienten, die nötig und in gewissem Maße auch natürlich sind, um das Gleichgewicht zu halten. Dabei muss sie darauf achten, dass die Durchführung sicher abläuft. Dann schätzt sie den Sway/die Oszillation von 1 bis 4 ein [5]: 1 = normaler Sway, 2 = leichter Sway, 3 = mäßiger Sway, 4 = Sturzgefahr.

TAB.

Während der Klient die verschiedenen Positionen durchgeht, werden unterschiedliche Gleichgewichtssysteme ausgeschaltet und irritiert, zum Beispiel durch die Schaumstoffmatte.

Position

vorhandenes System

ausgeschaltetes System

irritiertes System

1. Augen offen

  • visuell

  • somatosensorisch

  • vestibulär

  • keines

  • keines

2. Augen verbunden

  • somatosensorisch

  • vestibulär

  • visuell

  • keines

3. Lampenschirm

  • somatosensorisch

  • vestibulär

  • keines

  • visuell

4. Augen geöffnet, auf der Matte

  • visuell

  • vestibulär

  • keines

  • somatosensorisch

5. Augen verbunden, auf der Matte

  • vestibulär

  • visuell

  • somatosensorisch

6. Lampenschirm, auf der Matte

  • vestibulär

  • keines

  • somatosensorisch

  • visuell

Ergebnisse interpretieren

Klienten, die besonders visuell abhängig sind, um ihr Gleichgewicht halten zu können, haben im Alltag vor allem Schwierigkeiten, wenn ihnen visuelle Fixpunkte fehlen. Das ist zum Beispiel in Menschenmassen, bei Nacht oder bei schnellen Bewegungen der Fall. Beim Test zeigt sich das bei den Positionen 2, 3, 5 und 6 [3]. Bei einer sensorischen Abhängigkeit beschreiben Klienten Probleme beispielsweise beim Barfußgehen auf unebenem und weichem Untergrund oder beim Laufen mit Turnschuhen mit dicker Sohle. Sie fallen in den Positionen 4, 5 und 6 auf [3]. Personen mit vestibulären Ausfällen zeigen Probleme bei Kopfbewegungen und Lagewechseln (Position 5 und 6). Aber auch eine Angstproblematik könnte eine Rolle spielen (etwa durch den Lampenschirm), sodass sich dies gegebenenfalls auch in der Position 3 bemerkbar macht [3]. Klienten mit sensorischen Selektionsproblemen sind häufig neurologisch betroffen und weisen eine zentrale Störung auf, etwa nach einem Apoplex, daher zeigen sich die Positionen 3, 4, 5 und 6 als problematisch [3].

Sensorik

Die drei Gleichgewichtssysteme

visuelles System: Augen erfassen Informationen

somatosensorisches System: Tast- und Druckempfindung der Füße, Propriozeption der Beine und Halswirbelsäule

vestibuläres System: gibt Informationen über Drehbeschleunigungen des Kopfes in der Frontal-, Sagittal-, Transversal- und Horizontalebene (zum Beispiel bei Tempoveränderungen beim Gehen)


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Probleme im Alltag gezielt angehen

Der „Foam and Dome“-Test ist ein hervorragendes Assessment zur Differenzierung von Gleichgewichtsproblemen und hilft dabei, einen klientenzentrierten Behandlungsplan zu entwickeln. Er weist eine exzellente Reliabilität in den Bereichen Geriatrie, Apoplex (Hemiplegie) sowie bei jungen und gesunden Erwachsenen auf [6]. Mit gerade mal 20 Minuten Durchführungszeit und einem geringen Aufwand lässt sich der Test schnell und einfach in den Praxisalltag integrieren.

Mittlerweile gibt es modifizierte Tests, bei denen ausschließlich die Positionen 1, 2, 4 und 5 zum Einsatz kommen, wodurch der Lampenschirm überflüssig wird. Diese Version wurde auch für Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren modifiziert.

Das Assessment eignet sich nicht zur Dokumentation des Therapieverlaufs, da er nur ausdrückt, in welchem Gleichgewichtssystem das Hauptproblem liegt und wie gravierend es auf einer Skala von 1 bis 4 ist. Dies ist eine zu grobe Staffelung, um beispielsweise in jeder Einheit Veränderungen erkennen zu können. Auch für eine Interpretation des Sturzrisikos eignen sich andere Assessments wie die Berg Balance Scale wesentlich besser.

Gemeinsam mit der Anamnese und anderen Assessments wie dem Canadian Occupational Performance Measure (COPM) kann man mit dem „Foam and Dome“-Test gezielt Probleme im Alltag herausstellen. Die Therapeutin kann einzelne Gleichgewichtsysteme beüben und/oder Bewältigungs- und Kompensationsstrategien mit dem Klienten entwickeln. Gerade wenn keine eindeutige Diagnose gegeben ist, ist dieser Test im Therapiealltag Gold wert, da er problemorientiertes und damit alltagsorientiertes Arbeiten zulässt.

Svenja Wittek


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Publication History

Article published online:
04 January 2021

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ABB. Bei diesem Test kommen unter anderem eine Schaumstoffmatte (= Foam) und ein Lampenschirm (= Dome) zum Einsatz. Abb.: S. Schädler